BDSL-Klassifikation: 01.00.00 Allgemeine deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft > 01.08.00 Zu einzelnen Germanisten, Literaturtheoretikern und Essayisten
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Friedrich Kittler gilt als "Begründer einer der eigenwilligsten und zugleich umstrittensten Medientheorien." Bekannt wurde er mit seiner Frühschrift 'Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften' von 1980, wo er den Geist aus den Geisteswissenschaften zugunsten von Naturwissenschaft und Technik austreiben wollte. Gegen dieses Phantom ging dann auch seine spätere Schrift 'Grammophon, Film, Typewriter' von 1986 an, um den Geist endgültig in den "Schaltungen" dingfest zu machen. Denn, so heißt es wenig später, "nichts ist, was nicht schaltbar ist". Aber nicht dieses "technische Apriori" hat ihm den Ruf eingebracht, sondern dass er alle zivile Medientechnik von der Kriegstechnologie herleitete. Darüber hinaus lautet ein gegen Kittler vorgebrachter Einwand, er verwechsle die technischen, mathematischen, formalen Sprachen der Medien mit symbolischen Sprachen, mit Bedeutung, Sinn, Denken, Deutung, Reden und Kommunikation. Diese Verwechselung funktioniert dann nach dem Dualismus - denn von Dialektik kann man hier kaum noch reden - von Wesen und Erscheinung, wobei hinter der medialen Erscheinung immer das Wesen der Medien als militärische Natur steckt.
Genau diese Interpretation von Kittlers Medientheorie - obwohl sie nicht ganz falsch liegt - geht aber, wie ich zeigen möchte, an Kittlers Denken vorbei, wie wir inzwischen auch dem Buch 'Die Wahrheit der technischen Welt' entnehmen können, wie aber spätestens seit 'Musik und Mathematik I/1' oder 'Musen, Nymphen und Sirenen' ganz deutlich wurde. So zeigen auch die dreiundzwanzig zwischen 1978 und 2010 veröffentlichten Kittler-Essays, die das neue Buch zusammenbringt, dass das "technologische Kriegswesen" hinter der Erscheinung nur eine Tarnung war.
Frankfurt am Main im Oktober 1981. Jacob Taubes spaziert über die Buchmesse. Am Stand des Verlages, dem er schon lange Zeit als wissenschaftlicher Berater dient, macht der Berliner Religionswissenschaftler eine Entdeckung. Sein Freund, der Philosoph Hans Blumenberg, hat bei Suhrkamp ein neues Buch veröffentlicht. Es trägt den Titel 'Die Lesbarkeit der Welt' und es handelt von dem Buch, das alle Bücher der Buchmesse, ja alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Bücher umfasst, es handelt vom Buch der Welt als Metapher "für das Ganze der Erfahrbarkeit". Taubes wird neugierig. Er blättert, liest sich fest, kommt bis Seite 19. Dann: ein Druckfehler. Taubes, dem Blumenberg über Jahre die kalte Schulter gezeigt hat, denkt nach, schmunzelt vielleicht, macht sich Notizen. Zu Hause greift er sich eine Postkarte und schreibt nach Altenberge bei Münster, sein, Blumenbergs, neues Buch sei "[s]pannend wie ein Roman". Er philosophiere historice und critice, dies gegen den Kollegen Henrich in Heidelberg. Und, ach ja, sein Buch enthalte einen Druckfehler, auf Seite 19 steht: "Boch"; die ganze Passage bei Blumenberg lautet: "Die Frage, wie denn in diesem Buch der Natur gelesen werden könne, in welcher Sprache es geschrieben sei und wie man ihre Grammatik herauszufinden hätte, schiebt sich erst über die metaphorische Grundschicht der Bücherkonkurrenz, in der primär Buch neben Boch, sekundär Buch gegen Buch steht."