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Dokumentation, Rekonstruktion, Transformation : Plädoyer für einen offenen Umgang mit der DDR-Kultur
(2002)
Die DDR »kommt nicht wieder, sowenig wie die Römer«, lautete bereits 1994 der ultimative Befund des Berliner Kulturredakteurs Harald Martenstein. Selbst der Name ist nicht geschützt, so dass die Suchmaschinen im Internet unter »DDR Memory« nicht nur die Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik finden, sondern auch einen PC-Speicher mit Double- Data-Rate-Technik. Trotzdem oder gerade deshalb versuchen sich Betroffene wie Berufene auch nach mehr als zehn Jahren deutsch-deutscher Vereinigung in Erinnerung und Aufarbeitung des gescheiterten Modells DDR und seiner ideellen wie materiellen Errungenschaften.
Die materiellen wie ideellen Welten der DDR sind aufgrund der erfolgreichen bundesrepublikanischen Transformation weiterhin dem Ausverkauf, der Zerstörung und der Auflösung preisgegeben. Sie erhalten im allgemeinen nach wie vor keine Schonfristen oder Anerkennungen, auch wenn sich längst ihre Substanz und Alternativkraft als (politisch) unwirksam und ungefährlich erwiesen haben. Zudem sind kulturelle Halbwertzeiten kurz. Je länger der Systemwechsel zurückliegt, desto mehr verblassen, zerfallen und verlieren sich die Relikte, Spuren und Zeichen des Früheren und Anderen im realen Alltag, im öffentlichen und privaten Raum.
Der Dokumentarfilm befand sich Ende der 70er Jahre in einer gewissen Stagnation. Selbst in einer internen Schrift der Hauptverwaltung Film/ Abt. Wissenschaft - und diese kritische Bemerkung deckt sich mit vielen Stimmen der anläßlich des 40. Leipziger Dokfilm-Festivals herausgegebenen Textsammlung "Weiße Taube auf dunklem Grund" - wurden künstlerische Defizite zugestanden: "Trotz der Anwendung neuer Techniken sind weiterhin keine Entwicklungsperspektiven der Gattung Dokumentarfilm zu erkennen. In seinen besten Erscheinungsformen hat sich das auf der Ebene von gutem Journalismus, soziologischer Sondierungen, politischer Kommentare oder poetischer Reflexionen stabilisiert [...] Der Dokumentarfilm wartet auf einen neuen Pionier, der es vermag, frische und interessante Visionen der Welt, in der wir leben, zu geben."
Nach der Spaltung Europas infolge des Zweiten Weltkrieges und der NS-Kapitulation 1945 erreichte die Bundesrepublik eine militärische, ökonomische und kulturelle Integration in die westeuropäische Staatengemeinschaft, was eine rasche Angleichung ihrer Lebenswelten an bürgerlich-demokratische wie marktwirtschaftliche Prinzipien bedeutete. Die DDR hingegen suchte ihre Anbindung an die "sozialistischen Bruderländer", die mit einer stärker formierten gesellschaftlichen Neuorientierung verknüpft war.
Im Falle der Kinematographie hat es hundert Jahre gedauert, bis der Metzler-Verlag 1993 eine vielbeachtete "Geschichte des deutschen Films" veröffentlichte. Die Television mußte nicht so lange warten. Eine "Geschichte des deutschen Fernsehens" haben schon jetzt der Hamburger Medienwissenschaftler Knut Hickethier und sein Co-Autor Peter Hoff geschrieben. Nachdem in den letzten Jahren insbesondere aus dem Kreis des Siegener Sonderforschungsprojektes "Bildschirmmedien" verschiedene Chroniken, Sammelwerke und Einzelstudien zu allen Programmformen publiziert wurden, erscheint hier nun erstmalig eine in sich geschlossene Gesamtdarstellung. Auch wenn ein solcher Überblick von den frühen Visionen und Träumern über den Beginn eines Fernsehdienstes im NS-Staat bis zur heutigen Konvergenz von Telemedien und PC-Welten nicht in allen Details erschöpfend Auskunft geben kann, so ist doch eine hinreichend umfassende Beschreibung dieser Etappe der Audiovision - nach der Photographie, dem Film, dem Radio, aber vor dem Internet - gelungen.
DEFA News
(2002)
Im Westen war und ist der DEFA-Film recht unbekannt. Zu den wenigen Einrichtungen in den alten Bundesländern, die sich mit der Entwicklung und den Ergebnissen des DDR-Kinos auseinandergesetzt haben, zählt vor allem das Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart. Dieses "Europäische Medienforum" hat sich in den zehn Jahren seines Bestehens auf verschiedenen Symposien mehrfach um einen Ost-West-Vergleich bemüht und die wechselseitige Aufarbeitung der jeweiligen Mediengeschichten ohne konfrontativen Gestus gesucht. Die Relevanz dieses Themenspektrums läßt sich schon daraus ersehen, daß die Publikation zur ersten Veranstaltung DEUTSCHLANDBILDER OST (1992) bereits vergriffen ist. Hingewiesen werden soll hier aber vor allem auf eine der aktuellen Publikationen, die - neben einem Neudruck der Tagebücher und Arbeitshefte des wegweisenden Avantgardisten Dziga Vertov sowie der spannenden Habilitation von Gerhard Lampe über die politischen Fernsehmagazine Panorama, Report und Monitor - als Band 13 in der hauseigenen Schriftenreihe CLOSE UP erschienen ist: Die Dokumentation DER GETEILTE HIMMEL, in der die Beiträge zweier Veranstaltungen in Berlin und Oldenburg zusammengestellt sind.
Trotz einer auf den ersten Blick weitgehend homogen ausgerichteten und statuarisch wirkenden Kulturszene in der DDR gelang es einigen kompromißlosen oder in einer Art freiwilligen "inneren Emigration" wirkenden Künstlern immer wieder, kreativ an tabuisierte Traditionen oder internationale Tendenzen zeitgenössischer Kunst anzuknüpfen. Geprägt waren alle diese formal differenzierten Ausdrucksweisen von dem Grundsatz, der allgemeinen Gültigkeit einer sozialistischen Identität eine Absage zu erteilen. So hielten die Nonkonformisten trotz individueller Nachteile an Formauffassungen fest, die zwar eine Reflexion historischer und faktischer Wirklichkeit nicht ausschlossen, sich aber in Abgrenzung zum anbefohlenen parteilichen und volkstümlichen Realismus artikulierten: Sie ließen sich keine illustrative oder idealisierte Abbildung der Gesellschaft diktieren. Subjektive und abweichende Haltungen wurden in dem selbsternannten "Arbeiter- und Bauernstaat" jedoch zu keinem Zeitpunkt als innovatives Potential erkannt und geduldet, sondern vielmehr als "opportunistische Verwaschenheit und Unverbindlichkeit", "rechter" und "linker Revisionismus" oder allgemein als "künstlerischer Modernismus" verurteilt und bekämpft, dessen "Abneigung gegen das gesellschaftliche Alte und Überlebte [hier umschlägt] in einen Feldzug zur Verneinung der 'alten Kunst'. Wo jene ein großes humanistisches Menschenbild entworfen hatte, kam und kommt die 'Moderne' fortschreitend zur 'Dehumanisierung', zur Entmenschlichung der Kunst."
Vor zehn Jahren hatte der in seiner letzten Phase sichtbar gewendete Deutsche Fernsehfunk die gerade erst erlangte Selbständigkeit schon bald wieder verloren: Ende 1991 wurde er als DFFFernsehkette endgültig eingestellt. Was ist geblieben? Eine unglückliche, aber politisch gewollte Neuaufteilung der ostdeutschen Rundfunklandschaft auf der einen und das gesamte Programmvermögen auf der anderen Seite, das - vor den Begehrlichkeiten privater Unternehmen gerettet - in öffentlich-rechtliche Obhut gelangt ist. Eine spannungsreiche Entwicklung, die sich als Wissenschaftsthema geradezu aufdrängt: Welche Geschichte(n) können uns diese gesammelten Kommunikate heute erzählen?
Da Kultur immer ein Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse ist, war mit der Implosion des DDR-Systems auch das Kapitel sozialistischer Mediengeschichte alsbald beendet: Das Fernsehen, die Filmbetriebe und wissenschaftlichen Einrichtungen wurden bekanntermaßen radikal aufgelöst, das Personal in die unbestimmte Selbständigkeit entlassen bzw. nur in Ausnahmefällen von bundesrepublikanisch orientierten Nachfolgeorganisationen aufgefangen. Dieser politisch gewollte Auflösungs- und Transformationsprozeß vollzog sich dermaßen rasch und gründlich, daß selbst Erinnerungen an die spezifischen Leistungen der ostdeutschen Audiovision drohen, verloren zu gehen. Um sowohl dem allgemeinen und eigenen Vergessen (neben dem Verdrängen) entgegenwirken als auch die (nach wie vor andere) Befindlichkeit im "Beitrittsgebiet" verstehen zu können, sind historisch interessierte (und betroffene) Theoretiker wie Praktiker auf Publikationen angewiesen, welche die abgeschlossene Entwicklung der kinematographischen und elektronischen Bildproduktion in 41 Jahren DDR dokumentieren, rekonstruieren oder analysieren.
Der massenkommunikativen Möglichkeiten des Rundfunks als "Zeitung ohne Papier und 'ohne Entfernungen'" waren sich die Kulturoffiziere "im Waffenrock der Roten Armee" in Ostdeutschland nach dem Kriege von vornherein bewußt: weite Streuung der Information und Erreichbarkeit der gesamten Bevölkerung, hohe Operativität, starke Authentizität durch LiveÜbertragungen, direkte und aktuelle Berichterstattung. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) schaffte sich die notwendigen gesellschaftlichen Voraussetzungen für den ungehinderten Zugriff auf die Funkmedien einerseits durch die Enteignung der verbliebenen Elektronikindustrie und späterer Überführung in "Volkseigentum". Andererseits unterstützte sie sogleich juristisch, institutionell und technisch den Auf- und Ausbau eines Deutschen Demokratischen Rundfunks in der SBZ, übertrug den neu eingesetzten Behörden wie der Deutschen Zentralverwaltung für Volksaufklärung die Einrichtung von Redaktionen und versorgte die Sendeeinrichtungen mit - äußerst knapper - Energie. Ende 1946 hatten neben dem Berliner Rundfunk weitere sechs Regionalsender mit ihrem regelmäßigen Programm für schon mehr als 2 Millionen angemeldete Hörer begonnen.
Es ist wohl längst eine Binsenweisheit und bis in bildungsbürgerliche Kreise hinein bekannt, daß dem Fernsehen ein hoher Anteil bei der gesellschaftlichen wie kulturellen Modernisierung des "zivilisatorischen Weltprozesses" zugeschrieben werden kann. Als anerkanntes Leitmedium einer "zweiten Moderne" (Heinrich Klotz) steht es heute besonders im Mittelpunkt des Interesses - und der Begierde: Seine interdisziplinäre Erforschung, museale Aufarbeitung und kulturelle Nobilitierung trifft insofern den Zeitgeist, weil sich das vielgeschmähte Pantoffelkino längst gegenüber dem Film auch vom Sozialprestige her etabliert hat, zu einem enorm lukrativen Wirtschaftsfaktor geworden ist und mit der gegenwärtigen Digitalisierung, Ausweitung und Fragmentierung des globalen Programmangebots seine traditionelle Bedeutung als das vertraute Broadcast-Medium verliert.
Trotz ständiger Kritik scheint das Fernsehen als Wirtschaftsfaktor, Meinungsmacher und Unterhaltungsmaschine so schnell nichts von seiner Bedeutung zu verlieren. Im Gegenteil: Nicht nur neue Formate wie BIG BROTHER oder TV TOTAL beweisen eine erstaunliche Innovationsfähigkeit, auch technisch ist das klassische Bildmedium angesichts neuer Online- Formen wie WEB-TV oder digitaler Distributionswege keineswegs ohne Zukunft. Und ökonomisch ist die TV-Produktion längst zu einem relevanten Standortfaktor geworden, was der Branche nun sogar in Deutschland einen illustren Programmarkt beschert. Die "cologne screenings" - eine Initiative des ehemaligen RTL-Chefs Helmut Thoma - ergänzen auf dem diesjährigen Medienforum NRW erstmals das etablierte Internationale Fernsehfest Köln.