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Selten findet man am Ausgangspunkt einer Handlung ein defizitäreres Ich, als dies bei Kaschnitz' "Aufzeichnungen" "Wohin denn ich" der Fall ist; und zwar sowohl mental als auch körperlich. Seit drei Jahren ist dieses Ich bemüht, einem geliebten Du in den Tod zu folgen, und führt ein dumpfes Schattendasein. Als der symbolische Herr "Welte oder Welter" eingreift, der das Ich für eine Schriftstellerin hält und diese auf Vortragsreisen schickt, muss erst das Terrain "Diesseits" erkämpft werden: Alles ist fremd, alles ist bedroht, am meisten das "Waisenhaus Erde". – Der vorliegende Beitrag soll zeigen, wie Kaschnitz in diesem Buch zuerst die Grenze zwischen Leben und Tod aufrichtet, um das eigene Ich im Ersteren einzufangen. Damit daraufhin auch das Du an diesem Reich teilhaben kann, wird eine Art "Zwischenraum" etabliert, schließlich aber die Welt zu "eine[m] Ort der Lebendigen und der Toten"(GW II: 489) erklärt, was die Grenze zwischen Leben und Tod wiederum aufhebt. Erst diese erweiterte Welt hat die Aussicht auf ein Weiterbestehen.
Marie Luise Kaschnitz is not considered to be an experimental author in the usual sense. Her respectful use of traditional forms has been praised, but also criticized, and it was only in her later works that she loosened her strong links with tradition. The beginning of this change is marked by the short story Am Circeo [At Cape Circeo], placed exactly in the centre of her 1960 volume of short stories entitled Long Shadows. The present article examines the experimental elements of this text, attempting to determine what conditioned
them and seeking to reveal their influence on later works.
Božena Němcová zählt neben Hus, Comenius, Mácha und Havlíček zu den am stärksten mythologisierten Gestalten der tschechischen Kultur (SCHAMSCHULA 1996) und ist darüber hinaus die einzige Frau unter ihnen. Während sie aber bis in die 1990er Jahre hinein als Lichtgestalt dieser Kultur, ja ihr ,Stern‘, galt, mehren sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Versuche, Němcová nüchtern zu sehen.
Als Dagmar KNÖPFEL 2004 auf der Grundlage der drei letzten Briefentwürfe Němcovás an Vojtěch Náprstek einen Film drehte, wurde sie als „feministisch voreingenommen“ kritisiert. Dabei könnte über diesen Film eine Diskussion eingeleitet werden, z. B. zu den Wurzeln der häuslichen Gewalt im 19. Jahrhundert. Somit könnte er zur Vernetzung von Kunst und Wissenschaft, von Bohemistik und Germanistik beitragen.
The poetic language of the Nobel Prize winner Nelly Sachs has already been examined from several points of view. Nelly Sachs has often been mentioned in connection with Klopstock and Hölderlin owing to her 'high tone' (cf. e.g. Paul Hoffmann's article 'On Nelly Sachs' Pathos' from 1994).
However, even earlier than the style which Hoffmann characterized as the "seed of the concise, hermetic late style with a more moderate pathos", literary techniques other than pathetic speech can be found in the work of Nelly Sachs. In the poems 'WE ARE SO sore', 'SOMEONE COMES', 'A PUNCH' behind a hedge, there is a laconic style, far removed from all hermeticism, which is able precisely to depict the impact of the Shoah on its survivors. This style seems to be cognate with Kaschnitz's late elliptical works, Celan's "greyer language", and Bachmann's laconic poems, all from the 1960s. It is this particular style that is examined in this article.
Heinrichová, Naděžda/ Dědičová, Helena et al. (Hgg.) (2015): Německá próza po roce 2000 [Deutsche Prosa nach dem Jahre 2000]. Červený Kostelec: Pavel Mervart, 166 S., ISBN 978-80-7465-183-0
Im April 2013 fand an der Universität Hradec Králové eine tschechisch-deutsche Autorentagung unter dem Motto Passagen - Literatur im Übergang statt, die sich der Literatur und dem literarischen Leben in der Tschechischen Republik und in Deutschland widmete und neben Autorenlesungen und Workshops zur Gegenwartsliteratur auch Podiumsdiskussionen über den tschechischen wie deutschen Literaturmarkt bot. Sie wurde zum Impuls für die vorliegende Publikation zur deutschen Prosa des 21. Jahrhunderts der Literaturwissenschaftlerin Naděžda Heinrichová, der Sprachwissenschaftlerin Helena Dědičová (die hier auch als Übersetzerin von Milena Oda figuriert) sowie der Studentinnen der Pädagogischen Fakultät der Universität Hradec Králové.
Das Totengedenken an die Opfer der Shoah zählt zweifellos zu den wichtigsten Inhalten von Paul Celans Dichtung. In formaler Hinsicht ist es vor allem ihr Gesprächs- bzw. Dialogcharakter, der insbesondere die neuere Celan-Forschung beschäftigte. Diese Monografie sucht beide Aspekte zu verknüpfen: Die Darstellung der Toten ist in Celans Werk nicht denkbar ohne die gleichzeitige Reflexion auf die Bedingungen ihrer poetischen Vermittlung. Das Totengedenken gelingt erst, wenn die in der Erinnerung des überlebenden Dichters anwesenden Toten einem "ansprechbaren Du" (Celan) kommuniziert werden. Doch sind die Toten mehr als nur Gesprächsinhalt; sie müssen vielmehr selbst als integrale Kommunikationsteilnehmer angesehen werden: »nicht sprachliche Wiedergabe, sondern Vergegenwärtigung durch Sprache«, wie Celan in seinen poetologischen Notizen bemerkt. Vor diesem Hintergrund wird ein trialogisches Kommunikationsmodell postuliert, das aus den drei intratextuellen Instanzen Dichter, Gesprächspartner, Toten besteht und das sich als strukturanalog zum Modell der Zeugenschaft erweist. Neben der systematischen Auffächerung des Kommunikationsmodells anhand Celans Meridian-Poetik und zahlreicher - gerade auch von der Forschung bislang vernachlässigter - Gedichte werden die poetischen Darstellungsweisen der Toten und der Shoah umfassend analysiert sowie ihr Ort innerhalb der Memoria-Forschung bestimmt. Darüber hinaus werden im Stigma-Diskurs und im Zwiespalt zwischen Totengedenken und Todessehnsucht auch kaum erforschte Aspekte von Celans Spätwerk in den Blick genommen.
[Karr, Ruven: Die Toten im Gespräch : trialogische Strukturen in der Dichtung Paul Celans / Ruven Karr. - 1. Aufl. - Hannover : Wehrhahn, 2015. - 274 S. - Zugl.: Saarbrücken, Univ., Diss., 2014.
ISBN 978-3-86525-430-6]
Rezension zu Karr, Ruven (Hg.) (2015): Celan und der Holocaust. Neue Beiträge zur Forschung. Hannover: Wehrhahn, 190 S., ISBN 978-3-86525-431-3
Am 9. November 2013, zum 75. Jahrestag der sog. Reichskristallnacht, fand an der Universität des Saarlandes das Symposium Paul Celan und der Holocaust statt, das im Untertitel versprach, 'Neue Perspektiven' auf Leben, Werk wie Wirkung dieses bedeutsamen Dichters zu eröffnen. Insgesamt neun Beiträge versammelt der Band, der im Anschluss an die Tagung entstanden ist, darunter Artikel von so ausgewiesenen Celan-Forschern wie Barbara Wiedemann, Lydia Koelle oder Paul Sars. Alle neun verbindet dabei das Ziel, Celan einer wiederholten literaturwissenschaftlichen Lektüre zu unterziehen, und Holocaust, Erinnerung und Zeugenschaft in seinem Werk neu bzw. komplexer einzuordnen. Auch zeitgeschichtliche und biographische Gesichtspunkte der 1950er und 1960er Jahre sollten berücksichtigt werden. Nicht zuletzt verdienten einige Aspekte der Aufnahme und kreativen Umwandlung von Celans Holocaust-Dichtung die Aufmerksamkeit der Forscher.