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Die Versammlungsfreiheit war ein gesuchtes Gut, das erst einmal zu begründen und im Blick auf mögliche Beschränkungen zu untersuchen war. Die Performativität einer Versammlung – das Beieinandersein freier Individuen zu einem Zweck, der sich nicht oder nicht immer einer reglementierenden Norm verdankte – erscheint heute als Teil jener Ethik der Kohabitation, die aus der Kantischen Notwendigkeit der Koordination der Freiheitsräume als Aneinanderstoßen von Willkürgrenzen kommt und im Blick auf Gefährdungsszenarien aktualisiert ist. Doch Aktualisierungen bedürfen der Grundlage, wollen sie nicht geschichtsvergessen sein (niedergelegt in der Geschichte finden wir die Praktiken, die für die damaligen Akteure Sinn verbürgten).
Das Politische schreiben : sprachliche Symbolisierung und staatliches Ordnungsdenken im Vormärz
(2016)
Was ist ein Ordnungsproblem? Diese große Frage ist verkleinerbar in die Regionen von Sprachbenutzung und individueller Verursachung, kurz: die Perspektive des einzelnen Falls. Dies ist die Vorbemerkung zu einem Text, in dem es um den Zusammenhang von Ordnungsdiskurs (auch in seiner rechtsphilosophischen Tönung), sprachlicher Symbolisierung, d. h. eine durch sprachliche Zeichen erreichte Distanzqualität und die spezifische Form dieser Verbindung im Vormärz gehen soll.
Hobbes' Leviathan: Die sprachlich-politische Initiation der Leidenschaftsnatur des Menschen
Ordnung war stets, in den Diskursen der Gesellschaft, bezogen auf ihr Antonym. Ordnung war das zu Sichernde, auf konkreter historischer Ebene und das Gesicht dieser Bemühungen war ein Bewusstsein der Unordnung, das u.a. auf den prägenden Blick des 17. Jahrhunderts zurückgeht, als die konfessionellen Bürgerkriege den Zustand des Friedens als fernes Bild erscheinen ließen, dem die natürliche Ausstattung des Menschen entgegengesetzt war: Einige der Triebe und Abneigungen sind dem Menschen angeboren, wie der Nahrungstrieb, der Trieb zur Ausscheidung und Entleerung, die man auch, und zwar genauer, Abneigung gegen etwas, das man im Körper fühlt, nennen könnte. Dazu kommen noch einige - nicht viele - andere Triebe. Der Rest, der aus Verlangen nach einzelnen Dingen besteht, ging aus der Erfahrung und aus der Erprobung ihrer Wirkungen auf einen selbst oder auf andere Menschen hervor. Denn nach Dingen, die wir überhaupt nicht kennen oder an deren Existenz wir nicht glauben, können wir kein Verlangen haben, das weiter geht, als sie zu versuchen und zu erproben.
Vorwort
(2018)
Das Reichsgesetz, betreffend die Grundrechte hat aus der Kritik an der französischen Menschenrechtserklärung gelernt, dass es Menschenrechte weder ohne System der Rechte und Pflichten des Bürgers noch ohne Verankerung in der einschlägigen Organisation der Staatsorgane geben kann, die gleichzeitig die Freiheit und die Einheit des Volkes sichern. Außerdem sieht die den Reichsgesetzen zugrunde liegende Auffassung keine Grundrechte ohne Verankerung im zu schützenden geistigen Leben des Volkes vor. Unter dem Einfluss der Rechts- und Staatsphilosophie J. G. Fichtes und Hegels wurden im Vormärz rechtsphilosophische Theorien entwickelt, die individuelle Menschenrechte nicht abstrakt, sondern nur in einem "System des Rechts" aufeinander bezogener Komponenten gelten lassen, das den Menschen grundsätzlich als gesellschaftliches Wesen betrachtet und dem eine organische und geistige Auffassung der Gesellschaft zugrunde liegt.
Das Wachsein ist kein Privileg, sondern ein besonderes Ergebnis förderlicher Umstände. Wir können die Figurationen solcher Privilegien, d. h. auch die Umstände, auf denen sie beruhen, nicht verlassen, ohne dass Elemente starker Dysfunktion den Frieden dieser Anordnung einmal gestört hätten. Im 19. Jahrhundert sind die Sinne nicht nur bezogen auf das, was sie wahrnehmen, sondern tangieren jenseits der Inhaltsschübe die Strukturen und Selbstverhältnisse derjenigen, die zu diesem Zeitpunkt das symbolische Medium der Sprache verwenden. Im Vormärz störte eine Krise des Autoritarismus die unbefangene Herrschaft; Metternich et al. wurden zu Chiffren dessen, was eine staatliche Ordnung nicht mehr reibungslos beförderte, sondern im Zuge revolutionierender Prozesse Fragen aufwarf: Nach Geltung, der Verlässlichkeit der eigenen Wahrnehmung, die bislang meist von autoritären Strukturen geleitet worden war, nach möglichen Eigenanteilen an dem, was die politische Struktur bisher hergegeben hatte. Strukturwandel trat als Wahrnehmungswandel in die Geschichte ein. Die Sinne und allgemein die Wahrnehmungsfähigkeit werden im Vormärz im Gesehenen herausgefordert. Wahrnehmung ist eine 'contested area', ein umkämpftes Gebiet, in dem sich alte und neue Wahrnehmungsformen überlagern und kreuzen. Gezeigt werden soll, dass Wahrnehmung, mit Erwin Straus, ästhesiologisch aufzufassen ist, d. h. dass im alltäglichen Vollzug des sinnlichen Erlebens unser Interesse beim Gegenstand, der Welt, dem Anderen ist, nicht nur beim bestätigenden Sehen des Gesehenen, sondern dem Gesehenen als Quelle möglicher Änderung. Es gibt immer die Möglichkeit der Bewegung, die Möglichkeit, sich zum Wahrgenommenen zu verhalten. In diesem Sinne sind die Bewegung und Bewegtheit des Vormärz ein politisches Phänomen: aus den sensuellen Erfahrungen folgt etwas. Die bewegte und bewegende Beziehung zum Wahrgenommenen begründet im Vormärz einen Anspruch auf Partizipation, der einem Wachwerden der Sinne gleichkommt.
Wahrnehmung wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestimmt als "Organ unseres ursprünglichen Welt-Erlebens." Das ursprüngliche Welterleben war das des Flaneurs, der mit allen Sinnen Umwelt wahrnimmt, um sich zu situieren und aus dieser Verortung Sicherheit und Anderssein zu gewinnen; die Verortung war aber auch über die Individualebene hinaus von politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Bedeutung. Man greift nicht zu hoch, wenn der Vormärz als Zeitspanne betrachtet wird, in der eine vollere Realität in sehr spezifischer Weise greifbar wurde. Die Vielschichtigkeit der Vormärz-Welt war dabei eine konstanter Innovation, die eine Initiierung jener Selbstbilder bedeutete, die über das Wahrnehmen bestätigt wurden, das selbst ein anderes geworden war. Nicht mehr informierte Wahrnehmung über die tautologisch so genannten sozialen Tatsachen; sie schuf diese vielmehr um und damit neu - das Organ des Welterlebens wirkte hier auf die Welt ein und musste Erlebnisse nicht mehr erleiden. Die Erfahrung der Welt-Erlebnisse bestand auch darin, die Sinne als sinnenöffnend zu sehen, indem die theoretische Vorrangstellung des Informationsaspekts der Wahrnehmung zurücktrat und Indices von Engagement, Eingreifen und Emanzipation deutlich werden konnten. Dies bedeutete, eine Form des "Wirklichkeitskontakts" zu suchen, die bisher nicht bestanden hatte. War der Kontakt vorher so geschehen, dass die Sinne eine bestätigende Funktion den sozialen und politischen Valeurs gegenüber einnahmen, die bezogen auf Emanzipationsprozesse und deren Möglichkeit einer Schließung gleichkam, öffnete nun die Veränderung der Wahrnehmung neue Formen des Wirklichkeitskontakts. In diesem Kontakt war vor allem entscheidend, dass nun die Bedingungen der Wahrnehmung ersichtlich wurden, sich als veränderbar auswiesen und nicht mehr im umfassenden Konstrukt "Wahrnehmung" aufgingen.