Osnabrücker Naturwissenschaftliche Mitteilungen, Band 35 (2009)
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Der Umgang mit der Natur ist dreißig Jahre nach Hans Jonas‘ „Prinzip Verantwortung“ weiterhin Anlass ethischer Reflexion. Das gesellschaftlich dominante Nutzendenken bringt den Naturschutz trotz der ökologischen Krise in Bedrängnis. Anthropozentrisches Nutzendenken hat den Naturschutz und seine Begründung längst selbst erreicht. Der Mensch kann jedoch weiterhin als Teil der Natur begriffen werden. Dies führt zur ethisch relevanten Frage nach Eigenwerten der Natur, die der Anthropozentrismus negiert. Die einseitige Betonung von Daten und Fakten vernachlässigt die durch eine Primärintuition gestützte, wesentliche Innenseite der Naturschutzargumentation. Diese Gefühlsseite verlangt ethische Rechtfertigung. Am Beispiel des Nutzenansatzes im Naturschutz und dessen Widersprüchlichkeiten wird die Notwendigkeit einer moralischen Grundentscheidung zwischen Nutzenorientierung und Uneigennützigkeit gezeigt. Dabei wird die Plausibilität der anthropozentrisch verengten Sicht einer „Natur ohne eigenen Wert“ in Frage gestellt. Menschliche Freiheit führt zur Verantwortung. Verantwortungsargumente sprechen für eine Ethik, die Eigenwerte nicht nur für den Menschen, sondern für die Natur annimmt und berücksichtigt. Unter Bezug auf die vor dreißig Jahren formulierte Verantwortungsethik wird die Ausdehnung der Moralgemeinschaft in aktuellen nicht-anthropozentrischen Ethikkonzepten beleuchtet. Die Entwicklung der Moralfähigkeit des Menschen, seine einzigartige Fähigkeit zum Abbau von Egozentrik bis hin zur barmherzigen Weltsicht, zum Altruismus über die Artgrenze hinweg, speist die Hoffnung auf einen umfassenden Kulturwandel zur Beendigung des Raubbaus an der Natur. Dieser Kulturwandel könnte durch Überwindung des Anthropozentrismus ethisch angemessen begleitet werden. Die Sonderstellung des Menschen ermöglicht diese Sprengung des anthropozentrischen Denkrahmens. Konkrete Folgen des ganzheitlich ethischen Arguments für Eigenwerte der Natur, besonders die Beweislastumkehr für den Naturschutz werden beleuchtet.
Der angewandten Ornithologie stellt sich die neue Aufgabe, für die artenschutzrechtliche Prüfung nach BNatG lokale Populationen für jede planungsrelevante Vogelart zu definieren. Der Beitrag stellt den in Nordrhein-Westfalen erarbeiteten Ansatz vor, in praxistauglicher Weise Typen von lokalen Populationen zu benennen und diese dann den Vogelarten zuzuordnen. Die lokalen Populationen bilden dann die Bezugsebene für die Bewertung der Erheblichkeit der Auswirkungen von Planungen bzw. genehmigungspflichtigen Vorhaben auf planungsrelevante Vogelarten.
Im Jahr 2003 wurden in der Esterweger Dose (Landkreis Emsland, Niedersachsen) nahrungsökologische Untersuchungen an einer Küken führenden Goldregenpfeiferfamilie durchgeführt. Dabei wurden insgesamt 10 Kotproben und ein Speiballen aufgesammelt und auf ihre Nahrungsrückstände analysiert. Parallel dazu wurden während der Aufzuchtzeit Barberfallen ausgebracht, um das Angebot an epigäisch lebenden Invertebraten zu ermitteln. Die Fallen standen auf Wiedervernässungsflächen unterschiedlichen Alters und auf Abtorfungsflächen mit ihren Ober- und Unterfeldern. Zusätzlich wurden die Bereiche beprobt, die von den Goldregenpfeifern genutzt wurden. Das Angebot an potentiellen Nahrungstieren wurde von Dipteren dominiert, die einen Individuenanteil von ca. 65 % ausmachten. Spinnentiere traten mit einem Individuenanteil von etwa 20 % auf. Käfer und ihre Entwicklungsstadien waren mit lediglich 10 % vertreten. Die Zusammensetzung der Fallenfänge unterschied sich zwischen den untersuchten Biotopen nicht. Im Speiballen und in den Kotproben dominierten dagegen Käfer und ihre Larven mit Individuenanteilen von z. T. über 70 %. Die Küken suchten besonders an den mit spärlicher Vegetation bestandenen Gräben der Unterfelder nach Nahrung. Hier traten die von ihnen präferierten Beutetiere (vor allem Laufkäfer) in höheren Individuenanteilen auf als in den übrigen beprobten Lebensräumen.
Auch in den arktischen Brutgebieten sind Wildgänse und ihre Brut durch Fressfeinde wie den Eisfuchs (Alopex lagopus) oder die Eismöwe (Larus hyperboreus) gefährdet. In diesem Bericht wird am Beispiel von Weißwangengänsen (Branta leucopsis) das Verhalten der Vermeidung von Prädation auf Svalbard mit dem der auf Kolguyev brütenden Artgenossen untersucht. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten werden diskutiert.
Basierend auf zahlreichen Untersuchungen zur Auswirkung von Störungen auf rastende Wildgänse stellen wir die Folgen zunehmender Nutzungsintensivierung und Zerschneidung beispielhaft für das Rheiderland (Niedersachsen) dar. Dazu haben wir mit Hilfe eines Geographischen Informationssystems (GIS) den Verlust an ungestörten Nahrungsflächen für Gänse quantifziert und die Konsequenzen für den Naturschutz dargestellt.
In einer Studie zur Höhlenökologie des Grauspechts Picus canus bei Wolfsburg, E-Niedersachsen 1988-1993 (1995) wurde untersucht, ob und wodurch sich Bruthöhlen, Schlafhöhlen und Balzhöhlen des Grauspechts unterscheiden. Bruthöhlen wurden fast immer neu gebaut (70 %), während Schlafhöhlen zumeist alte Höhlen waren (> 90%). Darüber hinaus bauten Grauspechte aber auch weitere Höhlen neu, so dass jährlich 1,4 Höhlen je Revier erstellt wurden. Schlafhöhlen wurden in eher vitalem Holz, vor allem in Buchen an glatten Stämmen nahe zum Waldrand angelegt, wohingegen Bruthöhlen eher im Bestand, in schwächerem Holz an Schadstellen gebaut wurden. Der Anteil der Höhlen in Eichen war bei den Bruthöhlen höher. Balzhöhlen haben eine hohe Bedeutung bei Paarbildung und -bindung, sie werden im ganzen Revier aufgesucht bzw. erstellt, die Höhlenparameter sind weniger spezifisch, nur der Zustand des Holzes ist am schwächsten, eine Funktionsfähigkeit der Höhlen kann zumeist bezweifelt werden. Für diese Höhlen wird diskutiert, ob sie auch als Kennzeichen für Männchenqualität angesehen werden könnten. Es bleibt offen, wer die Schlafhöhlen angelegt hat, wie sie entstehen und inwieweit daran andere Spechtarten mitgewirkt haben könnten. Der ganzjährig hohe Bedarf an Höhlen, ihre unterschiedlichen Funktionen gepaart mit unterschiedlichen Höhlencharakteristika könnten andeuten, dass Grauspechte sehr spezifisch Höhlen anlegen, nutzen und im Sinne eines Höhlenmanagements behandeln. Für den Schutz des Grauspechtes ist es neben dem Erhalt eines ausreichenden Angebots an Schlafhöhlen wichtig, ausreichend potenzielle Höhlenbäume (Höhlensubstrat) bereit zu halten, damit die Grauspechte jährlich ein bis mehrere neue Höhlen anlegen können. Angesichts der kritischen Erhaltungssituation der Art in Deutschland und Niedersachsen sind hierzu Forschungs- und Schutzansätze dringend erforderlich.
Von 1999 bis 2003 wurden im Thüringer Schiefergebirge im Rahmen von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für den Bau des Pumpspeicherwerkes Goldisthal und der Talsperre Leibis 145 „Wildfang – Auerhühner“ aus Russland (Raum Jaroslawl – Kostroma) umgesiedelt. Überdies wurden Habitatverbesserungen in den Lebensräumen vorgenommen. Das Überleben unter harten winterlichen Bedingungen erfordert von Tieren sowohl physiologische Anpassungen als auch Anpassungen des Verhaltens. Auerhühner ernähren sich im Winter ausschließlich von Koniferennadeln (Pinus silvestris) - einer extrem energiearmen Nahrung. Die umgesiedelten Auerhühner bevorzugten in Thüringen die Kiefer als Schlaf – und Nahrungsbaum. In den Wintern 2001/02 bis 2004/05 wurden mehr als 140 Nahrungs- und Schlafbäume von den umgesiedelten russischen Auerhühnern untersucht. Es zeigte sich, dass die Vögel schon im ersten Winter nach der Freilassung die Nutzungszentren der erloschenen autochthonen Population fanden und nutzten. Alle vier Standorte wurden von den umgesiedelten Auerhühnern jeden Winter aufgesucht. 49 % der Nahrungs – und Schlafbäume wurden jeden Winter wieder genutzt. Die Vögel zeigten also eine Vorliebe für bestimmte Bäume. Sie erschlossen sich den neuen Lebensraum schnell und entwickelten in den vier Untersuchungsjahren feste Gewohnheiten.
In den Jahren 1999 und 2000 wurde durch die Kooperationspartner Museum am Schölerberg, Osnabrück, Museum für Naturkunde und Vorgeschichte, Oldenburg, Universität Osnabrück und Naturschutzbund Osnabrück die Idee einer Gänseausstellung von Prof. Dr. Hans-Heiner Bergmann in die Realität umgesetzt. Über 4 Jahre wanderte die Ausstellung durch deutsche Ausstellungshäuser und erreichte mehr als 150.000 Besucher.
Das Waldhuhn mit dem Goldhähnchengesang : Ost-West-Kooperation bei der Erforschung des Haselhuhns
(2009)
Die Geschichte einer über Jahrzehnte währenden Freundschaft und Ost-West-Kooperation wird am Beispiel der Haselhuhn-Forschung geschildert, bei der unserem Jubilar eine „Führungsrolle“ im besten Sinne zukam. Freilanduntersuchungen im polnischen Bialowieza und im Böhmerwald der damaligen Tschechoslowakei legten die Basis für zwei Neubearbeitungen der Haselhuhn – Monografie, erschienen in der Neuen Brehm-Bücherei des A. Ziemsen Verlags (1978, 1982), gefolgt von der um das Chinahaselhuhn Bonasa sewerzowi erweiterten Neuauflage 1996. Team work und produktive, immer erheiternde Arbeitstreffen in Jena konnten auch durch die innerdeutsche Grenze nicht verhindert werden. Detaillierte Verhaltensbeobachtungen an dem scheuen, versteckt lebenden Waldhuhn wurden erst durch den Durchbruch bei Haltung und Zucht in menschlicher Obhut möglich. Daraus folgte auch das in Deutschland erste und groß angelegte Wiederansiedlungsprojekt im Harz, dem zwar kein Langzeiterfolg beschieden war, dafür aber erheblichen Erkenntnisgewinn brachte. Ein neueres Vorhaben in Thüringer Frankenwald profitiert hoffentlich davon, indem es auf die Freilassung von Wildfängen setzt.