BDSL-Klassifikation: 18.00.00 20. Jahrhundert (1945-1989) > 18.14.00 Zu einzelnen Autoren
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Schlagworte
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Einen einzelnen Satz aus der Bibel übersetzen: Dies ist die Aufgabe, an der die Protagonistin von Ingeborg Bachmanns Erzählung Simultan, die Simultandolmetscherin Nadja, scheitert. Der Satz, der auf Italienisch zitiert wird und ins Deutsche übersetzt werden soll, hat es offenbar in sich. Er lautet: "Il miracolo, come sempre, è il risultato della fede e d’una fede audace" – das Wunder ist, wie immer, das Ergebnis des Glaubens und eines kühnen Glaubens. Mit genau diesen Worten übersetzt Nadja den Satz; sie erkennt aber zugleich, dass sie ihn nicht wirklich übersetzen kann. Diese Paradoxie einer Übersetzung des Unübersetzbaren geht mit einer zweiten, intertextuellen Paradoxie einher. Nadja findet nämlich den Satz in einem Buch, das als "Il Vangelo" (das Evangelium) und "bloß die Bibel" bezeichnet wird. Doch der Satz lässt sich dort nicht nachweisen. Die Bachmann-Forschung, einschließlich der Kritischen Ausgabe zum Todesarten-Projekt, bezieht dazu keine Stellung und schenkt so dem Verweis auf die Bibel stillschweigend Glauben. Nur wenige Simultan-Interpretationen fällen das Urteil: Dies ist kein Bibelvers.
„Die Lose ähneln sich, die Odysseen“. Dieser Vers Ingeborg Bachmanns aus ihrem Gedicht Von einem Land, einem Fluss und den Seen behauptet, die Irrfahrten und Schicksale der vielen Odysseus-Gestalten seien einander ähnlich. Wenn sich aber die Schicksale und Heimkehrreisen der Umherwandernden ähneln, dann könnten sich auch ihre literarischen Werke ähnlich sein. Ausgehend von dieser Vermutung sollen im folgenden Beitrag zwei große Lyriker des 20. Jahrhunderts gegenübergestellt werden, die sich mit der Frage des Exils und seiner Überwindung beschäftigt haben: die Österreicherin Ingeborg Bachmann und der Iraker Sa'dī Yūsuf. Zwar gehören beide unterschiedlichen Sprachräumen und Literaturtraditionen an. Zugleich sind sie aber aus diesen Räumen ausgebrochen, um neue geografische, sprachliche und gedankliche (W)orte zu erkunden, die keine fest umrissenen Grenzen mehr kennen. Darüber hinaus haben sie in ihren Texten auf ähnliche Weise Untergänge und Auferstehungen inszeniert, die meines Erachtens den Erfahrungen ihres Exils entspringen. Ihre Sichtweisen auf das Eigene und Fremde fordern uns auf, unseren eigenen Blick in einer Zeit zunehmenden und zugleich konfliktreicheren Zusammenlebens zu öffnen und zu hinterfragen.