360 Soziale Probleme und Sozialdienste; Verbände
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Built to colonize
(2019)
In ihrer Dissertation geht Kathrin Schrader der Frage nach, welche Selbsttechnologien Frauen entwickeln, deren Lebensrealitäten von der Verschränkung von Drogenkonsum und Sexarbeit geprägt sind. Auf der Basis von acht Interviews mit drogengebrauchenden Sexarbeiterinnen analysiert sie mittels einer gouvernementalitätstheoretischen Perspektive und der Intersektionalen Mehrebenenanalyse die Handlungsfähigkeiten im Kontext massiver gesellschaftlicher Diskriminierungen in den Subjektkonstruktionen der interviewten Frauen. Auf diese Weise kann sie sehr überzeugend die Wechselwirkungen von gesellschaftlichen Strukturen, Stereotypen und Diskursen sowie Identitätskonstruktionen herausarbeiten und leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Dekonstruktion des gesellschaftlichen Umgangs mit dieser Gruppe.
Die Geschichte des Alters ist jung, jünger als die Geschichte der Jugend. Die historische Betrachtung einer Lebensphase hat Konjunkturen, die den gesellschaftlichen und demographischen Entwicklungen folgen. Stand die Geschichte der Jugend lange unter dem Vorzeichen einer als hochpolitisch begriffenen Generation vor und nach 1968, so wurden die gleichen geburtenstarken Jahrgänge in letzter Zeit eher als die erste konsumfreundlich alternde Kohorte ("best agers") von Werbefachleuten in den Blick genommen. Vor allem die demographische Entwicklung westeuropäischer Gesellschaften steht nun Pate für die Konjunktur der sozialgeschichtlichen Forschung zum Alter. Zwei methodische Ansätze können unterschieden werden. Ein Breitbandansatz sammelt Bilder, Märchen und Fabeln, betrachtet Theaterstücke und Bauernschwänke, vertieft sich in wichtige geistesgeschichtliche Dokumente und betrachtet die ökonomische Situation älterer Menschen. So entstehen oft reich bebilderte Werke wie etwa die Geschichte des Alters von Peter Borscheid oder die Kulturgeschichte des Alters von Pat Thane. Nach der Lektüre hat man einen guten Eindruck von der Aufladung der Altersbilder durch biblische Mahnungen, den immer wiederkehrenden Stereotypen von Weisheit und Verfall und den Auseinandersetzungen zwischen den Generationen. ...
Im seinerzeit in ganz Europa für seine Kriminologie berühmten Graz gründete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue Teildisziplin. Diese schaffte es 1927 zu einer eigenen Untersuchungsstelle, an der Theorien entworfen und Praktiken erprobt wurden, denn nebenan befand sich eine Männerstrafanstalt. Studenten und Professoren traktierten die Insassen mit Untersuchungsbögen, anhand derer Persönlichkeitsprofile erstellt und Rückfälligkeitsprognosen ausgesprochen wurden. Der Grazer Historiker Christian Bachhiesl verfolgt anhand dieses kleinen Faches eine große Frage. Das kleine Fach ist die Kriminalbiologie, und die große Frage lautet: Was ist Wissenschaft? ...
Michael Kittner ist kein professioneller Rechtshistoriker. Er hat an der Universität Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht gelehrt, vor allem aber war er über ein Vierteljahrhundert hinweg der Syndikus der Industriegewerkschaft Metall und somit der womöglich wichtigste juristische Kopf des Deutschen Gewerkschaftsbundes. In seine Amtszeit fiel die bis jetzt und, wie man mit Blick auf das heutige Deutschland meinen kann, für lange letzte hohe Konjunktur des Arbeitskampfes – mit spektakulären Streiks und Aussperrungen, die in den späten 70er, besonders aber in den frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts die Öffentlichkeit in Atem hielten. Der Jurist Bernd Rüthers, als prominenter Schlichter ("Leber-Rüthers-Kompromiss" von 1984) einer der bedeutenden Akteure jener Zeit, sprach im Zusammenhang mit der Expansion des industriellen Konfliktsystems von einem "Wirtschaftsbürgerkrieg" und traf mit dieser Übertreibung ganz gut die Stimmungslage in der Endzeit des rheinischen Kapitalismus. Heute ist das Regime des nationalstaatlich modulierten Fordismus erodiert, und mit ihm sind die Chancen dahingeschwunden, in den Arbeitsbeziehungen am großen Rad zu drehen. Die Berliner Republik ist nicht der Ort der arbeitspolitischen Emphase. Die Wasser der postnationalen Konstellation, die den Gewerkschaften, ihren Mitgliedern, aber auch so manchem Arbeitgeber heute wahrlich bis zum Halse reichen, legen anderes nahe als den Furor, der die alte – im Grunde genommen so überaus wirtschaftsfriedliche – Bonner Republik zu später Stunde noch einmal ergriffen hatte. ...
Regulierte Selbstregulierung ist ein Modus der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Sie findet statt, wenn gesellschaftliche Selbstorganisation einen Verbund mit staatlicher Steuerung eingeht. Nichtstaatliche Formen der Normsetzung, der Normdurchsetzung, der Kontrolle und der Konfliktentscheidung treten in mannigfachen Kombinationen mit staatlicher Rahmen- und Detailgesetzgebung, staatlicher Aufsicht, staatlicher Finanzierung und administrativer Mitbestimmung auf. Gesellschaftliche Partikularinteressen und staatliche Steuerungsambitionen amalgieren in Kooperation und Konflikt zu vielfältigen Ausdrucksformen von »Gemeinwohl«. Der Staat instrumentalisiert gesellschaftliche Expertise, gesellschaftliche Initiative und gesellschaftliche Mobilisierungsfähigkeit für seine Zwecke, nichtstaatliche Akteure wiederum nutzen das staatliche Handlungspotential und staatliche Finanzmittel, um eigene Koordinationsprobleme oder Ressourcenengpässe zu bewältigen. – Dieser bunte Karneval der Regelungskulturen ist Teil unserer Rechtsordnung. Seine Geschichte kann aber weder von den historischen Erzählplots der sich über das Privatecht selbst regulierenden bürgerlichen Gesellschaft angemessen erfasst wird noch von jenen, die die Herausbildung eines alle Machtmittel monopolisierenden Staatswesens in den Mittelpunkt stellen. Dieser Komplex bedarf vielmehr einer historischen Bearbeitung, die die Verflechtungen, Übergänge, Hybridisierungen und Ambivalenzen in den Mittelpunkt rückt. ...
Humanitarismus und humanitäre Intervention müssen sich gleichermaßen die Frage nach Motivation und Rechtfertigung gefallen lassen. Sind Motive einer Intervention hinreichend humanitär, um von einer humanitären Intervention zu sprechen? Und im Rahmen welcher normativen Muster erscheinen sie als legitim? Zwei neue Bücher nähern sich dem Themenkomplex auf unterschiedliche Weise. ...
In seinem Buch Krisenproteste in Athen und Frankfurt. Raumproduktionen der Politik zwischen Hegemonie und Moment, das Ende des Jahres 2017 in der Reihe "Raumproduktionen" im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienen ist, geht Daniel Mullis den Fragen nach, wie und unter welchen Bedingungen emanzipatorische Akteure Veränderungen erkämpfen können. Mullis ist es daran gelegen, Hegemonie und Moment als zwei sich ergänzende Modi der Politik zusammenzubringen und ein relationales und prozessuales Verständnis der gegenseitigen Bedingtheit von Raum und Politik zu entwickeln. Dazu verbindet er die politischen Philosophien von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (2000) einerseits und von Jacques Rancière (2002) andererseits mit der Raumtheorie Henri Lefebvres (1991). Illustriert wird dies mit den Krisenprotesten in Athen zwischen 2008 und 2014 und den Aktivitäten des Blockupy-Bündnisses in Frankfurt am Main zwischen 2012 und 2015. ...
Rezension zu: Maritza Le Breton: Sexarbeit als transnationale Zone der Prekarität. Migrierende Sexarbeiterinnen im Spannungsfeld von Gewalterfahrungen und Handlungsoptionen.Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011. 241 Seiten, ISBN 978-3-531-18330-5, € 39,95
Sexarbeiterinnen selbst kommen in empirischen Studien zu Migration und Sexarbeit selten zu Wort. In ihrer Dissertation gelingt Maritza Le Breton jedoch genau das, sie schafft einen Raum für ansonsten (epistemologisch) marginalisierte Akteurinnen. Ihr Ziel ist es, deren tatsächliche (Gewalt-)Erfahrungen sowie Lebens- und Arbeitssituationen in den Blick zu nehmen und auszuarbeiten, um so wichtiges Adressatinnen-Wissen für die Soziale Arbeit zugänglich zu machen. Auf der Basis von 21 problemzentrierten Interviews mit migrierten Sexarbeiterinnen, die in Basel/Schweiz in Kontaktbars oder Salons arbeiten, stellt sie Gewaltverhältnisse und Machtkonstellationen in der Sexökonomie sowie Handlungsoptionen der Sexarbeiterinnen dar.