Weimarer Beiträge 58.2012
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Nach einem Besuch beim Ehepaar Simmel berichtet Max Weber seiner Frau, dass sie sich hinsichtlich der religiösen Autorität Stefan Georges einig seien: "[D]aß er 'Prophet' werden möchte, halten auch sie für einen Fremdkörper." Doch wie fremd nimmt sich dieser Anspruch tatsächlich aus, sei es in der Zeit um 1900, sei es im lyrischen und/oder ethischen Werk Stefan Georges? Was bedeutet es zudem, einen Gott auszurufen, der nach Friedrich Nietzsche längst tot war, und welche Folgen hat die Wiederkehr Gottes für dessen Seher? Gerade diese Frage scheint mir für Georges Prophetie zentral zu sein. Denn das exklusive Wissen von Gott, dessen wohl konkreteste Bezeichnung Maximin ist, restituiert nicht bloß die Opposition von einerseits einem Absoluten und andererseits den Menschen; es mündet zudem in der Autorisierung des einen Propheten, der einzig und allein unmittelbaren Zugang zu Gott gefunden haben will. So ist letztlich er es, über den das Göttliche seine Rückkehr in die entzauberte Welt feiert, sieht und verkündet dieser doch, was ausgehend vom Leben Maximilian Kronbergers wirkungslos geblieben war. Das Göttliche inmitten der "Mechanisierung", wie Friedrich Gundolf das "Zurücktreten der Götter aus der Zeit" um 1900 beschreibt, wird also weniger durch Maximin als durch dessen Mythos reanimiert, kraft der Erkenntnis, der Sprache und nicht zuletzt der subjektiven Kriterien Stefan Georges.
Dass dieser hierbei nicht nur initiierend auftritt, sondern vor allem auch als größter Nutznießer aus einem Maximin-Kult hervorgeht, will der Aufsatz ausgehend von Georges Auftaktgedicht zu Auf das Leben und den Tod Maximins, von Das Erste, herausstellen. Methodologisch erweist sich hierbei eine produktionsästhetische Argumentation zur Erschließung wesentlicher ästhetischer Leerstellen in Georges Lyrik als vielversprechend. Prophetische Dichtung fordert nämlich sowohl im Allgemeinen als auch im besonderen Fall Stefan Georges stets zugleich ästhetische wie soziale Implikationen zu berücksichtigen.
Das goldene Zeitalter der Hyperfiktion mit ihrer Multilinearität sei vorbei - verkündete im Jahre 2001 ausgerechnet Robert Coover, der doch zehn Jahre zuvor die Geburt der Hyperfiktion in seinem eindrucksvollen Artikel 'The End of Books' (The New York Times, 21. Juni 1992) begrüßt hatte. Der um den Jahrtausendwechsel spürbare Boom zahlreicher deutschsprachiger Mitschreibprojekte im Netz unter Schlagwörtern wie 'verknüpftes Schreiben', 'soziale Interaktivität' und 'kollektives Gedächtnis' scheint ebenfalls nur einige Jahre überdauert zu haben. Was ist von den einmal so hoch gelobten digitalen Literaturen noch geblieben? Für jemand, der trotz vieler Enttäuschungen und Misserfolge den elektronischen Raum als literarisch kreatives Medium noch nicht aufgegeben hat, könnte diesmal digitale Poesie ein neuer Hoffnungsträger sein. Digitale Poesie hat sich ungeachtet des Abstiegs anderer Formen mittlerweile als florierender Zweig erwiesen. Digitale Poesie akzentuiert nicht mehr die Initiative des Lesers durch mehrere 'Wahlmöglichkeiten', sondern konzentriert sich darauf, dem Leser den aktuellsten Stand der hypermedialen Ästhetik und Technik auf einem breiten experimentellen Feld zu vermitteln. Abgesehen von dem meist genannten Grund, dass man auf dem elektronischen Bildschirm offenbar immer noch - zumindest über einige Generationen hinweg - lieber Poesie als Prosa rezipiert, verdankt sich dieser Überlebensantrieb der digitalen Poesie einer weiteren literarhistorischen, oder besser: kunstgeschichtlichen Folie. Im Vergleich zu anderen Formen hat die digitale Poesie von Beginn an mit ihrer Anschlussfähigkeit an die literarischen Experimente in der Poetik Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Während die neuen Gattungen der Hypertexte sich eher auf eine völlig neuartige Ästhetik beziehen wollten, hat die digitale Poesie einen anderen Weg beschritten, nämlich den, sich als Erbe der avantgardistischen Moderne zu bezeichnen.
Albert Ostermaiers Werk nimmt eine Sonderstellung ein in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: zum einen weil sich der Autor mit großer Selbstverständlichkeit in allen Gattungen bewegt und zum anderen, weil er intertextuelle und intermediale Bezüge ungewohnt offen verarbeitet und damit offensiv ausstellt, dass die schriftliche Literatur (zumal im 21. Jahrhundert) immer auch von anderen Künsten profitiert und aus diesen 'gemacht' ist. Vergleichbare Bezüge sind schon einigen Werktiteln zu entnehmen wenn Dramen 'Tatar Titus', 'The Making Of B.-Movie' bzw. 'Radio Noir' und Gedichtbände 'Autokino' und 'Wer sehen will' heißen. Bezüge zu Shakespeare klingen damit ebenso an wie zur amerikanischen Tradition der billigeren kleineren Filmproduktion, zum Hörmedium des Radios wie auch zu der einer bestimmten Form der Filmrezeption; und nicht zuletzt zur Photokunst, wenn sich in 'Wer sehen will' alle Gedichte auf die abgebildeten Photos Donzellis beziehen. Diese Mischung aus so genannter hohen und populärer Kultur ist kennzeichnend für Ostermaiers unbefangenen Umgang mit kulturellen und ästhetischen Traditionen. Das zeigt auch der kleine Band mit dem Titel 'Der Torwart' ist immer dort, wo es weh tut. Die Populärkultur des Sports wird in diesem Band gattungsübergreifend verhandelt: Die Sammlung beginnt mit drei lyrischen 'ode[n] an kahn'; findet später ihre Fortsetzung in einer dramatisch-dialogischen Szene 'Eins mit der eins' während im Rest des Bandes so genannte epische Texte dominieren und essayistisch-philosophische Gedanken versammeln, die um den Fußballsport kreisen. Dabei schreibt sich Ostermaier mit der Ode in eine lyrische Tradition ein, die schon in der Antike begonnen hat, während er in den epischen Texten über aktuelle und alltägliche Fußballangelegenheiten nachdenkt, über einen Sport also dem massenhafte Aufmerksamkeit zuteil wird und der globale schichten- und klassenübergreifende Beachtung findet.