BDSL-Klassifikation: 01.00.00 Allgemeine deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft > 01.08.00 Zu einzelnen Germanisten, Literaturtheoretikern und Essayisten
Refine
Document Type
- Part of a Book (4)
- Article (3)
Language
- German (7) (remove)
Has Fulltext
- yes (7)
Keywords
- Sprache (7) (remove)
Die Struktur und ihr Stil : wie Schleiermacher zwischen Derrida und Saussure vermitteln könnte
(2022)
Manfred Franks Beitrag widmet sich mit "Struktur" einem Gegenbegriff zum Stil, um Friedrich Schleiermachers sprachtheoretisch begründetes Verständnis des Stils als eines individuellen Allgemeinen zu rekonstruieren. Dabei zeigt sich, dass Stil und Struktur sehr wohl kompatibel sind und zusammengedacht werden können. Allerdings gilt auch bei Schleiermacher, anders als bei Lamy auf eine und bei Luther auf andere Weise, dass der Stil nie direkter Ausdruck (hier: des Individuellen) ist, sondern eine Weise der Kombinatorik, die allein "divinatorisch" zu entschlüsseln ist. Für den Nachweis der Kompatibilität von Stil und Struktur beruft sich Frank vor allem auf den Erz-Strukturalisten Saussure, der hier in große Nähe zu Schleiermacher und polemisch in weite Ferne von Jacques Derridas Saussure-Deutung gerückt wird.
Although Alexander von Humboldt is well known for his major impact on the development of new scientific knowledge and the rise of disciplines such as Geography and Ecology, his critical reflections on languages from a scientific point of view, as well as from an aesthetic perspective, still receive little attention. New research has shown that von Humboldt's writings on the languages of indigenous people may well be considered the beginning of anthropological-comparative linguistics. This article outlines the significance of von Humboldt's aesthetics of language in his own scientific texts. He explores the different dimensions of sound landscapes, combinating scientific description in prose and the sound of the indigenous terms. By this strategy, he connects different forms of "text islands" ('Textinseln') in order to create an intratextual web of knowledge archipelagos based on his concept of a science which refers to the senses ('sinnliche Wissenschaft'). The polyphonic structure of his writing opens up a collage of natural musical arrangements of animal and human sounds, fused into a common language of life forms bound together by the "phonotextual" soundscape of his writing skills. By merging epistemic and aesthetic forms, he creates a symphony of life between art, science, and nature.
Daniel Weidner beleuchtet Johann Gottlieb Fichtes Überlegungen zu Wissenschaft, Universität, Sprache und Nation im Anschluss an Kant. Als konstitutives Merkmal der neuen Wissenschaft macht er bei Fichte die Figur des Fortschritts aus, welche die eigene Forschung ihrem Selbstverständnis nach notwendigerweise als "Durchgangsstadium" erscheinen lasse. Auf der Ebene der Vermittlung führe dies zu einem "genetischen Vortragsstil", da die Adressaten in die Lage versetzt werden müssten, die jeweilige Gedankenhandlung selbst nachzuvollziehen. Paradoxerweise sei Fichtes Vortrag indes weniger mündlich als der Kants, da er anders als dieser nicht laufend ein Lehrbuch kommentiere, sondern seine Vorlesungen als selbständige Texte verfasse. Dabei reflektiere Fichte nicht nur das eigene sprachliche Handeln, sondern auch die Sprache selbst im Sinne eines Anschauungskerns der Nation, die er in Deutschland durch seine Reden als Gemeinschaft (mit) zu konstituieren versuche.
Die vielberufene Zitierbarkeit der Benjamin'schen Wendungen gehört ins Register jener '-abilities', die Samuel Weber entdeckt hat. Sie berührt sich, sozusagen als 'quotability', mit der Brauchbarkeit, Erkennbarkeit, Kontrollierbarkeit, Kritisierbarkeit, Lesbarkeit, Mitteilbarkeit, Reproduzierbarkeit, Übersetzbarkeit, Vererbbarkeit, jenen Qualitäten, die einer Sache, durchweg einer Sache sprachlich-textlicher Faktur, virtuelle Kraft zusprechen. Diese Kraft bezeichnet nicht nur einen Charakter der passiven Eignung oder aktiven Befähigung, sondern dem Vorbild des lateinischen Gerundiums einen impliziten Imperativ. Was zitierbar ist, kann nicht nur, sondern muss zitiert werden, und es wirkt als ein Zu-Zitierendes. Benjaministische Benjamin-Forschung befolgt diesen Imperativ allzu wörtlich. Sie setzt autoritative Zitate an die Stelle sowohl des Kontextes, wo sie zuerst erschienen waren, wie auch der Technik des Denkens und Schreibens, denen sie ihre Spezifik verdanken. Für den autoritativen Gestus des Benjamin'schen Schreibens stehen viele Termini parat, und ein nicht abwegiger Terminus ist der des Aphorismus. Man wird auch vom Fragmentarismus des Benjamin'schen Schreibens sprechen dürfen, von seinem Hang zu Sentenzen (eben zitierbaren Sätzen), zur physiognomischen Zuschreibung, zum gnomischen, einprägsamen, inschrifthaften und monumentalen Wort. Die vieldebattierte Frage, ob Benjamins Stil aphoristische oder fragmentaristische Züge habe, kann in dieser Allgemeinheit etwas akademisch anmuten. Ein Anderes sieht, wer Aphorismus und Fragment zusammendenkt - wie etwa Gerhard Neumann in seiner monumentalen Studie 'Ideenparadiese'-, ein Anderes, wer sie unterscheidet.
Das Buchstabieren Benjamins
(2011)
Im Brief vom 28. Februar 1933 an Gershom Scholem spricht Walter Benjamin von einer "neuen - vier kleine Handschriftenseiten umfassenden - Sprachtheorie", die "[d]rucken" zu lassen er nicht beabsichtige, ja von der er nicht einmal wisse, "ob sie auch nur einer Maschinenübertragung fähig" sei. Der brieflich geäußerte Hinweis auf die Medialität der heute unter dem Titel "Lehre vom Ähnlichen" (GS II, 204–210)2 gedruckt vorliegenden 'Seiten' führt ins Zentrum des Textes: Benjamin entwickelt sein berühmtes Konzept einer "unsinnlichen Ähnlichkeit" der Sprache über "Verspannung[en]", und zwar "Verspannung[en]" nicht nur "zwischen dem Gesprochnen und Gemeinten sondern auch zwischen dem Geschriebnen und Gemeinten und gleichfalls zwischen dem Gesprochnen und Geschriebnen". Damit antwortet der Text auf die Frage, inwiefern man "Sprache", verstanden als "Kanon" der "Merkwelt des modernen Menschen", als Transformation alter Traditionen "magischer" "Fassungen" von "Ähnlichkeitserfahrungen" begreifen könne.
In dem vorliegenden Artikel untersuche ich [den] besonderen Fall von Wechselseitigkeit zwischen dem Körperlichen und dem Sprachlichen in Freuds "Zur Auffassung der Aphasien"; ich unternehme den Versuch zu zeigen, dass gerade in diesem frühen Text einerseits Freuds am äußersten Anfang stehendes und zuweilen noch unausgefeiltes Verhältnis zu Sprache, andererseits seine grundlegende Darstellung des Körpers und dessen Beziehung zum Sprachlichen zu finden sind.
"Zur Auffassung der Aphasien" dient dabei als mein Ausgangspunkt, von dem aus ich für eine entscheidende Verknüpfung zwischen diesem frühen Text und Freuds späterer psychoanalytischer Theorie, insbesondere seinen Arbeiten zum Gegenstand Trauma, argumentiere. Ich glaube, dass die Motivation für Freuds Übergang von seiner frühen neurologisch-physiologischen Phase zur späteren psychoanalytischen Arbeit an eben dieser besonderen Schnittstelle zwischen dem Sprachlichen und dem Körperlichen gefunden werden kann, so wie es sich in seiner Arbeit zur Aphasie niederschlägt.
Im Jahre 1548 erschien in Frankfurt am Main eine Schrift, die den merkwürdig modern anmutenden Titel „Psychopharmakon hoc est: medicina animae“ trug. Doch dieses, von einem Hadamarer Geistlichen herausgegebene, Werkchen illustriert[…] lediglich im Nach hinein einen Einbruch des Realen in die reinen Ordnungen des Wortes. Natürlich enthält es noch »nur« eine Sammlung von Gebeten und Trostsprüchen und keine chemischen Rezepte, doch sein Titel schlägt historisch eine Brücke von der vormaligen Macht der Geistlichkeit zu der Mach t, die in eben diesem Namen Psychopharmakon der Psychiatrie einmal zugekommen sein wird. Die heilsame institutionelle Macht, die Wörter über Seelen haben können und sollen, verwandelt sich mit der Geschichte eines griechischen Wortes in eine Macht, die auch eben jene organischen Zentren und Werkzeuge biochemisch affiziert, die Wörter allererst ausdenken und -sprechen; dass dies historisch in Gang gesetzt wird durch ein Psycholytikum, eine Droge, die dem Medikamentierten seine Seele lösen soll wie die Segensformel des Beichtigers einst die Zunge des reuigen Sünders, dies ist in der Tat eine Verschiebung im Feld eines Wissens vom Mensch en, die Macht und Mächte in diesem umstrittenen Geviert zwischen Geist und Seele, Physis und Logos historisch präzise umreißt.
In diesem Zusammenhang scheint vielleicht eine kurze Geschichte der Auffassungen von Sprache als Gegenstand von Psychiatrie und Neurologie von Philippe Pinel bis zu Sigmund Freud zunächst einen Seitenweg beschreiten zu wollen; doch wird sich im Verlauf meiner Ausführungen zeigen, dass weder die Entstehung der modernen Sprachwissenschaft oder Linguistik, noch die Abenteuer einer modernen Ästhetik sich davon unbeeinflusst darstellen lassen.