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"Die erste deutschsprachige Monolognovelle war zunachst vor allem ein Medienereignis im Zeitalter beginnender Massenkommunikation. Während, so Arthur Schnitzler rückblickend, die Lesung von "Lieutenant Gustl" Ende November 1900 in der Literarischen Vereinigung in Breslau unaufgeregt zur Kenntnis genommen worden war, wirkte ihr Druck am 25. Dezember in der Weihnachtsbeilage der "Neuen Freien Presse" explosiv. Ein Grund liegt in der besonderen Rolle, die die "Neue Freie Presse" in der Öffentlichkeit spielte. Ihr Feuilleton wie auch die Beilagen zu den hohen Festtagen waren ein Schauplatz öffentlicher Aufmerksamkeit. [...] Es waren [...] maßgeblich das besondere Datum und der exponierte Ort der bedeutendsten Zeitung der Monarchie, die dem "Lieutenant Gustl" zu einer Prominenz verhalfen, von der aus alles Weitere seinen Ausgang nahm."
In der "Allgemeinen Kunst Chronik" (Wien) findet sich in der 24. Nummer (zweites Novemberheft, S. 661f.) des Jahrgangs 1891 eine Buchbesprechung Hugo von Hofmannsthals, die er in der Folge nicht wieder erwähnt hat (etwa brieflich oder in einer der Titellisten für eine Ausgabe). Dadurch ist sie der Aufmerksamkeit der Forschung bislang entgangen und weder bibliographisch erfaßt noch jemals wieder gedruckt worden. Es handelt sich um eine Besprechung von Ola Hanssons Aufsatzsammlung "Das junge Skandinavien". Hofmannsthal hatte im Sommer desselben Jahres in der "Kunst Chronik" bereits seinen Bericht über "Die Mozart-Zentenarfeier in Salzburg" veröffentlicht. Alle weiteren Aufsätze aus dem Jahr 1891, soweit wir von ihnen wissen, sind in der "Modernen Rundschau" erschienen.
In den Geisteswissenschaften hat neben Walter Burkert mit seinem Buch über den homo necans (1972) der in den USA lehrende Franzose René Girard einige der interessantesten Hypothesen zur Frage nach dem Entstehen und Funktionieren von Gewalt aufgestellt. Sie erweisen sich gerade für einen kulturanalytischen Blick auf literarische Texte als höchst fruchtbar. Girard ist, wie Burkert, schon seit über dreißig Jahren den Mechanismen von Gewalt auf der Spur, maßgeblich in seinem Buch „La violence et le sacré“ von 1972 (dt. „Das Heilige und die Gewalt“ 1987). Und bis heute sind für Girard weder die modernen philosophisch-politischen Theorien der Gewalt (mit dem Tenor: der Mensch ist im Wesentlichen gut, erst seine Unterdrückung lässt ihn gewalttätig werden) noch die psychologisch-biologischen Theorien eines mit Todestrieb oder womöglich Aggressivitätsgenen ausgestatteten Menschen überzeugend. Er selbst geht von der zunächst scheinbar einfachen Annahme aus, dass Gewalt ein soziales Phänomen ist, das in der Interaktion von Menschen entsteht. Wie das genauer begründet wird und was ein literarischer Text zu diesem Befund beitragen bzw. was dieser Befund für das Verständnis von literarischen Texten leisten kann, möchte ich am Beispiel von Franz Grillparzers „Die Jüdin von Toledo“ zeigen.
Die Inszenierung von "Geschlecht" im Zeichen der Melancholie : zu Hofmannsthals "Rosenkavalier"
(2007)
Der Großteil dessen, was hier zitiert und kurz kommentiert werden soll, stammt aus Briefen, die Hofmannsthal Anfang der neunziger Jahre an Josephine von Wertheimstein schrieb. [...] Unmittelbar nach dem Tod der alten Frau hatte Hofmannsthal die Terzinen "Über Vergänglichkeit" geschrieben. Die Marschallin wird gut fünfzehn Jahre später im 1. Aufzug des "Rosenkavaliers" dem Transitorischen ihre Existenz mit derselben staunenden und tief melancholischen Frage begegnen, mit der Josephine von Wertheimstein auf ihr Leben zurückblickte. [...] Ebensowenig wie es mir um die Behauptung eines direkten Leben-Werk-Zusammenhangs geht, führt auch die Suche nach einer impliziten oder expliziten sexistischen Position in Hofmannsthals Werk [...] weiter. Mich beshäftigt vielmehr der Spiel-Raum der Imagination, wie er in der Inszenierung von Geschlecht in Texten aufscheint - ein Spektrum, das im Falle Hofmannsthals erstaunlich breit und bunt ist, auch wo seine Ideologie, wie am Ende des "Rosenkavaliers", traditionelle Ordnungsmodelle und Geschlechtsrollen affirmiert. Gerade die Beziehungsvielfalt in seinen Texten kann als ein grenzdurchkreuzendes Manöver gelesen werden, das "gender" als Konstruktion eines ritualisierten und restriktiven Ordnungsmodells erst eigentlich sichtbar macht.
Um das Ende eines Denkmals geht es in Joseph Roths Erzählung "Die Büste des Kaisers". In ihr ist das Denkmal Zeichen und Sinnbild für einen allgemeinen Mythos, hinter dem jedoch ein zweiter, ein "persönlicher Mythos" des Autors Joseph Roth erkennbar wird. Diesem Doppelaspekt einer verborgenen autobiographischen Rede, eines "verschwiegenen Ich" hinter der manifesten Schicht der erzählten Geschichte gilt die folgende Deutung.
Der folgende Beitrag will anhand der exemplarischen Lektüre zweier Aufsätze zeigen, was Lou Andreas-Salomés beschäftigte, wie und in welche Diskussionen sie sich einmischte und warum die Rezeption ihrer Texte schwierig ist; er will aber auch die Richtung andeuten, in der sich Fragen und Auseinandersetzungen Lou Andreas-Salomés bis in die Gegenwart fortgeschrieben haben. Am Beispiel der beiden beinahe zeitgleichen, thematisch so verschiedenen Texte "Grundformen der Kunst" (1898) und "Der Mensch als Weib" (1899) soll im folgenden Lou Andreas-Salomés Stimme, wie sie in der Polyphonie der Jahrhundertwende erklang, wieder zu Gehör gebracht werden. Daß die Aufsätze trotz ihres thematischen Unterschieds in denselben lebensbejahenden Versuch nach anthropologischer Selbstbestimmung münden, macht sie zu exemplarischen Texten für ihr Werk insgesamt.
"Übersetzt", "eingeleitet", "herausgegeben von Marie Herzfeld" - so oder ähnlich steht es auf zahlreichen Titelblättern der Jahrhundertwende. Was sich dahinter verbirgt, ist eine kleine Bibliothek literarischer und kulturhistorischer Texte aus verschiedenen Sprachen, welche die Schriftstellerin Marie Herzfeld (1855-1940) einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat; vornehmlich skandinavische Literatur und Texte der italienischen Renaissance. Wenn der Name Jacob Burckhardts für eine "große Erzählung" der Renaissance steht, so betreibt Herzfeld mit ihren "Quellentexten zur Geschichte der italienischen Kultur", zwischen 1910 und 1927 im Eugen Diederichs Verlag erschienen, eine Art kleine kulturgeschichtliche Archäologie. Sie präsentiert frühneuzeitliche Originale und bietet den Lesern einen unverstellten Blick auf deren Fremdheit; andererseits gibt sie Verständnishilfen, holt das Vergangene gleichsam zoomartig heran und "verlebendigt" es durch ihren Kommentar. Ihr Focus ist ein kulturwissenschaftlicher - auch im heutigen Sprachgebrauch. Die Spurensicherung dieser Imellektuellen ohne akademische Ausbildung im engeren Sinn und ohne institutionellen Status wirft die Frage auf, wie kulturwissenschaftliche Gegenstände von Positionen der Randständigkeit entstehen können. So gefragt, ist es weder naiv noch vermessen, Marie Herzfeld für die Anfänge der Kulturwissenschaften in den Dienst zu nehmen. Allerdings bleibt das Problem, mit einem Begriff hantieren zu müssen, der nicht nur unscharf ist, sondern auch oder gerade deswegen gegenwärtig beinahe inflationär gebraucht wird – ein Schicksal, das er mit dem der "Cultur" im "fin de siècle" teilt.
"Vor einem Bild", so Arthur Schopenhauer, "hat Jeder sich hinzustellen, wie vor einem Fürsten, abwartend, ob und was es zu ihm sprechen werde; und, wie jenen, auch dieses nicht selbst anzureden: denn da würde er nur sich selbst vernehmen." Es ist, als hätte Günter Eich eben diese Aufforderung ernst genommen und in ein subversives Sprachspiel verwandelt. Sein Gedicht "Munch, Konsul Sandberg" aus dem Jahre 1963 erweist sich dabei als ebenso bemerkenswerter wie eigenwilliger Beitrag zum Thema "Text und Bild". [...]Wenn Günter Eichs Gedicht aus dem Band "Zu den Akten" von 1964 etwas aus dem Bild übemimmt, was gleichsam ins Auge springt, so ist es jene genannte Ambiguität zwischen Präsenz und Entzug, zwischen Flächigkeit und Plastizität der Gestalt, die der Text nun seinerseits, in einer Art "overkill" gleichsam, radikalisiert. Eich besingt nicht das Bild, er kokettiert nicht mit der Tradition des Bildgedichtes, er treibt und hintertreibt vielmehr die Erwartung des Lesers durch die Konstruktion eines provozierenden Sprechers. Einer solchen Konstruktion scheinen Fragen vorausgegangen zu sein, wie: Kann ein Text etwas von der Spannung und Energie, die das Gemälde ausstrahlt, "übersetzen"? Läßt sich etwas von der (Nach-)Wirkung dieses Bildes fassen, ohne in gängige Register zu verfallen, mit denen Bilder in der Regel kommuniziert werden? Kann, mit anderen Worten, das Verhältnis von Text und Bild anders artikuliert werden als im Modus der Beschreibung, eines Narrativs oder einer hermeneutischen Belehrung - Modi allesamt der Bemächtigung, der Rivalität oder der Unterwerfung?
Die hermeneutische Grundfrage "Wer spricht?", darüber ist sich die Literaturwissenschaft heute weitgehend einig, sollte mit einer Operation beantwortet werden, welche das Subjekt einer Äußerung und das grammatikalische Subjekt der Aussage trennt. Dennoch, so behauptete jedenfalls Roland Barthes, sei die Vorstellung von Literatur noch immer "auf tyrannische Weise im Autor zentriert [...], in seiner Person, seiner Geschichte, seinem Geschmack, seinen Leidenschaften". Widerstand gegen eine solche Tyrannei formierte sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts, auf dem Höhepunkt des Künstlerbiographismus. Es sei bisher übersehen worden, schrieb Margarete Susman in ihrem Buch über "Das Wesen der modernen deutschen Lyrik" (1910), daß das "lyrische Ich [...] kein Ich im real empirischen Sinne, sondern daß es "Ausdruck", daß es "Form" eines Ich" sei. Dieser Satz, der die Selbständigkeit des Textes gegenüber dem Autor behauptet, war in der ästhetischen Theorie nirgends vorher mit dieser Entschiedenheit ausgesprochen worden. Mit dem von Susman kreierten Begriff des "lyrischen Ich" operierte fortan die Zunft. Was ihn provoziert hat, ist eine historische Frage, die allerdings ihrerseits nicht ohne Lebensgeschichte auskommt.
Die hier wiedergegebenen Auszüge aus Andrians Tagebüchern stützen sich zum größten Teil auf Exzerpte, die von meiner ersten Beschäftigung mit Andrian herrühren. Mein Hauptinteresse galt damals der Frühphase [...] Dem Anliegen der "Hofmannsthal-Blätter" entsprechend steht bei den folgenden, bis auf wenige Passagen bisher unveröffentlichten Tagebuchauszügen der "Blick" Andrians auf Hofmannsthal im Mittelpunkt. Es werden also vornehmlich die Passagen geboten, in denen Hofmannsthal direkt erwähnt wird. An einzelnen Stellen, wo es mir aufschlussreich erschien zu zeigen, wie Andrian andere gemeinsame Freunde einschätzte oder wo er gemeinsame Erfahrungen wiedergab, wurde Seitenblicken stattgegeben. [Ebenfalls aufgenommen wurden:] Exzerpte aus einem Notizbuch zu Vorlesungen der Philosophen Jerusalem und Eckstein zur Erkenntnistheorie und zu Kant [...] Den Abschluß bilden Andrians Notizen aus dem Jahre 1948 zu seinem Aufsatz über Hofmannsthal für Helmut A. Fiechtners Sammelband, in denen der Freund den Freund nur wenige Jahre vor seinem Tod rückblickend und nachdenkend noch einmal "entwirft".
Seit der zweiten Hälte des 19. Jahrhunderts taucht das literarische Motiv des Gartens in der deutschen, aber auch in der englischen und französischen Literatur besonders häufig auf. In verschiedenen literaturwissenschaftlichen Untersuchungen hat man dieses Phänomen zu deuten versucht, eine Rückbesinnung auf das Mythenreservoir der Tradition in Zeiten verunsicherter Individualität erkannt, aber auch die Formen der Umwandlung und die synkretistische Verwendung des Gartenmotivs beobachtet. Christliche Mythenelemente [...] vermischen sich mit antiken Topoi [...] oder Märchenmotiven [...]. Unabhängig davon, ob die Gartenlandschaft in realistischer Detailtreue oder in visionärer Traumatmosphäre geschildert wird, kann man zudem zum Jahrhundertende hin eine zunehmende Stilisierung des Gartens als Seelenschauplatz erkennen - bei aller Vielfalt der Varianten und motivgeschichtlichen Vorbilder. Auffallend häufig findet sich in der Literatur der Jahrhundertwende das Bild des Gartens als eines (vermeintlichen) Schutzraumes zwischen fremder, "wilder" Natur und gesellschaftlich-zivilisatorischer Gegenwart, in dem das Subjekt sich mit "Erkenntnis", "Begehren" und "Verschuldung", Grundfragen seiner Existenz, auseinandersetzen muß. [...] Diesen Problemhorizont möchte ich am Beispiel von drei Prosatexten aus der deutschen Literatur der Jahrhundertwende bedenken: Ferdinand von Saars "Schloß Kostenitz" (1893), Hugo von Hofmannsthals "Märchen der 672. Nacht" (1895) und Heinrich Manns "Das Wunderbare" (1896). Die Texte sind fast gleichzeitig entstanden, müssen aber stilgeschichtlich unterschiedlichen Richtungen - Spätrealismus, Symbolismus / Jugendstil - zugeordnet werden. Allen drei Texten ist als signifikantes Merkmal der Schauplatz des Gartens gemeinsam, in allen drei Texten geht es - offensichtlich oder verdeckt - um "Gartenfrevel" und "Gartenlust".
Die Frage nach dem Zusammenspiel von Dingen und Zeichen beherrscht Strindbergs Prosastücke, Artikel und Abhandlungen. Sein geradezu manisches Unterfangen zu vernetzen, was die Semiotik in natürliche, ikonische und symbolische Zeichen unterschieden hat, stößt nicht selten vor in weltbewegende und kosmische Dimensionen, entzündet sich aber in der Regel an einem konkreten Gegenstand. Was er schreibt, sieht wie wissenschaftliche Fallstudien aus, aber Strindbergs unruhiges Fragen überwältigt oft Strindbergs Beobachtungen. Ein Beispiel dafür ist die kleine Anhandlung "Der Totenkopfschwärmer. Versuch in rationalem Mystizismus" von 1896. Darin beschäftigt er sich mit einer Erklärungsaufgabe, mit der Frage, wie das Abbild eines Totenkopfes auf den Körper eines Schmetterlings gekommen ist.
Trotz einiger vorliegender Arbeiten zu Hofmannsthals Kunstrezeption ist die Frage nach der spezifischen Art seiner Wahrnehmung von "Bildern" und deren Bedeutung für sein Werk noch weitgehend unbeantwortet. Hier setzen die folgenden Überlungungen ein. Hoffmannsthals Interesse an bildender Kunst zeigt sich schon zu Beginn seines literarischen Schaffens: in seinem Prosagedicht "Bilder" von 1891, den Ausstellungsbesprechungen und Rezensionen [...]; später dann in seinen Einleitungen zu Mappenwerken wie Ludwig von Hofmanns "Tänzen" (1905) oder den Handzeichnungen aus der Sammlung seines Rodauner Nachbarn Benno Geiger (1920). Auch in seine Versen zu "lebenden Bildern", in den lyrischen Dramen und den Libretti, sogar in einzelnen Gedichten ist eine besondere "ikonographische" Komponente erkennbar; sie gilt im besonderen Maße für die Balette, etwa den "Triumph der Zeit", was bislang noch kaum gesehen wurde. Schließlich spiegelt sich das vitale Interesse an Kunst in den Reiseaufsätzen, in Vorträgen, Briefen und Notizen. In vielen seiner persönlichen Beziehungen (von den deutschen Zeitgenossen insbesondere zu Harry Graf Kessler, Eberhard von Bodenhausen, Alfred Walter Heymel, Julius Meier-Graefe) ist die bildende Kunst ein wichtiges kommunikativ-verbindendes Element.
"Die folgenden Überlegungen zum "Andreas" sind von Hofmannsthals Diktum ausgelöst, "dass auf einem gesunden Selbstgefühl (...) das ganze Dasein ruht." [...] Denn im Dilemma der unbewältigten Identität einer höchst fragilen literarischen Gestalt auf intensiver Suche nach dem Selbst scheint mir die Problemzone des Romanvorhabens zu liegen."
"Im 100. Kabitel des Romans "Der Mann ohne Eigenschaften", das den resoluten Titel trägt "General Stumm dringt in die Staatsbibliothek ein und sammelt Erfahrungen über Bibliothekare, Bibliotheksdiener und geistige Ordnung" [...], kommt es zu der Begegnung zwischen einem Bibliothekar, einem Bibliotheksdiener und General Stumm von Bordwehr in der Wiener Hofbibliothek. Der geistige Gewinn, den der ranghohe k.u.k.-Offizier daraus zieht, ist nicht unerheblich. Es seien der näheren Schilderung dieses denkwürdigen Bibliotheksbesuches, der im Mittelpunkt meiner Betrachtungen stehen soll, zunächst einige Bemerkungen zur Stellung des Kapitels im Roman und zur Person des Generals vorausgeschickt. [...]"
"Das Leiden definieren" : Spiel-Räume und Sprach-Spiele in Ilse Aichingers "Die größere Hoffnung"
(2003)
Zehn Jahre nach dem Novemberpogrom, der sogenannten "Reichskristallnacht", drei Jahre nach Kriegsende, erschien mit Ilse Aichingers erstem und einzigen Roman "Die größere Hoffnung" eine der frühesten literarischen Auseinandersetzungen mit dieser schwärzesten Epoche deutsch-österreichischer Geschichte. Aichingers Roman erschien im Verlag Bermann-Fischers, der damals gerade nach Wien zurückgekehrt war, im Impressum aber noch Amsterdam angab. Der Roman ist einer der wichtigsten Gründungstexte für jenes inzwischen umfangreiche internationale Korpus der sogenannten 'Holocaust-Literatur', die sich mit der grundsätzlichen und vieldiskutierten Frage auseinanderzusetzen hatte, welche Formen der Darstellung und des Gedächtnisses gegenüber dem nationalsozialistischen Terror überhaupt literarisch angemessen sein könnten.
In seinem bemerkenswert frühen Versuch, die Wissenschaft zu beobachten, nennt Ernst Mach zwei starke Argumente für die neuen optischen Medien, insbesondere die Photographie: Sie bringen 1. neue Schaueffekte in die Welt, optimieren somit Unterhaltung; 2. liefern sie neues Material für die Wissenschaftler. Die Photographie schafft das, indem sie Unsichtbares sichtbar macht, zeigt, was sich "der natürlichen Anschauung" entzieht.
Biographisch gehört Hofmannsthal zu jenen Autoren [...] der Jahrhundertwende, für die bildende Kunst selbstverständlicher Teil ihrer Umwelt und Erziehung war. [...] Hofmannsthal sucht, könnte man verallgemeinernd sagen, ästhetische Erfahrung nicht an die Wissensdiskurse seiner Zeit anzuschließen, sondern sie für eine Kommunikation über sinnliches Erleben fruchtbar zu machen. Es geht ihm nicht um eine Opsis, die neue Dinge sehen will, wie in den Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts, sondern um ein Schauen, das Dinge neu sieht. Die bildende Kunst ist für Hofmannsthal das Medium, in dem er, mehr noch als im eigenen der Literatur, Bedingungen der Kreativität, der kulturellen Transformation mentaler Bilder und der Semiose bedenkt. Sie ist ein Lebensthema Hofmannsthals, das Freundschaften und Beziehungen, etwa zu dem Maler und späteren Schwager Hans Schlesinger, zu Richard Beer-Hofmann und Hermann Bahr, später zu Sammlern wie Harry Graf Kessler, Eberhard von Bodenhausen, Alfred Walter Heymel, Julius Meier-Graefe oder eben zu Ludwig von Hofmann, prägt.
In "Marsyas - Zeitschrift und Pathosformel des Expressionismus" wird auf ein spätexpressionistisches Zeitschriftenprojekt Theodor Taggers (i.e.Ferdinand Bruckner) eingegangen. Die zweimonatlich erscheinende „Marsyas“ ist ein kurzlebiger (1917-1919) Versuch, kulturpolitisch zu wirken und „eine anlagebereite Klientel für bibliophile Projekte zu gewinnen.“ Den Ausführungen zu Tagger und der Rezeption seiner Zeitschrift folgen ausgewählte Tagebucheinträge Theodor Taggers.
"Das schöne Gedicht auf den Vogel ..." : Anmerkungen zu Hofmannsthals Rezeption Walt Whitmans
(1986)
Die Bedeutung des amerikanischen Dichters Walt Whitman (1819-1892) für Hugo von Hofmannsthal im einzelnen ausmachen zu wollen, ist nicht einfach und kann auch nicht Ziel dieser Ausführungen sein. Vielmehr soll es darum gehen, Spuren zu verfolgen, die einer solchen Untersuchung dienlich sein können. Dem kurzen Überblick über die Rezeption Whitmans im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert folgen eine genauere Untersuchung des Briefwechsels zwischen Hofmannsthal und Ottonie von Degenfeld, welcher gegenüber Hofmannsthal Whitmans Gedicht "Out of the Cradle Endlessly Rocking" wohl als das "schöne Gedicht auf den Vogel, der um seine Frau klagt" erwähnte, sowie der vollständige Abdruck des Gedichtes und dessen deutsche Übersetzung von Johannes Schlaf.