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'Provinzielle Weite' ist eine Formulierung, die eine Spannweite aufzumachen gedenkt zwischen einem Verständnis von Provinz/provinziell als beschränkter, statischer, nicht weltoffener Lebens- und Denkweise und einer zwar peripheren Position, die aber gleichwohl gesellschaftliche und mentale Veränderungen sensibel wahrnimmt und künstlerische, technische und wissenschaftliche Innovationen in ihrer ganzen "Weite" zu registrieren und produktiv zu verarbeiten weiß. Im besten Fall kann es sogar geschehen, dass die Provinz die Chance des weit Abgelegenen nutzt, die dort gegebenen Spielräume und Eigenheiten produktiv zu wenden, um damit sogar ins Zentrum zurückzuwirken. Mit dieser Schlusswendung und der Nennung eines Zentrums wird in das Begriffsfeld "provinzielle Weite" eingestandenermaßen eine Denkfigur eingeführt, die mit dem Begriffspaar Peripherie und Zentrum umschrieben ist. Der [...] Abschnitt wird sich allein auf Kerner in Weinsberg konzentrieren, um das erstaunliche Phänomen zu erörtern, auf welche Weise es Justinus Kerner gelang, mit geschärftem Bewusstsein in der Provinz und weitab von der großen Hauptstadt zu leben und doch eine selten erreichte, weltoffene, internationale Plattform errichten zu können, kurz, wie es Kerner schaffte, die weite Welt in der Provinz Weinsberg zu implantieren.
Drei einleitende Abschnitte, die Mörikes Dingpoetik und Aspekte der Dingliteratur generell erschließen, führen im Folgenden hin zu einer Neuinterpretation seines Märchens Das Stuttgarter Hutzelmännlein. Zunächst soll die gesamte Bandbreite der in Mörikes Dichtung verwendeten Dinge vorgestellt werden, danach werden die poetologischen Gründe für ihre Prominenz in seinem Werk erhellt. Drittens soll die Affinität von Ding und Spruch beziehungsweise Sprichwort beleuchtet werden. Erst nach diesen Vorläufen ist es möglich, den spezifischen Einsatz wundermächtiger Dinge im Stuttgarter Hutzelmännlein ausführlicher zu thematisieren. Hier kann und soll schließlich gezeigt werden, auf welche artistische und zugleich hochnotpeinliche Weise Mörike mit seinem Märchen eine Antwort zu geben versuchte auf die Herausforderung, die die Moderne und der poetische Realismus an das Wunderbare stellten.
Juden, Philister und romantische Intellektuelle : Überlegungen zum Antisemitismus in der Romantik
(1992)
[...] Verschärfte Angriffe auf Juden fallen oft mit historischen Krisen zusammen. So grundiert auch hier die besondere Krisensituation der Napoleonischen Kriege den Konflikt, während ihn die Auseinandersetzung mit den Hardenbergschen Reformen in Preußen radikalisiert. Das Zusammengehen von Juden- und Philisterangriff aber leitet sich aus der spezifisch romantischen Zeitdiagnose her, einer Globalisierung der Krise und einer gleichsam apokalyptischen Alarmierung des Jetztzeitbewußtseins; ansteht das Überleben der Menschheit, ihr Untergang oder ihre Wiedergeburt. [...]
Eine formgeschichtliche Betrachtung kann zeigen, daß in Hebels "Rheinländischem Hausfreund" die narratologische Beziehung zwischen Kalendermann und Leser sich nur scheinbar harmlos und vertraulich darstellt, im Text sich aber als simulierte Nähe aus Distanz und Fremdheit herstellt. Auf vergleichbare Weise wird eine in den Kalendern simulierte Mündlichkeit beschreibbar als Produkt einer um 1800 sich durchsetzenden dominanten Schriftlichkeit. Die formgeschichtliche Analyse der Kalenderfolge kann eine im Schatzkästlein nicht mehr ersichtliche Korrespondenz von Beschreibungen des Kosmos und politischen "Weltbegebenheiten" rekonstruieren und damit eine bislang behauptete statische Geschichtsauffassung widerlegen. Schließlich vermag die formale Analyse einer raffinierten Verschränkung von Satire und Camouflage die in Hebels Reise nach Paris eingeschriebene Distanz sowohl zu den Nationalisten wie zu den regierenden Monarchien herauszuarbeiten.
Die Erzählung provoziert den Impuls des Verstehenwollens, zugleich aber gibt sie mit jeder Antwort neue Rätsel auf und führt das Verstehen an eine Grenze. Die teleologische Leseorientierung erreicht ihr Aufklärungsziel nicht, im Gegenteil, die Erzählung endet in schockhafter Desorientierung, die eine Relektüre veranlaßt. [...] Gerne ganz verstehen wollen, darin scheint das untergründige Begehren des Erzählers zu liegen: Er trachtet es an den Leser weiterzugeben, indem er implizit zum unendlichen Lesen und Wiederlesen auffordert - wissend und nicht mehr allwissend, daß auch der Text dieses Begehren, ganz verstanden zu werden, nicht erfüllen darf - bei Strafe seiner Musealisierung - wie die Glucksche Musik, von der er handelt. [...]
[...] Die dialektische Begriffsentfaltung schöner Kunst in ihren Momenten des Häßlichen, Komischen, Erhabenen ist nicht, wie das Vorurteil will, sophistische Begriffsspielerei; sie ist der angestrengte Versuch, die Möglichkeit bzw. Ermöglichung schöner Kunst unter den ihr "ungünstigen", "prosaischen" Lebensverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft zu entwickeln. Alle ästhetischen Theorien des Häßlichen greifen ein in die Debatte über den Vergangenheitscharakter schöner Kunst; sie melden sich zu Wort als Theorie gegenwärtiger Kunst; sie übernehmen präventiv die Gewährleistung schöner Kunst im Status ihrer drohenden Verabschiedung: sie behandeln sie als suspendiert. [...]
Als methodisches Rüstzeug bieten sich im Falle des hier verfolgten Themas vier Zugänge an: Erstens eine ideengeschichtliche Rekonstruktion der jüdischen Neuromantik, gegliedert nach verschiedenen Phasen (Vorgeschichte, zionistische Auslegung, ästhetische Kontroversen). Zweitens ein kulturwissenschaftlich ausgerichteter Konstellationsforschungsansatz. [...] Drittens bietet sich das Thema jüdische Neuromantik geradezu dafür an, die jüngst im englisch-amerikanischen Theoriefeld wieder aufgegriffenen methodischen Überlegungen zu kulturwissenschaftlich ausgerichteten "translation studies" einzubeziehen; [...] Und schließlich erscheint eine begriffliche Differenzierung nützlich. Im Blick auf die kulturpolitisch ausgerichtete zionistische Bewegung dürfte es angemessen sein, von einer "Wiederaufnahme" romantischer Vorgaben aus der Zeit um 1800 zu sprechen. Der zeitgenössische kulturpoetisch-ästhetische Versuch einer genaueren Charakterisierung neuromantischer Gattungen und Schreibweisen dürfte allerdings treffsicherer mit dem Begriff "gesteigerte Wiederkehr" umschrieben werden können.
Sucht man in den als "Kompendium der romantischen Schule" apostrophierten 'Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst', die August Wilhelm Schlegel in Berlin 1801 gehalten hat, nach der Einschätzung und systematischen Einordnung der Tanzkunst in die Kunstlehre der Romantik, so findet man eine zwiespältige Konstellation vor. Auf der einen Seite gehört die Tanzkunst durch ihre exzeptionelle Verbindung von Wort, Ton und Gebärde zur "Ur-Kunst", ist also somit zugleich durch ihr Bündnis mit Poesie und Musik "der Kern der sämtlichen Künste"; auf der anderen Seite ist die Tanzkunst genau durch diesen "unheilbaren Akt" der "untrennbaren" Anbindung an Poesie und Musik zu der Rolle einer "untergeordneten Kunst" verdammt. Denn, so die Argumentation Schlegels, die Tanzkunst hat "die Wortsprache nötig", genauso wie sie "nie der Musik entraten kann". Kurz: aus der Sicht August Wilhelm Schlegels ist die Tanzkunst als Einzelkunst nicht autonomiefähig, sodass sie trotz ihrer Ursprungsaura nicht zu den höchstfavorisierten Künsten um 1800 zählt.