Literatur zum Theater
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Ein selbstverwaltetes Kulturzentrum in Neapel wird von der Stadtgesellschaft zum Gemeingut erklärt. In einem leerstehenden Einkaufszentrum am Rande von Kopenhagen erforscht das Publikum eines kleinen Festivals die Bedingungen öffentlichen Lebens. Gegen die machtvolle Allianz von Kirche und Staat übt das Ensemble eines Warschauer Theaters Herrschaftskritik am eigenen Betrieb … Die sechs Theaterorte, die in "farsi comune" besucht und mit Texten der politischen und ästhetischen Theorie in einen Austausch gebracht werden, sind Schauplätze informeller Gemeinschaftsbildung und Werkstätten kritischer Zeitgenossenschaft. Zusammen betrachtet werfen sie Fragen auf, die von Europa aus die Gegenwart zu denken geben: Wie kann auf einem beschädigten Planeten gemeinsames Leben stattfinden? Wie lässt sich Pluralität in postnationalen Gesellschaften organisieren? Welche Gestaltungsmöglichkeiten bleiben in einer von Technik und Kapital strukturierten Welt? Dabei zeigt sich Theater als singulär-pluraler Ort, der eine widerständige Zeit des Kommunen entfaltet.
KEIN SCHLUSSSTRICH! Bundesweites dezentrales Theaterprojekt zum NSU-Komplex : Die Nachbetrachtung
(2022)
An der erfolgreichen Inszenierung "Verrücktes Blut" des Kreuzberger Theaters 'Ballhaus Naunynstraße' interessiert in diesem Beitrag vor allem die Bühnensprache und die Diskrepanz zwischen der Intention der Künstler und der Rezeption der Inszenierung durch das Berliner Publikum. Die Frage nach der Rolle der Ironie in der Bühnensprache des Ballhauses führt zur Antwort auf die Frage nach den Gründen für den Erfolg dieser Inszenierung.
Wohl keine andere Zusammenarbeit zwischen einem Theaterpraktiker und einem Bühnenautor ist im deutschsprachigen Theater des 20. Jahrhunderts ähnlich kontinuierlich und fruchtbar verlaufen wie die zwischen Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal. So eng verbunden ist ihr gemeinsames Wirken gewesen, dass sich kaum sagen lässt, ob Reinhardt die Theaterstücke und Stückbearbeitungen Hofmannsthals auf die Bühne gebracht hat oder ob besser, wie Wolfgang Nehring mit Blick auf "Elektra" und "Ödipus" formuliert, von "Hofmannsthals 'Erneuerung der Antike' für das Theater Max Reinhardts" die Rede sein sollte. Ihren Kulminationspunkt findet die Kooperation zweifellos in der Begründung der Salzburger Festspiele, an der Reinhardt und Hofmannsthal führend beteiligt waren. Wie weitreichend ihre Kooperation konzeptionell gewesen ist, ja wie sehr ihr Zusammenwirken als ein von einem gemeinsamen Leitgedanken durchdrungenes Projekt gesehen werden muss, das sich in seinen Wandlungen über die verschiedenen Werkphasen hinweg durchhält und fortentwickelt, wird vollends indes erst sichtbar, wenn man es in den Epochenzusammenhang einrückt, von dem Hofmannsthals und Reinhardts Projekt nicht nur bestimmt wurde, dessen Rahmen sie im Zuge ihrer Zusammenarbeit vielmehr wesentlich erst aufgespannt haben: denjenigen der Theatermoderne.
Wohl keine andere Zusammenarbeit eines Theaterpraktikers mit einem Bühnenautor ist im deutschsprachigen Theater des 20. Jahrhunderts ähnlich kontinuierlich und fruchtbar verlaufen wie diejenige Max Reinhardts mit Hugo von Hofmannsthal. Wenn man die Geschichte von Hofmannsthals Beziehung zu Berlin überblickt, dann lässt sich leicht erkennen, dass der Erste Weltkrieg darin eine Zäsur markiert. Bis 1916 war die deutsche Reichshauptstadt für den Wiener Autor der wichtigste Publikations- und Aufführungsort und zugleich ein intellektueller Fixpunkt. In Berlin wurde er bekanntlich erst zum Bühnenautor. Fast alle Uraufführungen jener Zeit fanden dort statt, auch weil er Anfang des Jahrhunderts mit Max Reinhardt am Deutschen Theater seinen, den 'wirklichen' Regisseur gefunden hatte. In der "BZ am Mittag" ließ er sich am 18. Januar 1905 in Berlin mit der Aussage zitieren, er kenne keine Stadt, "in der das Theater eine so vollendete Pflege genösse"; die darstellerischen Leistungen dort befänden sich "auf unerreichter Höhe" und das Publikum zeige ein "ebenso feinsinniges wie erstaunlich vielseitiges Verständnis".
Die Dramen Anton Tschechows werden heute auf allen Bühnen der Welt aufgeführt. Tschechows Präsenz stellt nicht nur alle anderen russischen Dramatiker in den Schatten, er übertrifft an Einfluss und Wirkung viele westliche Dramatiker, die noch vor wenigen Jahrzehnten unsere Bühnen beherrschten. Nicht nur im deutschen, englischen, französischen, tschechischen oder polnischen Theater haben die Dramen sich durchgesetzt, auch außerhalb Europas, z.B. in China und Japan, lassen sich 'Die Möwe', 'Onkel Wanya', 'Drei Schwestern' und 'Der Kirschgarten' nicht mehr aus dem Repertoire fortdenken. Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben mehrere Generationen von Regisseuren versucht, sich die Ausdruckssprache dieser Dramen anzueignen, und ein großes Spektrum an sehr verschiedenartigen Interpretationen erarbeitet. Eine Richtung der Inszenierungen betont die Nähe zum Realismus oder Naturalismus, eine andere zum Symbolismus, ein dritte zur Groteske oder zum absurden Theater, wieder andere versuchen sich in einer radikalen Aktualisierung im Sinn von Postmoderne oder Popkultur. Nicht von ungefähr fällt eine besonders intensive Phase der Auseinandersetzung in die zweite Hälfte und mehr noch in das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts, eine Epoche, in der das Vertrauen auf technischen Fortschritt und unbegrenztes Wachstum der Sorge um den Erhalt der natürlichen Grundlagen der menschlichen Zivilisation gewichen ist. Die Präsenz auf nahezu allen Bühnen der Welt, die Vielfalt der Deutungen und deren Nähe zu den drängenden Fragen der Gegenwart ist die erste, sichtbarste Schicht von Tschechows Welttheater.
"Ich gehöre nirgends hin. Im traditionellen thailändischen Theater bin ich nicht zu Haus, und mit dem westlichen Theater, das die gegenwärtige Theaterszene Thailands prägt, bin ich auch wenig vertraut. Wie komme ich weiter?" Das war die Äußerung eines jungen Schauspielers, der an der vom Humboldt-Club, Thailand, und vom Goethe-Institut, Bangkok, veranstalteten Rundtischdiskussion am 2. November 2007 teilnahm. Unter den Teilnehmern waren führende Regisseure, Schauspieler und Theaterwissenschaftler Thailands und Gäste aus Deutschland, Professor Gabriele Brandstetter vom Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin und Dr. Georg Schütte, Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung. Die Diskussion war auf Englisch und verlief aufs Beste, da eine gemeinsame Basis von Theatererfahrungen vorhanden war und ein höchst lebendiger und fruchtbarer deutschthailändischer Dialog entstand. Die Frage des jungen Schauspielers wurde keineswegs als ein disruptives Element in einem sonst harmonischen Gedankenaustausch empfunden, sondern eher als ein Ansporn zur wahrhaften Konfrontation mit einem gewichtigen zeitgenössischen Phänomen: Die Welt von heute ist so reich an Erlebnissen und Bildungschancen, daß ein Autodidakt sich, aus seiner Umwelt schöpfend, entwickeln kann, und zwar ohne Bindung an bestimmte Traditionen oder Institutionen. Der junge Mann hat Erfolg gehabt, und seine Befürchtung, daß das "Niemandsland", auf dem er gewachsen ist, bar sicherer Bildungsbasis sei, ist vielleicht "unzeitgemäß".
Nicht nur steht die Literatur vor dem Gesetz, sondern auch das Recht im Theater. Das Theater inszeniert juristische Verhältnisse. Die Rollen, die der Prozeß von den Beteiligten verlangt, die erzählerischen Elemente der Ermittlung, der stete Verdacht des Schauspielens vor Gericht - all dies ergibt eine traditionsreiche Konstellation, in der sich die Ordnung des juristischen Diskurses mit der Ordnung des theatralen Diskurses vermischt und vermengt. Es sind vor allem die Parallelen hinsichtlich des Verfahrens, in denen diese Konstellation lesbar wird. Gerichtspraktiken sind vor aller Archivierung, so hat es Michel Foucault an der Tragödie König Ödipus gezeigt, auf der Bühne zur Schau gestellt und damit zur Verhandlung gebracht worden. Sophokles' Tragödie lasse sich, so Foucault, als "Prozess der Wahrheitsfindung" lesen, in der die exklusive 'Wahrheitsverwaltung' des Orakels und der Prophetie durch die Wahrheitsproduktion per Befragung ersetzt wird. Die Prophetie wird am Ende der Sophokleischen Tragödie durch den Hirten als "Zeugnis" wiederholt. Der Hirte ist Zeuge im juristischen Sinne des Wortes. Er hat die Tat gesehen, er muß darüber berichten, und die Evidenz des Gesehenen und Erlebten ist in der Lage, die Wahrheit der Tat gegen die Wahrheit der Macht ins Spiel zu bringen. Sophokles Stücke könne man sogar, so Foucault, als eine "theatralische Ritualisierung der Rechtsgeschichte" lesen.
Transforming a text - narrative or poetic - into a play, made of dialogues and organized into scenes, has been one of the most frequent forms of literary transcodification both in the past and in the present. We can find examples of this procedure at the very origins of Italian theatre, which indeed began as the rewriting of earlier texts, both in the "sacre rappresentazioni" and in the profane field: the Bible in the first case and the Ovidian mythologies in the second. Poliziano's "Fabula d'Orfeo" and "Cefalo e Procri" by Niccolò da Correggio are the first well-known examples of this process. Thus, the metamorphosis of a text into a dramatization has many models in the history of theatre and literature. It would be of great interest to start with an overview of the different types, aims, and forms of transcodification of texts that are enacted in order to create dramatizations capable of being performed on stage. Erminia Ardissino attempts to offer an introduction to her study of Giovanni Giudici's play about Dante's "Paradiso" with a brief discussion of three different practices of theatrical transcodification. She looks at three pièces written at the request of the Italian scenographer Federico Tiezzi between 1989 and 1990 as stage productions of the three cantiche of the Divine Comedy. Although they belong to the same project, are inspired by the same person, and share a unified aim, the three pièces created by Edoardo Sanguineti, Mario Luzi, and Giovanni Giudici show three different approaches to the task of transcodifying a text in order to produce a drama - the task, in Genette's words, of creating a theatrical palimpsest.
Sozialgeschichte des Theaters - das soll im folgenden bedeuten: eine Geschichte der Berührungen der Institution und des Mediums Theater mit "Gesellschaft". Diese Formel lenkt den Blick auf zwei Sachverhalte, nämlich zum ersten auf die Gruppe(n) derjenigen, die Theater rezipieren, also auf bestimmte Gesellschaftsausschnitte, aus denen sich gewissermaßen Publikum konstituiert, zum zweiten auf die Reflexion sozialer Konstellationen und Prozesse im Rahmen des künstlerischen Produkts "Theater", etwa auf der Ebene der behandelten Themen und Stoffe. Beide Sachverhalte sind nicht zu trennen von der grundsätzlichen Frage nach der gesellschaftlichen Funktion von Theater. [...] Nähert man sich Wien und seinem Theater über Konzepte wie Identität oder Image, so erhebt sich die Frage, wie sich dieses "Wien" eigentlich fassen lässt. Wien als räumliches und soziales Gebilde besaß und besitzt eine überaus komplexe Struktur. [...] Um sich diesen Sachverhalten immerhin anzunähern und Wien als einen in einzigartiger Weise geordneten Raum des sozialen Miteinanders, des Wohnens, des Arbeitens und des Vergnügens zu erschließen, bietet sich das Modell einer kulturellen Topographie an. [...] Mit den Begriffen Identität und Topographie sind jene beiden Kategorien benannt, an denen sich die folgenden Ausführungen zum Wiener Theater vornehmlich orientieren. Diese Zugangsweise erhebt ebenso wenig Anspruch auf Objektivität wie die Auswahl der Aspekte der Wiener Theatergeschichte, die aus der vorgegebenen, drei Jahrhunderte umfassenden Zeitspanne herausgegriffen und diskutiert werden. Einige hauptsächliche Prämissen der Darstellung seien gleichwohl benannt: Erstens wird im Sinne einer integralen Theatergeschichtsschreibung die dem Miteinander und Gegeneinander der Disziplinen (Sprech-)Theaterwissenschaft und Musikwissenschaft nach wie vor zugrunde liegende, vom historischen Theateralltag aber nicht gedeckte Trennung von Sprechtheater und musikalischem Theater aufgegeben, fallweise auch die Trennung von institutionalisiertem Theater und semitheatralen Formen. Zweitens werden - entsprechend der im vorliegenden Kontext erforderlichen Entprivilegierung (hoch-)kultureller Erscheinungen - populäre, auf ein breites Publikum zielende Genres besondere Berücksichtigung finden, Genres, die übrigens fast durchwegs dem musikalischen Theater angehören. Drittens wird es im Hinblick auf die Berührung zwischen der Gesellschaft bzw. ihren Teilen und dem Theater vorrangig um Zugänge und um Zugänglichkeiten gehen: das Stichwort "Zugänge" bezieht sich auf Räume für Theater, und zwar auf Räume der Stadt, die dem Theater erschlossen werden, und auf die eigentlichen Theatergebäude / Institutionen als Orte des Aufeinandertreffens von Theaterspiel und Zuschauer; mit "Zugänglichkeiten" sind jene Bereiche der Theatergesetzgebung (inklusive herrschaftlicher Einzelentscheidungen) gemeint, die gleichsam die Rezeption von Theater steuern, wie etwa das Konzessions- und Privilegienwesen und die Zensur.
Der Entwicklungsstand von Wirtschaft und Kultur war in den einzelnen Provinzen sehr unterschiedlich. In den Erbländern, in den italienischen Provinzen und in Böhmen mit alten kulturellen Zentren wie Wien, Prag, Venedig oder Mailand und einem entwickelten Bürgertum war das Theaterleben vergleichsweise sehr intensiv, die übrigen Gebiete blieben bis weit ins 19. Jahrhundert hinein agrarisch dominiert. In den deutschsprachigen Ländern konzentrierte sich das Theater auf Hofbühnen und auf Wandertruppen. Wien, das im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen wird, war geradezu ein europäisches Zentrum höfischer Unterhaltungsangebote. An seinem multinationalen Hof bestand das Theaterrepertoire im 18. Jahrhundert vor allem aus italienischen Opern und französischen Stücken. Daneben bestand seit dem frühen 18. Jahrhundert eine Tradition volkstümlichen Theaters mit einer permanenten Spielstätte. Erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden aber privat geführte und kommerziell orientierte Theater gegründet. Zusammen mit diesen Entwicklungen wurde eine systematische Theaterzensur etabliert. Zunächst stellte sich die Zensur in den Dienst der Aufklärung, unterdrückte Obszönitäten, Unsinniges und Derbheiten, im 19. Jahrhundert wandelte sie sich zu einem Instrument der Unterdrückung der politischen Veränderung. Ihr Hauptziel war die Verteidigung des monarchischen Systems, daher wurden der Kaiser und seine Beamten gegen Angriffe verteidigt, und zwar mit einem heute geradezu lächerlich erscheinenden Eifer. Eine ständige Bedrohung für die multinationale Monarchie bildeten die Unabhängigkeitsbestrebungen der regierten Völker. Nationale Propaganda wurde daher von der Zensur ebenso sorgsam überwacht und nach Kräften verhindert. In der zweiten Jahrhunderthälfte trat die soziale Frage in den Vordergrund und lieferte Motive für Verbote und Eingriffe in die Spieltexte. Insgesamt wurden das herrschende gesellschaftliche System und seine Hierarchie gegen Angriffe und Kritik aller Art verteidigt. Die Aristokratie, der Klerus, die Beamten, nicht einmal einzelne Gewerbe oder Unternehmenssparten, sollten auf der Bühne in unvorteilhaftem Licht dargestellt werden.
Zwischen 1790, als Josef II. verstarb und Hoffnungen auf eine Lockerung der Zensur bestanden, und La Roches Todesjahr 1806 präsentierte das Leopoldstädter Theater in schneller Abfolge eine Unzahl von Possen, Singspielen, Maschinenkomödien, Zauberopern, Volksmärchen, Pantomimen, Ritterstücken, Soldatenstücken, Tanzspielen, Feenmärchen und komischen Zeitstücken. Sie stammten zu einem Gutteil von den Hausautoren des Theaters. [...] Aus den insgesamt 30 im Rahmen des FWF-Projekts "Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche" edierten Komödien von fünf Autoren und einem Anonymus wählt Beatrix Müller-Kampel zwei von jedem Autor aus, um sie auf Themen und Motive der Affekte, der Emotionen und ihrer Kontrolle hin zu durchforsten. Ausnahmslos alle Stücke sind Komödien, ausnahmslos allen geht es um Liebesgeschichten und Heiratssachen und den meisten auch um Geld. Das Prinzip der repräsentativen Stichprobe rechtfertigt sich durch die Gattung Komödie, wie sie am Leopoldstädter Theater gepflegt wurde: nämlich als "Schema-Dramatik", die im Gegensatz zur sogenannten "künstlerischen" Dramatik, d. h. in den theatralen Feldern dieser Zeit: im Gegensatz zum Bildungstheater einerseits, zum Hoftheater andrerseits, weder auf ästhetische Innovation noch auf Originalität abgestellt war, sondern im Gegenteil Variationen altbekannter Themen und Geschichten bieten wollte - und das immer auch komisch drapiert. [...] Mit dem Aspekt der Affekte und der Affektkontrolle der Lustigen Figur ist das Erkenntnisperspektiv einerseits auf Liebesgeschichten und Heiratssachen, Sich Verlieben wie Verlassen Werden, auf gelebte und gespielte Leidenschaften eingestellt, andrerseits auf die Lustige Figur und ihre Komik, welche letztere, so steht zu vermuten, in den Spielen wohl die großen wie die kleinen Gefühle modelliert. [...] Prinzipiell sind zwei Möglichkeiten der philologischen Emotionsforschung zu unterscheiden: die Analyse von "literarischen Thematisierungen und Darstellungen von Emotionen, wobei es in der Regel um Emotionen geht, die in einem Text irgendwelchen Figuren oder personifizierten Gegenständen zugeschrieben werden", und zweitens, die "historische Rekonstruktion kultureller Bewertungen und Repräsentationsformen diverser Emotionen." Was die dramatisch-sprachliche Darstellung von Emotionen anlangt, stehen in der Emotionsforschung mediale und mentalitätsgeschichtliche Aspekte im Mittelpunkt. Worin bestehen sie nun, die Emotionen, die sich zwischen Kasperl und den Frauen um 1800 auf dem Leopoldstädter Theater entspinnen, sich steigern, ausbreiten und verflüchtigen, und mit welchen dramaturgischen Techniken führen die Theaterautoren diese Emotionen dem Publikum vor? Kasperl, so das überraschende Fazit vorweg, ist um 1800 Hagestolz oder treuer Ehemann geworden. [...] Jedenfalls erstaunt Kasperls narrative, dramaturgische und komödiantische Bedeutungslosigkeit im Leopoldstädter Repertoire um 1800 - das doch für ihn und um ihn herum geschrieben worden war, wie es heißt. Wie, wenn mit seinen Affekten und seinem Affekthaushalt, das heißt beim Kasperl: mit seiner Obszönität, sich die Komik verflüchtigt und die Autoren tatsächlich nicht mehr gewusst hätten, was anzufangen sei mit ihm? In dem Maße, wie der Kasperl kein Frauensammler und Sexualphantast mehr sein darf, kein Zotenreißer und Hosenscheißer wie Hanswurst, kommt ihm textlich auch das Komische abhanden, das wohl tatsächlich ganz prinzipiell von einem lebt: dem Bruch von und dem Spiel mit Tabus.
Am 20. Oktober 1781 wird das neue Theater in der Leopoldstadt (das "Kasperltheater") eröffnet, und es dauert nicht lange, bis Kasperl zur tragenden Figur der Bühne wird, die auch schnell den Spielplan prägt. La Roche betritt in jedem Monat etwa fünfzehnmal als Kasperl die Bühne und beherrscht diese fortan für viele Jahre. Ungeachtet der anderen Komiker, die ihr Glück als Kasperl versuchen, die aber tatsächlich nicht in der Lage waren, La Roches Ausdrucksweise zu erreichen, gelang es La Roche, sich förmlich in die erste Reihe der Wiener Vorstadtkomiker "zu spielen". Ein Weiterleben der Figur wurde nach La Roches Tod ebenso wie eine Renaissance unmöglich; auch auf anderen Theatern mussten die Akteure, die sich der "längst stereotyp gewordenen Mätzchen" befleißigten, und die Theaterdichter einsehen, dass eine das Repertoire derart bestimmende Typenkomik mit La Roche zu Grabe getragen worden war. Die Wirkung, welche die Person und vor allem das Spiel Johann Josef La Roches auf sein Publikum ausübte, wird in vielerlei Quellen beschworen: Zeitgenössische Kritiken stehen neben Erinnerungen von Schriftstellern, Chronisten sowie Biografen und geben ein vielfach beschworenes Bild, wie es La Roche gelang, seine Zuschauer zu fesseln. So illustrativ diese Erinnerungen auch sein mögen, so vermitteln sie doch ein rein subjektives Bild der Darstellungskunst La Roches. Pamphlete und Erwiderungen gibt es zuhauf, der Kasperl spaltete die Gemüter, Lob auf der einen, Verständnislosigkeit und vehemente Kritik auf der anderen Seite prägen mitunter die Rezensionen in den Zeitungen und auch einige der Broschüren Wiens. Ein wesentlicher Teil der Komik La Roches rührt von den Extempores her, steht Kasperl ja in der hanswurstischen Tradition. Auch wenn die "Anreden eines Schauspielers an das Parterre […] auch auf kleinen Volkstheatern […] nicht immer wohl schicklich" sind, so sollen La Roches Anspielungen auf Stadtereignissen gerade in seinen frühen Jahren "einen besonderen Reiz seines Spieles ausgemacht haben, obwohl es natürlich Gegner gab, die sich über 'Grobheiten und antastende Worte' entrüsteten". Die Wienerische Kronik spricht von "launichte[n] Einfälle[n]", die einer "gewissen schalkhaften Feinheit" nicht entbehren. Karl Marinelli engagierte Dichter, die eigens für den Wiener Kasperl Johann Josef La Roche Komödien verfassten. Schon sein Aussehen bewog das Publikum zu lachen, seine Sprache tat ein Übriges und vor allem die Verbindung von Sprache mit Spiel, Gestik und Mimik, Unausgesprochenem und Dargestelltem schien den besonderen Reiz auszumachen, mit dem La Roche das Publikum jahrzehntelang begeisterte. Leider sind die Berichte über La Roches darstellerischen Esprit auf Anekdoten und kaum verifizierbare Aussagen in Broschüren oder Chroniken beschränkt – für eine weitere Analyse muss auf die erhaltenen Textgrundlagen zurückgegriffen werden: auf Szenare und Kanevasse, auf die textlich fixierten Spielgrundlagen, deren Ausgestaltung durch die Sänger und Schauspieler nur erahnt werden kann. Aus den 30 im Projekt "Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des Leopoldstädter Theaters. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung" (2008/09) edierten Kasperliaden wurden vier hinsichtlich ihrer Kasperl-Komik analysiert. Die Auswahl erfolgte einerseits durch die Präsenz der Kasperlrolle im jeweiligen Text sowie andererseits durch die ihr je intendierte Relevanz für die komische Handlung (Qualität und Quantität der Kasperlrolle). Kasperl, der als Kaspar, Kasperl oder auch Käsperle auf die Bühne tritt, ist stets und in allen Stücken der Leopoldstädter Bühne als "besondere Person" gekennzeichnet – nicht durch seine ständische Zugehörigkeit oder durch seinen Beruf, sondern durch sein Verhalten, das ihn zum ersten von den anderen Rollen klar unterscheidet und das er gleichzeitig und zum zweiten dem Publikum gegenüber zeigt. Immer wieder fällt Kasperl aus der Rolle und durchbricht die Bühnenillusion für lustige Zwischenbemerkungen, um die Handlung zu kommentieren oder gar zu hinterfragen und um die Protagonisten zu bewerten. Die bemerkenswerteste "Entwicklung" durchläuft Kasperl im Oeuvre Karl Friedrich Henslers. Dabei avanciert die Figur vom rührigen und meist redlichen Familienvater in den bürgerlichen Stücken zum verschlagenen und bramarbasierenden Knappen in den romantisch-komischen Volksmärchen, als deren "Vater" Hensler in die Literatur- und Theatergeschichtsschreibung eingegangen ist. Dabei verläuft die Metamorphose vom bürgerlichen Biedermann zum komischen Faktotum in märchenhafter Kulisse in die eigentliche Handlung stets begleitenden Rollen, obschon Kasperl in vielen Fällen die Titel gebende Person ist. Der Kasperltypus wandelt sich merklich, doch immer bleibt er dumm, feige aber auch grundehrlich - damit sind seine Haupteigenschaften umrissen, die ihn in allen Komödien "begleiten". Der Furchtsamkeit, wie auch der Infantilität, die sich die Kasperlrolle im Laufe der Entwicklung beibehalten hatte, gesellt sich in den Volksmärchen ein Lazzo hinzu, nämlich der des Nachäffens, der typisch für den Kasperl La Roches wird.
Johann Josef La Roche wirkte von 1781–1806 als Kasperl-Darsteller an der von Karl Marinelli (mit)begründeten, stehenden Bühne in der Leopoldstadt. Dieser Zeitraum, der identisch ist mit dem noch in den Kinderschuhen steckenden "Zeitalter der belletristischen Lesekultur" (zu beachten ist dabei, dass der Großteil der Bevölkerung noch im Analphabetismus verhaftet war, was das Theater für die bildungsfernen Schichten besonders interessant machte, da hier die zeitgenössische Dramenkunst unabhängig von der Lesefähigkeit des Einzelnen zu konsumieren war), bedarf einer näheren Betrachtung, um die historischen und soziologischen Bedingungen der Produktion, des Konsums sowie der Rezeption der für den Kasperl-Darsteller La Roche eigens gefertigten Komödientexte besser verstehen zu können. Auf den folgenden Seiten soll nun nichts anderes als der wirkungsgeschichtliche Kontext der Literaturproduktion wie der Literaturrezeption am Leopoldstädter Theater erhoben werden - oder mit anderen Worten - sollen epochale Charakteristika des literarischen Feldes herausgestrichen werden, die ausgehend von der Feldtheorie Pierre Bourdieus eine literatursoziologische Verortung erfahren.
In seinem überaus einflussreichen mehrbändigen Standardwerk mit dem schlichten Titel Empfindsamkeit von 1974 ging Gerhard Sauder davon aus, dass "die Empfindsamkeit eine spezifisch bürgerliche Tendenz [habe] und im Zusammenhang mit der Emanzipation des Bürgertums im 18. Jahrhundert zu sehen sei." Mit dieser Definition orientierte sich Sauder an der alten These Fritz Brüggemanns vom "Anbruch der Gefühlskultur in den fünfziger Jahren" des 18. Jahrhunderts, im Zuge deren "der bürgerliche Tugendbegriff mit dem sentimentalen Gefühl durchsetzt" werde. Dass diese These einer genuin bürgerlichen Gefühlskultur problematisch ist, verdeutlicht ein Blick auf die Kategorie der Zärtlichkeit, die in beiden Studien eine zentrale Funktion innehat. Sie kennzeichnet bei Sauder eine erste Phase der Empfindsamkeit bzw. die "erstmals deutlich zutage tretende empfindsame Tendenz", wobei Sauder als "akzeptable Datierung" dieser ersten Phase einer zärtlichen Empfindsamkeit im Anschluss an Brüggemann "das Jahrzehnt 1740-50" vorschlug.
Dank neuerer französischer Studien zur Geschichte der Liebesehe (mariage amoureux) im Frankreich des frühen 16. und 17. Jahrhunderts, wie sie insbesondere die Historiker Jean-Louis Flandrin und in der Folge Maurice Daumas vorlegten, wissen wir heute um die Problematik dieser für die Forschung zum 18. Jahrhundert äußerst einflussreichen Datierungen Sauders. Flandrin untersuchte die Positivierung der innerehelichen Sexualität zu Beginn des 17. Jahrhunderts, die sich um diese Zeit zunehmend von der Augusteischen Gnaden- und Sündenlehre zu lösen und zu emanzipieren begann. Im Anschluss an Flandrin entwickelte Daumas seine Genealogie einer tendresse amoureuse, der Entstehung von durch zärtliche Liebe geprägten ehelichen Verbindungen zwischen den Geschlechtern, die er auf den gleichen Zeitraum datierte. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts fokussieren Abhandlungen über die Ehe also weniger auf die Vorschriften sexueller Praktiken als vielmehr die emotionale Beziehung zwischen Mann und Frau. Verschiedene Faktoren verbessern das Bild der Ehe, die insbesondere gegen Ende der Herrschaft von Louis XIII. (1601-1643) zunehmend zu einer "Liebe als Passion" im Sinne einer Liebesehe wird, also unter das Vorzeichen der Zärtlichkeit rückt.
Die Zensur und das politisch Korrekte spielen für das Theater keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Das Politische, namentlich das politische Theater, ist gut belegt und weitgehend aufgearbeitet, ich habe kein Interesse, das zu wiederholen. Ich hatte vor, einen kleinen Spaziergang entlang der politischen Grenzen des jetzigen Theaters zu machen und die eine oder andere Aufführung zu streifen, die ich gesehen habe. Dabei hatte ich die Zensur keiner Betrachtung wert gefunden, und das politisch Korrekte habe ich im Zusammenhang des Theaters für eine Arabeske gehalten, die ein bißchen bizarr, ein bißchen unverständlich, meist als Anekdote an den Rändern der Theaterpraxis auftaucht. Seit voriger Woche weiß ich, daß ich das falsch beurteilt habe. Vorige Woche habe ich beim Berliner Theatertreffen eine Aufführung aus Leipzig gesehen, die nach dem PC-Gesichtspunkt zensiert war. Ich habe dann mit den Recherchen im Internet begonnen und bin auf eine Plattform gestoßen, die sich Bühnenwatch nennt und die seit 2012 verschiedene Theater wegen Rassismus attackiert hat (Problem Blackfacing). Es gibt auf der Plattform sehr ausführliche Statements zu Aufführungspraxis und Struktur des Theaterwesens, die ich sehr mühsam zu lesen finde, weil sie unentwegt zwischen Richtigem und Falschem, Vernünftigem und Überzogenem mäandern. Ich werde darauf zu sprechen kommen. Ich möchte aber zunächst meinen Spaziergang antreten, vorne, am Anfang, wie ich es geplant hatte, entlang der Begriffe unseres Themas – allerdings in entgegengesetzter Richtung.
Als Beginn der Theatermoderne gelten der Forschung gemeinhin Max Reinhardts vielgestaltige Versuche, das etablierte Modell des Repräsentationstheaters zu überwinden. Konzeptionell niedergeschlagen haben sie sich erstmals in den Überlegungen zur innenarchitektonischen Ausgestaltung des Berliner 'Kleinen Theaters', die Reinhardt in seinem Brief an den mit dem Projekt betrauten Freund Berthold Held vom 4. August 1901 anstellt: "Von der Bühne müssen meiner Ansicht nach unbedingt Stufen ins Publikum führen. Das können wir gut brauchen und erhöht die Intimität, vielleicht an jeder Seite ein paar Stufen, worauf in der Skizze gleich Rücksicht genommen werden möge." Die von Reinhardt gewünschten Stufen sollen die Einheit des den Bühnen- und Zuschauerraum umfassenden Raum-Zeit-Kontinuums markieren und so die programmatische Revision der im Laufe des 18. Jahrhunderts erfolgten Ausgliederung des Zeichenraums Bühne aus dem weltlichen Raum-Zeit-Kontinuum symbolisieren. In gleicher Weise markiert wird diese Revision der etablierten Kommunikationssituation Theater schon in Hugo von Hofmannsthals frühem lyrischen Drama 'Der Tod des Tizian' (1892), in dem dieser die Figur des Pagen ins Proszenium treten und das Publikum direkt ansprechen lässt, um die den Zuschauerraum vom Zeichenraum Bühne trennende Rampe in metaleptischer Geste zu überspielen. Bestimmt man das Repräsentationsparadigma, das durch diese Operationen überwunden werden soll, mit Jacques Derrida semiologisch als ein wesentlich durch die "Exteriorität des Signifikanten" bestimmtes Zeichenmodell, dann ist es wohl angemessen, die (im gemeinsamen Konzept der Salzburger Festspiele kulminierenden) Versuche Reinhardts und Hofmannsthals, mit dem Repräsentationsparadigma zu brechen, als ein von der Intention zur Interiorisierung des Signifikanten gesteuertes Programm zu bezeichnen.
In his Yiddish autobiography “Fun Lublin biz Rige”, Riga: 1940, the actor Abraham Eines reported on his 30-year lasting career as an actor in Yiddish theatre companies in Eastern Europe and also on the period when he was an artist in the Yiddish theatre in Riga. The so called “Naier idisher teater” had been planned since 1913 and opened in 1927 on the initiative of Jakob Landau, Paul Minz and Lew Ginsberg.
This thesis is based on Eines’ autobiography and researches in Latvian, Lithuanian and Polish archives and libraries. The aim was to reconstruct the history of this specialized Yiddish theatre, which fortunately is kept until today in the art nouveau quarter of Riga.
The thesis deals with the history of this theatre, the plans which resulted in the construction of the building, people and organisations that were involved, its opening, playing schedules, companies and actors as well as the intercultural, economic and social environments and activities.
In January 1927, the “Naier idisher teater” opened under the main direction of M. Karpinowitsch and the art direction of Abraham Morewski. It was financially supported by membership fees from the “Jewish Theatre Company”. New artists were often engaged by the “Warsaw Association of Artists”.
In the following years, the art direction changed several times because of disagreements between the direction of the theatre and the company. Actors demanded more sophisticated plays and greater artistic licenses. The theatre had big economic problems. The repertoire of the theatre differed distinctly from that of the guest companies coming to Riga: the “Vilner Trupe”, staged Yiddish classics by Scholem Alejchem, Scholem Asch, Jacob Gordin, as well as by Oskar Wilde, Shakespeare and Moliere. Furthermore, Alexander Granovsky (GOSET) gave guest performances with his company of the Moscow theatre “Habima” in Riga. Besides “Habima” started its Europe tour in this Yiddish theatre Riga. Many artists were partly engaged for a long period in Riga`s “Naier idisher teater” and the theatre was well attended – on average 70 000 visitors per season. The theatre was equipped with 473 seats and 160 seats on balconies. It existed with different names until the occupation of Riga by the Germans. Today, the museum „Jews in Latvia“ (Muzejs Ebreji Latvijā) is located in the former theatre building.
This is a not revised edition of the thesis.
Wien, das im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen wird, war geradezu ein europäisches Zentrum höfischer Unterhaltungsangebote. An seinem multinationalen Hof bestand das Theaterrepertoire im 18. Jahrhundert vor allem aus italienischen Opern und französischen Stücken. Daneben bestand seit dem frühen 18. Jahrhundert eine Tradition volkstümlichen Theaters mit einer permanenten Spielstätte. Erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden aber privat geführte und kommerziell orientierte Theater gegründet.
Zusammen mit diesen Entwicklungen wurde eine systematische Theaterzensur etabliert. Zunächst stellte sich die Zensur in den Dienst der Aufklärung, unterdrückte Obszönitäten, Unsinniges und Derbheiten, im 19. Jahrhundert wandelte sie sich zu einem Instrument der Unterdrückung der politischen Veränderung. Ihr Hauptziel war die Verteidigung des monarchischen Systems, daher wurden der Kaiser und seine Beamten gegen Angriffe verteidigt, und zwar mit einem heute geradezu lächerlich erscheinenden Eifer. Eine ständige Bedrohung für die multinationale Monarchie bildeten die Unabhängigkeitsbestrebungen der regierten Völker. Nationale Propaganda wurde daher von der Zensur ebenso sorgsam überwacht und nach Kräften verhindert. In der zweiten Jahrhunderthälfte trat die soziale Frage in den Vordergrund und lieferte Motive für Verbote und Eingriffe in die Spieltexte. Insgesamt wurden das herrschende gesellschaftliche System und seine Hierarchie gegen Angriffe und Kritik aller Art verteidigt. Die Aristokratie, der Klerus, die Beamten, nicht einmal einzelne Gewerbe oder Unternehmenssparten, sollten auf der Bühne in unvorteilhaftem Licht dargestellt werden.
This article deals with experimentation in contemporary German theatre, making a survey of experimental elements in German and Brazilian stagings, particularly of Shakespearean texts, which took place from 1990 to the present. The survey has been based on the analysis of reviews published in newspapers and magazines in both countries, and also on video recordings of two German and one Brazilian stagings. The article describes the concepts of experimentation and convention developed in the study, presents the results of the research and discusses the appropriation of these elements, especially the experimental ones, in the contemporary Brazilian and German Theater.
In einem der wenigen Interviews, welche die kürzlich verstorbene Pina Bausch vor vielen Jahren gegeben hatte, wurde sie gefragt, warum in ihrem Tanztheater so wenig getanzt werde. Wie man sich bewege, so war die Antwort, interessiere sie weniger, als vielmehr, was bewege. Eine ähnliche Frage scheint in den letzten zwei Jahrzehnten auch der Ausgangspunkt vieler Recherchen im Bereich des neuen Musik- bzw. Sprechtheaters zu sein, betrachtet man beispielsweise die Inszenierungen bzw. szenischen Projekte von Komponisten und Regisseuren wie Christoph Marthaler und Heiner Goebbels oder von bildenden Künstlern wie Robert Wilson und Romeo Castellucci. Keiner Sparte im engeren Sinne zuzuordnen, erproben sie eine Aufhebung der Spartengrenzen und streben die Geburt eines anderen Theaters an, aus dem Geist der Musik. Ihre Frage könnte heißen: Was singt in der Sprache, in der Stimme?
Bei einem Künstler, über den man, von seinen Werken abgesehen, kaum etwas weiß, und dessen eigene Äußerungen oft eher kreatürlichen Rülpsern gleichen, ist man auf das Wenige angewiesen, das mit einiger Gültigkeit über ihn gesagt wird. Es stammt, wie könnte es anders sein, von Heiner Müller. Dennoch soll von Müllers Bemerkung, die Gotscheff, wie er selbst sagt, „für eineinhalb Tage berühmt gemacht hat", hier nicht die Rede sein. Denn alles, was Müller anläßlich von Gotscheffs „Philoktet“- Inszenierung (Sofia 1983) schreibt, stimmt, und doch ist es - das ist das Schicksal unendlich oft zitierter Bemerkungen – in Gefahr, zur Hohlformel zu gerinnen. Das ist nicht Müllers Schuld, sondern die derjenigen, die sie aus Alternativlosigkeit bis zum Abwinken wiederholen. Dabei ist die Schwierigkeit, zu Begrifflichkeiten vorzudringen, mehr als verständlich: Theaterabende zu beschreiben ist eine eigene Kunst. Zwanzig Jahre mit Gotscheff, über dreißig gesehene Inszenierungen, Mitarbeit an einigen, und nun die als Einladung verkleidete Drohung, darüber etwas schreiben zu sollen. Wo und wie anfangen? Ich will versuchen, Gotscheffs Arbeit inhaltlich und ästhetisch in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
Der Nobelpreis käme ihr – abgesehen von dem Geldsegen – wie eine Strafe vor, meinte Elfriede Jelinek. Plötzlich wurde sie, die Scheue, von der Weltöffentlichkeit grell ausgeleuchtet. Die Dichterin antwortete auf die ihr eigene Weise mit der Positionsbestimmung "Im Abseits": Nichts, was man tue, zähle; das einzige, was man ernte, sei ein Verweis. Das ist für eine erklärte Moralistin ein katastrophaler Befund, ihr bleibt "nur" die Ästhetik. Ästhetik versus Moralismus ist, allen Scheinwerfern zum Trotz, aber nur eines der immer noch schwer begreifbaren Spannungsfelder, aus denen heraus sie arbeitet und schöpft, andere wären hinzuzufügen: der Drang zu psychoanalytisch unterfütterten, archaisch-antiken Konstellationen und ihre erklärte Sehnsucht nach Oberfläche ("Ich will seicht sein!"), der Haß auf die Unterhaltungsindustrie und das leidenschaftliche Surfen im weltweiten Netz, das Spiel mit den Möglichkeiten der Mode und die Affinität zum Tod. Es scheint überhaupt so zu sein, daß all ihre Texte, unabhängig von ihrem jeweiligen Gegenstand, mit großer Obsession um den Tod kreisen, um ein Phänomen also, das wir als existentielles und politisches Phänomen – wie keine Gesellschaft zuvor – gelernt haben zu verdrängen. Das Jelinek'sche Äquivalent hierzu ist der permanente Redezwang, seine Kehrseite die Angst vor dem Abhandenkommen der Sprache und in Konsequenz hieraus: das Schweigen. Wie geht all das zusammen? Geht es überhaupt zusammen?
Politikpartizipanten in einen staunenden Fernsehzuschauer verwandelt worden.“ In ein für Populismus jedweder Art anfälliges Stimmvieh. Aus dem Volk ist eine Masse geworden, die sich lobbyistisch für Partikularinteressen zusammenfindet, ohne noch über ein Gemeinsames zu verfügen. So entsteht gewissermaßen ein neuer Tribalismus, ein Tribalismus der Gleichgesinnten mit einer Oligarchie von Stammesfürsten. Das ehemalige Ganze zerfliegt in seine Teile und begünstigt so die Herrschaft abstrakter globaler Größen – so in etwa. Was heißt das aufs Theater bezogen? Tatsache ist zunächst einmal: Der Demos und der aus ihm abgeleitete Staat bezahlt das Theater, stützt es mit Subventionen, obwohl es nicht den Interessen des gesamten Volks, sondern nur denen einer Sondergemeinschaft entspricht. Spricht irgendetwas für diesen empörend anmutenden Befund? Gibt es Reformbedarf?
„Perspektiven für die Zukunft unserer Kultur im 21. Jahrhundert“ ist das Thema, das ich leichtfertig benannt habe. Leichtfertig, weil es natürlich anmaßend ist, anmaßend wie die Kunst selbst. Als ob man das wüsste. Als ob man dazu etwas sagen könnte. Als ob diese „Zukunft“ mal eben so - kurz vor dem Mittagessen - aufsteigen könnte, wie Perlen aus dem Prosecco. Ich glaube schon, dass man dazu etwas sagen kann. Bescheidener: ich will es wenigstens versuchen und ein paar Überlegungen äußern, die Ihnen ein Bild vermitteln, wie ich denke, wer ich bin, was mich umtreibt, wofür ich stehe. Als Mensch, aber auch als derjenige, der dem künftigen Thalia Theater die Richtung gibt.
Theater ohne Autoren: ist die Zukunft dramatisch? : Impulsreferat beim Berliner Theatertreffen 2008
(2008)
Der Titel klingt schon wieder nach Krise, Untergang und Waldsterben. Keine Angst und auch keine Hoffnung: ich mache hier nicht die Kassandra für den angeblich oder wirklich vom Untergang bedrohten Autor. Im Gegenteil: ich möchte aufräumen und die Fenster aufreißen. Denn die Debatte um das Theater und seine angeblich immerwährenden Krisen ist weitaus verblödeter als das Theater in seinen Hervorbringungen. Sie klebt immer noch an Vorgestern. Die Klischees, mit denen Theaterleute und ihre sich antilobbyistisch gerierende kritische Lobby gern hantieren, ermüden seit langem. Mit seiner Begabung, längst geschlagene Schlachten wieder aufzuwärmen, selbst wenn sich die Konfliktlinien seit langem verschoben haben, ist das Theater übrigens in guter schlechter Gesellschaft, in der der Politik nämlich. Alte Schemata werden hier wie dort mit Lust gedankenlos weitergetragen, als ideologische Nebelkerzen gegen den wahren Stand der Dinge. Besonders beliebt ist es, im Rahmen solcher Debatten für die Unterdrückten und Entrechteten Partei zu ergreifen: das sind im Theater in der Regel der arme Schauspieler und der vergewaltigte Autor während der Folterknecht fast immer der Regisseur ist.
Der Essay zeigt, wie eng Fußball und Schauspiel/Theater/Drama zusammenhängen. Dabei wird nicht nur einer Vielzahl von sprachlichen und insbesondere metaphorischen Entsprechungen nachgespürt, in denen sich die beiden Publikumsereignisse wechselseitig interpretieren, sondern auch gezeigt, auf welchen medialen Grundlagen, Erfahrungen und Rezeptionsdispositionen diese Entsprechungen beruhen.
Die britische Autorin Caryl Churchill hat ein Stück gegen den israelischen Einmarsch in Gaza geschrieben – und sich den Vorwurf des Antisemitismus eingehandelt. Doch tatsächlich stellt dieses brutal-offene Stück einen mutigen Versuch der Einfühlung dar und zeigt so, was Politisches Theater sein kann.
Unter meinen nassen Füßen warmer Stein. Schritt für Schritt hinterlasse ich meine Spuren auf dem Boden, auf dem bereits die Fußabdrücke anderer Badender, die vor mir diesen Raum betreten haben, die Richtung weisen. Eine breitstufige flache Treppe führt nach unten zu den Wasserbecken. Hier nimmt die Nässe unter den Füßen zu. Ganze Pfade von Fußspuren ziehen sich über den Boden, von denen einzelne Wege abzweigen, sich verlaufen, im Nichts enden. Mein Körper gleitet in das Wasser, das sich blau von den grauen Wänden des Beckens abhebt. Mauern aus steinernen Schichten, die sich bis in die Höhe ziehen. Von oben fällt Sonnenlicht ein. Und doch ist es hier dunkel. Ein Raum im Innern, der sich im Anblick von Himmel und Wolken vom Außen ab- und eingegrenzt zeigt. Durch kleine quadratische Fensterausschnitte in den Mauern des Gebäudes wird der Blick in die Landschaft frei. In Stein gefasste Bilder vom Steilhang, von den Dächern des Dorfes, von himmelhohen Bergen.
Der bürgerliche Kalender des 19. Jahrhunderts schafft eine eigene Zeitordnung. Wer 25 Jahre sein Unternehmen durch den Zeitenwechsel bringt, darf diesen Zeitraum mit goldenem Lorbeer umrahmen, ebenso derjenige, der dem Staat als Beamter ein Vierteljahrhunderts gedient hat. Eine goldene Uhr wird ihn fortan daran erinnern. Für die Ehe gleicher Dauer muß man sich mit Silber begnügen, das Goldene Zeitalter beginnt in diesem Fall erst nach fünfzig Jahren. Nicht nur das Ereignis, auch der Zeitraum selbst wird, skaliert von 25 bis 1000, kulturell erinnerungswürdig und -fähig. Wer die Jahre zählt, läßt die Verbindung zum Vergangenen nicht abreißen. Vergangenheit erhält ihren Ort und ihren Tag im Alltag der Gegenwart. Die Erinnerung der Individuen wird an Jubel- und Gedenktagen durch ein kollektives Gedächtnis abgelöst. Der 1. Mai z.B will an etwas erinnern und läßt sich dennoch auf kein ursprüngliches Ereignis zurückführen. ‘Denkmal’ kann im 19. Jahrhundert fast alles werden, nicht nur Gebilde aus Stein und Bronze, auch Profanes wie Bierkrüge, Gläser, Teller, Zigarrenkisten, Hüte: das kollektive Gedächtnis muß an ihnen nur ausreichende Flächenhaftung finden oder sich eingravieren lassen.
Theatermetaphorik in Wissenschaft und Wissenschaftstheorie um 1700 : Gottfried Wilhelm Leibniz
(2005)
Francis Bacon schreibt 1620 im Novum Organum: „Es gibt endlich Idole, welche in den Geist der Menschen aus den verschiedenen Behauptungen philosophischer Lehrmeinungen wie auch aus den verkehrten Gesetzen der Beweisführung eingedrungen sind; diese nenne ich die Idole des Theaters [...].” Der Wegbereiter der empirischen Wissenschaften gebraucht die Theatermetapher zur Bezeichnung einer wissenschaftlichen Methode, die falsch ist und den Weg zur Wahrheit blockiert. Doch nicht immer stehen sich im 17. Jahrhundert Theater auf der einen, Wissenschaft und Wissenschaftstheorie auf der anderen Seite diametral gegenüber – es kommt vielmehr zu einer äußerst produktiven Begegnung zwischen ihnen.
Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, eine Kulturgeschichte des türkischen Theaters und Kabaretts in der Bundesrepublik vorzustellen, deren Protagonisten (Organisatoren, Schriftsteller, Schauspieler und Regisseure) nunmehr bereits in die dritte Generation gehen, ohne dass die Geschichte der ersten Generation, der Initiatoren und bis heute treibenden Kraft dieses Theaters, je kohärent aufgezeichnet worden wäre. Darüber hinaus steht ein Generationswechsel an: das wird deutlich, sobald man sich in die 'Szene' begibt, in der es, wie meine Ausführungen zeigen werden, derzeit rumort, kreativ und destruktiv zugleich: Junge Künstler mit neuen Ideen drängen nach und fühlen sich nicht selten behindert von den 'Alten', die immer noch die Schalthebel besetzen und sich nicht davon abbringen lassen wollen, ihre Projekte nach altbewährten Methoden fortzuführen.
Sagen, was sonst kein Mensch sagt : Elfriede Jelineks Theater der verweigerten Komplizenschaft
(2008)
TheaterSport : Einar Schleef bewegt Elfriede Jelinek ; zum Verhältnis von Bild, Raum und Sprache
(2008)
Anlehnung und Differenz : zum Verhältnis der Theaterästhetik von Elfriede Jelinek und Bertolt Brecht
(2006)
Durch den Text gehen
(2006)
"Wissen als Schauspiel" – nach den Möglichkeiten theatraler Formen von Wissensrepräsentation fragt Peter Matussek. Er beobachtet eine Wende vom "pictorial turn" zum "performative turn" und gibt uns einen historischen Abriss der wiederauflebenden Gedächtnistheater. Kann die theatrale Form der Wissensrepräsentation die Aufmerksamkeitsstörungen der Informationsgesellschaft kurieren, oder ist sie selbst das Symptom, das sie zu kurieren vorgibt? Matussek betont, welchen bisher weitgehend übersehenen Einfluss "The Art of Memory" von Frances Yates auf Wissensingenieure, Interface-Designer und Computerkünstler ausgeübt hat. Dabei gehe es nicht nur um die Anordnung, sondern auch um die Erfindung von Wissen und neuen Werkzeugen zur Systematisierung, Kontextualisierung, Visualisierung und Inszenierung von Information.
Moreno noted a similarity between a late 18th Century play by the great German scholar and artist, Goethe, and some elements of psychodrama, which can be substantiated; however, Goethe was not, as Moreno suggested, an early promoter of spontaneity. The similarities and contrasts between these two men are intriguing.