BDSL-Klassifikation: 03.00.00 Literaturwissenschaft > 03.13.00 Literaturkritik. Wertung
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Schon vor Mitte des 19. Jahrhunderts war mit der Romantik auch der frühromantische, von Friedrich Schlegel vorgebrachte Grundsatz, Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden, zusamt der ihn begleitenden Konzentration auf Dichtungskritik obsolet geworden. Heine prägte 1831 die berühmte - Romantik und Klassik umgreifende - Formel vom Ende der Kunstperiode. Der konstatierte Paradigmenwechsel von einer autonomen, alltagsabgehobenen Dichtung hin zu einer politisch lebensbezogenen Literatur bedeutete aber nicht, dass poetische Ansprüche aufgegeben worden wären. Dies war, was keines neuerlichen Nachweises bedarf, weder bei Heine selbst der Fall, noch bei einer Vielzahl seiner gleichfalls innovativen literarischen Zeitgenossen im Vor- und Nachmärz. Es ist ferner geläufig, dass sie zumeist darin übereinkamen, eine neue Poesie, eine mehr oder weniger zukünftige Poesie des Lebens zu fordern und zu suchen - im einzelnen freilich auf unterschiedlichen Wegen. Vernachlässigt hingegen hat man die Rolle der Literaturkritik bei diesen Bemühungen. Zu fragen ist nicht nur nach dem Verhältnis von politischen und poetologischen Schriftstellerkonzepten, sondern insbesondere nach der ästhetischen Fundierung politisierter literaturkritischer Feststellungen, Wertungen und Forderungen der Zeit um 1850. Es geht um die Praxis damaliger Literaturkritik, die bisher hinter einem Forschungsinteresse an der Theorie und an programmatischen Selbstbekundungen der Kritiker zurückstand. Versucht wird deshalb zunächst ein Umriss am Beispiel dreier exponierter Autoren: Ludolf Wienbarg, Friedrich Theodor Vischer und Julian Schmidt - Literaturkritiker alle drei, die beiden erstgenannten zudem Schriftsteller und Ästhetiker.
Unter welchen Bedingungen erlangen Wissensansprüche Geltung oder nicht? Dieser Frage geht das interdisziplinäre Forschungsnetzwerk "Wissensgeltung" an der Universität Heidelberg nach. Literaturtheoretisch relevante Aspekte der Forschungen des Netzwerks werden hier anhand einer Studie zur zeitgenössischen Literaturkritik unter der Frage "Was ist Literatur wert?" vorgestellt.
Das Verschwinden des östlichen ‘Blocks’ von der ideologischen Landkarte hat – in West und Ost – eine Reihe von Phantomschmerzen gezeitigt, deren zufriedenstellende Diagnose noch aussteht. Zwar fehlte es nicht an ehrgeizigen Versuchen, aber es fügte sich, daß sie alle mehr oder minder unreflektiert in die der Politik und dem Wirtschaftsleben abgelernten Formeln von der ‘Unsicherheit’ oder ‘Ungewißheit’ kommender Entwicklungen mündeten, selbst die seinerzeit auf ganz andere Problemstände gemünzte Habermas-Vokabel von der ‘Neuen Unübersichtlichkeit’ kam hier und da schüchtern zu neuen Ehren. Das mochte, um an eine Wendung Kants zu erinnern, in der Praxis hingehen, doch in der Theorie schuf die sich in solchen Floskeln bekundende Auslieferung an einen kommenden Zeitgeist eine Opportunismusvariante, die man, eine Lieblingsvokabel dieser Jahre aufgreifend, getrost ‘virtuell’ nennen könnte. Warum sich den Kopf zerbrechen, wenn alles im Fluß ist und das Passende sich früher oder später schon finden wird? Die intellektuelle Selbststornierung kennt allerlei Quellen und mancherlei Gründe, auch Abgründe – es scheint, als erlebten manche Heroen des öffentlich ergriffenen Wortes schmerzliche Bewußtseinslagen noch einmal, allerdings nicht, wie zu ihrer Zeit, eingespannt zwischen Hoffen und Bangen, sondern im Licht des Verdachts, daß mit dem beschädigten Hoffen auch das Bangen nicht mehr das alte sein dürfe. Wer profitiert, sind die Eiferer und die Spötter: Feindschaft stabilisiert, Loyalität, zumal verdeckte, nicht minder.
Bei den 43. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt galten in diesem Jahr die hitzigen Debatten nicht den Siegertexten. [...] Von den Diskussionen um die Texte Beyers und Othmanns bleibt der Eindruck zurück, dass eine ungute moralische Verzagtheit in der Literaturkritik herrscht: Wo die Autorin als Zeugin für das Geschilderte einsteht, wird aus Respekt (und aus Vorsicht?) geschwiegen, wo der Autor Leidensgeschichten trivial ausschlachtet, wird seinem Text die Existenzberechtigung abgesprochen. Damit wird man beiden Texten nicht gerecht. Die Frage ist nicht, ob Literatur "das darf". Mit einem solchen letztlich hohlen und folgenlosen Verdikt verweigert sich die Literaturkritik wichtigeren Fragen, zum Beispiel denen, wie mit dem Einzug von trivialisierten Geschichten aus der NS-Zeit in die Unterhaltungsliteratur umgegangen werden kann und wie der unangenehmen Lage beizukommen ist, dass Opferschicksale offenbar erfolgreich zur Aufwertung von Texten dienen. Was sagt das über die Leserschaft? Was sagt es aber auch über die Leserschaft, wenn sie sich zu einem Text mit autobiographischen Bezügen nicht mehr kritisch verhält?
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich vor allem mit der produktiven Wirkung und dem innovativen Potential von Störungen im Bereich der ästhetischen Wahrnehmung und Poetik. Unter dem genannten Konzept von Störung lässt sich zunächst eine Reihe von verschiedenen ästhetischen und poetischen Phänomenen subsumieren, die man als gezielte oder unbewusste Abweichung von der Erwartungshaltung des Rezipienten definieren kann. Jene poetischen und künstlerischen Erscheinungsformen von Störung reichen von der spielerischen Divergenz bis zur gezielten Unterbrechung und systematischen Irritation; sie umfassen auch markante Brüche mit literarischen Traditionen und etablierten Schreibkonventionen.
Hoffmann unterschätzt und disqualifiziert hier - natürlich auch im Interesse der Aufwertung eigener künstlerisch-kritischer Produktion - die Beliebtheit des spät- und popularaufklärerischen Genres der Blindenheilung, das die handfest-praktische Gegenseite des hochambitionierten und spätestens seit Diderot auch philosophisch prominenten Phänomens darstellt. Als „hochbesetzte Technik des 17./18. Jahrhunderts“ oder gar als „Urszene der Aufklärung“ verbindet das Starstechen den Gewinn des Augenlichts mit dem potentiellen Verlust anderer, ersatzweise erworbener, oft aber auch stärker als normal ausdifferenzierter Fähigkeiten. So folgt zumindest auf die literarisierte Blindenheilung regelmäßig der Wunsch nach erneuter Blindheit m – oder der Abbruch der Narration, „als bedeute das Tageslicht das Ende der Fiktion“. Peter Utz belegte diesen Konnex bereits 1990 mit Beispielen von Jean Paul über Goethe bis zu Bonaventuras Nachtwachen, machte aber auch auf den Rat von dessen Erzählerinstanz aufmerksam, die mögliche Fortsetzung der Geschichte „als Material für trivialromantische Verwertung“ zu nutzen. Hoffmann hingegen entwertet – wahrscheinlich wider besseres Wissen – das philosophische wie narratologische Problempotential der Blindenheilung, indem er probehalber eine Reihe anderer Varianten durchspielt, vom Arterienverschluss (,Aneurisma') über den Wundbrand bis hin zur geglückten Amputation.
Die postmoderne Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben und die daraus resultierende Frage, wieviel Wirklichkeit ein Roman verträgt, wird verstärkt von den Gerichten beurteilt und nicht von Literaturwissenschaftlern und Kritikern. Das in der Praxis schon übliche Gegenlesen von Manuskripten durch die Verlagsjustitiare auf die potentielle Verletzung Rechte Dritter birgt in sich die Gefahr einer ›Vorzensur‹. Die zunehmende Verrechtlichung und die damit einhergehende Regulierung ist eine bedenkliche Entwicklung, die schleichend zu einer Unterwanderung der Kunstfreiheit führen könnte. Besonders dringlich erscheint eine zunehmende Beteiligung von Literaturwissenschaftlern an dem Diskurs. Ein Ringen im Einzelfall scheint aus Mangel an generellen Lösungen und Definitionen, in literaturwissenschaftlicher sowie juristischer Hinsicht, auch in Zukunft unumgänglich zu sein.
Der Beitrag untersucht anhand von Amazon-Kundenrezensionen zu Werken Judith Hermanns die Beweggründe für deren Verwendung. Dabei wird ersichtlich, dass eine Abgrenzung zur professionellen Literaturkritik vorhanden ist und durch mindestens sechs folgende Gründe ergänzt werden muss: (1.) virtuelle Hilfsbereitschaft, (2.) Nacherzählung des Inhalts, (3.) Wertung und Kaufempfehlung, (4.) Beschreibung des Lektüreprozesses mit Empfehlung für Art und Weise des Lesens, (5.) Kommunikationsmittel zwischen Kunden und Autorin sowie (6.) vernichtender Umgang mit Hörbüchern.
Kritik, Literaturkritik (II.) : Die Geschichte des K.-Begriffs von der Renaissance bis zur Gegenwart
(1976)
Das Wort <K.> bezeichnet bildungssprachlich heute fast ausschließlich die Rezension literarischer Neuerscheinungen und die Besprechung künstlerischer Darbietungen als Formen der Publizistik, sowie die Gesamtheit der diese verfassenden Personen. Solchem Wortgebrauch zufolge unterscheidet sich K. von der (akademischen) Literaturwissenschaft neben der Aktualität dadurch, daß sie sich der Äußerung von Werturteilen und der Einflußnahme nicht enthalten muß. In dieser engen Verwendung ist <K.> das Ergebnis eines Bedeutungswandels, dem das französische <critique> und das englische <criticism> nicht in gleicher Weise unterlegen sind, so wenig sich in beiden Sprachen ein <Literaturwissenschaft> vergleichbarer Terminus hat durchsetzen können.
Arno Schmidt wäre nicht Arno Schmidt, wenn er bei seinen Lesern nicht anecken wollte. Er war ein Meister der Provokation. Nichts liebte er mehr als Leser egal welchen Couleurs vor den Kopf zu stoßen, in seinem Frühwerk vor allem Konservative und Gläubige, in seinem Spätwerk sogar auch seine liberalen und linken Anhänger. In seiner Essayistik und Funkessayistik über deutschsprachige und angelsächsische Autoren war solch gezielte Irritation sein Metier. Paradebeispiele sind seine Funkessays und Aufsätze über Goethe,Stifter, Karl May, Edgar Allan Poe und James Joyce. [...] Rabiat in seiner Kritik an der Gegenwartsgesellschaft suchte Schmidt Zuflucht vor den ungeliebten und ennervierenden Zeitgenossen im intellektuellen Gespräch mit seiner selbsterwählten literarischen Ahnengalerie. Diese Ahnen kamen freilich nicht immer ungeschoren davon: mal waren sie Gegenstand seines Lobes und seiner Verehrung, mal seines Zornes oder Spotts, wie wir gleich auch beim Fall Dante sehen werden.