BDSL-Klassifikation: 12.00.00 18. Jahrhundert > 12.06.00 Literarisches Leben
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Eine Reihe von Sprachgesten des jungen Herder haben nachhaltige Wirkung gehabt und wurden zum literaturhistorischen Paradigma des Lebensgefühls einer Generation, zu Merkmalen des Sturm und Drang. Allem voran pflegt man jene Rhetorik zu diesen Gesten zu zählen, mit der sich Herder von den „vielen Beyträge[nl des Jahrhunderts“, d. h. von der zeitgenössischen Gelehrsamkeit distanziert. Tatsächlich werden in seiner Schrift Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit (1774) die „Erfahrung“, die „That“, die „Anwendung des Lebens, in dem bestimmtesten Kreise“ dem „abgezogne[nl Geist“, der selbstgefälligen Sprachgewalt der Aufklärung gegenübergestellt und auch die Institutionen der „Letternkultur“ kritisiert. […] Herders Charakterisierung seiner Epoche als des „Jahrhundert[sl des Bücherlesens“ wird darüber hinaus in der Attesten Urkunde des Menschengeschlechts (1774) verbunden mit einem apokalyptischen Denken, das eine Schelte der Aufklärung einschließt. Für Ralf Simon schafft die Buchkultur eine „medientheoretisch“ signifikante Situation: Das große Archiv, das durch den Buchdruck ermöglicht und bis einschließlich des 18. Jahrhunderts errichtet wurde, erhebt sich über die Zeit und wird zum Medium einer Art papierenen Posthistoires.
Die Auseinandersetzung mit freimaurerischen Themen hat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bekanntlich auch in Texten ihren Niederschlag gefunden, die sich an Schnittstellen der freimaurerischen Literatur und des Schaffens literarisch-philosophisch etablierter Autoren befanden, als solche später mitkanonisiert und als repräsentativ für freimaurerische Problemlagen ausgelegt wurden. [...] Das historisch Kontingente - das Enttäuschende des Logenalltags - wird durch dessen nicht-freimaurerische Theorie nicht nur korrigiert, sondern restlos beseitigt. In dem Maße, wie sich das Geheimnis als inhaltslos zu erkennen gibt, wird Freimaureltum zum leeren Namen. Womit jedoch ein Soziales, das von geheimen Gesellschaften dauernd akzentuierte Bewusstsein, Gesellschaft zu sein verloren geht. Für die freimaurerische Quantitätssteigerung von Soziabilität - für deren spezifische Verschärfung der Zwischenlage zwischen Individuum und Gesellschaft - hat, so die hier zu entwickelnde Ansicht, nicht die (eh unzugängliche) historische Praxis des Freimaurertums an sich einzustehen. Es muss da noch mehr geben, z.B. andere Sprach- und Theorieregister, die gewissermaßen zwischen dem historisch Kontingenten und dem allgemein Historischen zu liegen kommen. Hier gilt es anzusetzen. Gesucht wird ein Verständnis, nicht des Sozialen im Allgemeinen, vielmehr der Ausgestaltung des Sozialen unterhalb makrosoziologischer Perspektiven. Eine Erfassung des Institutionellen, das nicht lediglich mit der Geschichte von Logen, aber auch nicht mit dem Prinzip selbst zusammenfällt, eher zu deren Schnittstelle wird. An der sich die organisatorische Potenz der Institution als eines Dritten (das nicht nur Ritual und auch nicht nur Literatur ist) entäußert. Unter diesem Blickwinkel werden im Folgenden Herders Annäherungen ans Problem des Freimaurertums gesichtet und ausgewertet.
Es hatte sich eingestellt, was für einige Jahrzehnte, nicht nur für Herder und nicht nur für Männer den Weg eines Topos zu einer Gattung und einer Gattung zum Buch bahnen sollte. Und vice versa. Es begann die Karriere ,zerstreuter Blätter', deren Mode - soweit es sich bei der gegenwärtigen Forschungslage beurteilen lässt - um 1800 ihren Anfang nahm und die sich bis um 1900 behauptete. In dieser Erfolgsgeschichte geht es genau um die genannte Titelgebung, deren Herkunft sich aus dem Wortfeld ,zerstreuter Sachen' sozusagen bequem herauskristallisiert. Denn es steht fest, dass die Sprache auch Schriften und Papieren immer schon erlaubte, zerstreut zu werden oder eben einfach chaotisch herumzuliegen. Seit dem frühen 18. Jahrhundert verzeichnen die Kataloge zerstreute Gedanken, Gedichte, Anmerkungen, Nachrichten und Aufsätze. Auch finden sich genug vermischte, gesammelte, ,verlohrene' und natürlich fliegende Blätter, und man begegnet auch jener professionellen Tätigkeit, die später die Herausgeber zerstreuter Blätter kennzeichnen wird.