430 Germanische Sprachen; Deutsch
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Briefnormen
(1994)
Wenn man eine Schweizer Bäckerei besucht, erwirbt man nicht nur Spezialitäten kulinarischer, sondern auch sprachlicher Art. Auf der Papiertüte, die man dort bekommt, befindet sich eine Aufforderung, die zwei typisch schweizerdeutsche Erscheinungen enthält: "Chum doch cho schnuppere!" steht auf der Verpackung unten rechts. Wörtlich übersetzt: "Komm doch kommen schnuppern!". Zum einen taucht hier das Verb choo ,kommen' doppelt auf, einmal im Imperativ (chum) und einmal in einem kurzen Infinitiv (cho) vor dem Vollverb schnuppere. Zum anderen gehört choo einer besonderen Verbgruppe an, den sog. Kurzverben. Diese Kurzverben kennt das Nhd. nicht (mehr), wohl aber die geographisch und sprachlich entfernteren nordgermanischen Sprachen. In der folgenden Liste der Kurzverben werden zum Vergleich die entsprechenden schwedischen Kurzverben danebengesetzt, ohne daß hier ausführlicher auf sie eingegangen werden kann.
Der Präteritumschwund dürfte eine der markantesten morphologischen Entwicklungen des Alemannischen (bzw. Oberdeutschen) bilden. Sein Verlauf in schweizerdeutschen Dialekten ist mit der Arbeit von JÖRG (1976) dokumentiert und ungefiibr ins 16. Jahrhundert zu datieren. Konsequenz der Aufgabe dieses synthetischen Verfahrens war die Verlegung der Vergangenheitskategorie in die Syntax. Dies hat zu einer starken typologischen Drift des Alemannischen in Richtung eines analytischen und zusätzlich klammernden Sprachtyps geführt: Das Perfekt ist zweigliedrig (finites Auxiliar + infinites Vollverb), das Plusquamperfekt sogar dreigliedrig (sogenanntes doppeltes Perfekt). Finites und infinites Verb können durch ganze Satzglieder, Adverbien etc. voneinander getrennt sein, sind also unter Umständen weit voneinander entfernt, was das Ausdrucksverfahren nicht gerade vereinfacht. Der Präteritumschwuud kontrastiert in eigentümlicher Weise mit dem Erhalt, ja sogar dem sekundären Ausbau synthetischer Konjunktivformen (sowohl Konjunktiv I als auch II), die weiteres morphologisches Charakteristikum des Alemannischen sind, doch nicht Thema dieses Beitrags (hierzu s. NÜBLING 1997).
Die Mundart, die in der Stadt Bern gesprochen wird, ist eine ganz besondere, und viele Berner sind sich dessen auch schon seit langem bewusst. In der Stadt Bern wird nämlich nicht nur Berndeutsch gesprochen, sondern es gibt einige unterschiedliche Berner Mundarten: Patrizierberndeutsch, Burgerberndeutsch oder Stadtberndeutsch, Mattenberndeutsch sowie das Mattenenglische. Mit dieser Aufzählung, die Bernern keineswegs fremd ist, wird die Differenzierung unterschiedlicher sozialer Varietäten ausgedrückt. Stadtberndeutsch zeigt also schon lange verschiedene Sprachschichten, wie man sie in dieser Ausprägung in der Schweiz nur in wenigen Städten findet. Zu diesen genuinen Stadtberner Varianten kommt noch das Berndeutsche der Zuzüger hinzu, die sich zum Teil sprachlich assimiliert haben, die zum Teil einzelne Elemente und Eigenarten ihrer ursprünglichen Mundarten beibehalten oder sogar die Mundart ihrer früheren Heimat bewahrt haben.
Das Papier argumentiert anhand einer Reihe von Phänomenen für die Existenz einer ausgezeichneten Topikdomäne im Mittelfeld des deutschen Satzes. Deutsch ist somit Diskurs-konfigurational hinsichtlich Topiks. Die Beobachtung erlaubt die Beantwortung einiger grundlegender Fragen wie die nach der möglichen Anzahl van Satztopiks, nach der Möglichkeit von Satztopiks in eingebetteten Sätzen oder nach dem Zusammenhang von Scrambling und Topikstatus. Die These, die 'starke' Interpretation einer indefiniten Phrase impliziere deren Topikstatus, wird zurückgewiesen. Syntaktische Eigenschaften der Topik-Voranstellung im Mittelfeld werden herausgearbeitet und ihre Implikationen für die Theoriebildung werden erörtert.
Das Partizip 1 im Deutschen
(2000)
It is controversial in the literature whether the First Participle in German ('Present Participle'; henceforth: Part I) is an adjective or a verbal form. Syntactically, it occurs exclusively in adjectival positions but it does not behave like an adjective in other respects. This paper provides an analysis of Part I starting from a diachronic perspective and arriving at a synchronic interpretation of its position in the field of 'finite verb + nonfinite verb constructions' in New High German. Against such positions as Paul's (1920), which regard Part I as an adjective only, it will be argued that, for an adequate description of its structural properties, its verbal character must be taken into account both diachronically and synchronically. It will be shown that Part I fits into and completes a paradigmatic structure together with other nonfinite verbal forms.
"Werden" plays an important role in German, especially as a copula and as an auxiliary verb. It constitutes the analytic (periphrastic) part of the verbal paradigm being used as an auxiliary by encoding the categories of Tense (Future), Mood (Conditional), and Diathesis (Passive).
The original meaning of PIE *uuerth- includes two basic readings – a terminative and an aterminative. Both of them have been used in the process of grammaticalisation of werden in constructions with participles and the infinitive. The terminative reading based on the feature "Change of a State" was originally the categorical marker of "werden" within the opposition "sein" vs. "werden", where "sein" indicated the meaning of "State". As a result of the further development which started in the later OHG period, the aterminative reading of "werden" in constructions with the Participle II mixed with the terminative one by establishing the Passive-Paradigm. This evolution forced "sein"+ Part. II into the periphery of the Diathesis where in NHG it is marked as a resultative (terminative) construction. On the other hand, werden + Participle I (later with Infinitive) did not establish aterminative readings due to the peculiarities of the semantics of the Participle I – form. In connection with the Infinitive the terminativity of werden developed in the process of its auxiliarisation to the prospective I prognostic reading in the future-tense perspective and to the epistemic reading in the perspective of the present tense. In the perspective of the past tense (cf. MHG "ward varen" {became ride}, "was ridden") it disappeared because in this perspective prospective or prognostic readings are impossible.
Wenn man die syntaktischen Eigenschaften des Hildebrandliedes betrachtet, so zeigen sich einerseits Eigenschaften, die auch für die Syntax des Nhd. charakteristisch sind: von Komplementierern eingeleitete Nebensätze, Deklarativsätze im Verb-Zweit-Format, Argumentstrukturen von Verben und Adjektiven, Attributions- bzw. Modifikationsverfahren. Andererseits werden Eigenschaften sichtbar, die im Nhd. verlorengegangen oder ausgedünnt worden sind: Deklarativsätze im Verb-End-Format, Pro-drop-Phänomene (in finiten Sätzen), nicht präpositional regierte Adverbiale (in Gestalt von NP mit reinen Kasus), artikellose Nominalphrasen (insbesondere solche mit definiter Interpretation). Die Betrachtung lehrt, dass auch über einen zeitlichen Abstand von mindestens zwölfhundert Jahren und trotz verschiedener Wandlungen, die zu syntaktischer Diskontinuität führen, syntaktische Kontinuität erkennbar bleibt, und zwar in einem Maße, das man angesichts der ungeheuer verfremdenden phonologischen, morphologischen und lexikalischen Veränderungen, die einem heutigen, sprachhistorisch nicht geschulten Muttersprachler das Hildebrandlied als einen Text von einem anderen Stern erscheinen lassen, nicht erwarten mag, in einem Maße, das allerdings denjenigen Linguisten nicht so sehr überraschen wird, dessen Blick durch universalgrammatische Einsichten der letzten Jahrzehnte geschärft worden ist für Invarianzen und Kontinuitäten.
Wortformen wie Berliner und Potsdamer treten in pränominaler attributiver Funktion auf: eine Position, in der sowohl Adjektive als auch Substantive stehen können. Substantive kommen in der Position vor als sächsische Genitive (Leos Auto), als vorangestellte Genitivattribute (des Vaters Pflicht) oder als Bestandteile einer engen Apposition (Bundeskanzler Schröder). Adjektive stehen an dieser Stelle als adjektivische Attribute (rotes Auto). Gegen jede dieser Interpretationen von Berliner sprechen jeweils formale Argumente, die im wesentlichen darauf hinauslaufen, daß Berliner in Berliner Ballen niemals flektiert wird - weder wie ein Substantiv noch wie ein Adjektiv.
Welcher Wortart sind Wortformen wie Berliner in Berliner Ballen also zuzuordnen? Zur Beantwortung dieser Frage folgen zunächst einige (kommentierte) Literaturstellen, anschließend werde ich die Bezeichnung 'Stadtadjektive' einführen, ich nehme also zum Zwecke der Benennung eine Entscheidung vorweg. Darauf folgt die Untersuchung: das Verhalten der Stadtadjektive in Bezug auf Flexion, Derivation, Komposition und Syntax.