BDSL-Klassifikation: 14.00.00 Romantik > 14.11.00 Stoffe. Motive. Themen
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Tagungsbericht: Internationale Tagung, Magdeburg, 20. bis 22. Juni 2013
Dem spezifischen Verhältnis der Romantiker zu Begriffen der Arbeit und der Nicht-Arbeit in seiner historischen wie aktuellen Dimension widmete sich die DFG-geförderte Tagung "Arbeit und Müßiggang in der Romantik", die von Thorsten Unger (Magdeburg) in Kooperation mit Franz-Josef Deiters (Melbourne), Claudia Lillge (Paderborn) und Johanna-Elisabeth Palm (Fritz-Hüser-Institut Dortmund) an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg veranstaltet wurde und internationale wie interdisziplinäre BeiträgerInnen versammelte.
Das christliche Bild im 19. Jahrhundert zeigt, so die These dieses Aufsatzes, dass Verwissenschaftlichung nicht notwendigerweise historistische Entidealisierung bedeuten musste – wie eben auch die Lektion der historisch-kritischen Bibelforschung nicht unweigerlich zu einer Relativierung der Heiligen Schrift führen musste. In der ästhetischen Konstruktion der biblischen Antiken wurden Evidenz und Imagination zu komplementären Repräsentationsstrategien, die einen gemeinsamen Ursprung jenseits der Unterscheidung zwischen geschichtlicher Wahrheit und archäologischem Wissen hatten. Eine christliche Kunst musste diese historische Wahrheit, die eben keine wissenschaftlich positivistische sein sollte, sichtbar machen. „Das Göttliche kann sich in der Knechtsgestalt begränzter Zeit und Körperlichkeit nicht völlig offenbaren“, formulierte Karl Schnaase im Jahre 1862 diesen Grundsatz eindringlich, „es will mehr geahnt und geglaubt als gesehen sein“. Zwischen archäologischer Treue und kunsthistorischer Tradition, mimetischer Sinnlichkeit und abstrakter Idee erfüllt die Kunst ihre ureigene Aufgabe des Sichtbarmachens im Bewusstsein einer eingeborenen Unmöglichkeit. Die Welt der biblischen Antike wird so zum experimentellen Feld eines erfolgreichen Scheiterns.
Hoffmann unterschätzt und disqualifiziert hier - natürlich auch im Interesse der Aufwertung eigener künstlerisch-kritischer Produktion - die Beliebtheit des spät- und popularaufklärerischen Genres der Blindenheilung, das die handfest-praktische Gegenseite des hochambitionierten und spätestens seit Diderot auch philosophisch prominenten Phänomens darstellt. Als „hochbesetzte Technik des 17./18. Jahrhunderts“ oder gar als „Urszene der Aufklärung“ verbindet das Starstechen den Gewinn des Augenlichts mit dem potentiellen Verlust anderer, ersatzweise erworbener, oft aber auch stärker als normal ausdifferenzierter Fähigkeiten. So folgt zumindest auf die literarisierte Blindenheilung regelmäßig der Wunsch nach erneuter Blindheit m – oder der Abbruch der Narration, „als bedeute das Tageslicht das Ende der Fiktion“. Peter Utz belegte diesen Konnex bereits 1990 mit Beispielen von Jean Paul über Goethe bis zu Bonaventuras Nachtwachen, machte aber auch auf den Rat von dessen Erzählerinstanz aufmerksam, die mögliche Fortsetzung der Geschichte „als Material für trivialromantische Verwertung“ zu nutzen. Hoffmann hingegen entwertet – wahrscheinlich wider besseres Wissen – das philosophische wie narratologische Problempotential der Blindenheilung, indem er probehalber eine Reihe anderer Varianten durchspielt, vom Arterienverschluss (,Aneurisma') über den Wundbrand bis hin zur geglückten Amputation.
Traditionellerweise reichte die Darstellung des Herrn von Ikonen über Andachtsbilder bis zur sogenannten Bibel der Armen, die nicht nur durch das Wort, sondern durch Bilder lehrt. Für Hegels Ästhetik wird diese Verbildlichungshilfe ad recte credendum zur Darstellungsfunktion der romantischen Kunst schlechthin, einer Kunstform, deren wahrer Inhalt „die absolute Innerlichkeit“, und deren „entsprechende Form die geistige Subjektivität“ sein soll. In INRI erreicht diese Darstellungsform ihr Ende in der Modephotographie. Mit dem Inbegriff des seelenlosen Körpers, dem Körper von Mannequins, haben Rheims und Bramly im Inbegriff seelenloser Kunst, deren Blick ein toter ist, ins Bild der Darstellung gesetzt, was für Hegel Inbegriff romantischer Kunst sein sollte.
"Und wie steht es denn in Ägypten?" - das möchten in Ludwig Tiecks Roman Franz Sternbalds Wanderungen (1798) zwei europäische Reisende von einem dritten wissen, der dagewesen ist. Die Frage ist von besonderer zeitgenössischer Brisanz, beginnt doch im gleichen Jahr, in dem der Roman erscheint, eine militärische Unternehmung, die Ägypten (wieder einmal) in den Blickpunkt des europäischen Interesses rücken wird. Von der napoleonischen Campagne d'Égypte können Tiecks Protagonisten freilich noch nichts wissen. Deren Teilnehmer - neben den Soldaten zahlreiche Wissenschaftler, Künstler und Abenteurer - versorgen im Laufe der nächsten Jahre Europa mit einer Fülle von Berichten, Informationen und Materialien.
Gerhard Lauers Beitrag […] beschreibt den besonderen Fall eines romantischen Dichters, dem die „romantische Kunst selbst […] zum Problem [wird]“ weil sie seiner Meinung nach zu wenig Religion beinhalte, und der sich deshalb entscheide, nicht mehr autonomer Dichter zu sein, sondern als „Schreiber […] nur noch Religion zu betreiben.“ Das Ergebnis dieser Tilgung der Kunst zugunsten der Religion seien dann Brentanos über viele Jahre „in Dülmer Abgeschiedenheit“ angefertigten Aufzeichnungen der „gottseligen Anna Katharina Emmerick über das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi“. Doch kehre [a]uf der Rückseite des Wunsches kein Autor mehr zu sein, kein Werk mehr zu schreiben und keine Kunst mehr zu betreiben, sondern nur noch der Religion zu dienen, […] die spezifische moderne Ästhetisierung nur wieder. Im Rahmen einer sozialgeschichtlichen und literatursoziologischen Kontextualisierung von Brentanos Text weist Lauer auf die umfassende Ästhetisierung und Verbürgerlichung der Lebenswelt hin, die auch eine Ästhetisierung der Religion umfasse. Doch brauche nicht nur die Religion die Kunst, „um im Staat die vergesellschaftende Wirkung zu entfalten“, ebenso brauche die Kunst auch die Religion, „um gesellschaftlich bedeutsam sein zu können. Das ist das neue Muster des 19. Jahrhunderts und auch das Muster Clemens Brentanos.“
Around 1800, aesthetic debate suddenly places music at the very top in the hierarchy of the arts, even superseding poetry: This has become a commonplace not only in scholarly discourse. The protagonists of this re-arrangement of the artistic disciplines are Wilhelm Heinrich Wackenroder, E.T.A. Hoffmann and Ludwig Tieck. In their programmatic texts, they state that music is to be free and absolute and stress its metaphysical quality and its close relation to the supernatural. Furthermore, music is supposed to be no longer dependent on the other arts, and music releases the listener or the musician from prosaic everyday life. As Wackenroder writes in Die Wunder der Tonkunst, […] [a]ll sickening thoughts which, according to Wackenroder, are the illness of mankind vanish with a piece of music, making our mind sane again. Literary romanticism here recurs to a long tradition that reaches back to the classical ages in Greece and Arabia: Music is used as a remedy for curing illnesses of various kinds. In classical antiquity, Apollo is the god of music, poetry and dancing as well as the god of healing. He was also named “Iatros” (physician) or Apollo Medicus. […] Orpheus as a bard and demigod was also said to be capable of curing diseases by means of his music. […] Thus, music in history is part of treating physical illness on the one hand, but on the other hand is more and more considered to provide a remedy especially for mental deficiencies. Music is meant to improve nervous disorders and sometimes it is even prescribed as a regular medicine. As we will see in Hoffmann’s text Die Genesung, there is a connection between the ritual healing processes in the temples of Aesculapius and the setting of the forest in which the old man regains his health.
Poesie und Prosa der Europa-Idee. Novalis' "Die Christenheit oder Europa" und seine modernen Leser
(2003)
An (...) [Novalis’ ‚Die Christenheit oder Europa’] ist alles problematisch: seine Fassung, sein Titel, seine Gattung und der damit vom Text selbst erhobene und reflektierte Geltungsanspruch, seine Begriffe von Religion und Politik sowie schließlich, und darin liegt ja die Brisanz des Ganzen, das Verhältnis von beiden. ‚Die Christenheit oder Europa’ formuliert auf der Grundlage eines idealisierten mittelalterlichen Katholizismus eine aktuelle europäisch-politische als religiöse Heilserwartung. (...) [Auch ist dieser Text] ist ein Lehrstück dafür, dass literarische Texte nicht von sich aus ohne weiteres, sondern immer in bestimmten Funktionszusammenhängen gegeben und verstehbar sind.
Jean Paul fordert […] von der Poesie, sie möge "die Wirklichkeit, die einen göttlichen Sinn haben muß, weder vernichten, noch wiederholen, sondern entziffern." […] Andere […] umschreiben die ästhetische Darstellung […] als eine Transkription, welche den Chiffrencharakter der natürlichen Erscheinungen unterstreiche und […] das Bewußtsein für deren verborgenen und verrätselten Sinn wach halte […]. Carl Gustav Carus bestimmt von hier aus das Wesen der Landschaftsmalerei. […] Indem an den Landschaftsmaler die Aufforderung ergeht, die Natur als Bedeutungsträgerin, als chiffrierten Ausdruck eines inneren Sinnes aufzufassen und darzustellen, kann Carus zum einen auf der engen Bindung der malerischen Darstellung an die natürlichen Erscheinungen insistieren, zum anderen aber die […] obsolet gewordene Idee einer bloßen Nachahmung der Natur hinter sich lassen. [...] Das Konzept von der Natur als Zeichenschrift hatte eine zentrale Rolle im Werk des […] Paracelsus gespielt […] Mikro- und Makrokosmos, menschliche und außermenschliche Welt; die verschiedenen Elemente und Lebewesen, Natur und Geschichte verweisen jeweils wechselseitig aufeinander. […] Ernst Bloch hat in seinen Leipziger Philosophie-Vorlesungen dieses Analogiedenken hervorgehoben – "Der Mensch ist die Welt im Kleinen, eine Abbreviatur des Kosmos, wie die Welt der Mensch im Großen, eine Elongatur des Menschen [...]" – und unter dem Titel "Entsprechung des Innen und des Außen" die Paracelsische Naturauffassung […] umrissen.