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Wachingers Ergebnisse zu den ‚Sängerkriegen’ des 13. Jh.s warnen davor, den künstlerisch-literarischen Wettstreit als Erscheinungsform materieller Rivalität zu deuten. Auch die Reimar- und Walthertexte geben in diesem Punkt keine unmittelbare Rechtfertigung für eine solche Interpretation. Ob Reimar überhaupt einen ökonomischen Wettbewerb zu fürchten hatte, bleibt dahingestellt (...). Aus seiner Position des adligen Dilettanten heraus wehrte er sich dann gegen die Erweiterung des dichtungs- und minnetheoretischen Geltungsanspruchs des höfischen Liebesliedes, wie Walther sie in deinen ‚Mädchenliedern’ und (...) im ‚Lindenlied’ betreibt. Dem Berufsdichter, der seine Kenntnisse der mittellateinischen Lyrik (...) systematisch zur Expansion der vorgegebenen sängerischen Möglichkeiten nutzt, setzt Reinmar die Tradition des adligen Sanges als ausdrücklich fiktionales Sprechen über Eros und Sexus entgegen.
Parzivals doppelte Probe
(1979)
Als Parzival zum erstenmal nach Munsalvaesche kommt, verlangt er, wie Gurnemanz ihm geraten hatte, gleich nach Wasser, um 'îsers râme' abzuwaschen. Er erhält den Mantel der Repanse de Schoye geliehen, und der kameraere ist sicher, ihn 'rehte geprüevet' zu haben (...) Da tritt ein 'redespaeher man' zu ihm und bittet ihn 'vrävellîche', zum Gastgeber zu kommen. Parzival reagiert mit äußerster Erregung, fast geht es dem kühnen Frager ans Leben, aber die Ritter greifen rechtzeitig ein. (...) [Volker Mertens möchte die Stelle] parallel zur versäumten Gralsfrage sehen und daher den Versuch Wolframs herauslesen, einer möglichen Fehlinterpretation von Parzivals Versagen vorzubeugen. (...)
Walthers Strophen im sog. „Leopoldston“ (‚Erster Thüringerton’, ‚Zweiter Atzeton’), die sich auf den Minnesänger Reinmar namentlich beziehen (L, 82,24 und 83,1, Ausgabe Cormeau Nr. 55, II, III), bereiten der Forschung nicht geringe Verlegenheit. Entweder man charakterisiert sie (...) als perfide, gehässig, scheinheilig, spricht von Rache und Haß, oder man entschuldigt den vermeintlich aggressiven Ton mit dem Temperament Walthers, hält das Ganze auch für einen Nachruf zu Lebzeiten, der allein den Untergang von Reinmars Kunst beklage. (...) [Volker Mertens] Beitrag unternimmt eine umfassende Kontextualisierung der Strophen in der handschriftlichen Überlieferung, im Zusammenhang des Tons und im Oeuvre beider Sänger als Vorbereitung einer detaillierten Textanalyse. Abschließend wird die Rezeption betrachtet um die zeitgenössischen Verständnismöglichkeiten abzusichern. Dabei (...) [kommt] eine relativ genaue Datierung der Strophen gewissermaßen als Nebenprodukt heraus (...).
Das Spiel der Authentizität mit Erzähler, Figuren und dem biografisch faßbaren Autor wird immer wieder gespielt und wirkt immer wieder neu, selbst wenn der Text, wie der von (...) [Volker Mertens] behandelte, etwa fünfhundert Jahre älter ist als der von Jean Paul. Ob es legitim ist, die narratologischen Analysemodelle, die vor allem an der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts entwickelt wurden, auf den Roman des Mittelalters zu übertragen, soll (...) [Mertens Beitrag] erweisen und damit zu einem besseren Verständnis der Poetik von Albrechts Werk beitragen. 'Der Jüngere Titurel' (...) eines sonst unbekannten Autors Albrecht integriert die in drei Handschriften uneinheitlich überlieferten beiden 'Titurel'-Fragmente Wolframs in einen weitdimensionierten Erzählzusammenhang um die Queste nach dem Brackenseil und die Gralsuche, der vor allem aus dem 'Parzival' entwickelt ist. Da im Verlauf des Textes ,mehrfach die Erzählperson 'Wolfram' bzw. 'der von Eschenbach' oder 'Freund von Blienfelden' angesprochen wird und der Erzähler Albrecht sich nur einmal kurz vor Schluß nennt, galt das Werk schon eine Generation nach seinem Abschluß um 1270 als von Wolfram von Eschenbach verfaßt. (...) [Mertens untersucht] im folgenden die Erzählerfiktion 'Wolfram' an ausgewählten Textbeispielen und (...) [fragt] nach der jeweils spezifischen Aussage. (...) [Seine] These ist, daß es dem Autor nicht um ein tatsächliches Allonym für sich selbst ging, sondern (Jean Paul vergleichbar) um einen poetologischen Diskurs in konnotativer Form, der sich einerseits auf die Tradition und die zeitgenössischen narratologische Position bezieht, andererseits die spezifischen Probleme und Zielsetzungen des unternommenen Werkes thematisiert.
Das vorletzte Kapitel des Fünften Buches des "Fließenden Lichts der Gottheit" Mechthilds von Magdeburg (13. Jahrhundert) handelt von fünf Boten, die Gott zur Ermahnung der Menschen in die Welt gesandt hat. Gleich als erste wird Elisabeth von Thüringen († 1231) genannt. Von ihr heißt es in einer Gottesrede, ihre Sendung gelte für jene unseligen, unkeuschen, hochmütigen und eitlen Frauen, die auf den Burgen sitzen. Viele von diesen edlen Frauen seien dem Vorbild von Elisabeth gefolgt, allerdings nur soweit ihr Wille und ihre Kraft eben reichten. [...] Zwar lässt die Zahl der von kirchlicher Seite als glaubwürdig befundenen Wunderheilungen erahnen, welch hoher Beliebtheit und Bekanntheit sich Elisabeth schon kurz nach ihrem frühen Tod erfreute, doch wissen wir nicht, ob es die im "Fließenden Licht" referierte hohe Zahl von edlen Damen in Thüringen bzw. Sachsen gegeben hat, die vom Vorbild der ungarischen Königstochter und Landgräfin von Thüringen angeregt, sich für ein Leben in freiwilliger Armut und im Dienst der Kranken entschieden haben. Eine Ausnahme scheint es allerdings doch zu geben: Jutta von Sangerhausen. In den nicht allzu zahlreichen Forschungsbeiträgen zu Jutta wird sie als „die einzige direkt vom Vorbild Elisabeths inspirierte Vertreterin der religiösen Frauenbewegung Thüringens“ charakterisiert [...]. Anlass für die Annahme, Jutta sei dem Vorbild Elisabeths gefolgt, bieten vor allem zwei Stellen in ihrer Vita, wo der Lebenswandel Juttas mit dem von Elisabeth expressis verbis verglichen wird.
The discourses on textuality and literacy that can be observed in the Kyot-Excursus in 'Parcival' by Wolfram von Eschenbach and in the Magnetbergerzählung of the 'Reinfried von Braunschweig' will serve here as examples in an attempt to historicize textual models. My essay will focus on how the limits of textuality could be defines within those 13th-century aristocratic orders of knowledge to which court literature can provide an access. What emerges within this context are concepts and ideas that lie beyond the scope of modern scholarly systems; these narratives indicate a way of dealing with textuality and literacy that, rather than referring to the textual discourse, may remain instead on the phenomenal surface of the material or (as if the textual discourse did not exist) may embody implicitly the circumstances that it signifies.
Die Überlieferung mittelhochdeutscher Lyrik hält für unterschiedliche Fragen unterschiedliche Antworten parat. (...) Ganz konkret gesprochen: Uns fehlt ein Kommentar der Walther-Überlieferung, in dem die Walther-Corpora der Handschriften analysiert, der Bau der Töne kommentiert, die Lieder in ihrer unterschiedlichen Strophenfolge interpretiert und der Wortbestand sowie die Syntax in ihren Differenzen und Wandlungen dargestellt sind. Wenn die Frage nach dem autornahen Text die divergente Überlieferung gewissermaßen auf einen Text fokussiert, dann hält die Frage nach der Überlieferung den Blick auf die Differenzen als historisch belegte Möglichkeiten der Entfaltung eines Textes offen. Beide Fragen müssen im Blick des Faches bleiben, auch wenn sich die Paradigmen verschieben, denn beide Fragen sind, wie gesagt, nicht miteinander zu verrechnen. Das schließt freilich nicht aus, daß in einer zukünftigen Walther-Ausgabe Antworten auf beide Fragen gegeben werden.
Der Himmel wird in vielen Religionen als Wohn- oder Aufenthaltsort von göttlichen Wesen verstanden. Die Voraussetzung für diese Vorstellung ist die räumliche Entfernung zwischen Himmel und Erde. Zugleich scheint es aber ein menschliches Bedürfnis zu sein, diese Distanz zu überwinden und die Möglichkeit eines irdischen Zugangs zum Himmel anzunehmen, was in der bildenden Kunst und in der Literatur häufig thematisiert wird. Dabei dient zur Überbrückung des Zwischenraumes im sprachlichen oder künstlerischen Bild oft eine Leiter oder eine Treppe. Für den christlichen Bereich ist das Urbild solcher Vorstellungen die biblische Erzählung von Jakobs Traum. Ausgehend von einer Analyse dieser Erzählung wird im ersten Teil dieses Beitrags der Versuch unternommen, einige Entwicklungslinien im Motiv der Verbindung zwischen Himmel und Erde darzustellen. Aus Platzgründen können nur wenige ausgewählte Beispiele besprochen werden, nämlich Texte, in denen als Mittel des Aufstiegs eine Leiter oder eine Treppe dient. In den folgenden Teilen wird dann die Instrumentalisierung dieser beiden Wege zum Zweck der Tugendlehre im ›Welschen Gast‹ Thomasins von Zerklære untersucht.
Waldweib, Wirnt und Wigalois : Die Inklusion von Didaxe und Fiktion im parataktischen Erzählen
(2009)
Die ‘Tugend’ des Erzählers besteht in seiner spezifischen Kunst des Erzählens. Was jedoch die Kunst des Erzählens als ‘Kunst’ ausmacht, ist in mittelalterlicher volkssprachiger Literatur schwer zu fassen. So könnte bereits der Begriff der ‘Kunst’ in die Irre führen, insofern er die pragmatischen Interessen der Unterhaltung oder der Belehrung von anachronistischen Literarizitätskriterien her zurückdrängt. Im Spannungsfeld dieser Überlegungen gehört es zur lange bekannten Crux mittelalterlicher volkssprachiger Literatur, dass eine Dichtungslehre, eine Poetik nicht existiert. Versuche, diese implizit zu erstellen, gibt es gleichwohl. […] Wie schwierig es jedoch nach wie vor ist, poetologische Richtlinien verbindlich vorzustellen, die nicht mit der argumentativen ‘Schwundstufe’ Didaxe o d e r Fiktion – Fiktion verstanden als Sinnvermittlung über ein frei durchkomponiertes Material – argumentieren, zeigt sich letztlich auch daran, dass im Bereich der Lyrik erst jetzt dezidierte Versuche auf breiterer Basis unternommen werden, über die Frage nach Gattungsinterferenzen die Möglichkeit einer impliziten Poetik abzutasten, die Sangspruch und Minnelyrik erfasst, dass die Versuche im Bereich der narrativen Kleinformen zu einer in hohem Maß disparaten Diskussion geführt haben und dass auch im Geltungsbereich des volkssprachigen Romans nicht nur das Ausmaß der Anleihen bei der antiken und mittellateinischen Poetiktradition nach wie vor umstritten ist, sondern auch die implizit entwickelten Ansätze, wie sie Haug vorgestellt hat, historisch stärker zu differenzieren wären. Unter dem Stichwort der ‘Historischen Narratologie’ sind hier weiterführende Arbeiten zu erwarten. Die folgenden Ausführungen verstehen sich als Beitrag in dieser Richtung.
[D]ie Schlusspartie im ersten Buch des ›Willehalm von Orlens‹ Rudolfs von Ems […] beginnt unmittelbar mit der breit geschilderten Totenklage über den ermordeten Fürsten Wilhelm […]. Mitten in diesem Leid, das in Rede und Gebärde zum Ausdruck gebracht wird, geschieht im ›Willehalm von Orlens‹ das Außerordentliche: Elye, Wilhelms Frau, stirbt aus übergroßem Schmerz an der Leiche ihres Mannes. Obwohl solch ein „Tod an gebrochenem Herzen“ außerhalb der normalen lebensweltlichen Erfahrung steht und als Faktum des Sterbens an sich keine ‘moralische’ Komponente beinhaltet, birgt er ein gewisses Konfliktpotenzial […].
Wie versucht nun der Text diesen beunruhigenden, ‘unfassbaren’ Tod literarisch darzustellen und damit fassbar zu machen? Werden die Wertekonflikte, die bei jedem Liebestod unweigerlich mitschwingen, angesprochen, beurteilt und wird versucht, sie zu harmonisieren? Diese Fragen werden umso brisanter, gerade wenn man die generell didaktische Tendenz des Romans berücksichtigt, der in der Forschung als ‘Fürstenlehre’ für den jungen
Staufer Konrad IV. gilt. Eine Antwort darauf lohnt sich in den Klagen zu suchen, die den Liebestod von der Handlungsfügung her umrahmen. Sie finden sich im ›Willehalm von Orlens‹ auf verschiedene Personen aufgeteilt: die Perspektive auf den Tod resp. Liebestod vervielfältigt sich, dieser gewinnt unter den verschiedenen Blickwinkeln unterschiedliche Facetten – so auch seine Bewertung. […] Daneben ist es aber für ein erweitertes Verständnis von Aussage und Funktion unabdingbar zu erörtern, w i e diese Klagen ‘in Szene’ gesetzt werden, d. h. wie sie und die klagenden Personen im Diskurs zur Darstellung kommen: Erst in dieser Zusammenschau darf man eine über die Textebene hinausreichende Interpretation der Bewertung der Liebestodproblematik in dieser Textpassage versuchen und damit eine mögliche Antwort auf die Frage finden, welche ‘Lehre’ denn die Erzählung und Kommentierung der Ereignisse rund um Elyes Liebestod transportieren könnten.
Die Überfahrt von der Insel Scyros nach Troja stellt für Achills Leben eine Zäsur dar: Nachdem er vom Zentauren Chiron in Thessalien erzogen wurde und danach auf Scyros, in Mädchenkleider gehüllt, mit Deidamia seine erste Liebe erlebt hat, wird er nun von Ulixes und Diomedes an den Ort seiner Bestimmung gebracht. […] Diomedes und Ulixes befragen Achilles über seinen Werdegang, und seine Antwort offenbart schon den ganzen Unterschied zwischen Konrads von Würzburg Darstellung innerhalb seines ›Trojanerkriegs‹ (zwischen 1281 und 1287) und seiner Vorlage, der ›Achilleis‹ des Statius (1. Jh. n. Chr.). In der römischen Version nämlich schildert Achilles ausführlich seine harte Erziehung durch Chiron […]. Die Zeit bei Deidamia wirkt […] wie ein peinlicher Irrweg […]. Konrads Achilles hingegen erzählt zwar ebenfalls von der Zentauren-Ausbildung, dann aber auch "von den minnen,/die Dêîdamîe und er / mit innecliches herzen ger / getragen heten lange stunt." […] Er bezieht die Liebesgeschichte ausdrücklich in seinen Werdegang ein und bekennt sich damit zu ihr. Dieser Werdegang besteht also aus zwei Teilen, aus einem doppelten Erziehungsweg. […] Dies […] bedeutet eine ungeheure Aufwertung der Liebesgeschichte in der mittelalterlichen Version. Doch was macht den ‘erzieherischen’ Wert der Liebe aus? Inwiefern stellt die Deidamia-Episode nicht mehr nur einen besser zu verschweigenden (wenn auch erzählerisch um so reizvolleren) Irrweg dar in Achills Entwicklung zum größten Kämpfer vor Troja, sondern sogar eine – womöglich unentbehrliche – Entwicklungsstufe von eigenem Recht? Im Folgenden soll Konrads Bearbeitung der Episode im Vordergrund stehen, aber immer wieder auf Statius als kontrastierenden Hintergrund zurückbezogen werden.
In den letzten Jahrzehnten ist die Lyrik Hartmanns von Aue zunehmend in den Blickpunkt des Forschungsinteresses gerückt. Gelegentlich hat dies überraschende Kommentierungen bis hin zu gänzlich neuen Deutungen gezeitigt, deren Anliegen es ist, das konventionelle Hartmannbild um die in den bekannten Minneabsagen, dem dritten Kreuzlied (MF 218,5) und dem sog. ‘Unmutslied’ (MF 216,29), bereits vorbereitete Komponente einer Kritik an der höfischen Minne zu erweitern oder entsprechend schärfer zu profilieren. Eines der Lieder, die unter das Vorzeichen einer Kritik Hartmanns an Grundwerten der Hohen Minne geraten sind, ist das dreistrophige stæte- Lied, MF 211,27. Man hat sich angewöhnt, seine Aussagen als ‘ironisch’ zu verstehen, und beruft sich damit zunächst auf den unüberhörbar originellen Tenor des ersten Stollens seiner Eingangsstrophe. Dabei gründet sich der ‘Ironieverdacht’ auf die geläufig gewordene Voraussetzung einer schon mit der originären Konzeption gegebenen Einheit des dreistrophigen Liedes. Diese Voraussetzung gilt es im folgenden kritisch zu überprüfen.
Von den im Folgenden veröffentlichten Strophen finden sich in der weiterhin unentbehrlichen Reinmar-Ausgabe Gustav Roethes nur ein paar Zeilen. Es handelt sich um den Schlussteil der unten mit III. bezeichneten Strophe, die damit also nur partiell als unediert gelten kann (bei Roethe Nr. 252). Dieses Textstück hat Roethe nach einem Pergamentblatt ediert, das um 1855 von Wilhelm Crecelius zusammen mit anderen Fragmenten im Archiv der Fürsten von Ysenburg auf Schloss Büdingen entdeckt worden war. Er machte seine Funde 1856 in der ›Zeitschrift für deutsches Altertum‹ bekannt, unterließ allerdings bei dem dann von Roethe aufgenommenen Textfragment einen Hinweis auf Reinmar. Unter den von Crecelius veröffentlichten Funden waren auch einige Blätter, die derselben Handschrift angehört haben mussten wie das genannte Blatt. Bei seinen Nachforschungen im Büdinger Archiv waren Crecelius freilich mehrere Blätter entgangen. Eines dieser Blätter, das den fehlenden Anfangsteil der erwähnten Strophe enthält, tauchte im Jahr 1912 auf. Es wurde vom Archiv an Otto Behaghel nach Gießen zur Bestimmung gesandt, der es mit einer Transkription zurückschickte, jedoch die Zusammengehörigkeit der beiden Blätter und damit auch der beiden Textstücke nicht erkannt hatte. Erst bei der Arbeit am ›Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder‹ konnte 1986 der Zusammenhang festgestellt werden. Dabei ergab sich auch, dass der nunmehr vervollständigten Strophe zwei andere Strophen vorausgehen, die bis dahin vollkommen unbekannt waren. Sie werden hier nun erstmals gedruckt.
Gottfried von Straßburg gilt als gebildeter Autor, als Kleriker und meister, der in den septem artes, vielleicht auch darüber hinaus bewandert ist und sorgfältig eine Art intellektuellen Habitus als sein Markenzeichen kultiviert. Diese Signatur der Gelehrsamkeit manifestiert sich auch in der Gestaltung seines Protagonisten Tristan, denn statt der konventionellen adligen Ausbildung, in der man an einem fremden Hof durch konkrete Anschauung lernt, verfolgt Tristan ein intensives Bücherstudium, das schon bald Wirkung zeigt: […] [S]o wird das schickliche und anmutige Verhalten, das bei Gottfried mit der mittelhochdeutschen Formulierung die 'schoenen site' fast immer im Plural begegnet, zu einem Beschreibungskriterium, das der Erzähler ebenso wie die übrigen Figuren wiederholt auf den jungen Tristan anwendet: In der Begegnung mit den Kaufleuten und den Pilgern, am Markehof und bei der Schwertleite finden sich die 'schoenen site' als konstante Fügung und werden zum Signum des Protagonisten. Seine Sympathie stiftende höfische Exzellenz ist es auch, die den Spielmann Tantris als Lehrer für die junge Isolde qualifiziert. Im Folgenden soll ein zentraler Lehrinhalt dieses Unterrichts, nämlich die 'moraliteit', in ihrer Bedeutung als gesellige Erziehungslehre untersucht werden, bevor dann Konzeptionen einer ethischen Vermittlung durch Romanlektüre, wie sie der Prolog avisiert, zu thematisieren sind.
Durch die Ästhetisierung und Regulierung der Gewalt im ritterlichen Kampf und insbesondere in seiner literarischen Darstellung spaltet sich der mehrdeutige deutsche Begriff ‘Gewalt’ in zwei seiner lateinischen Entsprechungen: Wofern die Regeln eingehalten werden, ist sie ‘vis’, wofern aber gegen die Regulierung verstoßen wird, ist sie ‘violentia’; Johannes Rothe nennt sie dann im ›Ritterspiegel‹ ‘bose gewalt’ (V. 2677). Nicht vergessen werden darf aber die dritte Komponente der Gewalt, die ebenfalls in diesem schillernden deutschen Wort enthalten ist: ‘potestas’, die auf ‘vis’ aufbaut. Die ‘êre’, die ein Ritter im Kampf erringt, ist mehr als nur ein guter Ruf, sie ist eine gesellschaftliche Anerkennung, die auch Elemente der Macht in sich trägt. Die ‘potestas’ aber des Herrschers stärkt sich, indem sie einige Formen der ‘vis’ anderer zur ‘violentia’ erklärt. Ein herausragendes Beispiel hierfür sind die Landfriedengebote, die insbesondere unter dem Stauferkaiser Friedrich I. häufig ausgesprochen und als Herrschaftsinstrument verwendet wurden. Durch sie sollte die Möglichkeit eines individuellen gewaltsamen Konfliktaustrags in der Fehde unterbunden werden, indem sich beide Parteien der richterlichen Gewalt, der ‘potestas’ des Herrschers, unterwerfen und es dem Richter überlassen wird, mit Gewalt denjenigen, der gegen Regeln des Zusammenlebens verstoßen hat, zu bestrafen. Die ‘peinlichen’, also ernsten körperlichen Strafen, die die hoheitliche Gerichtsbarkeit verhängen kann, sind Ausdruck dieser rechtlich kanalisierten, aber keineswegs abgeschafften Gewalt, auf der die Ordnung beruht.
Die Paradoxie mystischer Lehre im ›St. Trudperter Hohenlied‹ und im ›Fließenden Licht der Gottheit‹
(2009)
Wenn Werke der mittelalterlichen volkssprachigen Mystik in Literaturgeschichten behandelt werden, so scheint oft die Wahl zwischen zwei Zugangswegen. Verbreitet ist, vor allem wenn es um Werke schreibender Frauen geht, eine autobiographische Lesart, bei der das sprechende Ich umstandslos mit der Autorin identifiziert wird. So entstand der Begriff der ‘Erlebnismystik’, in der literarische Zeugnisse unmittelbar als Bericht aus dem Leben gelesen wurden, einem Leben, das dann oft pathologisiert wurde.[…] Im Rahmen solch autobiographischer Authentizität scheint ein Anspruch auf Lehre, die ja gerade die interpersonale Übertragbarkeit von Regeln voraussetzt, unangemessen. Wenn man hingegen die literarische Konstruiertheit der Texte hervorhebt, […] gilt das Augenmerk vor allem der zentralen Paradoxie, an der sich diese Texte abarbeiten, nämlich der Versprachlichung des grundsätzlich die Sprache übersteigenden Augenblickes der unio. Wo die eine Richtung in Begriffen von ‘Erlebnis’ und ‘Erfahrung’ die biographische Echtheit der Texte beschwört, sieht die andere den besonderen Status der Texte gerade in ihrer Literarizität. Solche Elemente literarischer Konstruiertheit aber, die Werke geistlicher Literatur in die Nähe weltlich-fiktionaler Dichtung verschieben, erscheinen aus ganz anderer Perspektive ebenfalls unvereinbar mit Lehrhaftigkeit. Was beide Interpretationsweisen dabei in der Regel aus den Augen verlieren, ist der Aspekt des lehrhaften Sprechens […]. Beide von mir ausgewählten Beispiele sind deutlich der Didaxe verpflichtet und präsentieren sich als an ein Publikum gerichtet, das sie belehren möchten.
Als Hartmann von Aue vor gut 800 Jahren seine Version der Gregoriuslegende niederschrieb, mag ihm der Ödipusmythos bekannt gewesen sein, aus der Perspektive eines mittelalterlichen Gelehrten war dieser jedoch ein Überbleibsel aus einer vorchristlichen und damit gottesfernen Zeit und eher über den Umweg der christlichen Allegorese interessant. Wahrscheinlicher ist es hingegen, dass für ihn die Legende vom heiligen Papst eine historisch wahre, die Allmacht Gottes unter Beweis stellende Geschichte war. Thomas Mann versteht Hartmanns Gregorius hingegen in Folge seiner Beschäftigung mit den mythologischen Ursprüngen der europäischen Kultur als Variante des Ödipusdramas Sophokles’ und versucht in dem Erwählten die antiken Quellen zum einen auf einer literaturhistorischen Ebene freizulegen, zum anderen jedoch auch im Rahmen der psychoanalytischen Theorie zu interpretieren. Im Folgenden wird diesem Interpretationsansatz anhand der Differenzen der Textfassungen nachgegangen, um die Frage zu erörtern, welche Elemente des Ödipusmythos Thomas Mann aus der Gregoriuslegende herausgearbeitet hat. ...
Bei Helmut Brall-Tuchel geht es um die Prozesse der inneren und äußeren Wahrnehmung. Diese Analyse, die sich mit den Affekten befaßt (vor allem mit der Bildsprache des Schreckens im Parzival) und mit der Beziehung des Erzählers zu den Wahrnehmungen seiner Figuren, konzentriert sich auf einen kulturanthropologischen Gesichtspunkt.
Um die Wahrnehmung der Liebe geht es im folgenden Beitrag. Nach einer detaillierten Untersuchung der Liebessprache im Parzival kommt Elisabeth Lienert zu dem Ergebnis, daß Wolfram keine neue Liebessprache entwickelt: Lienert argumentiert, daß es dem Erzähler nicht auf die Wahrnehmung von Emotionen ankommt, sondern auf die Darstellungen von wirkenden Kräften, vor allem von Gewaltverhältnissen.
Norbert Voorwinden erörtert die These, Ovids "Metamorphosen" seien die wichtigste Stoffquelle für den Dichter des Nibelungenliedes gewesen. Er kommt zwar zum Schluss, dass diese These unhaltbar ist, zeigt jedoch an einigen Beispielen, daß Kenntnis der antiken Dichtung die Interpretation mancher dunklen Stellen im Nibelungenlied erleichtert.
Die Nibelungenparodie, die, soweit uns bekannt ist, zuvor noch nicht publiziert wurde, ist in mehrfacher Hinsicht von besonderem Interesse: zum einen als ein literarisches Debüt einer weiblichen Autorin und angehenden jungen Wissenschaftlerin Ende der zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, zum anderen als interessantes und aufschlussreiches Zeitzeugnis. So finden sich an mehreren Stellen Anzeichen einer Ironisierung des heroischen Männlichkeitsideals der Nibelungen und einer Entlarvung des germanischen Heldentums, parodistische Akzente, die zur aufkommenden Rassenideologie um 1930 markant quer liegen. Zugleich werden in augenzwinkernder Kontaktaufnahme mit dem Zuschauer bzw. Leser Elemente aus dem damaligen studentischen Leben wie der Besuch des Kleist-Seminars oder die beliebte Freizeitgestaltung mit Paddelbootausflügen auf der Lahn integriert, die einen Einblick in das damalige studentische Leben bieten. Im Text fungieren sie zudem als humoristische anachronistische Momente, die immer wieder zum Schmunzeln verführen. Darüber hinaus erweist sich die Nibelungenparodie als ein dichtes intertextuelles Gewebe mit zahlreichen Anspielungen, versteckten intertextuellen Referenzen und wörtlichen Zitaten aus den Opern Richard Wagners sowie Werken von Heinrich von Kleist, Adelbert von Chamisso und anderen Vertretern der klassisch-romantischen Tradition.
Die vorliegende Ergänzung für den Berichtszeitraum 1980-1997 bezieht sich auf die Bibliographie zu Wernher der Gartenaere. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1981 (= Bibliographien zur deutschen Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Ulrich Pretzel und Wolfgang Bachofer. Heft 8), die noch lieferbar ist (ISBN 3-503-01658-9). Korrekturen und Ergänzungen (z.B. Neuauflagen) zu den Titelaufnahmen der Publikation von 1981 sind mit der dort vergebenen laufenden Nummer der Bibliographie (Nr. 1-450) ausgewiesen. Für die Nachträge (auch für neugefundene Titel aus der Zeit vor 1981) wurde die Bezifferung mit der Nummer 1001 neu begonnen.
Im elften Buch seines Adelsspiegels (1591) kommt Cyriacus Spangenberg der Wigalois des Wirnt von Grafenberg in den Sinn, weil darin etlicher Ritter von der Tafelrunde gedacht werde, insbesondere des Herren Gwy von Galois, "sonst Ritter Wiglois vom Rade genandt", und eines "Grauen Hoiers von Manßfeldt des roten". Das alte Buch, das einst Herzog Albrecht von Braunschweig in Auftrag gegeben hatte, habe er von einer adeligen Witwe erhalten, später aber an die Grafen von Mansfeld weitergegeben, die sich sehr für die Rolle ihres Vorfahren in diesem Roman interessiert gezeigt hätten.
In Vorbereitung der zweisprachigen Ausgabe (Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text der Ausgabe von J.M.N. KAPTEYN. Übersetzt und kommentiert von SABINE u. ULRICH SEELBACH. Berlin: de Gruyter) und einer Monographie zum Wigalois und zu den "Gawaniden"-Romanen entstand das Verzeichnis der handschriftlichen Überlieferung und die Bibliographie der Forschungsliteratur zu einem noch immer nicht zureichend erschlossenen Autor aus der Zeit der höfischen Klassik. Aus Umfangsgründen kann in den beiden genannten Büchern nur eine Auswahl von bibliographischen Nachweisen geboten werden. Die Herausgeber der Zeitschrift Perspicuitas waren so freundlich, die vollständige Bibliographie gesondert zu publizieren. Im Anhang sind einige Editionen und weiterführende Literatur zu den verwandten Werken der europäischen Artusepik vom Typus des "Schönen Unbekannten" aufgeführt -- von uns werden diese Gestaltungen als "Gawaniden-Romane" bezeichnet, da fast stets ein Sohn, Bruder oder Neffe des Artusritters Gawan die jeweilige Heldenrolle übernimmt. Eine ausführliche Würdigung und eine Einordnung dieses weitverbreiteten, nicht-chretienschen Musters des Artusromans wird in der oben erwähnten Monographie zu finden sein.
Über Maximilians I. "Ambraser Heldenbuch" (AH) ist eine Fülle von Spezialliteratur erschienen, die, rechnet man die überlieferungsgeschichtliche und textkritische Literatur einzelner Texte hinzu, fast einen eigenen Forschungsbericht verlangte. [...] Völlig unbefriedigend sind die bisherigen Erklärungsversuche zur Vorlagenproblematik. Hat es tatsächlich ein dem AH bis in Einzelheiten vergleiehbares Sammelwerk - das "Heldenbuch an der Etsch" - gegeben oder sind verschiedene Sammel- bzw. Einzelvorlagen Ried zur Abschrift vorgelegt worden? Wie alt waren diese Vorlagen, woher stammen sie und warum wurden alle Vorlagen - bis auf ein Fragment des Nibelungenliedes - vernichtet?