Arbeitspapiere des EVS-Projekts Personelle Einkommensverteilung in der Bundesrepublik Deutschland
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27 dt.
Die Struktur der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) in der Bundesrepublik Deutschland ist grundsätzlich geändert worden. Die Bundesregierung hat die Einführung einer zusätzlichen privaten Alterssicherung auf freiwilliger Basis beschlossen. Hierdurch soll ein Kapitalstock gebildet werden, der die Leistungen der GRV ergänzt. Zur Förderung dieser Systemänderung der Alterssicherung werden umfangreiche fiskalische Unterstützungsmaßnahmen eingeführt. Im Rahmen des hier vorliegenden Beitrags wird auf die besondere Situation der Familien mit Kindern eingegangen. Im zweiten Abschnitt wird untersucht, inwieweit Familien mit Kindern in den letzten zehn Jahren in Deutschland in der Lage waren, privates Vermögen aufzubauen. Im dritten Abschnitt werden die beabsichtigten Änderungen des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung in den Grundzügen dargestellt, und es wird ein Überblick über die geplanten fiskalischen Fördermaßnahmen gegeben. Im abschließenden vierten Abschnitt wird eine Bewertung der Änderungen vor allem in Bezug auf die Situation von Familien versucht.
11
Das Niedrigeinkommenssegment steht im Zentrum der Kontroversen um eine Reform des Sozialstaats. Die Kenntnis seiner soziodemographischen Zusammensetzung ist daher unabdingbar, um in der betreffenden Diskussion gehaltvoll Position beziehen zu können. Besonders interessieren in diesem Zusammenhang Zeitvergleiche. In diesem Sinne wird in der vorliegenden Studie die Veränderung der Struktur des Niedrigeinkommensbereiches in der Bundesrepublik anhand einer Abfolge mehrerer Querschnitte, welche die Jahre 1962/63 bis 1988 umfaßt, analysiert. Dem Niedrigeinkommensbereich werden - in Anlehnung an neuere Ergebnisse in der Literatur über „prekären Wohlstand“ und über Abstiegsrisiken - diejenigen Personen zugerechnet, die nicht mehr als 80 v. H. des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens zur Verfügung haben. Zur vertieften Analyse wird der Niedrigeinkommensbereich nochmals in vier Teilsegmente unterteilt. Entsprechend den relativen Besetzungshäufigkeiten zeigt sich beim Vergleich mit dem oberen Einkommensbereich für spezifische Personengruppen eine Überrepräsentation im Niedrigeinkommensbereich bzw. in seinen vier Teilsegmenten. Hierbei ergeben sich im Zeitablauf einige aufschlußreiche Trends. So erhöhte sich von 1962 bis 1988 beispielsweise für Alleinstehende, für Personen in Alleinerziehenden-, in Nichterwerbstätigenhaushalten sowie für Personen in Haushalten mit einer weiblichen Bezugsperson der Grad der Überrepräsentation im Niedrigeinkommensbereich. Gleiches gilt für Personen in Haushalten mit einem hohen Mietanteil am Haushaltsnettoeinkommen bzw. generell für Personen in Nichteigentümerhaushalten. Demgegenüber verringerte sich insbesondere für Personen im Haushaltstyp einer vollständigen Familie mit vier Kindern oder für Personen in Landwirte- und Arbeiterhaushalten von 1962 bis 1988 das Ausmaß der Überrepräsentation im Niedrigeinkommenssegment.
07
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit Problemen der Messung individueller Wohlfahrt und ihrer Verteilung. Dabei wird versucht, eine Brücke zwischen ökonomischen und soziologischen Ansätzen zu schlagen. In einern ersten Teil werden Probleme der Nutzenmessung diskutiert. Für die Nutzenmessung gibt es weder einen natürlichen Nullpunkt noch eine natürliche Maßeinheit, so daß es deren Bestimmung durch Konventionen bedarf. Selbst die dabei einzubeziehende Palette objektiver und subjektiver Wohlfahrtskomponenten ist nicht vorgegeben. Ausgehend von dem soziologischen Ansatz, sowohl "welfare" als auch "happiness" zu berücksichtigen, wird ein differenziertes Schema wohlfahrtsrelevanter Bedürfnisse erarbeitet, deren Messung teilweise "objektiv unter Annahmen" - dies betrifft alle Besitzbedürfnisse -, überwiegend aber "subjektiv durch Einschätzung" möglich ist (Zugehörigkeitsbedürfnisse, Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung, gesellschaftsbezogene Bedürfnisse). Die Bedingtheit empirischer Wohlfahrtsanalysen wird offensichtlich, da die unvermeidlichen normativen Hypothesen einer wissenschaftlichen Beweisführung nicht zugänglich sind. Dies gilt auch, wenn man sich auf die in Geldeinheiten direkt bewertbaren Bedürfnisbefriedigungsmittel beschränkt; denn die daraus resultierende Wohlfahrt hängt von den individuellen Nutzenfunktionen ab. Hinzu kommen Probleme bei der Zusammenfassung von Einkommens-, Vermögens- und Absicherungsindikatoren zu einem individuellen Gesamtwohlfahrtsmaß, um einem eindimensionale Wohlfahrtsverteilung unter allen Gesellschaftsmitgliedern ermitteln zu können. Schließlich bedarf es auch bei der Zurechnung der in einern Haushalt vorhandenen Bedürfnisbefriedigungsmittel auf die einzelnen Haushaltsmitglieder normativer Setzungen, die sich in verschiedenen Äquivalenzskaien niederschlagen. In einem zweiten Teil werden - nach der grundsätzlichen Erörterung von Schwierigkeiten bei der Operationalisierung und Messung von Nutzen - einige Ungleichheitsmaße dargestellt und hinsichtlich ihrer normativen Implikationen diskutiert. Alle Verteilungsindikatoren basieren auf der Philosophie des individualistischen Utilitarismus und gehen von Gleichverteilung als Referenzpunkt aus. Die Frage nach dem Einfluß der Wohlfahrt anderer Gesellschaftsmitglieder auf den individuellen Nutzen bleibt also ebenso ausgeklammert wie die nach einem gerechten Maß an Ungleichheit als Vergleichspunkt zur gegebenen Ungleichheit. Abschließend wird die Entwicklung einiger Verteilungsindikatoren in der Bundesrepublik Deutschland von 1962/63 bis 1988 dargestellt. Dabei zeigt sich eine weitgehende Stabilität der Verteilung der Nettoäquivalenzeinkommen, die allerdings nicht mit der Verteilung individueller Wohlfahrt gleichzusetzen ist.
02
Im vorliegenden Arbeitspapier werden alternative normative Grundpositionen der Familienpolitik diskutiert und die Entwicklung der relativen Verteilungspositionen von Haushalten unterschiedlicher Größe bzw. von Familien mit und ohne Kinder untersucht. Die empirische Analyse stützt sich zum einen auf veröffentlichte Tabellen des Statistischen Bundesamtes und zum anderen auf eigene Auswertungen der Einkommens- und Verbrauchsstichproben 1973, 1978 und 1983 sowie des Sozio-ökonomischen Panels für einzelne Stichjahre der späteren Periode und insbesondere für die Ausgangssituation und die bisherigen Veränderungen in den neuen Bundesländern. Als Indikator für die Einkommenslage von Personen wird ein Äquivalenzeinkommen in Relation zum jeweiligen Gruppen- oder Gesamtdurchschnitt, die sogenannte Wohlstandsposition, herangezogen. Personen in Haushalten mit drei oder mehr Personen - das sind hauptsächlich Familien mit Kindern - schneiden erwartungsgemäß im Durchschnitt schlechter ab als Personen in kleineren Haushalten. Allerdings sind die Diskrepanzen innerhalb der Gruppen, die überwiegend von Transfers leben, mäßiger als innerhalb der Gruppen mit erwerbstätigem Haushaltsvorstand; anscheinend wirkt der Familienlastenausgleich in den sozial schwächeren Gruppen stärker. Zwischen 1972 und 1992 (Westdeutschland) hat sich die relative Position der größeren Haushalte allerdings tendenziell etwas verschlechtert. Die Verteilungsanalyse auf der Basis der erwähnten Mikrodaten zeigt zudem, daß Familien mit Kindern wesentlich häufiger unterhalb der durchschnittlichen Wohlstandsposition und unterhalb der relativen Armutslinie von 50 % einzuordnen sind als (Ehe-)Paare ohne Kinder. Besonders ungünstig sieht die Situation bei den Alleinerziehenden aus; die Armutsquote dieser Gruppe schwankt zwischen einem Fünftel und einem Viertel. In der ehemaligen DDR scheint die relative Position der Familien mit Kindern überwiegend besser gewesen zu sein; die Strukturen in den neuen Bundesländern haben sich aber bereits denen in Westdeutschland angenähert.
03
In diesem Arbeitspapier werden Veränderungen der Wohlstandsverteilung während der Periode 1972 bis 1991 vor dem Hintergrund der ökonomischen und demographischen Entwicklung in Westdeutschland skizziert und die Wohlstandsverteilungen in Ostdeutschland vor und nach der Wiedervereinigung verglichen. Dabei beziehen wir uns auf das Äquivalenzeinkommen von Personen zur Erfassung individuellen Wohlstands. Die Analyse bezieht sich zum einen auf Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes, die auf einem mittleren Aggregationsniveau durchschnittliche Äquivalenzeinkommen nach sozio-ökonomischen Gruppen ausweisen. Zum anderen werden verschiedene Verteilungsmaße auf der Basis von Mikrodaten berechnet, wobei uns zwei Datenquellen zur Verfügung standen: die offiziellen Einkommens- und Verbrauchsstichproben (1973, 1978 und 1983) und das Sozio-ökonomische Panel (1983 bis 1990 für Westdeutschland, 1990, 1991 für Ostdeutschland). Auf mittlerem Aggregationsniveau zeigen sich wesentliche Änderungen in den relativen Wohlstandspositionen der zehn unterschiedenen sozio-ökonomischen Gruppen, aber eine nahezu unveränderte Rangfolge der Gruppen während des gesamten Beobachtungszeitraums. Auf der Mikroebene zeigt sich eine leichte Zunahme der Ungleichheit der Wohlstandsverteilung, die am Äquivalenzeinkommen der Personen gemessen wurde. Die Veränderungen sind allerdings sehr gering und weisen teilweise in den beiden Dekaden entgegengesetzte Richtungen auf. Aus der Dekomposition der mit dem Theil-Maß ermittelten Verteilungsungleichheit nach der sozialen Stellung des Haushaltsvorstands ergibt sich, daß mehr als 80% der Ungleichheit insgesamt auf Intra-Gruppen-Ungleichverteilungen zurückzuführen ist, und zwar mit steigender Tendenz. Dieses Ergebnis wird etwas gemildert, wenn man die sehr heterogene Gruppe der Nichterwerbstätigenhaushalte nach der überwiegenden Einkommensart des Haushalts disaggregiert.
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Enthält die 2 Vorträge: Die Entwicklung der Einkommensverteilung und der Einkommensarmut in den alten Bundesländern von 1962 bis 1988 / Irene Becker, Universität Frankfurt/Main Vergleichende Analyse der Einkommensverteilung und der Einkommensarmut in den alten und neuen Bundesländern von 1990 bis 1995 / Richard Hauser, Universität Frankfurt a.M.
12
Die Untersuchungen auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchs stichproben haben ergeben, daß sich hinter der für die "alte" Bundesrepublik festgestellten weitgehenden Stabilität der Verteilung der Nettoäquivalenzeinkommen deutliche Veränderungen auf den vorgelagerten Stufen des Verteilungsprozesses verbergen. Bei den individuellen Erwerbseinkommen sowie bei den individuellen Faktoreinkommen (nur Bezieher) sind zwischen 1973 und 1988 die hier einbezogenen aggregierten Ungleichheitsmaße zwar kaum gestiegen; Kernel Density-Schätzungen zeigen aber einen leichten Polarisierungstrend der bimodalen Verteilung, da die Dichte in den Randbereichen der Verteilung zugenommen hat und das Dichtetal zwischen den beiden Gipfeln sich gesenkt hat. Unter Berücksichtigung des Haushaltszusammenhangs - durch Zusammenfassung individueller Faktoreinkommen auf Haushaltsebene und Gewichtung mit einer Äquivalenzskala - erweisen sich die Verteilungsänderungen als noch gravierender. Die aggregierten Ungleichheitsmaße sind stark gestiegen, und das Verhältnis der beiden Modi der zweigipfligen Verteilung hat sich umgekehrt: lag 1973 der erste Gipfel im Bereich der geringfügigen Faktoräquivalenzeinkommen noch deutlich unter dem zweiten, knapp unterhalb des Durchschnitts gelegenen Gipfel, so war 1988 der erste Gipfel deutlich höher als der zweite. Die relative Häufigkeit marginaler Faktoräquivalenzeinkommen hat im Zeitablauf also eindeutig zugenommen, ebenso wie die im oberen Einkommensbereich. Dennoch kann man von Polarisierung nur in einem weiteren Sinn sprechen, da das Dichtetal zwischen den Modi 1988 höher als 1973 liegt. Es mag beruhigend wirken, daß - zumindest in der Zeit vor der Wiedervereinigung - das Abgaben- und Transfersystem die zunehmende Disparität der Faktoreinkommensverteilung insoweit kompensieren konnte, als die relative Häufigkeit des Niedrigeinkommensbereichs - hier abgegrenzt mit 50% des durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens - vergleichsweise mäßig zugenommen hat. Dieser Eindruck ist allerdings im Hinblick auf die eingangs erwähnten Einschränkungen der Datenbasis zu relativieren. Die unzureichende Erfassung des oberen und des unteren Randbereichs der Einkommensverteilung läßt vermuten, daß der tatsächliche Trend zunehmender Ungleichheit und Polarisierung durch unsere Analysen unterschätzt wird.