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Iqbal and Goethe : a note
(2005)
The recourse to Goethe plays an important role in the work of Mohammad Iqbal (1873-1938), one of the few important writers from the Indian subcontinent who knew German literature. Iqbal situates his own writing in the context of western colonial expansion and the corresponding world-historical loss of power of Islam in the East. The recourse to Goethe becomes an import reference point in his work. It enables him to stylise himself as a Messenger of the East in reply to Goethe as a representative of the West. By establishing a comparative cultural constellation with his German predecessor Iqbal affirms a cultural position consisting of a mode of historical complaint and cultural revival.
Die Anforderung nach einem ‚Winckelmann der Poesie’ steht bei Herder und Friedrich Schlegel für die Neukonzeption von Literaturgeschichte, die an der ‚Geschichte der Kunst des Altertums’ Maß nimmt. Doch führt die Auseinandersetzung mit diesem Werk bei beiden zu gegensätzlichen Geschichtskonzepten. Es geht dabei um den Zusammenhang von Geschichte und System, den Herder im Widerspruch zu Winckelmann durch historische Objektivitätsillusion negiert und Schlegel in Übersteigerung der Winckelmannschen Ansprüche forciert. Daraus folgt beim jungen Schlegel die Überblendung von statisch taxonomischem und dynamischem Geschichtsmodell, die dann allerdings nicht von Schlegels eigenen Arbeiten zur Literaturgeschichte, sondern von der idealistischen Kunstphilosophie Schellings und Hegels fortgesetzt wird.
Die poetische Evokation von Strömen und Flüssen, die als Verkehrswege verschiedene Länder und Sprachgemeinschaften untereinander verbinden, erinnert an die poetische Utopie grenzüberschreitend-universaler Kommunikation. Dem Bildfeld um Wasserläufe und Wasserwege affin ist das Bild der Quelle, die zudem für Ursprünglichkeit, Lebendigkeit, Erneuerung steht. Insofern enthält bereits der Titel des (im folgenden vorzustellenden) poetischen Projekts, mit dem Schuldt und Robert Kelly an Hölderlin anknüpfen, in nuce ein poetisch-utopisches Programm. Zudem fällt der Name eines Flusses, der einem Vielvölkerstaat seinen Namen gab: "Am Quell der Donau / Unquell the dawn now" […]. Mit dem zweiten Teil des Titels, der sich als klang-analoge, wenngleich semantisch inäquivalente Übersetzung des ersten versteht ("Unquell the dawn now"), kommt zugleich die nicht minder symbolträchtige Übergangszeit der Dämmerung ins Spiel – einer von vielen merkwürdigen sprachklanglich bedingten Zufällen, deren Erkundung sich dieses Projekt verschreibt. Schon der bilinguale Titel vollzieht eine Grenzüberschreitung – nicht nur zwischen der deutschen und der englischen Sprache, sondern auch zwischen 'Eigenem' und 'Fremdem'. Denn der erste (deutsche) Teil ist Zitat. Friedrich Hölderlin, der in seinem lyrischen Werk die Ströme Europas besungen und dabei eine komplexe symbolische Topographie entfaltet hat […], liefert die "Quelle", von der aus der bilinguale Sprach-Fluß seinen Ausgang nimmt.
»Wie ist der Spazirgang durch Europa bekommen?« Mit dieser ungewöhnlichen Frage beschließt Johann Wolfgang Goethe seinen Brief, den er am 8. März 1803 an den Dichterfreund Friedrich Schiller richtet. Ungewöhnlich erscheint die Frage deshalb, weil Schiller bekanntermaßen nicht sonderlich viel reiste und die Grenzen des deutschen Territoriums zeitlebens nicht überschritt. Eine Italienische Reise, auf die sich Goethe Ende der 1780er Jahre begibt, oder ein Spaziergang nach Syrakus, wie ihn Johann Gottfried Seume im Jahr 1802 unternimmt, fehlen in Schillers Biographie. Doch in Goethes Brief ist auch von keiner Reise, sondern schlicht von Friedrich Schlegels neuer Zeitschrift Europa die Rede, deren erstes Heft im Februar 1803 erschienen war. Auskunft darüber, wie ihm dieser »Spazirgang […] bekommen« sei, gibt Schiller zwar nicht, aber es ist zu vermuten, dass er ihm sicher nicht missfallen hat. Denn im Beitrag »Literatur« erwähnt Schlegel unter anderem die »Schillerschen Trauerspiele«, die er zu »eine[r] Reihe von Versuchen poetischer Darstellungen auf dem Theater« rechnet, die »hoffen lassen, daß bald ein hinlängliches Fundament vorhanden seyn werde, um unter einer Direction, die der des Weimarischen ähnlich wäre, ein Theater zu gründen, das durchaus nur im Gebiete der schönen Kunst seine Existenz hätte […].« Dass um 1800 eine Zeitschrift gegründet wird, die programmatisch den Namen ›Europa‹ trägt, spricht für die Popularität des europäischen Gedankens, dessen Bedeutungshorizont kultur-, sozial- und ideengeschichtliche Perspektiven vereint.
Ist nicht ohnehin alles zu Kleist gesagt und erforscht? Aber seine ungeklärten Aufenthalte, seine merkwürdigen Krankheiten, die geheimnisvollen Andeutungen zu Reisen bleiben weiter ebenso rätselhaft wie seine möglicherweise latent vorhandene Homosexualität, seine ewig von Todessehnsucht begleitete Melancholie, sein konspiratives Mitwirken in der napoleonischen Zeit, seine gewaltige und gewaltsame Sprache. Es hat in der Kleist-Rezeption immer wieder zahlreiche Versuche gegeben, das Dunkel auszuleuchten. Seine heute weltberühmten Stücke und Essays bieten scheinbar jedem Geschmack, jeder Zeit, jeder sozialen Befindlichkeit Nahrung für Interpretation und Aneignung. Die Zutaten zu dem in ungefähr zehn Jahren und in konzentrierten Schüben gebildeten Werk eines jungen preußischen Adeligen sind indes dieselben geblieben.
[Der] wohl bekannteste[] Gedankenstrich der Weltliteratur […] findet sich gegen Ende des zweiten Abschnitts der Kleistschen Erzählung „Die Marquise von O….“, genauer: zwischen der adverbialen Bestimmung »hier«, die anzeigt, wo die Marquise, kaum dass sie dem Angriff der russischen Soldateska auf die Zitadelle bei M…. entronnen ist, »bewusstlos nieders[inkt]«, und der Fortsetzung des Satzes, der von der Fürsorge des die Operation leitenden Offiziers und seiner Bitte an die »bald darauf« erscheinenden Frauen des Hauses berichtet, für die Ohnmächtige »einen Arzt zu rufen«; diese werde sich, so die Überzeugung des Grafen F…., in Kürze »erholen«. Ausgestellt wird durch diesen Strich nicht etwa ein Gedanke – was seit der Erfindung des Zeichens im 17. und seiner Hochkonjunktur im 18. Jahrhundert ohnehin die Ausnahme ist –; der Strich entpuppt sich als der Platzhalter eines Kopulations- und Zeugungsaktes, der im Verlauf der Geschichte die natürlichsten Konsequenzen zeitigt. Der Erzähler erzählt, ohne zu erzählen; er zieht einen simplen Strich, der gleichzeitig zu lesen und nicht zu lesen ist, der den Schauplatz ebenso verstellt, wie er ihn entblößt, und der es in dieser Doppelrolle bewirkt, dass Wissen und Nicht-Wissen, Liebe und Gewalt (resp. Vergewaltigung) zu abgründigen, weil ununterscheidbaren Größen werden.
"Was weiter erfolgte, brauchen wir nicht zu melden..." : Heinrich von Kleists "Poetik der Unschärfe"
(2011)
Seit Jahren steht in der Diskussion über Heinrich von Kleists Erzählung „Die Verlobung in St. Domingo“ die Frage im Mittelpunkt, wie man mit dem latenten Rassismus umzugehen hat, der Kleists Novelle prägt. Warum beispielsweise gibt der Erzähler die komplexen historischen Ereignisse rund um den zwischen 1798 und 1807 andauernden Freiheitskampf der »schwarzen Sklaven« gegen ihre »weißen Kolonialherren« mit der tendenziösen Formel wider, seine Geschichte spiele zu jener Zeit, »als die Schwarzen die Weißen ermordeten«? Stellt diese Zusammenfassung die Historie nicht zuungunsten der »schwarzen« Freiheitskämpfer auf den Kopf? Verweigert „Die Verlobung“ der schwarzen Bevölkerung Haitis jene Rechte, welche die Aufklärung und Französische Revolution den »Weißen« zusichern? War Heinrich von Kleist ein Rassist?
Kleist erzählt in seiner 1808 erstmals erschienenen Novelle „Marquise von O….“ die Geschichte einer Frau, die unwissentlich vergewaltigt wird, per Zeitungsannonce den Kindsvater sucht und am Ende den Geständigen heiratet. Kleist legt in seiner Erzählung zahlreiche Fährten, eine davon führt zum christlichen Mythos der Heiligen Familie und somit zum Urbild der bürgerlichen Familienstruktur. Das zentrale Motiv der unerklärlichen Schwangerschaft rückt die Marquise in die Nähe der Gottesmutter Maria. Als sie die Hebamme fragt, ob denn »die Möglichkeit einer unwissentlichen Empfängnis sei«, erhält sie die Antwort, »dass dies, außer der heiligen Jungfrau, noch keinem Weibe auf Erden zugestoßen wäre«. Wenn Kleist seiner Novelle die Figurenkonstellation der Heiligen Familie zugrunde legt – wie sind dann die weiteren Rollen verteilt? Die Heilige Familie beschreibt zwei Figurendreiecke, ein göttliches und ein menschliches. Das göttliche Dreieck umfasst Gottesmutter, Gottvater und Gottessohn, das menschliche Dreieck Maria, Joseph und das Jesuskind. Letzteres hat somit zwei Väter: einen göttlichen, der es zeugt, und einen irdischen, der es legitimiert.
Michel Foucault zufolge ist die politische Moderne in spezifischer Weise von einer umfassenden Sorge um das physische Dasein des Menschen geprägt. Während sich das klassische Modell der pastoralen Regierungskunst durch das Recht des Souveräns über Leben und Tod von Untertanen definiert […], treibt »Biopolitik« im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert ein neues Projekt voran: […] Medizin, Psychiatrie, Schule, Polizei sind die allgegenwärtigen Institutionen eines bevölkerungspolitischen Plans, der die Tatsache der biologischen Existenz adressiert und […] unter dem Vorzeichen von Normalisierung und Regulierung ins Zentrum des politischen Handelns rückt. […] Kleist ist persönlich in diese epochalen Umbrüche involviert. Mit der Anstellung im Preußischen Staatsdienst 1804/1805 unter dem Freiherrn von Stein lernt er die Reformen Hardenbergs aus nächster Nähe kennen und besucht an der Königsberger Universität Vorlesungen bei Christian Jacob Kraus, dem Theoretiker dieser verwaltungstechnischen Reorganisation. […] Diese Anfänge einer Politik des Lebens haben in Kleists literarischen Schriften noch wenig untersuchte Spuren hinterlassen. […] Dabei sollte nicht vergessen werden, dass Kleist den vormodernen Machttyp der Souveränität keineswegs aus den Augen verliert. Paradigmatisch hierfür kann die 1808/1810 erschienene Erzählung Michael Kohlhaas gelten.
Ein Dorfrichter missbraucht seine Amtsautorität, nötigt eine junge Frau sexuell, indem er ihr droht, dafür zu sorgen, dass ihr Verlobter als Soldat in einem Kolonialkrieg verheizt wird, sollte sie ihm nicht zu Willen sein. Bei seiner […] Flucht vom Tatort zerschlägt er einen Krug. Dieser […] bezeichnet die mutmaßlich geraubte Unschuld der jungen Frau. Sex and Crime also – von Kleist indes als Komödie präsentiert. Angesichts der körperlichen Schändung […] erscheint diese Gattungsentscheidung gewagt; zumal Kleists Darstellung auf den ersten Blick keine allzu große Empathie für die geschädigte Seite dokumentiert. Wie so oft bleibt nämlich die Paraderolle dem Bösewicht vorbehalten: dem Dorfrichter Adam. Frau Marthe Rull hingegen, die Mutter des vergewaltigten Mädchens und Eigentümerin des zerbrochnen Krugs, gilt nicht gerade als Sympathieträgerin […]. Ihre insistierende Klage vor Gericht, in der sie den Krug mit aller Einlässlichkeit beschreibt, weist sie in den Augen der amerikanischen Kleistexpertin Ilse Graham als überaus »schlichte Person« aus, ja lässt sie gar zu einem Musterbeispiel »törichter Besessenheit« werden. Man kann solchen Furor gegenüber einer literarischen Figur befremdlich finden, Fakt ist allerdings, dass Frau Marthe auch für den heutigen Theaterzuschauer zunächst einmal eine Nervensäge ist. Ihre langatmige Beschreibung des Krugs bringt den sonst besonnenen Gerichtsrat Walter dazu, sie ein ums andere Mal mit Einwürfen wie »weiter, weiter« zu mehr Stringenz anzutreiben.
Zu dem umrätselten Gespräch, das Napoleon 1808 mit Goethe über den "Werther" geführt hat, kursieren zwei Auflösungen, die beide mit Goethes Äußerungen nicht zur Deckung zu bringen sind. Unbeachtet geblieben ist eine Erklärung aus dem Jahre 1902, die sich aus den Aufzeichnungen K. E. Schubarths ergibt. Sie stimmt nicht nur mit Goethes eigenen Andeutungen überein, sondern macht auch sein Schweigen über dieses Gespräch verständlich.
Es liegt nahe, in dieser ebenso kurz wie prägnant auftretenden literarischen Figur der "Wahlverwandtschaften" ein konkretes historisches Vorbild zu vermuten. Bereits im 1916 veröffentlichten Registerband der Weimarer Ausgabe wurde sie mit dem Engländer Charles Gore identifiziert, eine Annahme, die seitdem mehrfach wiederholt wurde, freilich ohne auf ihren Erkenntnisgehalt hin geprüft worden zu sein. Gore, ein kultivierter Privatier, Schiffskonstrukteur und begabter Amateurzeichner, lebte mit seinen beiden Töchtern Eliza und Emilie von 1791 bis zu seinem Tode 1807 in Weimar und pflegte engen Kontakt zu dessen Gesellschaft. Vorausgegangen war ein fast zwanzigjähriges Reise leben, das 1773 mit einem durch den angeschlagenen Gesundheitszustand der Gattin bedingten mehrmonatigen Aufenthalt in Lissabon begonnen und die Familie seitdem durch weite Teile des europäischen Kontinentes geführt hatte. Die Konvergenz beider Figuren ist in der Tat höchst bemerkenswert. Sie soll im Folgenden näher untersucht werden, wobei vor allem der ästhetische wie pädagogische Nutzen ihres Wirkens herauszuarbeiten sein wird. Ein Verfahren, das den literarischen Text und den historischen Sachverhalt gleichermaßen in den Blick nimmt – wohlgemerkt unter Voraussetzung der jeweiligen Eigengesetzlichkeiten –, erlaubt dabei zweierlei: zum einen Einsicht in die Werkstatt des Dichters, der, vom Eindruck einer zeitgenössischen Persönlichkeit ausgehend, diese literarisch verarbeitet. Zum anderen vermag eine quellengestützte Untersuchung jene faszinierende Wirkung zu rekonstruieren, von der in den "Wahlverwandtschaften" nur eher andeutungsweise die Rede ist, erlaubt mithin eine kommentierende Deutung des Textes. Wie zu zeigen sein wird, vermögen beide Perspektiven das Phänomen ›Gore‹ auf aufschlussreiche Weise zu konturieren.
Tagungsbericht: Veranstalter: Urs Meyer/ Gabi Pahnke, Johann-Gottfried-Seume-Gesellschaft zu Leipzig e.V.; Ludwig Stockinger, Universität Leipzig Datum, Ort: 03.06.2010-05.06.2010, Leipzig Bericht von: Urs Meyer, Universität Fribourg: Obgleich Johann Gottfried Seume (1763-1810) bis heute vor allem als der "Spaziergänger nach Syrakus", als Reisender fern seiner Heimat, in Erinnerung geblieben ist, war der sozialkritische Schriftsteller, Dichter und Publizist der Spätaufklärung auch überzeugter sächsischer Landsmann – und bisweilen sogar heimwehkrank nach seiner "Vaterstadt" Leipzig. Immer wieder trieb es ihn fort aus seiner Heimat, doch kehrte er auch immer wieder zurück. Damit drängt es sich auf, Seumes Verhältnis zu Leipzig, zu der Stadt, in der er über 25 Jahre seines Lebens verbrachte, zum Gegenstand einer Tagung zu machen, die im Rahmen von Feierlichkeiten zum 200. Todestag des Dichters in Leipzig stattfand.
Schillers Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs wurde in der Kalenderausgabe dieser Publikationsform entsprechend mit Titel- und Monatskupfern ausgestattet, die programmatische Allegorien, wichtige Szenen und zusätzlich Portraits der Hauptpersonen zeigten. Dieser Beitrag untersucht die Titelkupfer und Monatsbilder auf ihre Darstellung von historischen Frauen und Weiblichkeit sowie die Porträts von Christina von Schweden und Amalia von Hessen und vergleicht sie mit Schillers Text.
Die Propyläen als Toranlage, die zur Akropolis führt, gaben der Kunstzeitschrift Propyläen (1798-1800) den Namen. Goethe gab sie heraus, um durch sie – wie durch ein Tor – die Kunst der Gegenwart zur Orientierung an der Antike zu führen. Das für die Zeitschrift grundlegende Motiv des Tores spielt eine Rolle auch in einem Artikel „Ueber Etrurische Monumente“, den Goethes Freund und Mitarbeiter Johann Heinrich Meyer anonym im ersten Band der Propyläen (S. 66-100) veröffentlichte.
"Wie ein ungeheures Märchen" : Johann Caspar, Johann Wolfgang und August Goethe im Petersdom in Rom
(2006)
Die Baugeschichte des Petersdoms in Rom, wie er sich dem Blick des neuzeitlichen Betrachters darstellt, ist das Resultat eines großen Abbruchunternehmens ebenso wie eines gewaltigen Neubaus. Von „schöpferischer Zerstörung“ hat Horst Bredekamp mit Blick auf die Baugeschichte von Neu St. Peter in Rom seit 1506 gesprochen. Als Johann Wolfgang Goethe, den Spuren seines Vaters folgend, 1786 auf seiner „Hegire“ das antike Rom und den Petersdom erblickte und sich damit in die südliche Kunstwelt „initiiert“ fühlte, konnte er kaum einschätzen, dass sein Neubau der deutschen Litera-tursprache ein ähnlich gewaltiges und gewaltsames Abbruch- und Aufbauprojekt sein könnte, wie der sich über mehr als ein Jahrhundert erstreckende Neubau der Papstkirche in Rom. Die „römischen Glückstage“, deren Stimmung und Kunstgefühl sich Goethe noch 1829, bei der Edition des „Zweiten römischen Aufenthalts“, in die „kimmerischen“ Nächte des Nordens holte, versuchte sein Sohn August 1830 auch für sich zu reklamieren. Doch endete dessen zu spät unternommene Flucht in einer Tragödie. August von Goethe starb zehn Tage, nachdem er die Kuppel des Petersdoms im Glanz der Morgensonne gesehen hatte, an einem Schlaganfall in Rom. Von dem Schock, der ihn im November 1830 durch die Nachricht vom Tod des Sohnes ereilte, hat sich Johann Wolfgang Goethe nicht mehr erholt.
Goethes Naturdenken ist an jener historischen Nahtstelle anzusiedeln, an der sich die europäische Menschheit mit Hilfe von Wissenschaft und Technik aus den drückenden Zwängen der Natur zu befreien und sich ihres Verstandes in freier Wahl zu bedienen vorgenommen hat. Der spezifisch neuzeitliche Akzent, der diesem Vorhaben anhaftet, lautet: Die Entfremdung von der Natur ist die Bedingung der menschlichen Freiheit und ihrer Herrschaft über die Natur, doch versuchen schon die Menschen des späten 18. Jahrhunderts, ästhetisch wiederzugewinnen, was sie in der realen Beziehung zwischen Mensch und Natur verloren haben. Der Aufsatz versucht eine sozialgeschichtliche Einordnung von Goethes Naturdenken auch in die zeitgenössischen Erfahrungen der elementaren Naturgewalten, in Gewitter, Feuersbrunst und Hagelschlag, um die Innovationskraft dieses Denkens und ihres ästhetischen Ausdrucks zu belegen. Goethe hat sich zunächst dem Diskurs über die Theodizee angeschlossen, der nach dem großen Erdbeben von Lissabon lebhafter und heftiger wurde als je zuvor, ist dann aber rasch über diesen Diskurs hinausgeschritten, um den Menschen in seiner Glücksfähigkeit von allen anderen Naturwesen zu unterscheiden.
Gibt es irgendeine Berechtigung, die ausgetretenen Pfade der Interpretation erneut zu beschreiten und sich den Liedern aus Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre noch einmal und immer wieder zu nähern? Uferlos erscheint die Liste der Forschungsarbeiten, die sich mit diesen Liedern und/oder der Figur Mignon beschäftigen; gerade Mignon hat in der "Deutungstradition" von Goethes Bildungsroman ihren unbestrittenen Platz. Warum also noch einmal? Ein gewisses Anrecht auf ein wiederholtes und neues Lesen der bekannten Stellen genehmigt Goethes Roman selbst, sind es doch gerade Mignons Lieder, die sich zur mehrfachen und dauerhaften "Wiederholung" bekennen, ja die eine dauernde Wiederholung sogar einfordern. Man hat schon von einem "Wiederholungszwang" gesprochen, der durch diese Lieder vorangetrieben werde. Mignons Lieder arbeiten nicht nur häufig mit der Wiederholungsfigur des Refrains; auch ihr Hörer Wilhelm kann nicht umhin, sich diese Lieder mehrfach "wiederholen" zu lassen (234). Könnte es also sein, dass in dieser Wiederholungsmanie ein Hinweis darauf steckt, wie diese Lieder zu verstehen sind?
"An der nördlichen Grenze des Aalbuchs, wo sich das Gebürge in den Gauen, die der Kocher und die Rems bewässern verliehrt, erhebt sich an der Spitze eines in das Thal hervorspringenden Hügels, kühn und trotzig, ein ungeheurer Felsen, auf drei Seiten durch senkrechte Wände unzugänglich, und auf der vierten, durch einen schmalen Fußsteig mit der Ebene des Gebürgs verbunden. Eine hohe Mauer, aus mächtigen Quadern aufgeführt, und an der westlichen Eke ein runder Thurm, stark verletzt durch den Zahn der Zeit, - verkündigen hier dem Wandrer, den ehemaligen Wohnsitz eines deutschen Ritters. Eine unermeßliche Gegend überschaut der Beobachter in den Ruinen der zerstöhrten Burg, die man nur mit Mühe und Gefahr erklettert. Denn an einem schauerlichen Abgrund, zieht sich der schmale, klippigte Fußsteig herum, der allein auf den Gipfel des Felsen führt, und wildes Gesträuch und Dorngebüsch, aus verwitterten Steinen hervorgewachsen, machen die Tritte unsicher. Rosenstein ist der Name der Burg. Auf dieser Felsenspitze siedelte im fernen Mittelalter Ulrich von Rosenstein, ein stattlicher schwäbischer Ritter, kühn und tapfer, bieder und fromm, der nie aus einem Streite als Besiegter, nie von einem Turniere ohne Dank zurückgekommen war. Er war der Schreken der Boßheit und die Zuflucht der Tugend. Unermeßlich war sein Reichthum, groß die Zahl seiner Hintersaßen, und wol vierzig Edelknechte, zog er aus zur Fehde, folgten seinem Banner." Mit diesen Worten beginnt ein anonym bei dem Basler Drucker Flick im Jahr 1795 erschienener Ritterroman "Ulrich von Rosenstein. Eine Geschichte aus der Ritterzeit". Sein Autor, der sich spätestens in seinen (posthum veröffentlichten) Lebenserinnerungen zu dem belletristischen Werk bekannte: der evangelische Pfarrer von Neubronn, Johann Gottfried Pahl, damals 27 Jahre jung. Der gebürtige Aalener war einer der begabtesten ostschwäbischen Autoren seiner Zeit, wenig später sollte er sich als württembergischer Publizist einen Namen machen.
In diesem Artikel soll einer der strittigen Vertreter der deutschen Romantik auf zwei verschiedene Weisen analysiert werden, erstens durch Untersuchung des historischen Rahmens seiner antiken Tragödie "Penthesilea", und zweitens, durch den Vergleich des Werkes mit seiner persöhnlichen romantischen Veranlagung, um die traditionellen und historischen Grenzen des Begriffs "Romantik" zu erweitern.