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Nachdem Martin Doerry im Spiegel die Krise der Germanistik wiederbelebt hat, bleibt unklar, ob es diese jemals gegeben hat, immer schon gab oder ob wir es hier mit einem Zombie des Feuilletons zu tun haben. Der Artikel zeugt zunächst einmal von einer enttäuschten Erwartung an die Germanistik, die dem Fach eine merkwürdige Potenz zuschreibt. Nur gut, dass die Historiker dieser Erwartung nachkommen, denn bei ihnen werden noch "die großen Fragen der Zeit diskutiert". Doerry hat sich offensichtlich mehr von den Literaturwissenschaftlern erwartet.
Wenn ich im folgenden markanten Zeit- bzw. Kulturdiagnosen in einigen Texten Enzensbergers nachgehe, dann geschieht dies in dem Bemühen, nicht nur einzelne Themen von gesellschaftlicher und politischer Relevanz aufzugreifen und zu rekonstruieren, sondern sie im Rahmen von Enzensbergers Selbstverständnis als Intellektueller und Essayist zu erörtern. […] Als unabhängiger, frei denkender Schriftsteller fühlt er sich weder einer philosophischen oder wissenschaftlichen Theorie noch einer politischen Fraktion auf Dauer verpflichtet, und in diesem Weder-Noch hat der Essay als Form seinen traditionellen Ort.
Zu den zahlreichen kritischen Intellektuellen, die im 20. Jahrhundert den Essay als kritisches Instrument erprobt haben, gehört – neben Robert Musil, Heinrich Mann, Jean-Paul Sartre, Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse - auch Peter Weiss. Seine berichterstattende Prosa, die 1968 und 1971 in zwei Bänden erschien, nannte Weiss "Rapporte". Die Rapporte-Bände wurden offensichtlich auf Initiative des Autors veröffentlicht, was einem Hinweis auf einen verschollenen Brief des Autors an seinen Verleger Siegfried Unseld zu entnehmen ist. Die Rapporte umfassen nicht nur Essays, sondern auch Reden, politische Stellungnahmen und offene Briefe. Der erste Band enthält neun kürzere Texte, die 1960 bis 1965 in literarischen Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht wurden. Der zweite Band mit seinen dreizehn Pamphleten zur aktuellen Tagespolitik hat einen ausgesprochen politischen Charakter. Die Notizbücher, die in zwei Teilen veröffentlicht wurden, bieten eine Art Fortsetzung der Rapporte, aber in verkürzter Form. Eine Sammlung essayistischer Arbeiten liegt mit Rekonvaleszenz vor, einem Buch, das während eines Krankenhausaufenthaltes nach dem ersten Herzinfarkt 1970 entstand. Darin äußert sich Weiss zur Tagespolitik, Kunst und Literatur, aber auch zu spezifisch schwedischen Phänomenen, etwa dem Niederreißen der alten Bausubstanz Stockholms. Auch das erzählerische Werk des Autors, vor allem 'Die Ästhetik des Widerstands' (1975-1981), trägt ausgeprägt essayistische Züge. So wurde in der Sekundärliteratur etwa bezweifelt, dass es sich bei Weiss' Magnum Opus um einen Roman handele. Vielmehr entziehe sich 'Die Ästhetik des Widerstands' jeglicher Gattungsbestimmung; dieses Werk sei ein essayistisches Gebilde: "Die Gattungsbezeichnung 'Roman' wird diesem nicht gerecht, handelt es sich doch kaum um Figurenkonstellation, Charakterentwicklung, Handlungsstrukturen, sondern eher um Abhandlung, Essay, Traktat, um kunsttheoretische, politische und wissenschaftliche Überlegungen mehr als um erzählerische Ausfabulierung eines Gesellschaftspanoramas oder eines individuellen Konflikts." Nun ist aber gerade das essayistische Werk des Autors in der Weiss-Forschung eher stiefmütterlich behandelt worden.
In der vorhandenen Sekundärliteratur zu Georg Lukács' "vormarxistischem" Frühwerk findet man allzu oft Interpretationen, die - wie Christian Schneider einmal treffend notierte - "einsinnig auf den Zügen von Lukács' theoretischer Physiognomik" insistieren, "die eine lineare Konstruktion des Gesamtbilds erlauben". Manchmal zeitigte zwar diese Forschungslinie wichtige Befunde - aus heutiger Sicht muss sie aber als unangemessen betrachtet werden, da sie den Fokus der Interpretation verengte: Unabhängig davon, von welcher ideologischen Warte aus Lukács' marxistische Wende Ende 1918 positiv oder negativ beurteilt wurde, suchte man aus dem Frühwerk hauptsächlich diejenigen Elemente heraus, die seine Entwicklung zum späteren marxistischen Werk dem Anschein nach verständlich machten. Gleichwohl kann man vielleicht nach dem Ende des Kalten Krieges ohne Vorentscheidungen an die frühen Texte Lukács' herangehen; man kann zumindest versuchen, sie neu zu verstehen, was sich eventuell von Vorteil auch für ein neues Verständnis seiner späteren intellektuellen Entwicklung erweisen könnte. Das Frühwerk Lukács' ist geprägt von einer inneren Verbindung zwischen einer starken kulturkritischen Empfindlichkeit und einem lebhaften literaturwissenschaftlichen Interesse. Lukács' Hauptidee ist einfach: Er diagnostiziert eine grundlegende Problematik der modernen Kultur, deren Widerspiegelungen an den modernen literarischen Formen "abgelesen" werden können. Letztere sind von derselben romantischen "Frivolität" wie das relativistische Zeitalter charakterisiert, in dem sie erscheinen. Diese Entsprechung zwischen der Problematik der modernen literarischen Formen und der modernen Sozial- und Kulturstrukturen war schon Lukács' Leitidee in seinem Erstlingswerk 'Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas'. In seinem zweiten Buch 'Die Seele und die Formen' - das neben der Theorie des Romans von 1916 zu den berühmtesten seines Frühwerks zählt -, versuchte er dann durch eine "metaphysische Vertiefung" die weltanschaulichen Kriterien seiner Kulturkritik der Moderne essayistisch zu untermauern. Im Folgenden möchte ich mich auf diesen Essayband konzentrieren, um - gestützt auf die Interpretationslinie, die ich anderswo umrissen habe - eine neue, umfassende Lektüre dieses Werks vorzuschlagen.
Unbekannte Essays von Robert Musil : Versuch einer Zuweisung anonymer Beiträge im "Losen Vogel"
(2001)
Nicht mit einer Signatur oder vergleichbaren "Zeichen" versehene d.h. anonyme Erscheinungen sind in einer Zeit der Namen eine besondere Herausforderung. In den bildenden Künsten hat sie neben Hilfsnamen wie "Meister mit den Bandrollen" oder "Petrarca-Meister" zu einer Fülle von Attributionen geführt; vor allem, weil der Markt, auf dem die Gier einzelner und der Museen nach großen Namen den großen Preis macht, danach lechzt; so dass sich der Betrachter eines Rembrandt, van Gogh usw. nicht zu Unrecht immer wieder einmal fragt, ob das stolz von einer Galerie herausgestellte Bild denn auch tatsächlich echt sei; und weil er überdies weiß, wie auch in jüngster Zeit renommierte Museen und Auktionshäuser mit ausgewiesenen Experten auf Fälschungen hereinfielen und statt durch Forschung durch bloßen Zufall dahinter kamen. Oder weil er weiß, dass die zahllosen Zuschreibungen zahlreiche Abschreibungen nach sich zogen, etwa die Anzahl der erhaltenen eigenhändigen Gemälde Rembrandts sich von 1935 festgestellten über 600 zunächst um ein rundes Drittel und inzwischen nochmals verringert hat. - Ohne jeden Zweifel: Wäre der "Lose Vogel" eine Sammlung 1911 bis 1914 entstandener und erworbener Gemälde, noch das kleinste davon wäre längst attribuiert und die Attribution diskutiert. Im Wissen um die Probleme des Attribuierens auf dem Gebiet der bildenden Künste habe ich die Herausforderung angenommen und bin das Wagnis eingegangen. Ein Teil der hier mitgeteilten Attributionen ist skizzenhaft entstanden im Zusammenhang mit den textkritischen Untersuchungen zu Kafka. Bei der Rolle, die Blei für Kafka spielt, musste dabei auch die Zeitschrift der Anonymen "Der Lose Vogel" genauer angesehen werden; denn viele der jungen Leute, die Blei gefördert hat oder die mit ihm in Kontakt waren - Carl Einstein, Karl Klammer, Robert Musil, René Schickele, Kurt Tucholsky u. a. – wählen wie Blei selbst irgendwann einmal ein Pseudonym, ein Kryptonym oder die Anonymität.
Warum versucht sich ein zu diesem Zeitpunkt berühmter Gelehrter wie Georg Simmel, der ja 1900 "Philosophie des Geldes" publiziert, in der Dichtung? Ganz unabhängig von seinem Scheitern in diesem Fach möchte ich im Folgenden diese Frage ausweiten und in den Kontext einer umfassenderen Beobachtung stellen. Nämlich der, dass sich im Laufe der langen Jahrhundertwende Texte herausbilden, die in ihrer Form einmalig oder zumindest besonders sind und zu denen auch viele Arbeiten von Georg Simmel gehören – nicht nur die, die er als Momentbilder publiziert. In einem ersten Schritt werde ich diese neuen Texte der langen Jahrhundertwende beschreiben, um im Anschluss Überlegungen dazu anzustellen, welche Bedingungen diese Formen begünstigt haben. Abschließend wende ich mich kurz einem Vergleich von Simmel und Benjamin zu, um auf diese Weise aufzuzeigen, dass für diese Texte die Formation mehr ist als nur Grundlage für die Vermittlung von Konzepten und selbst eine konzeptuelle Funktion übernehmen soll. Daher ist es hilfreich, die jeweils formalen Strukturen und Modi genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich werde mich Simmel also nicht aus der Perspektive der Soziologie oder Kunstphilosophie nähern, sondern aus der einer kulturwissenschaftlichen Literaturwissenschaft.
Anhand von zwei auf Deutsch verfassten essayistischen Texten von Jiří Gruša - 'Beneš als Österreicher' (2012) und 'Die Gebrauchsanweisung für Tschechien und Prag' (2003) - wird gezeigt, wie die Konzepte von Nationalgeschichte und Nationalliteratur an ihre Grenzen gebracht werden können: Durch vervielfältigende, ironisierende und verdichtende Verfahren werden nationale Selbst-Behauptungen entstellt, sowie die Konstitution und Funktion kollektiver Identitätsnarrative ausgestellt. Während in der Gebrauchsanweisung ausgerechnet ein 'pluralis nationalis' die Selbstvergewisserungen subvertiert, zeigt sich im bzw. durch den Beneš-Essay, wie die Erzählungen der Figur Beneš die Geister der Nation scheiden. Insofern werden die beiden Texte als Beispiele dafür gelesen, wie durch Schreibstrategien, aber auch angesichts editionsgeschichtlicher Zusammenhänge sowie im Hinblick auf die Rezeption eindeutige Zuweisungen zu einer Nationalliteratur oder Nationalgeschichte in Frage gestellt werden.
El artículo examina un conjunto de obras de Siegfried Kracauer y Walter Benjamin con el propósito de reconstruir los aportes de ambos autores a una teoría crítica de los intelectuales. Situados entre los frentes, los dos ensayistas intentaron conjugar el compromiso social y político y la búsqueda de una politización de los intelectuales con la renuencia a aceptar y reproducir los dictados de una organización partidaria dogmática. Como término de comparación para el contexto de producción de ambos autores se considera el París de la Restauración, en el que un grupo de pensadores y escritores alemanes exiliados se constituyeron como los primeros intelectuales modernos, identificados con la figura de la conciencia desgarrada (zerrissenes Bewusstsein), tal como fue formulada por Hegel.