Refine
Year of publication
- 2016 (2) (remove)
Document Type
- Article (1)
- Part of a Book (1)
Language
- German (2)
Has Fulltext
- yes (2)
Is part of the Bibliography
- no (2)
Keywords
- Archiv (1)
- Briefsammlung (1)
- Chronistik (1)
- Das Haus der Briefe (1)
- Deutsch (1)
- Historismus (1)
- Jünger, Ernst (1)
- Literatur (1)
- Moderne (1)
In der deutschen Literatur der Moderne ist eine Darstellungsweise wiederbelebt worden, die seit dem späten Mittelalter die Geschichtsschreibung geprägt hat, seit dem 18. Jahrhundert aber weitgehend aus dem literarischen Leben verschwunden war: die Chronistik. Der Begriff steht für eine retro- oder auch prospektive Aufzeichnungsform, bei der in zeitlicher Folge Ereignisse aus Vergangenheit und Gegenwart festgehalten werden. Die Form der Chronik weist durch die sequentielle Darstellung Ähnlichkeiten mit dem Tagebuch auf. Doch dokumentieren Chronisten im Gegensatz zu Diaristen nicht ihre persönlichen Belange, sondern Ereignisse, die eine Zeit prägen oder den Lauf der Geschichte beeinflussen.
Während Chroniken des Mittelalters und der Frühen Neuzeit seit dem 19. Jahrhundert Gegenstand der mediävistischen Forschung geworden sind, wurde der neueren Chronistik keine Aufmerksamkeit geschenkt. Einer der Gründe ist die Bedeutung der Subjektivität in der Moderne, die unter anderem dazu führte, dass das Tagebuch als Form und Untersuchungsgegenstand wichtiger als die Chronik wurde. So meinte z.B. Karl Heinz Bohrer, Zeit und Geschichte" könnten "niemals als die eigentliche Basis großer Literatur gelten." Vielmehr sei "Zeitlosigkeit" die "gemeinsame Konstante der Augenblicks-Metapher innerhalb der Literatur der klassischen Moderne".
Das Schreiben und Sammeln von Briefen begleitete Ernst Jünger ein Leben lang, es war Teil seiner Autorschaft. Bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann er mit der alphabetischen Neuordnung der Briefe, die er seit dem Ersten Weltkrieg bekommen hatte, wie aus Jahre der Okkupation (1958), dem dritten Teil der Tagebücher zum Zweiten Weltkrieg hervorgeht. Jünger nutzte dort Hinweise auf die Brief-Sammlung, um am Beispiel seiner Korrespondenzpartner seine Distanz zu den nationalsozialistischen Machthabern zu betonen. Doch blieb es nicht bei Verweisen auf das Briefarchiv, die es auch in vorausgehenden Tagebüchern gibt. 1948 plante Jünger darüber hinaus die Publikation ausgewählter Schreiben aus einem Archivbestand. Davon zeugt ein maschinenschriftliches Konvolut für die Zeit von 1928 bis 1945 mit dem Titel Brief-Journal, das im Nachlass erhalten blieb, während von einem Weiteren der Jahre 1918 bis 1923 nur das Titelblatt existiert. Über das Motiv gibt ein Schreiben an Gerhard Nebel vom 15. August 1948 Auskunft. Während dieser die Auffassung vertrat, dass Korrespondenzen "erst erscheinen" dürften, "wenn wenigstens ein Briefpartner gestorben" sei, begründet Jünger sein Publikationsvorhaben mit der Unsicherheit der Nachlassbetreuung: "So ist es höchst fragwürdig geworden, ob Freundeshand jemals unseren Nachlaß ordnen, ja ob von einem solchen Nachlaß überhaupt die Rede sein kann. Insofern befinden sich alle Aufzeichnungen in ständiger Gefahr. Der Druck stellt demgegenüber eine Sicherung dar." Autoren müssten "als eigene Erbschaftsverwalter« auftreten, wenn sie »eine posthume Existenz" führen wollten. Man habe schließlich "Weltuntergänge" erlebt. Jünger verbindet also die Archivierung und Publikation von Briefen mit der Hoffnung auf Präsenz bei den Nachgeborenen.