Linguistik-Klassifikation
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Die Sprachsituation der deutschen Schweiz, wo die Mundarten den großen Teil der gesprochenen Sprachrealität darstellen, bietet ein weites Feld für Erforschung der gesprochenen Sprache. Die starke Position der Mundarten und die weitgehend mündliche Überlieferung machen sie für die Sprachwandelforschung interessant. Nachdem die Erforschung von Sprachwandel lange auf der Rekonstruktion gesprochener Sprache aus Schriftzeugnissen beschränkt war, kann seit dem wissenschaftlich reflektierten Festhalten gesprochener Sprache in Transkripten und seit der Möglichkeit zur Tonarchivierung auf historische Zeugnisse gesprochener Sprache zurückgegriffen werden. So kann die primäre Sprachform berücksichtigt werden. Denn obwohl Lautwandel lange der zentrale Bereich der Sprachgeschichtsschreibung war und die Sprachgeschichtsschreibung weitgehend vom "Primat des Sprechens" (Sonderegger 1979, 11) ausgegangen war, musste sie sich lange mit Schriftzeugnissen abfinden, die nur Reflexe gesprochener Sprache darstellten.
Sociolinguistic research has shown that attitudes towards linguistic variants can distinguish different speech communities. The importance of attitudes for an explanation of linguistic change was examined and compared to traditional explanations by sociolinguistic and dialectologic variables. Therefore the dialect of Aarau was investigated, a small town situated between the two cities of Bern (80 km in the west) and Zürich (50 km in the east) in the German speaking part of Switzerland. Bern and Zürich both are centres of a larger dialect region, Aarau lies in the contact zone of these two dialects. Phonetic variables of the idiolect of 55 speakers were compared to historical data and related to their attitudes towards the neighbouring dialects. The findings so far show no significant correlation of attitudes and language change, but further research including morphology will refine the results. The inclusion of attitudes to explain linguistic change can complement the understanding of linguistic change, but it can not explain it.
Die Sprachsituation der deutschsprachigen Schweiz, wo die nicht kodifizierten Mundarten den weitaus größten Teil der Sprachrealität darstellen, bieten ein weites Feld für Sprachwandelforschung der gesprochenen Sprache, die nur beschränkt auf eine schriftlich fixierte und tradierte Norm beziehbar ist. Noch immer ist da der Kontakt mit anderen Dialekten eine der wichtigsten extralinguistischen Ursachen für Sprachwandel. Ich möchte einen Einblick geben in die Mundart von Aarau, die sich zwischen zwei größeren und starken Mundarträumen des Zürichdeutschen und Berndeutschen in einer Labilitätszone befindet. Der Wandel der Mundart in ihren verschiedensten sprachlichen Aspekten wird in Beziehung gesetzt zu den 'traditionellen' dialektologischen und soziolinguistischen Faktoren, aber auch zum Dialektkontakt und der Einstellung zu den Nachbardialekten. Ich möchte zeigen, dass Erklärungen für einen eindimensionalen Sprachwandel hinterfragt werden müssen, genau so wie Erklärungen, die von einer simplen positiven oder negativen Einschätzung einer Varietät ausgehen.
Der Sprachatlas der deutschen Schweiz (SDS) hat mit vielen Karten deutlich gemacht, dass die Kleinstadt Aarau in der Labilitätszone der größeren Schweizer Dialektlandschaften des Berndeutschen und des Zürichdeutschen liegt. R. Hotzenköcherle (1984, 79) hat dies in seinem ersten umfassenden Überblick zum SDS deutlich gemacht: "Die Sprachgeographie des Aargaus ist weitgehend – aber nicht ausschließlich – bestimmt durch seine Lage zwischen der nordwestbzw. westschweizerdeutschen und der nordost- bzw. ostschweizerdeutschen Sprachlandschaft: In der Spannung zwischen diesen beiden Schwerpunkten … erscheint das Gebiet dieses jungen schweizerischen Kantons als eine einzige breite Zone verschiedener abgesetzter West/Ost- Gegensätze, hin- und herwogender Einflussströmungen und hochgradiger Labilität." Diese Labilität lässt vermuten, dass sich sprachlich viel ändert, wenn sich das Gleichgewicht verschiebt. Seit 1798 hat sich viel geändert: Nachdem Aarau gut 350 Jahre unter Berner Herrschaft war, wurde es Hauptstadt des neu gegründeten Kantons Aargau und für fünf Monate sogar zur Hauptstadt der Helvetik, der neuen Republik von Napoleons Gnaden. Nach der Abhängigkeit von Bern folgte somit eine Epoche der Unabhängigkeit und Ausrichtung auf die neue Rolle als Kantonshauptstadt und Industriestandort. Hauptstadt des Kantons Aargau ist Aarau immer noch, und auch ein regionales Verwaltungs-, Handels- und Dienstleistungszentrum, es gerät aber langsam immer mehr in den Sog der Metropole Zürich. Mit dem Ausbau der Verkehrswege steigt Zürichs Einfluss kontinuierlich. 1990 pendeln 17 % aller Aarauer ArbeitnehmerInnen in Richtung Osten, während nur 7 % westlich von Aarau arbeiten. 58% arbeiten in Aarau selbst. Diese wirtschaftliche Neuorientierung lässt vermuten, dass sich der Aarauer Dialekt stärker dem Zürcher Dialekt annähert.
Bern, bis ins 18. Jh. Zentrum der regionalen Großmacht, heute mit nicht ganz 130.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt der Schweiz und seit 1848 die Hauptstadt der Schweiz. Auf Grund dieser Ausgangslage würde man erwarten, dass Bern wie andere Städte eine sprachliche Strahlungskraft in die unmittelbare Umgebung aufweist. Entgegen der allgemeinen Vorstellung zeigt sich jedoch in den Karten des Sprachatlas der deutschen Schweiz (SDS) kaum eine der für die Umgebung von Städten typischen sprachgeographische Verbreitungsbilder. So finden sich viele Isoglossen in unmittelbarer Nähe der Stadt Bern: trichter-, keil- oder gar kreisförmige Bündelungen von Isoglossen, die auf eine sprachliche Wirkung der Stadt hindeuten würde, lassen sich kaum nachweisen.
Der vollständige Titel der vorliegenden Arbeit lautet: Sprachwandel in Chur: 'Aufnahmen des Sprachatlasses der deutschen Schweiz (SDS) konfrontiert mit der Mundart von heute'. Entsprechend dieses Programmes sollen folgende Fragen beantwortet werden:
o Was für Aenderungen können wir in der Churer Mundart ausmachen?
o In welche Richtung gehen diese Aenderungen? Lassen sich Tendenzen ausmachen?
o Welche Einflüsse führten zu den festgestellten Veränderungen?
Es ist klar, dass im Rahmen dieser Arbeit nur ein Teil allen Sprachwandels in Chur festgehalten werden konnte. Es ist aber durchaus möglich, anhand der erfassen Veränderungen Schlüsse zu ziehen, die sich auch auf die Mundart von Chur überhaupt übertragen lassen.
Schwerpunktmässig wurden für diese Arbeit Vokalismus und morphologisch-syntaktische Probleme bevorzugt behandelt. Für Konsonantismus eignet sich die Form der schriftlichen Umfrage wenig (Vgl. Kap.l.3.). Der Wandel im mundartlichen Wortschatz ist zu gross, als dass er auch nur annähernd vollständig behandelt werden könnte. Und Stiefkinder mussten auch satzmelodische und rhythmische Probleme bleiben. Dafür wurden anhand ausgesuchter Beispiele Phänomene erfasst, bei welchen der SDS nicht als Grundlage dienen konnte.
Wichtig ist für diese Arbeit, dass mit "der Mundart von heute" auch wirklich heutige Mundart erfasst wurde. Es sollte also keineswegs eine "richtige" Churer Mundart rekonstruiert (auch wenn dies mit den Verweisen auf die SDS-Karten implizit natürlich gemacht worden ist), sondern vielmehr mit den Aussagen der Gewährspersonen (Gwp) gearbeitet werden. In diesem Sinne kann Sekundärliteratur Erhellung bringen, soll aber nicht Untersuchungsgegenstand sein.