BDSL-Klassifikation: 01.00.00 Allgemeine deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft > 01.08.00 Zu einzelnen Germanisten, Literaturtheoretikern und Essayisten
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Ernst Müller beschäftigt sich mit der "Umcodierung der europäischkonfessionellen in eine national-säkulare Bestimmung der Universität" im Werk Friedrich Schleiermachers. Da eine sprachliche Verfasstheit des Wissens für Schleiermacher außer Frage stehe und er deren Vermittlung in der "verschriftliche[n] Mündlichkeit" seiner Vorlesungen auch durchaus Rechnung zu tragen versuche, wolle er den Gebrauch des Lateinischen auf den einer akademischen Festsprache reserviert wissen. Ferner führe die neue Verbindung von Philosophie, Wissenschaft und Bildung bei Schleiermacher beinahe zwangsläufig zu einer Gegenüberstellung von deutscher Universität und französischer Spezialschule, da Letztere sich dem staatlichen Nutzen und der Berufsausbildung verschrieben habe. Die deutsche Universität binde Schleiermacher dabei zwar an die Nation, mitnichten aber an den Nationalstaat.
"Oft sagte er aus dieser Stimmung heraus: Unser Gespräch mit Franzosen bleibt doch immer das Bankett des Fuchses mit dem Storch - ewiges Mißverständnis".
Die Quelle dieses von Hofmannsthal - laut Zeugnis von C. J. Burckhardt - häufig zitierten Vergleichs der Deutschen und Franzosen mit dem Verhältnis der beiden Tiere zueinander ist bekannt; es ist die Fabel La Fontaines: "Le Renard et la Cigogne", die ihrerseits auf Äsop und Phaedrus zurückgeht. Weniger bekannt ist dagegen, daß Hofmannsthal die Fabel nicht als erster auf die beiden Völker bezogen hat, sondern daß er den Vergleich bereits bei Madame de Staël und bei Goethe vorfinden konnte. Es ist reizvoll, die jeweiligen Ausführungen miteinander zu konfrontieren und an der unterschiedlichen Akzentuierung des Vergleichs nicht nur die kulturellen Positionen der Autoren abzulesen, sondern zugleich verschiedene Spielarten des Fremdverstehens kennenzulernen.
Rezension zu Elke Mehnert (Hg.): Russische Ansichten - Ansichten von Russland. Festschrift für Hugo Dyserinck. Frankfurt a.M., Berlin, Bern u.a. (Peter Lang) 2007. (= Studien zur Reiseliteratur- und Imagologieforschung. Hg. v. Elke Mehnert u. Uwe Hentschel, Bd. 7). 219 S.
Die Herausgeberin der hier anzuzeigenden Festschrift für Hugo Dyserinck, die Chemnitzer Komparatistin Elke Mehnert, hat sechzehn Beiträge versammelt, die aus verschiedenen Perspektiven und an höchst unterschiedlichen Gegenständen das Bild Russlands in diversen europäischen Nationalliteraturen thematisieren, aber auch die russische Wahrnehmung Deutschlands und Europas untersuchen.
Dezember 1925, Staatsoper Unter den Linden Berlin: Zwei Tage vor Weihnachten besuchen Theodor W. Adorno und Walter Benjamin die erste auf die aufsehenerregende Uraufführung folgende Vorstellung von Alban Bergs Oper Wozzeck: Es dirigiert Erich Kleiber, die Hauptpartien singen Leo Schützendorf, Fritz Soot und Sigrid Johanson. Nicht nur auf den 'Expertenhörer' Adorno - der in einem an seinen Kompositionslehrer übermittelten Bericht sowohl Benjamins Bestimmung des "Ausdruckslosen" aufgreift, als auch dessen physische Präsenz erwähnt - hinterlässt die Musik einen bleibenden Eindruck. Benjamin erinnert sich dieser Aufführung noch zehn Jahre später in einem seiner Briefe an Adorno und bekennt nach der Lektüre von dessen Berg-Analysen, "dass der überwältigende Eindruck, kraft dessen mich der Wozzeck an jenem Abend gefangen nahm, das Signal eines mir unbewussten aber bis ins einzelne nennbaren Betroffenseins gewesen ist". Von der geschichtsphilosophischen Einordnung der Berg'schen Musik, welche "wie die gleichsam namenlose technische Arbeit des Schülers Schönbergs die Tradition des 19ten Jahrhunderts im Namen des Musikers zur Ruhe geleitet und ihren eigenen Klagegesang anstimmen lässt", führt Benjamin sich dann sogar versucht, den "Begriff des 'kleinen Übergangs' [...] der Kompositionslehre abzuborgen (GB V, 565). Im Gegensatz zu Adorno wird Walter Benjamins Theorie jedoch kaum mit Musik in Verbindung gebracht, sondern vor allem für ihr Bilddenken geschätzt. Auch wenn im 'Ursprung des Deutschen Trauerspiels', in den Erinnerungsszenen der 'Berliner Kindheit', den Häuser- und Gedankenschluchten der 'Passagenarbeit' und nicht zuletzt in seinem Briefwechsel durchaus von Musik die Rede ist, rücken Klänge seltener in den Mittelpunkt seiner Schriften und sind in der Rezeption bisher auch weniger beachtet worden. Ohnedies wird derjenige enttäuscht, der gerade von Benjamin - so reizvoll es sein mag, sich solchen Gegenständen widmende Essays zu imaginieren - die Exegese des gängigen musikalischen Kanons erwartet: Keine Abhandlung zu Schuberts Streichquintett schließt an die Interpretation der 'Wahlverwandschaften' an und ebenso vergeblich sucht man nach die Erwägungen zum Trauerspiel auf die Affektkontrolle der 'opera seria' oder die des Kraus-Essays auf die Musik des 'Fackel'-Habitués Arnold Schönberg übertragenden Arbeiten. Dennoch kommt Musik, Klage und Tönen in Benjamins Reflexionen eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Selten drängen sie sich lautstark in den Vordergrund, erlauben aber - zumal in einer Zeit, in der auch die professionelle Auseinandersetzung mit Musik die ideale Beständigkeit musikalischer Werke und ihrer Texte zunehmend in Zweifel zieht - theoretische Einsichten, über die das auf andere Dinge gerichtete Ohr des Experten achtlos hinweggeht. In Ergänzung zur wohlbekannten epistemischen und poetischen Rolle seiner Sprach- und Denkbilder unternimmt dieser Band den ersten systematisch angelegten Versuch, sowohl den kultur- und medienhistorischen Zusammenhängen von Benjamins akustischen Motiven nachzugehen als auch ihre ästhetische Relevanz für die gegenwärtige Produktion und Reproduktion von Klängen zu reflektieren.