Einfluß von Plasmatryptophan und Verhaltensmerkmalen auf das Akustisch Evozierte Potential : ist die Intensitätsabhängigkeit der N1/P2-Komponente des AEPs ein Spiegel der serotoninergen Neurotransmission?
- Primäres Ziel dieser Arbeit war es, einen direkten Beweis für die Annahme zuerbringen, dass eine starke Intensitätsabhängigkeit der N1/P2- Komponente des AEPs und im besonderen des tangentialen Dipols durch eine erniedrigte serotoninerge Neurotransmission verursacht wird. Gleichzeitig konnte als klinisch relevanter Effekt die mögliche Verwendbarkeit der Intensitätsabhängigkeit als biologischer Marker für das Aktivitätsniveau des serotoninergen Systems getestet werden. Durch das Studiendesign wurde zusätzlich die Überprüfung des allgemein postulierten Zusammenhanges zwischen einer impulsiv-aggressiven Persönlichkeitsstruktur und einer hohen Intensitätsabhängigkeit evozierter Potentiale als Nebenziel ermöglicht. Mit Hilfe in ihrer Zusammensetzung verschiedener Aminosäure-Mischungen, die eineperiphere Tryptophandepletion herbeiführen, sollte eine verminderte zentrale serotoninerge Neurotransmission erzielt werden.Die Intensitätsabhängigkeit des AEPs an den Tagen mit verminderter Verfügbarkeit des einzigen Präkursors von Serotonin, der essentiellen Aminosäure Tryptophan, wurde im Vergleich zu einem Kontrolltag überprüft, an dem nur ein Placebo verabreicht worden war.Dazu wurden 13 gesunde Probanden (7w, 6m) im Alter von 24-32 Jahren nach ausführlicher psychologischer Erfassung ihrer Persönlichkeitsstruktur einemdoppelblinden, placebokontrolliertem Cross-over Studiendesign unterworfen, in dem jede Versuchsperson die Aminosäure-Mischung Young 50 bzw. 100 und Moja als Tryptophandepletionstest (TDT) neben einem Placebo erhielt. Die Intensitätsabhängigkeit des AEPs am Kontrolltag wurde mit den bei der Voruntersuchung erhobenen Persönlichkeitsmerkmalen in Zusammenhang gesetzt. Das Hauptergebnis dieser Arbeit war eine positive Korrelation der Plasmatryptophanspiegels mit der Intensitätsabhängigkeit des tangentialen Dipols des N1/P2-Komplexes (r=0,46; p<0,05).Dies steht im Widerspruch zu den bisher veröffentlichten Arbeiten zu diesem Thema. Ein Grund für dieses konträre Resultat mag eine durch den TDT nicht herbeigeführte Erniedrigung der zentralen serotoninergen transmissiven Aktivität sein. Zudem wurden die meisten anderen Untersuchungen an Patienten, bei denen eine Störung im serotoninergen System von vornherein angenommen worden war, vorgenommen, was einen Hauptunterschied zu dieser Studie, die mit gesunden Probanden durchgeführt worden war, darstellt. Und ob bei normalen Probanden eine Tryptophandepletion es vermag, eine Erniedrigung serotoninerger Neurotransmission zuverursachen, bleibt fraglich. Auch ist die Intensitätsabhängigkeit des AEPs wohl nicht ein rein spezifischer, sondernhöchstens ein relativ spezifischer Parameter für die zentrale Aktivität serotoninerger Neurone. Sie kann also auch von anderen Transmittersystemen mit beeinflusst sein. Mit der unterschiedlichen Ausprägung der Intensitätsabhängigkeit des AEPs in den Hemisphären liess sich allerdings ein weiteres Indiz für eine funktionelle Seitenasymmetrie in der Reizverarbeitung und wohl auch im serotoninergen Stoffwechsel finden. Aber auch das Ergebnis, dass die Intensitätsabha"ngigkeit des radialen und tangentialen Dipols teilweise hochsignifikant negativ mit als eher aggressiv und impulsiv zu beurteilenden Eigenschaften korrelierte, widerspricht den bisherigen Studienergebnissen, nach der eine hohe serotoninerge Neurotransmission generell inhibierend auf das Verhalten wirke, und somit Aggressivitä"t und Impulsivität beiPersonen mit hoher Intensitätsabhängigkeit evozierter Potentiale auftreten müsste. Zweifel, ob die Intensitätsabhängigkeit wirklich den geeigneten Parameter zur Beurteilung des Aktivitätsniveaus im serotoninerge System darstellt, lassen das Ergebnis weniger widersprüchlich erscheinen. Ebenso erfordert die Komplexität des Zusammenspiels vieler verschiedener Modulatoren wohl eine enger gefasste Fragestellung, die auch andere Transmittersysteme, wie etwa das noradrenerge und dopaminerge, und Hormone, wie Testosteron oder Cortisol, mit einschliesst. Eine Beteiligung des serotoninergen Transmittersystems bei der Beeinflussungaggressiven und impulsiven Verhaltens lässt sich jedoch aus der Beobachtung vermuten, dass die Veränderung der Intensitätsabhängigkeit durch den Tryptophandepletionstestsich bei verschieden Persönlichkeitstypen anders verhielten. Neugierverhalten und Impulsivität zeigten eine signifikant negative Korrelation, mit der depletionsabhängigen Steigungsänderung (DSA"), Schadensvermeidung dagegen eine signifikant positive. Die Auswirkungen des TDT auf die Befindlichkeit und das Verhalten derteilnehmenden Probanden waren Themen einer anderen Arbeit (Sadigorsky, in Vorbereitung), ebenso wie die neuropharmakologischen Aspekte der Tryptophandepletion (Kewitz, in Vorbereitung). Durch die hier vorgestellten Ergebnisse erfährt die Hoffnung, einen biologischen Marker für einen für die Genese vieler psychiatrischer Störungen wichtigen Neurotransmitter gefunden zu haben, der nicht invasiv ist und schnell Einzug in dieklinische Routinediagnostik halten könnte, leider keinen Rückhalt. Zu viele Zweifel bestehen an der Aussagekraft und Spezifität dieses Funktionsparameters.