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Kulturhermeneutik als Kulturpoetik : Friedrich Schlegels Über das Studium der griechischen Poesie
(2008)
Die kulturhermeneutische Relektüre wie die kulturpoetologische Ziel-Lesart Schlegels sind Bestandteil eines von Enthusiasmus methodisch wie darstellerisch getragenen „Studiums“, das seiner Anlage nach nicht stillgestellt werden kann und deshalb unabschließbare Formierungs- und Ausgleichsbewegungen installiert. Das beinhaltet eine systematische Sperrigkeit, wenn nicht Unverfügbarkeit von Wissen und Poiësis, begründet aber den möglichen Progress der "Modernen". Sie lernen kulturhermeneutisch, sich einfühlend in einer Geschichte steter Annäherung eine mobile Erfahrung des immer schon Anderen zu verschaffen, um es kulturpoetisch neu zu formieren. In die biblische Typologie von der Erfüllung des Buchstabens durch den Geist gefasst, bildet Schlegel im Aphorismus diesen generischen Weg zwischen der buchstäblichen Lesbarkeit der griechischen Kultur und ihrer intellektuell sich öffnenden Einholung durch die "Modernen" bündig ab: „In den Alten sieht man den vollendeten Buchstaben der ganzen Poesie: in den Neuern atmet man den werdenden Geist.“
Man muß betonen, daß das Paradies in der Päpstin Johanna, so sehr die Reden und Lieder dem Himmel zustreben, innerweltlich konstituiert ist. Auch in diesem Sinne ist Arnims Stück Welttheater. In der fünften Periode wird ein Vorzug der Dichtung darin gesehen, daß sie es erlaube, „das große Leben der Welt zu ahnen“. Gemeint sind die Bewandtnisse der Staaten, Länder und Völker, in die die Schicksale der einzelnen verflochten sind, also die ganze Welt. Für diese Welt entscheidet sich Johanna, nachdem sie das Angebot ihrer überirdischen Mutter, „zum Elemente“ zurückzukehren, abgelehnt hat, mit den Worten: „So nimm mich Welt mit allem deinem Weh [...].“ Tatsächlich weitet sich der Horizont des Stücks im Fortgang der Handlung erheblich: von der Gelehrtensatire zur Epideiktik der Mächtigen, wie man mit einer gewissen Verkürzung sagen könnte. Immerhin trifft zu, daß die Intrige des Teufels nicht durch die Reue einer Jungfrau allein abgewendet werden kann, da es hierzu vielmehr auch der Einmischung des neuen Papstes und eines veritablen Königs und Kaisers (in sukzessiver Personalunion) bedarf. Die Konfiguration des Welttheaters ist ausschweifend, viele Sphären und Formen (und Vertauschungen) umfassend. Mit Arnims Päpstin Johanna verhält es sich, wie zum Teil schon gesehen, so, daß sich Erzählung und Figurenrede in charakteristischer Mischung abwechseln; weiterhin so, daß die Erzählung eingelagerte Märchen und Legenden kennt, während die Figurenrede sich immer wieder in Gedichte, Gebete und Lieder "verwandelt". Die für die Konfiguration des Welttheaters schlechthin typische Überschreitung der dramatischen Form in Richtung auf die epische und lyrische Verselbständigung der Teile hat Tieck mit Rücksicht auf seinen in mehr als einer Hinsicht maßgeblichen Kaiser Octavianus ausgesprochen: „Da Handlung nur ein Theil des Gedichtes seyn sollte, so sind der lyrischen Ergüsse viele, und die Erzählung wird, vorzüglich im ersten Theil, mehr wie einmal selbständig.“ So könnte man auch über Arnims Päpstin Johanna sagen; mit dem Zusatz, daß sie Verselbständigung in Teilen noch weiter geht.
Die Zuspitzung auf die Rechtsproblematik in beiden Erzählungen verdeckt in der Tat etwas, aber es als das Eigentliche zu bezeichnen, käme aus der Perspektive einer an Kleist orientierten Lektüre dem aporetischen Versuch gleich, Einsinnigkeit im Feld polysemantischer Relationen zu konstruieren. Nicht von ungefähr wurde in einer Ver-öffentlichung jüngeren Datums auf das Manko einer Interpretation hingewiesen, die Kleists Bettelweib von Locarno zum Referenztext von Schloß Dürande nimmt, ganz zu schweigen von der Parallele, die zwischen Gabriele und dem Käthchen von Heil-bronn schon in einer Rezension aus der Publikationszeit der Eichendorff-Novelle ge-zogen wurde. Und erst recht hellhörig wird man, wenn Wolfgang Wittkowski das Versepos Robert und Guiscard, das in der Vergangenheit immer wieder in die Nähe der Dürande-Handlung gerückt wurde, „in entfernter Anlehnung an Kleists ,Käthchen‘“ gestaltet sieht. Denn so klingt die Vermutung weniger spekulativ, dass es sich bei Nicolo, dem Schlosswächter und Vertrauten Hippolyt Dürandes, nicht nur rein zufällig um einen Namensvetter des Findlings in der gleichnamigen Kleist-Erzählung handelt. Kleists Texte verhalten sich zur Novelle Eichendorffs wie Nicolo zu Colino, der verstorbenen Schattenfigur im Findling: Entsprechend der anagrammatischen Konstellation sind sie im Sinne von Jean Starobinski als abwesend gegenwärtig zu denken. Das macht einerseits ihre Anschlussfähigkeit in unterschiedlichen Zusam-menhängen aus, andererseits teilt sich der subversive Charakter, der sie auszeichnet, unmittelbar auch der Novelle mit. Nicht zuletzt aus diesem Grunde erweist sich Das Schloß Dürande in unterschiedlicher Hinsicht: thematisch, erzählerisch und sprachlich, als ein Stück umgestürzter Ordnung.
Die vorliegende Bachelorarbeit von Petra Mayer unterwirft E.T.A. Hoffmanns sogenanntes Kunstmärchen ‚Meister Floh’ einer gattungsanalytischen Revision. Durch stringente Argumentation gelangt die Verfasserin zu interessanten Ergebnissen, denn sie kann zeigen, daß Hoffmanns Text entscheidend durch groteske und satirische Elemente der menippeischen Tradition bestimmt wird. Ausgehend von der Überlegung, daß die von der Forschung monierte Heterogenität des Textes kein Defizit, sondern ein bewußtes Stilmittel darstellen könnte, werden bei der Untersuchung Gestaltungsprinzipien erkennbar, die auf die literarische Groteske verweisen: Brüche, Ambivalenzen, Digressionen, intertextuelle Bezüge und Metafiktion. Deutlich werden Bezüge zur menippeischen Tradition nach Bachtin (Lukian, Sterne, Smollet, Rabelais): Lachen, Traum, Wahnsinn, Phantastik, Kontraste, Vermischung von Welten und Stilen, Zeitkritik etc. – eine kontrastive Heterogenität gegen jede Regelpoetik, sodaß Irritationen dem Leser die Möglichkeit zur Neuorientierung eröffnen. Als repressive Rahmenbedingungen für eine solche Poetologie werden am Ende der Untersuchung die Zensur der Restaurationszeit und die Karlsbader Beschlüsse plausibel gemacht. Der Schluß von Hoffmanns Erzählung kann daher entschieden (und gegen die Forschung: Martini) als nicht harmonisierender (Märchen-)Schluß gedeutet werden.
Romantische Ausgelassenheiten : demonstriert an Clemens Brentano ; das Märchen von dem Dilldapp
(2003)
Was Novalis seinen Lesern in dieser wie ein Fanal der Sehnsucht und der Rückkehr klingenden Exposition vor Augen führt, ist das Bild eines Kontinents, dessen Homogenität durch die gemeinsame Religion und die Weisheit der geistlichen Führer gestiftet wird. Eine wahre Steilvorlage für heutige Verfechter eines Vereinigten Europa auf der gemeinsamen Basis genuin christlicher Werte. Doch hält dieser geschichtsphilosophische Essay wirklich, wofür er im aktuellen Europadiskurs vereinnahmt wird? Lassen sich diesem frühromantischen Zeugnis aus der Zeit an der Schwelle zum 19. Jahrhundert Impulse abgewinnen, die am Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer Präzisierung der strittigen Unbestimmtheit einer europäischen Identität beitragen können? Gibt es triftige Gründe dafür, weshalb Europapolitiker noch heute Novalis lesen sollten? Oder müssen wir nach eingehender Prüfung doch von einem „unnützen“ Aufsatz sprechen, wie dies der ungekrönte König der Romantik, Ludwig Tieck, bereits 1837 unverblümt getan hat? Solche Fragen zu erwidern, soll in einem ersten Schritt zunächst die Struktur des Textes nachgezeichnet werden, um zu verdeutlichen, wie Novalis darin die abend-ländische Geschichte triadisch als Heilsgeschichte entwickelt. Dem τέλος dieser Heilsgeschichte widmet sich dann der darauffolgende Abschnitt, ehe abschließend der von Novalis genannte „Zauberstab der Analogie“ auch mit Blick auf unsere Gegenwart angewandt werden soll, um nach der Relevanz dieses romantischen Refe-renztextes für den aktuellen Europadiskurs zu fragen.
Die Arnimforschung hat erst in den 50er-Jahren dieses Jahrhunderts erkannt, nach welchem Prinzip Arnim seine Texte organisiert: es ist das Prinzip der Analogie. Über Analogie bringt Arnim seine Themen und Motive, Haupterzählstrang und episodische Nebenhandlungen sowie Haupt- und Nebenfiguren in Beziehung. Arnim konstituiert seine Texte über eine Vielzahl irgendwie ähnlicher Motive. Gewisse Inhaltselemente wiederholen sich im Verlaufe der Handlung oder formulieren sich in ähnlicher oder auch gegensätzlicher Variation erneut aus. Um Arnims Werk in seiner analogischen Strukturierung zu verstehen, muss man das eigentümliche Verhältnis von Text, Motiv und Thema in diesem Werk beschreiben können. Wer sich ernsthaft für Themen und Motive zu interessieren beginnt, stößt methodologisch indes bald einmal auf Probleme. Die Methodendiskussion der 70er- und 80er-Jahre ist an diesem Fachbereich nahezu spurlos vorübergegangen. Ich werde deshalb im Folgenden kurz auf die Terminologie der heutigen Motivforschung eingehen (I) und anschließend Vorschläge für die Reformulierung des Motivbegriffs unterbreiten (II). Danach werde ich Arnims Motivgestaltung am Beispiel der Erzählung Die Einquartierung im Pfarrhause exemplarisch erläutern und zeigen, wie Arnims Werk in seiner Informationsdichte und Heterogenität strukturiert ist (III und IV).
Das Verschwinden des Autors und die Spaltung des Textes in zwei Teile, einen offiziellen Strang, der die "Lebensansichten des Katers Murr" wiedergibt und einen fragmentarischen, der die "Biografie des Kappellmeisters Kreisler" enthält, stellen die erzähltechnischen Vorgaben E.T.A. Hoffmanns zu seinem Spätwerk dar. Kunstgriff und formales Experiment zugleich, sind sie Ausdruck der Prämissen seiner Ästhetik (auch oder gerade wenn Hoffmann nicht als Theoretiker gilt) und eines hochpotenziert subversiven Denkens (das leider allzu oft als biographischer Reflex abgetan wird). Anstelle der üblichen Präsentation und einleitenden Begründung zur Entstehungsgeschichte des Buches gelingt es Hoffmann im "Vorwort des Herausgebers" zu den "Lebensansichten des Katers Murr" durch mehrfache Täuschung und artifizielle Verwirrspiele um Erzähler, Herausgeber und Autor, den Ursprung des Textes mit jedem weiteren Baustein zu seiner Legitimation zum Verschwinden zu bringen.
"Das Drama muß, weil es seinem Inhalte wie seiner Form nach sich zur vollendetesten Totalität ausbildet, als die höchste Stufe der Poesie und der Kunst überhaupt angesehen werden". Mit solchen, enthusiastisch gestimmten Worten formuliert Hegel in seinen Vorlesungen zur Ästhetik zugleich Summe und Nachklang der idealistischen Dramentheorie in Deutschland. [...] Gerade die Besonderheit [...], die das Drama – einerseits – zum Gipfel der Künste qualifiziert, ist – andererseits – für dessen sicheren Untergang verantwortlich. [Novalis] bislang von der Forschung vernachlässigte Bemühungen um eine "Poetik des Dramas" sollen [...] im folgenden [...] etwas genauer untersucht werden. Wenn dabei auch ein zusätzliches Licht auf Novalis dichterisches Werk und vor allem auf einen auffälligen motivischen wie stilistischen Zug desselben fallen sollte, so wäre dies nur willkommen.
Der "preßhafte Autor" : Biedermeier als Verfahren in E.T.A. Hoffmanns späten Almanach-Erzählungen
(2004)
Die Wertschätzung von E.T.A. Hoffmanns Erzählungen, die sich in den letzten Jahren als Spielwiese für mannigfaltige texttheoretische und verwandte Ansätze erwiesen haben, erstreckt sich nach wie vor nicht auf die sogenannten "späten Almanach-Erzählungen". Die im 19. und weiten Teilen des 20. Jahrhunderts vorherrschende Verurteilung von Hoffmanns Werk als effekthaschend und unausgewogen ist für diesen, nicht wie die meisten anderen Erzählungen Hoffmanns in einem Sammelband zusammengefaßten Werkteil bis heute nur in Ansätzen revidiert worden. Diese "moralisch-ästhetischen Ansichten" finden sich in nur leicht modifizierter Form z.B. noch 1988 in Stefan Diebitz Untersuchung der 1822 aus dem Nachlaß veröffentlichen Erzählung "Datura fastuosa", wenn als Kategorie der Abwertung die negative Antwort auf die Frage nach der "Vernünftigkeit des Vorsatzes" gesetzt wird, als hätte nicht gerade das Werk Hoffmanns eine solche Bestimmung bis ins Mark erschüttert. Die Erzählung ist "insgesamt als mißlungen anzusehen", weil Diebitz einen Bruch konstatiert zwischen dem von ihm für die ersten drei Kapitel konstruierten "Vorsatz, die Problematik einer ins Spießige verirrten Existenz" darzustellen und dem letzten Teil des Textes, in dem Hoffmann nach Diebitz "eine zweite und durchaus triviale Geschichte beginnen" läßt.
Die Erzählung von den "mehreren Wehmüllern" hat bisher in der Brentanoforschung wenig Beachtung gefunden, und im weitern Umkreis der Literatur zur Romantik, wo sie nicht zuletzt des zentralen Doppelgängermotivs wegen an einen der fundamentalen romantischen Themen- und Motivkreise anschließbar wäre, stieß sie ebenfalls auf geringes Interesse.[...] Was die Erzählung aber trotzdem für eine sozialgeschichtliche Analyse höchst ergiebig macht, ist die Art und Weise, wie Brentano darin über die Doppelgängerschaft der Hauptfigur die Sphären familialer Liebe und Sexualität, zweckrationaler Ökonomie und Ästhetik in ihren wechselseitigen Beziehungen problematisiert. Denn dabei trifft er einen dem Entfremdungsphänomen vergleichbaren zentralen Konfliktherd in der Organisationsstruktur der modernen bürgerlichen Gesellschaft und legt ihn in seiner neuralgischen Verwundbarkeit bloß. Dies soll im folgenden skizziert werden.
Ich werde im folgenden einige Aspekte des Romans unter dem Gesichtspunkt ihrer konfessionellen Signifikanz beleuchten. Es wird sich zeigen, daß entscheidende Merkmale des Texts, und zwar gerade auch diejenigen, die im Kontext einer späteren Moderne anschließbar geblieben sind, aus der konfessionellen Differenz von frühromantischem Diskurs und Brentanoscher Adaption hervorgehen. Dabei soll die kulturelle Differenz selbst als Motor der Diskurserneuerung sichtbar werden, indem sie zu motivieren vermag, was sonst allein der Singularität des Dichters zugeschrieben werden müßte.
Es gehört wohl zu den wichtigsten Leistungen der jüngeren Romantikforschung, die starre Grenze zwischen Aufklärung und Romantik geschleift zu haben. Wo sich früher zwei monolithische Einheiten gegenüberstanden, zeigen sich inzwischen, ohne daß dadurch der Epochencharakter beider prinzipiell verabschiedet würde, gemeinsame Problemlagen, Kontinuitäten, Übergänge und Transformationen. Dieser Befund bewahrheitet sich, wenn man den herkömmlichen Fragenkreis der Literaturwissenschaft in Richtung einer sozialhistorisch fundierten Geschichte des Subjekts, des Ichs, der Seele erweitert. Die Romantik, hat Hartmut Böhme geschrieben, formuliere "das Unbewußte der Aufklärung. Sie ist nicht deren Opposition, sondern die Komplettierung der bürgerlichen Subjektproduktion [...]". Tatsächlich spielt die Literatur seit der Frühromantik eine durchaus avantgardistische Rolle bei der "Entdeckung des Unbewußten", die in den letzten Jahren anhand vorwiegend theoretischer Texte rekonstruiert worden ist. [...] Ludwig Tiecks Märchenerzählung "Der getreue Eckart und der Tannenhäuser" von 1799 [...], die die Germanistik zumeist in einer Mischung aus Hilflosigkeit und Geringschätzung links liegen gelassen hat, schreitet in einem mythisierenden Szenarium von hoher Raffinesse die Sehnsüchte und inneren Zwänge aus, die sich am Ende der bürgerlichen Aufklärung ausgebildet haben. Er macht auf diese Weise nicht weniger als eine neue psychische Struktur, das Resultat lang- wie kurzfristiger sozialer Prozesse, sichtbar, und zwar in einem doppelten Sinn: Denn diese ist nicht nur auf Inhaltsebene Gegenstand der Erzählung, sondern schreibt sich strukturbildend dem Text selbst ein. In psychogenetischer Perspektive wird erkennbar, daß sich die Romantik, selbst wo sie es will, nicht von dem befreien kann, was ihr die Aufklärung hinterlassen hat.
In den "Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft" von Brentano und Kleist läßt sich ein wahrnehmungsgeschichtlich signifikanter Bruch nachweisen. Geht Brentano von der romantischen Konzeption der Sehnsucht aus, so stehen hinter dem Text Kleists die Theorie des Erhabenen und die Assoziation des Panoramas. Diese konkurrierenden Positionen gründen in unterschiedlichen Begriffen vom Subjekt.
Selten dürfte ein Roman während seiner Entstehung von so kompetenten Werkstattgesprächen begleitet gewesen sein, wie sie der Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller zu "Wilhelm Meisters Lehrjahren" in den Jahren 1794-96 bezeugt. Dieser so kritische wie beflügelnde Dialog wurde jedoch gleich nach Erscheinen des ersten Bands im Januar 1795 durch einen Widerstreit der öffentlichen wie der privaten Reaktionen zu diesem Roman überlagert. In dieser durch den Xenien-Streit zusätzlich aufgeheizten Situation publizierte der damals fünfundzwanzigjährige Friedrich Schlegel, der soeben nach der Entzweiung mit Schiller und Woltmann von Jena nach Berlin übersiedelt war, im September 1797 im dortigen Lyceum der schönen Künste das selbstbewußte "Kritische Fragment.
Die Tieck-Philologie hat sich nur wenig mit den Reisegedichten beschäftigt. Überhaupt nicht diskutiert wurden für die Reisegedichte, die aus Tagebuchnotizen hervorgegangen sind, Konsequenzen, welche sich aus dieser besonderen Genese für Schreibweise und Textpräsentation ergeben. [...] Gründe für eine Neubesichtigung der Tieckschen Verse sind also reichlich vorhanden. Die Analyse erfolgt in drei Arbeitsschritten: Nach einigen Basisinformationen zur Entstehungs- und Editionsgeschichte der Reisegedichte, die in der Form von zwei Zyklen dem Lesepublikum vorgelegt wurden, soll das Programm der Tieckschen Gelegenheitsdichtung skizziert werden, das der Autor zum Teil selbst im Paratext der Vorrede entwickelt. Es wird zu zeigen sein, in welcher Weise Tieck die antiquierte Form der Casuallyrik modernisiert und dadurch aufnahmefähig für neue Inhalte macht. Der zweite Teil befaßt sich mit dem spezifischen Italienbild, das Tieck in diesen Versen bietet. Es geht um seinen Blick auf das Land, auf dessen Bewohner, Geschichte und Kultur. Was erscheint Tieck berichtenswert, welche Stationen und Situationen werden festgehalten, und in welcher Weise werden Wirklichkeitserfahrungen transformiert in einen poetischen Text. [...] Der dritte Abschnitt widmet sich der Wirkungsgeschichte. Hier ist auf Ludwig Robert, den Bruder von Rahel Varnhagen, und vor allem auf Heinrich Heine einzugehen. Teil der Wirkungsgeschichte ist auch die respektlose Parodie Arnold Ruges in dem gemeinsam mit Theodor Echtermeyer herausgegebenen Manifest Der Protestantismus und die Romantik. Schließen möchte ich mit einigen Überlegungen zur Aktualität Tiecks. Wo liegen die Gründe für das offensichtliche Faszinosum, das für Rolf Dieter Brinkmann von Tiecks Reisegedichten ausgeht? Gibt es noch einen Ludwig Tieck als Anreger der Lyrik der Neuen Subjektivität zu entdecken?
"Der rote Sattel der Armut ist ein rätselhaftes Bild insofern, als hier nicht nur eine fremde Metapher aufgerufen wird, sondern auch noch für ihre Entschlüsselung auf den Talmud verwiesen wird. Der aber galt im 19. Jahrhundert als enigmatisches Buch. Sowohl der Traditionskritik der Aufklärung als auch den Emanzipationsbestrebungen des bürgerlichen Zeitalters war die Ablehnung des Talmuds gemeinsam, die Kenntnis seiner Bücher für die meisten Leser Bettine von Arnims nicht vorauszusetzen. Bestenfalls als historisches Dokument einer im Vergehen begriffenen Kulturstufe konnte der Talmud noch Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Warum also wird dann an dieser Stelle der Talmud bemüht, wo doch das Bild durch den Verweis noch zusätzlich verrätselt wird?"