"Das kleine Falsificat" : ein Spiel von Original und Fälschung in Hofmannsthals 'Die Lästigen. Komödie in einem Akt nach dem Molière'

  • Am 26. April 1916 findet am Deutschen Theater in Berlin unter der Regie von Max Reinhardt die Uraufführung eines Balletts "Die grüne Flöte" statt, dem ein einaktiges Lustspiel vorausgeht: "Die Lästigen. Nach Molière". Die Aufführung steht unter dem Protektorat der Stadt Berlin zugunsten der zerstörten Karpatenorte; der Weltkrieg hat bereits eine für Deutschland kritische Wendung genommen. Die Kritiken in den Zeitungen am nächsten Tag reagieren ausschließlich positiv: Das Ballett erregt "helles Entzücken" und der Einakter findet Gefallen; ein Kritiker will darin sogar "den ganzen Molière in der Größe seiner Anschauungen" erkennen, das sei "echter Molière, jener Molière, der uns Deutschen heute nähersteht als manchem seiner Landsleute". Der nationalistische, von der Kriegspropaganda nicht ganz freie Ton, der Molière gegen seine eigenen Landsleute ausspielt, ist nicht zu überhören. Aber am französischen Autor selbst kommt kein Zweifel auf, der Text des Lustspiels wird in dieser und anderen Besprechungen eindeutig Molière zugewiesen. Die Sache hat allerdings einen Haken, der den meisten Kritiken entgangen ist. Das Stück "Die Lästigen" trägt zwar den übersetzten Titel von Molières "Les Fâcheux", aber es ist nicht von Molière: von ihm stammt nur - wie der tatsächliche Verfasser Hofmannsthal in einem Brief an Pannwitz bemerkt - der "Titel und vagste Grundidee", sonst sei alles eine "völlige Improvisation", was der "ganzen breitmäuligen Presse" entgangen sei. Und an Richard Strauss schreibt Hofmannsthal: "Übrigens ganz im Vertrauen: Reinhardt spielte die letzten 6 Wochen allabendlich einen Molière, die 'Lästigen', wovon außer dem Titel keine Zeile von Molière war, sondern jedes Wort vom ersten bis zum letzten von Ihrem ergebenen Librettisten, ohne daß die Kritik 'Mau' sagte." Die Genugtuung, das Publikum und vor allem die Kritik so hintergangen zu haben, die Freude, daß der Schwindel nicht aufgeflogen ist, klingt in diesen Sätzen durch.

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Verfasserangaben:Elsbeth Dangel-Pelloquin
URN:urn:nbn:de:hebis:30:3-481435
URL:http://hofmannsthal.de/?page_id=208
ISBN:3-7930-9317-4
ISSN:0946-4018
ISSN:2510-7305
Titel des übergeordneten Werkes (Deutsch):Hofmannsthal : Jahrbuch ; zur europäischen Moderne ; im Auftr. der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft hrsg
Verlag:Rombach Verlag
Verlagsort:Freiburg
Dokumentart:Wissenschaftlicher Artikel
Sprache:Deutsch
Jahr der Fertigstellung:2018
Jahr der Erstveröffentlichung:2002
Veröffentlichende Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Datum der Freischaltung:08.04.2019
Freies Schlagwort / Tag:Die Lästigen
GND-Schlagwort:Molière; Les fâcheux; Adaption; Hofmannsthal, Hugo von
Jahrgang:10
Seitenzahl:30
Erste Seite:59
Letzte Seite:88
HeBIS-PPN:448266091
DDC-Klassifikation:8 Literatur / 83 Deutsche und verwandte Literaturen / 830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
Sammlungen:Germanistik / GiNDok
Germanistik / GiNDok / Rombach Verlag
Germanistik / GiNDok / Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft
BDSL-Klassifikation:16.00.00 Jahrhundertwende (1880-1914) / BDSL-Klassifikation: 16.00.00 Jahrhundertwende (1880-1914) > 16.15.00 Zu einzelnen Autoren
Zeitschriften / Jahresberichte:Hofmannsthal : Jahrbuch / Hofmannsthal 10.2002
Übergeordnete Einheit:urn:nbn:de:hebis:30:3-481405
Lizenz (Deutsch):License LogoDeutsches Urheberrecht