Divergenz zwischen Stimmrecht und wirtschaftlicher Betroffenheit in Aktiengesellschaften
- Zentrales Forschungsanliegen der vorliegenden Abhandlung ist die Erörterung der Probleme, welche sich für die Corporate Governance einer Aktiengesellschaft ergeben, wenn abweichend vom gesetzlichen Optimalbild eine Divergenz zwischen dem Stimmrecht des Aktionärs und dessen wirtschaftlicher Betroffenheit vorliegt. Der von seinen Entscheidungen nicht proportional betroffene Aktionär soll als Corporate Governance Akteur in den Blick genommen werden.
Wieso aber lohnt sich eine erneute Befassung mit einem Problem, welches Easterbrook und Fischel bereits 1983 als ein solches identifiziert haben? Zum einen ist die internationale und deutsche Corporate Governance Debatte erheblich vorangeschritten. Steckte diese zum Zeitpunkt des Aufsatzes „Voting in Corporate Law“ noch in den Kinderschuhen, hat sie sich heute zu einem eigenen Forschungsfeld entwickelt, welches Juristen und Ökonomen in aller Welt beschäftigt. Der nicht proportional betroffene Aktionär wird in das durch diese Forschungsströmung entwickelte moderne Corporate Governance System eingeordnet. Zum anderen sind vor allem durch die Entwicklung vielfältiger Finanzderivate im Rahmen der sogenannten „derivatives revolution“ die Möglichkeiten durch schuldrechtliche Vereinbarungen eine entsprechende Disproportionalität zu erzeugen erheblich gestiegen. Während Easterbrook und Fischel noch feststellten „[…] it is not possible to seperate the voting right from the equity interest“, gestatten moderne Finanzprodukte es Aktionären, ihre wirtschaftliche Betroffenheit und zugleich deren Verhältnis zu ihrer Stimmrechtsmacht fast beliebig auszugestalten.
Die Zusammenschau aus einer erheblich diffizileren Corporate Governance Debatte in Verbindung mit einer neuen Vielzahl an Möglichkeiten eine Disproportionalität zwischen Stimmrecht und wirtschaftlicher Betroffenheit zu erzeugen, gibt der Thematik die notwendige Aktualität, die eine vertiefte Befassung anzeigt.
In Abgrenzung zu den bislang in diesem Themenkreis erschienenen Arbeiten, welche sich vor allem isoliert mit den Folgen für das Stimmrecht bzw. den einzelnen Anteilseigner befassen, thematisiert die vorliegende Abhandlung vor allem die Auswirkungen, welche die Trennung von Stimmrecht und wirtschaftlicher Betroffenheit für die Corporate Governance Struktur der Aktiengesellschaft nach sich ziehen kann. Auf diese Weise wird die Problematik der Ausübung disproportionaler Stimmrechte in die Erkenntnisse der Corporate Governance Theorie eingeordnet und insbesondere auch die ökonomischen Folgen selbiger herausgearbeitet. Die so gewonnenen Ergebnisse verdeutlichen den gesetzgeberischen Handlungsbedarf.