Der Tier-Mensch-Vergleich bei Reimarus und Herder : zur Rezeptionsgeschichte und diskursiven Aktualität der antiken Anthropologie
- Tierfilme und -reportagen haben Konjunktur, neue Bildtechnologien ermöglichen immer differenziertere Einblicke in Verhaltens- und Lebensweisen bekannter und unbekannter Tierarten. Wir fühlen uns als teilnehmende Beobachter in scheinbar gewagtester Nähe. Das "Privatleben" der Tiere wird bis in den letzten Winkel verfolgt, die Entdeckung der Tierindividualitäten schreitet voran, Tiere bekommen ein Schicksal und wecken Empathie, der vor über 2000 Jahren entstandene Tier-Mensch-Verwandtschafts-Topos, dem noch jeder Gedanke an die Abstammung der Arten fern lag, wird neu belebt. Doch das kulturelle Interesse am Tier erschöpft sich nicht im Fasziniertsein durch perfekt visualisierte Verhaltensstudien oder durch neueste Lesarten der Tiermetaphorik, in der es stets weniger um Tiere als um Menschen geht. Der historische Wandel der menschlichen Tierbeziehung wird in der Tierethik reflektiert. Seit der Antike umstrittene kognitive Fähigkeiten verschiedener Tierarten bilden heute einen einzelwissenschaftlich fundierten philosophischen Diskussions- und Forschungsgegenstand ("Der Geist der Tiere"). Die Biosemiotik macht große Fortschritte, der Tier-Mensch-Vergleich - bereits ein Kernstück antiker Anthropologie und Ethik - erfährt eine tiefgreifende Umwertung. Dabei steht nicht mehr von vornherein der Mensch im Mittelpunkt; vielmehr wird versucht, das Animalische in seiner Artenvielfalt als eine vielgestaltige eigene Lebensform zu beschreiben; diese ist nicht länger an Maßstäben einer Anthropozentrik zu messen, die im innersten teleologisch geblieben ist. Der Tier-Mensch-Vergleich wird heute nicht mehr so einseitig und ausschließlich auf kognitive Fähigkeiten bezogen. Vielmehr werden weitere Aspekte wie Emotionalität, Wertungs- bzw. Präferenzverhalten, moralanaloge Verhaltensweisen, Antriebsstrukturen, Soziabilität, Zeichenverhalten mit einbezogen. Diese Komplexität der Vergleichspunkte oder Vergleichseinheiten war erst mit dem neuzeitlichen Rationalismus immer mehr eingeschränkt worden. Die gegenwärtig wiedergewonnene Komplexität lässt nach historischen Vorbildern Ausschau halten; da verwundert es nicht, wenn eine Anthropologie ins Blickfeld rückt, die im Tier-Mensch-Vergleich einen ihrer wichtigsten Ausgangspunkte hatte: die antike Anthropologie.
Author: | Michael Franz, Reimar Müller |
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URN: | urn:nbn:de:hebis:30:3-494276 |
URL: | http://www.passagen.at/cms/index.php?id=261 |
ISSN: | 0043-2199 |
ISSN: | 2510-7291 |
Parent Title (German): | Weimarer Beiträge : Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften |
Publisher: | Passagen Verlag |
Place of publication: | Wien |
Document Type: | Article |
Language: | German |
Year of Completion: | 2019 |
Year of first Publication: | 2011 |
Publishing Institution: | Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg |
Contributing Corporation: | Klassik Stiftung Weimar |
Release Date: | 2019/12/10 |
Tag: | Reimarus, Hermann Samuel: Allgemeine Betrachtungen über die Triebe der Thiere |
GND Keyword: | Reimarus, Hermann Samuel; Herder, Johann Gottfried von; Rezeption; Anthropologie; Antike; Tiere; Mensch; Philosophische Anthropologie |
Volume: | 57 |
Issue: | 1 |
Page Number: | 29 |
First Page: | 101 |
Last Page: | 129 |
HeBIS-PPN: | 457655372 |
Dewey Decimal Classification: | 8 Literatur / 80 Literatur, Rhetorik, Literaturwissenschaft / 800 Literatur und Rhetorik |
8 Literatur / 83 Deutsche und verwandte Literaturen / 830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur | |
Sammlungen: | Germanistik / GiNDok |
CompaRe | Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft | |
Germanistik / GiNDok / Passagen Verlag | |
BDSL-Klassifikation: | 12.00.00 18. Jahrhundert / BDSL-Klassifikation: 12.00.00 18. Jahrhundert > 12.13.00 Zu einzelnen Autoren |
Zeitschriften / Jahresberichte: | Weimarer Beiträge / Weimarer Beiträge 57.2011 |
: | urn:nbn:de:hebis:30:3-494229 |
Licence (German): | Deutsches Urheberrecht |