BDSL-Klassifikation: 12.00.00 18. Jahrhundert > 12.13.00 Zu einzelnen Autoren
Refine
Year of publication
- 2005 (7) (remove)
Document Type
- Article (7) (remove)
Language
- German (7)
Has Fulltext
- yes (7)
Keywords
- Bürger (2)
- Antike (1)
- Brief (1)
- Französische Revolution (1)
- Gottfried August (1)
- Gottfried August / Lenore (1)
- Gotthold Ephraim (1)
- Henzi, Samuel / Grisler ou l'ambition punie (1)
- Herder (1)
- Herder, Johann Gottfried von (1)
Der Begriff der Nationalliteratur fungiert bei Herder […] vor allem als eine Differenzkategorie, die in Frontstellung zu den Konzepten eines universalistischen Rationalismus :und einer durch ihn begründeten klassizistischen Ästhetik entworfen wird, weil in ihrem Horizont das Problem der kulturellen Differenz nicht gedacht werden kann. Herders Konzept ist daher primär zu lesen als ein solches, das nach Wegen sucht, die Frage kultureller Differenz sowohl in synchroner wie in diachroner Perspektive zu erfassen.
Wilhelm Tell vor Schiller
(2005)
In der Schweiz repräsentierte die Figur Tells zwei Traditionen, einerseits den Helden, der das Selbstbewusstsein der Eidgenossen zum Ausdruck bringt, andererseits die Verkörperung der Unterdrückten generell. Im Stück des Berners Samuel Henzi 'Grisler ou l’Helvétie délivrée' (1748) steht die Figur des Despoten Grisler im Zentrum, dem sich Tell widersetzt. Nachdem der Tyrann gestürzt ist, wird ein republikanisches Programm verkündet, das auf der Idee der Gleichheit vor dem Gesetz beruht. In der Tragödie 'Guillaume Tell' (1766) von Antoine-Marin Lemierre werden Tugend und Freiheitssinn mit dem topologischen Motiv der Berge in Verbindung gebracht. Tell erscheint hier nicht mehr als Einzelgänger, sondern als einer der Mit-Eidgenossen. Zur Zeit der Französischen Revolution wird Wilhelm Tell neben Brutus zu einer emblematischen Figur des Widerstandes des Volkes gegen die Tyrannei und das Stück von Lemierre kennt nun eine große Resonanz. Auch Schiller assoziierte in seinem 'Wilhelm Tell' (1804) die Idee der Schweizer Freiheit an die Vorstellung einer sublimen Natur, wie sie in den Reiseberichten verbreitet wurde. Sein Stück widersetzte sich jedoch der Vereinnahmung der Figur Tells durch die Jakobiner und beschwor eine Gemeinschaft, die auf Brüderlichkeit beruhte, die das alte Gesellschafts-Modell, das durch die Figur des Über-Vaters geprägt war, ablösen sollte.
Johann Christian Ruhls Umrißradierungen zu Bürgers Ballade „Lenore“ (1773) stehen in der Tradition der klassizistischen linearen Illustrationskunst (Flaxman). Die 12 Blätter setzen die Schauerballade mit all ihrer Leidenschaft adäquat um. Diese Geschichte – sagt A. W. Schlegel über „Lenore“ – „welche die getäuschten Hoffnungen und die vergebliche Empörung eines menschlichen Herzens, die alle Schauer eines verzweiflungsvollen Todes in wenigen leichtfasslichen Zügen und lebendig vorüberfliehenden Bildern entfaltet, ist ohne conventionelles Beiwerk.“ Als Regieanweisung zur rechten Lektüre rät Bürger einem Freund: Wenn Sie die Ballade „vorlesen, so borgen Sie einen Todtenkopf von einem Mediciner, setzen solchen bei einer trüben Lampe, und dann lesen Sie“.
Die "Krise der Kunst" im 18. Jahrhundert und die zukunftsweisenden Potentiale, die sie hervortreibt, sind ein wichtiges Thema der Forschung geworden. Der Verlust ikonographischer Selbstverständlichkeiten, der zunehmende Zweifel an der überkommenen Gegenstandshierarchie lassen die Kunst zum Medium der Selbstreflexion werden. Mehrdeutigkeit, Unbestimmtheit und der komplementäre Appell an den Betrachter, die entstehenden Leerstellen durch Aktivierung der Affekte und des Intellekts zu füllen, gelten als Signaturen dieser Epoche der Bilder. Dem entspricht in der Literaturgeschichte und den Wissenschaften, die sich mit ihr befassen, eine Modifikation des Begriffs von Aufklärung. Nicht mehr nur das Erhellende der Vernunft und der Fortschritt, den sie bewirken mag, sind wichtig, sondern ebenso ihre Schatten- und Nachtseiten. Das Nachdenklichwerden der Aufklärung über sich selbst, ihre Komplexität mithin tritt ins Blickfeld. Und damit ergibt sich auch ein modifiziertes Verständnis von Moderne: Nicht mehr, wie noch in der "Querelle des anciens et des modernes" seit dem 17. Jahrhundert, die Überlegenheit gegenüber dem Alten und der Glaube der Kontinuität der Entwicklung zum Höheren hin definiert sie; vielmehr werden das Denken und die Gestaltung des Vorläufigen, des Relativen des Eigenen, des Vorübergehenden, auch des Neuen, konstitutiv — die fraglichen, oft bloß übernommenen und daher immer wieder neu aufgegebene Selbstdeutungen werden zur Dauerreflexion. Auch die Diskontinuitäten, Brüche, Widersprüche und Ungewißheiten der Lebenswelt wollen greifbar gemacht werden. Dies bedingt eine Erosion des Objektiven, fraglos Vorgegebenen der Gegenstandswelt und der Selbstverständlichkeit ihrer mimetischen und idealisierenden Wiedergabe. Eine Wendung ins Subjekt, sei es transzendental-erkenntnistheoretisch, sei es ästhetisierend-sentimentalisch ist die Folge.