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Anfang Juli 1797 hat Schiller das von ihm für den nächsten Almanach zur Publikation vorgesehene Gedicht "Nadowessische Totenklage" an drei Freunde zur Beurteilung geschickt, an Wilhelm von Humboldt, [...] an Körner in Dresden und an Goethe in Weimar. [...] Als Grund für diese Art von Netzwerkbildung lässt sich ein Orientierungsnotstand bezeichnen. Da Schiller unentwegt poetisches Neuland betreten wollte, war er neben theoretischer Reflexion auf die bestätigend-kritische Absicherung durch das Urteil seiner Freunde angewiesen. Schiller überraschte seine Freunde immer wieder mit neuartigen poetischen Versuchen. Auch dieses Mal im Fall der "Nadowessischen Totenklage" hat Goethe sofort erkannt und anerkannt, dass hiermit der "Kreis der poetischen Gegenstände" erweitert worden sei.
Stifter-Gänge
(2007)
Ist 'das Ding' Stifters liebstes Substantiv, so darf 'gehen' als sein bevorzugtes Verb gelten. In der Erzählung 'Der Waldgänger' sieht sich etwa der an einem lebensweltlichen und geographischen "Scheidepunkte" innehaltende Wanderer von einer Landschaft umgeben, in der die Dinge buchstäblich ihren Gang gehen:
'Ganz oben, wo das Thal mit noch geringer Tiefe anfängt, begann auch ein winziges Wasserfädlein, neben dem Wanderer abwärts zu gehen. Es ging in dem Rinnsale neben dem Wege unhörbar und nur glizzernd vorwärts, bis es durch die Menge des durch die Höhen sickernden Wassers gestärkt vor ihm plaudernd und rauschend einher hüpfte, als wolle es ihm den Weg durch die Thalmündung hinaus zeigen [...]. Sie gingen an manchem Waldabhange, an mancher schattigen Stelle vorbei [...], sie gingen an manchen zerstreuten Häuschen, an mancher Mühle, an mancher auf einem tiefgelegenen Wiesenflecken weidenden Kuh vorüber, bis endlich nach einigen Stunden Wanderns [...] die hingebreitete große Ebene begann. Der Bach ging breit und wallend links gegen die Felder und Bäume [...]. (WG, 98f)'
Dem Gang der Dinge untersteht der Lauf der Welt. Diese Identität von Naturvorgängen und Lebensläufen immer neu, allen Irrwegen und Katastrophen, allen Sprüngen und Brüchen zum Trotz, unter Beweis stellen zu wollen, tritt Stifters Autorschaft an. Trauma und Trost seines Universums liegen beschlossen in dem fast stereotyp wiederkehrenden Satz: "Und so ging es immer fort."
Welches sind [...] die Kanäle, auf denen wir unsere Traditionen und unser Wissen kommunizieren und übermitteln? Diese Frage muss für jede Generation neu verhandelt werden. Umberto Eco macht darauf aufmerksam, dass dies nicht allein über den Weg der Hochkultur geschieht. In seinem jüngsten Roman "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana" (2004)3 beschreibt er am Beispiel seines Protagonisten Yambo Bodoni die éducation sentimentale seiner Generation, aufgewachsen und sozialisiert im Zeichen des italienischen Faschismus, aber auch einer insbesondere aus den USA stammenden Gegenkultur. Hierfür be- und hinterfragt Eco – und dies ist ein Novum für die italienische Literatur – insbesondere die Populärkultur der Zeit, die er in Form von Comics, Fotos, Plakaten und sogar Schlagern und Propagandaliedern als originale Bild- und Textzitate in die Romanhandlung integriert.
Zählen seit dem neunzehnten Jahrhundert angesichts einer sich beschleunigt industrialisierenden Gesellschaft die Sphäre der Industriearbeit und die Persona des Proletariats zu den festen Themenbeständen der Literatur, so wird diese Konstitution eines literarischen Diskurses "Arbeitswelt" in der Regel als Teil einer sich etablierenden Arbeiterkultur perspektiviert. [...] Um diesen Fragenkomplex zu erörtern, werde ich zunächst den Status zu klären versuchen, den Brecht der Sphäre der Arbeit und der sozialen Klasse des Proletariats für den gesellschaftlichen Prozess zuschreibt. In einem zweiten Schritt wird es mir darum gehen, die Funktion des Intellektuellen für das Proletariat zu skizzieren, wie Brecht sie in seiner Theaterästhetik programmatisch bestimmt; bevor ich schließlich eine Antwort auf die Frage zu geben versuche, welche Funktion dem Proletariat für die Identitätsbildung des Intellektuellen zukommt – oder besser gesagt: welche Funktion ihm zukam; denn aktuell scheinen die Intellektuellen ihr Interesse an der Arbeitswelt weitgehend eingebüßt zu haben.
Bei der verheerenden Brandkatastrophe in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek sind neben vielen Büchern auch etliche handschriftliche Dokumente, die zumeist im Zusammenhang mit den betroffenen Büchern standen, verlorengegangen. […] Diese Verluste an handschriftlichem Bibliotheksgut sind im Gegensatz zu vielen Verlusten an Büchern unersetzbar. So kann man es als schöne Fügung ansehen, daß im Zuge des Ersatzbeschaffungsprojektes der Herzogin Anna Amalia Bibliothek auch einiges an handschriftlichem Gut neu in die Sammlungen gekommen ist, […]. Auch die hier publizierten Briefe von Hans Carossa sind nach dem Brand im Zuge eines großzügigen Büchergeschenks in die Herzogin Anna Amalia Bibliothek gelangt. Sie stammen aus dem Besitz des Freiburger Geographen Dr. Ernst Reiner. Er hat der Weimarer Bibliothek eine Sammlung von über fünfhundert Büchern aus dem Insel-Verlag, darunter auch viele Bändchen der Insel-Bücherei, von der er sich infolge seines Umzuges in ein Seniorenheim trennen mußte, überlassen.
Schon in der „Herzoglichen Liberey“ wurden nach ihrer Gründung im Jahre 1691 Musikalien gesammelt, damals von den weimarischen Herzögen Wilhelm Ernst (1662-1728) und Ernst August (1688-1748). Außer den Notenbeständen der Herzogin Anna Amalia (1739-1807) ist der größte Teil dieser herzoglichen Musikalien am 6. Mai 1775 beim Schloßbrand in der Wilhelmsburg verlorengegangen. Darunter waren Noten von Johann Hermann Schein, Samuel Scheidt und Adam Drese. Die von Richard Münnich in seinem Aufsatz „Aus der Musikaliensammlung der Weimarer Landesbibliothek, besonders dem Nachlaß der Anna Amalia“ nach dem Brand von 1774 als gerettet mitgeteilten Werke, so Kompositionen von Johann Philipp Krieger, Johann Paul von Westhoff sowie die sechs Konzerte des weimarischen Prinzen Johann Ernst, sind zusammen mit den Sammlungen der Herzoginnen Anna Amalia und Maria Pawlowna (1786-1859) beim Bibliotheksbrand am 2. September 2004 zerstört worden.
Die Hilfeleistungen nach dem Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek vor drei Jahren haben in Weimar einen neuen, außergewöhnlichen Prozeß des Sammelns für die kulturelle Überlieferung in Gang gesetzt. Die innerhalb einer Nacht zerstörten historischen Buchbestände aus der ehemaligen zweiten Galerie des Rokokosaals und dem darüber befindlichen Dachboden werden - soweit dies möglich ist - seit Ende 2004 durch neu erworbene Originale ersetzt. […] Nun treffen im Zuge unseres Wiederbeschaffungsprojekts „neue“ Bücher in Weimar ein, die an individuellen Merkmalen ebenso reich sind, aber jeweils eine andere Geschichte haben. Sie kommen fast täglich in kleinen, weich gepolsterten Päckchen oder großen Kartons, werden sorgfältig ausgepackt und geprüft, auf Bücherwagen in die Büros der Bibliothekarinnen gefahren, dort inventarisiert und katalogisiert und schließlich mittels Buchförderanlage ins Tiefmagazin unter dem Platz der Demokratie transportiert. Fleißige Hände sortieren sie hier in die bereitstehenden Regale und beste konservatorische Bedingungen bieten ihnen den nötigen Schutz für die nächsten Jahrhunderte. Es ist ein Massengeschäft, das sich um diese einzigartigen Zeitzeugen aus fünf Jahrhunderten dreht. Was miteinander unvereinbar scheint, gehört in unserer täglichen Arbeit zusammen. Bereits drei Jahre nach dem Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek füllen 11.500 im Projekt erworbene Bücher schätzungsweise vierhundert Regalmeter im Magazin. Davon stammt knapp die Hälfte aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Wie hat dieses Projekt eine solche Dynamik entwickeln können?
In der Einleitung eines von ihnen herausgegebenen Sammelbandes schlagen Jürgen Fohrmann und Helmut J. Schneider vor, die Geschichte der 1830er und 1840er Jahre als "die Geschichte von 'Bewegung'" zu erzählen. Sie sehen diese beiden Dezennien durch einen Diskurswechsel bestimmt, "der mit den politischen Schlagworten 'Leben', 'Jugend', 'Gegenwart', 'Emanzipation' usw. eine strukturelle Umpolung unserer Semantik auf 'Bewegung' hin versucht". Dieser Vorschlag leuchtet unmittelbar ein; doch ist von dem Diskurswechsel nicht nur die Semantik, sondern auch die Pragmatik der Literatur und damit die Konzeptualisierung der Autorposition betroffen. Lässt sich in diesem Sinne eine ganze Reihe von Schriftstellern nennen, die sich in den genannten Jahrzehnten einem neuen, im Zeichen der politischen Emanzipation stehenden Konzept der Autorschaft verschreiben, so kennzeichnet es die Schriften Heinrich Heines, dass sie an diesem Konzeptwechsel nicht lediglich teilhaben, sondern ihn thematisieren und inszenieren. Ja, man kann sagen, dass die Inszenierung der eigenen Autorschaft einen Grundzug des Heineschen Werkes darstellt.
Dass aller Anfang schwer ist, wird Ende des 18. Jahrhunderts exemplarisch deutlich, als sich die prominenteste deutsche Dichterfreundschaft zu formieren beginnt. Denn nach einigen mühsamen Annäherungen kommt es erst am 20. Juli 1794 zur entscheidenden Begegnung zwischen Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller, die das Initialmoment der sogenannten Weimarer Klassik bildet. Goethe wird die Begegnung retrospektiv als „Glückliches Ereigniß“ charakterisieren und den Arbeitsbund in Anerkennung der gemeinsamen ästhetischen Leistungen als „Aufsprung zu einer höhern Cultur“ bewerten.
Traditionellerweise reichte die Darstellung des Herrn von Ikonen über Andachtsbilder bis zur sogenannten Bibel der Armen, die nicht nur durch das Wort, sondern durch Bilder lehrt. Für Hegels Ästhetik wird diese Verbildlichungshilfe ad recte credendum zur Darstellungsfunktion der romantischen Kunst schlechthin, einer Kunstform, deren wahrer Inhalt „die absolute Innerlichkeit“, und deren „entsprechende Form die geistige Subjektivität“ sein soll. In INRI erreicht diese Darstellungsform ihr Ende in der Modephotographie. Mit dem Inbegriff des seelenlosen Körpers, dem Körper von Mannequins, haben Rheims und Bramly im Inbegriff seelenloser Kunst, deren Blick ein toter ist, ins Bild der Darstellung gesetzt, was für Hegel Inbegriff romantischer Kunst sein sollte.