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Die vielfache Überlagerung epochaler Bewußtseinsschichten, die Rettung erotischer Sprachgewalt bei gleichzeitiger Präsentation christlicher Sublimation der Erotik, die Spannung zwischen Sensualismus und Spiritualismus disponieren das Volkslied zur Herausforderung neuer ästhetischer Lösungen; Heines Tannhäuser sucht sie im Widerspiel von Deutschland und Frankreich und im Zusammenspiel von alter und neuer Poesie.
Eine erste Notiz zu dem geheimnisvollen, oft gedeuteten und viel umrätselten "Magie"-Gedicht des 21jährigen Hofmannsthal entstand in Göding, am 14. Juli 1895; vollendet wurde es Ende Oktober desselben Jahres. Es geht hier um den Aufweis einer Quelle oder Parallele zu einigen Motiven in den sieben Eingangsstrophen, die insgesamt genau die erste Hälfte des Gedichts ausmachen:
Ein Traum von großer Magie
Viel königlicher als ein Perlenband
Und kühn wie junges Meer im Morgenduft,
So war ein großer Traum, wie ich ihn fand.
[…]
In seiner ersten Notiz skizzierte Hofmannsthal den Plan zu diesem Gedicht: "als Einleitung halbwacher Morgentraum mit undeutlich bewusster Wohnung: in einem Lusthaus […]. Ein Traum von großen Magiern". Aus dem "halbwachen Morgentraum" soll und wird ein Gedicht hervorwachsen - eine Szenerie, die ganz genau so und teilweise wörtlich in Richard Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" (III.1) vorgebildet ist.
Dieser Beitrag soll aufzeigen, dass auch gerade reisende Frauen wie Ida Hahn-Hahn mit ihren Städtedarstellungen zu einem nicht zu übersehenden Teil den Orientdiskurs mitprägten. Europäische Reisende haben schließlich den größten Teil der Palette, aus der sich deren Orientbild zusammensetzte, in Städten erlebt: Residenzen, den Harem, Moscheen, Bazare, Cafés, Bäder, Sklavenmärkte, Gitterfenster und verschleierte Frauen. Besonders auffallend an Hahn-Hahns "Orientalische[n] Briefe[n]" ist dabei ihre häufige Gegenüberstellung zwischen Illusion und Desillusion oder kreierter Vorstellung und erlebter Wirklichkeit. Diese Strategie soll hier als Leitfaden beziehungsweise Untersuchungsmethode für die Vermittlung ihres spezifisch urbanen Orientdiskurses dienen.
Die anthropologische Differenzierung zwischen dem Inneren und dem Äußeren als Korrelation von Geistigem sowie Seelischem mit dem Körperlichen sowie Sinnlichen ist eine evidente Thematik der deutschsprachigen Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Diese Unterscheidung bricht mit dem Jahrhundertwechsel nicht ab, sondern wechselt ihr Vorzeichen. Die Dichotomie von Innerem und Äußerem wird bei Heinrich Heine in Gestalt der Gegenüberstellung von Idee und Realität aufgegriffen und politisch akzentuiert weitergeführt. In seinen Reisebildern kreist diese Kontrastierung um die Frage nach der Verwirklichung von Ideen mit politischer Brisanz und humanem Wert. Die literarische Form der Reisebeschreibung nimmt für die Thematisierung dieser Gegenüberstellung eine besondere Funktion ein, dies wird bei den Erzählwerken der "Reise von München nach Genua" und der "Ideen. Das Buch Le Grand" näher beleuchtet. Zugrunde gelegt wird die Annahme, dass eine politische Idee als ein humanes Ideal etwas Inneres darstellt, da eine solche Idee dem Geist des Menschen entspringt. Auch hier steht das Wechselverhältnis von Idee und Realität im Fokus, indem die Frage ins Zentrum gestellt wird, inwieweit eine Idee als Produkt des Geistes eine gestaltende Funktion für die sinnlich wahrnehmbare Wirklichkeit einnehmen kann. Der Schwerpunkt liegt auf dem Geistigen, und die denkmöglichen Ideen des Menschen sind das Entscheidende. Die Menge der Ideen wird auf die zeitgenössischen Humanitätsideale der Französischen Revolution beschränkt: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Diese politischen Ideen sind in ihrer reinen Form im menschlichen Leben im engeren Sinne nicht realisierbar. Dennoch können sie eine wirklichkeitsgestaltende Funktion einnehmen, indem der Mensch versucht, sich der Verwirklichung dieser Ideen soweit wie möglich anzunähern. Dieses Bestreben ist eine Sinnkonstitution des Menschen und diese Ideen sind für diejenigen, die sie teilen und in ihr eine Chance für ein besseres Leben sehen, eine intrinsische Motivation, das Innere in das Äußere zu projizieren. In Heines "Reisebildern" wird diese Übertragung mit dem Begriff der Emanzipation benannt. Bereits die narrativen Sprechsituationen dieser Erzählwerke zeigen an, dass die Gestaltung von menschlicher Lebenswirklichkeit im thematischen Zentrum steht. Emanzipation ist unumstritten ein politischer Begriff, bei Heines "Reisebildern" tritt er aber zusätzlich als ästhetisches Konzept auf. Emanzipation wird in den Erzählwerken der "Reise von München nach Genua" und "Ideen. Das Buch Le Grand" als ästhetisches Programm untersucht, das seine theoretische Ausformulierung in der "Romantischen Schule" findet.
In "Idyllisches oder modernes Italien? Politik und Ökonomie in Fanny Lewalds Italienreisebeschreibungen" bietet Christina Ujma einen panoramatischen Überblick über die politischen und sozialen Veränderungen, die Fanny Lewald in ihren Berichten über Italien- und Rom-Reisen von 1845/46 bis 1877/78 registriert. Im "Italienischen Bilderbuch" wird häufig über die im Vergleich zu Deutschland lebhafteren Formen der Geselligkeit und ein entspannteres Geschlechterverhältnis berichtet. Die Straße etwa sei kein bürgerlicher Repräsentationsraum, in den die strikte Trennung des öffentlichen und privaten Lebens schon eingetragen sei, sondern Aufenthaltsort für die gesamte Bevölkerung, der, trotz eines äußerst geschäftigen Alltagslebens, bemerkenswert störungsfrei ablaufe. Darüber hinaus ist die Straße auch Ort der Arbeit - geschildert wird das geradezu idyllisch anmutende Gewerbe der toskanischen Strohflechter, die sich an frischer Luft ohne die Zumutungen repressiver Arbeitsgesetze und protestantischer Arbeitsethik ungezwungen und fast schon spielerisch ihrer Tätigkeit widmen können. In der zweiten Reise, die im bereits hochindustrialisierten Nachmärz stattfindet, akzentuiert Fanny Lewald deutlich die politische Befreiung durch das Risorgimento und betrauert den Verlust der vormodernen Idylle, der im Bau der italienischen Eisenbahn symbolisiert ist. Gleichzeitig zeige sie sich entsetzt über die zunehmende Musealisierung Roms im Interesse der Tourismuswirtschaft - bei wachsender sozialer Verwahrlosung und plädiert für eine umfassende Modernisierung der Stadt, durch die die Stadt in eine urbane Metropole mit angenehmen Wohn- und Lebensverhältnissen für die ansässige Bevölkerung transformiert werden solle.
Anhand von Gustav Freytags Roman 'Soll und Haben' analysiert Stullich den Parasiten als eine Figur, die in einer Überschneidung biologischer, ökonomischer und politischer Diskursfelder als eine den Staatskörper schädigende und somit eine biopolitische Katastrophe verursachende Gefahr wahrgenommen wurde. Während also Naturereignisse oder technische Störfälle mit zerstörerischer und tödlicher Wirkung gerade im alltäglichen Verständnis naheliegenderweise als Katastrophen bezeichnet werden, können katastrophische Szenarien gerade in politischen Diskursen als Denkfigur genutzt werden, um bestimmte Ideologien rhetorisch tragfähig zu machen.
Entre as viagens da escritora austríaca Ida Pfeiffer (1797–1858) esteve uma estadia de cerca de dois meses ao Rio de Janeiro, realizada em 1846. Seu relato dessa experiência no livro "Eine Frau fährt um die Welt", assim como os outros livros do gênero, alimenta um imaginário sobre o Brasil entre seus leitores europeus. Mas, além disso, apresenta vários dos imaginários da autora e de seus conterrâneos acerca do que encontraria no país. O presente artigo busca realizar um levantamento dos trechos em que esses imaginários ficam explícitos no relato da autora, tomando sua obra como uma fonte histórica dos imaginários europeus do século XIX acerca do Brasil.
Angesichts der kontinuierlich fortgetriebenen Ausweisung der Lewald'schen Texte als Bilder, Genrebilder, Panoramen und Skizzen ist umso mehr danach zu fragen, welche Konzeptionalisierungen, welche Funktionalisierungen die beanspruchten medialen Interferenzen erstens erfahren und zweitens, ob und in welcher Ausprägung jene Texte sich die im Titel aufgerufene Metapher zum Darstellungsmodell nehmen. Zur Analyse kann für den ersten Aspekt - und dies ist innerhalb des weiten Textfeldes, das sich die hier etablierte Titel-Mode aneignet, ein Charakteristikum der Texte Lewalds - vor allem auf die autoreflexiven Paratexte zugegriffen werden, sodass sich für den zweiten Aspekt in den Blick nehmen lässt, inwieweit das statuierte Programm auf die Schreibweise durchschlägt.
Mit Sacher-Masoch tritt der Masochismus gewissermaßen aus der Latenz an die Öffentlichkeit. Die Frage, wie sich solch eine Perversion verstehen lässt, ob sie sich überhaupt verstehen lässt, hat die Literaturwissenschaft, und nicht nur sie, lange Zeit vor Probleme gestellt. Denn mit dem Nichtverstehen des Masochismus ist dieser in eine Latenz zweiter Ordnung gewandert. Von der Literatur scheint dieses Verstehen zwar in andere Wissensgebiete, vor allem in das der Psychoanalyse, abgewandert zu sein. Das Nichtverstehen des Masochismus ist dadurch aber nicht aufgehoben, sondern nur auf einer höheren Ebene konserviert worden. Eine Archäologie der Literatur kann diese Latenz als Dimension herausarbeiten, die der Literatur gerade deswegen zukommt, weil sie sich dem Verstehen zugleich öffnet und verschließt. Vor diesem Hintergrund schlägt die folgende Untersuchung eine Lesart des Masochismus vor, die sich von der der Psychoanalyse signifikant unterscheidet und doch an diese anknüpfen kann. Im Mittelpunkt des Interesses steht neben den medialen Aspekten, die den Text im Zusammenspiel mit oft phantasmatischen Bildern bestimmen, die Vertragsstrukturen, die Sacher-Masochs Erzählung aufruft. Die Verträge erscheinen so als Grund einer literarischen Infamie, die zugleich in die Bereiche des Rechts hineinwirkt.
Annette von Droste-Hülshoff schreibt ihre 1842 erschienene Novelle "Die Judenbuche" in einer Zeit fortdauernden Wandels religiöser Anschauungen. Der Übergang eines sozial verbindlichen Christentums im Ancien Régime zu einer privaten und konfessionell liberalen Religion in der säkularisierten bürgerlichen Gesellschaft spiegelt sich in der Haltung der katholischen Schriftstellerin. Diese oszilliert zwischen theoretischer Glaubenstoleranz und effektiver Parteilichkeit, aufgeklärter Religiosität und unkritischem Fideismus, zwischen religiösen Skrupeln und intuitiver Frömmigkeit. [...] "Die Judenbuche" ist der romantische Versuch, "das Reich Gottes zu realisieren". Ihr Realismus ist ein metaphysischer, theologischer. Damit erhebt sich der Text selbst zum eschatologisch-soteriologischen Medium. Die Inbesitznahme des Geistes durch den Buchstaben wird im Dazwischen der 'Blicke' (Auge um Auge), die die beiden Lektüreweisen sind, gewendet. Das 'Angeblicktwerden' durch den unverständlichen Text fordert eine 'Erwiderung des Blicks', die die tote Schrift 'lebendig': verstehbar und anschlussfähig macht. Hierfür steht die physiologisierte Pneumatologie Droste-Hülshoffs ein, die sie im "Geistlichen Jahr" entwirft. Das Reich Gottes entsteht durch die Interaktion zwischen Text und Leser in die Zukunft hinein. Als andauernder Prozess bewerkstelligt die Transkription den Ausstieg aus der katastrophischen Zeit der "Judenbuche" in die Heilsgeschichte, sie wendet als qualifizierter 'Kairos' den verhängnisvollen 'Chronos' zum erfüllten 'Eschaton'. Wenn diese Übertragung gelänge, würde die Schrift tatsächlich zum "Wort, das stets verständlich mir".
Integrationskomik : "Odyssee" und "Wilhelm Tell" in C. F. Meyers Novelle "Der Schuss von der Kanzel"
(2016)
Für die Integrationskomik der Novelle ist das Zusammenspiel von Figuren- und Textebene ausschlaggebend. Die als fremd dargestellten, orientalisierten Figuren im Gefolge des Generals Wertmüller werden durch die Sprachkomik misslingender Kommunikation integriert (Hassan) oder aber zu imaginären Projektionen, die am realen Erscheinen der Figur vorbeigehen: Anstelle 'der Türkin' sind nur "orientalische Schemen" am Werk. Auch der General ist Gegenstand solcher Projektionen des Fremden, zugleich aber eine handlungsmächtige Mittlerfigur sowohl zwischen der sozialen Gemeinschaft von Mythikon und deren vorgestellten Fremden als auch zwischen der Figuren- und der Textebene der Integration. Über ihn läuft das Verfügbarwerden der Gründungserzählung in Mythikon; der antike Mythos, um den es dabei geht, wird speziell akzentuiert. Als Inbegriff der Reise, der Begegnung mit fremden Welten und der Heimkehr hat die 'Odyssee' einen Helden, der am Ende als Gast am eigenen Herd auftritt. So eine Gastfigur ist und bleibt auch Wertmüller, während Pfannenstiel heimisch wird. Am Ende nutzt die Erzählung die Attribute des Dunklen und Unheimlichen, mit denen die realistische Novellistik typischerweise fahrende Fremde markiert, um ihre integrative Schlüsselfigur dezidiert auszugrenzen.
Eine dreifache Bewegung der Emanzipation appelliert im 19. Jahrhundert an eine realistische Darstellung: Die Befreiung und Gleichstellung von Frauen, Jüd:innen und der Arbeiter:innenklasse wird von realistischen Texten teils protegiert, teils bekämpft. Am Beispiel von sowohl vor- als auch nachrevolutionären Romanen und Erzählungen Fanny Lewalds entwickelt der Beitrag ein intersektionales Verständnis von Realismus, das dieser politischen Seite des Begriffs Rechnung trägt. Ausgangspunkt ist dabei die Beobachtung, dass realistische Poetiken mit der Verfahrensweise intersektionaler Textbeobachtungen eine Gemeinsamkeit in der Privilegierung der Referenzebene der 'erzählten Welt' besitzen. Wie aber können sich mehrere strukturell divergente Erfahrungswelten innerhalb derselben erzählten Welt artikulieren, ohne in ihrer konfliktuellen Heterogenität nivelliert zu werden? Während "Jenny" (1843) als Versuch über die Phänomene doppelter, aber auch wechselseitiger Diskriminierung subalterner Akteur:innen gelesen werden kann, wirft der Beitrag am Beispiel der Novellen "Der dritte Stand" (1845) und "Auf Rother Erde" (1850) die Frage auf, welche poetologischen Konsequenzen sich aus jener intersektionalen Problematik ergeben, der sich Lewald auch in diesen beiden Novellen systematisch verschrieben hat. Anknüpfend an Überlegungen Susan Lansers geraten dabei u.a. das Geschlecht der Erzählinstanz und die Poetik des Dialogs in den Blick. Wie damit gezeigt werden soll, gehört der nur intersektional fassbare Streit um die Wirklichkeit zu den entscheidenden Voraussetzungen sowie den formalen Problemstellungen des Realismus.
"'Ironie haben wir nicht' – rief Nannerl, die schlanke Kellnerin, die in diesem Augenblick vorbeisprang, – 'aber jedes andre Bier können Sie doch haben.' Daß Nannerl die Ironie für eine Sorte Bier gehalten", fährt Heinrich Heine im dritt en Kapitel seiner Reisebilder Von Münch en nach Genua fort, "war mir sehr leid, und damit sie sich in der Folge wenigstens keine solche Blöße mehr gebe, begann ich folgendermaßen zu dozieren: 'Schönes Nannerl, die Ironie iska Bier, sondern eine Erfindung der Berliner, der klügsten Leute von der Welt, die sich sehr ärgerten, daß sie zu spät auf die Welt gekommen sind, um das Pulver erfinden zu können, und die deshalb eine Erfindung zu machen suchten, die ebenso wichtig und eben denjenigen, die das Pulver nicht erfunden haben, sehr nützlich ist.'" Die Erfindung, die Heine hier anspricht, soll ein Mittel sein, das es erlaubt, Dummheit in Ironie zu verwandeln. In diesem Zusammenhang entfaltet Heine eine fiktive Genealogie der Dummheit, gefolgt von einer Genealogie der Strategien, wie sich Dummheit verhindern lässt – beides mit unverkennbar polemischem Unterton […]. Hatte man zunächst den Eindruck , das "rück wirkende Mittel", von dem Heine sprich t, sei ein Pharmakon, vielleicht auch eine Art Pulver, mit dem man die Dummheit wie eine lästige Migräne-Attacke neutralisieren kann, wird kurz darauf deutlich , dass das 'ganz einfache Mittel', das Heine im Sinn hat, ein sprachliches ist: Anstelle des Pulvers hat man in Berlin einen Sprechakt erfunden, mit dem sich jede Dummheit in Weisheit umgestalten lässt. Genau genommen handelt es sich bei diesem Sprechakt um ein Deklarativ. Deklarative Sprechakte begegnen uns häufig in der Kirche und im Krieg. So, wenn ein Priester sagt, "hiermit erkläre ich Euch zu Mann und Frau", oder wenn ein Präsident einem anderen Land den Krieg erklärt. […] Damit derartige deklarative Sprechakte gelingen, muss man – das gilt für alle bisher genannten Fälle – ein gewisses Maß an institutioneller Rückendeckung respektive ein gewisses Maß an Souveränität haben.
Johann Nepomuk Nestroy (1801-1862) foi um dos dramaturgos mais importantes da história do teatro da Áustria. Ator e autor aclamado durante seu tempo, é também nome de referência e enorme influência para muitos escritores austríacos canônicos do século XX e do começo do XXI, que até hoje se definem como devedores de sua poética dramatúrgica (por exemplo, Karl Kraus ou Elfriede Jelinek). Este artigo, além de destacar o papel do dramaturgo com "ancestral" para uma parte da literatura austríaca, lança um olhar sobre a única tradução de uma peça de Nestroy disponível no Brasil ("Cacique Vento-da-Tarde ou O festim do horror", publicada em 1990), com o intuito de colocar em questão a visão recorrente da obra de Nestroy como "intraduzível".
Seit dem Herbst 1997 ist eine kommentierte Ausgabe von Karl Gutzkows Werken und Briefen im Entstehen begriffen, die die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet elektronischer Textverarbeitung nutzen wird. Der vorliegende Beitrag ist ein Aufruf an alle Interessierten im Forum Vormärz Forschung, dem Projekt mit ihren Sachkenntnissen förderlich zu sein.
Karl Nauwerck in Sizilien : eine Edition zweier früher sozialkritischer Bildungsreiseberichte
(2009)
Die vorliegenden Dokumente "Palermos Bettler" und "Wahnsinn aus Katania" sind sozialkritische literarische Genrebilder. Sie hatte Nauwerck nach der Rückkehr von seiner Italienreise ins väterliche Haus in Neustrelitz (31. März 1835) angefertigt. Diese Reise, die er am 17. Juli 1834 angetreten hatte, war offenbar der 'Lohn' für seine Promotion in Halle am 5. Juli 1834. Vermutlich beabsichtigte er eine Veröffentlichung der Skizzen. Erhalten blieben sie in seiner "Großen Aphorismensammlung" in seinem Nachlaß, die er unter dem Titel "Allerlei. Eigenes und Fremdes" ganz offensichtlich zu einer - dann allerdings nicht realisierten - Publikation vorbereitet und seiner Frau Julie gewidmet hatte. Darin hatte er alle jene Sentenzen aus seinem publizierten und nichtveröffentlichtem Lebenswerk, seinen Briefen, verlorenen Tagebüchern und anderen von ihm für wichtig gehaltenen Äußerungen zusammengetragen, unter anderem eben auch diverse frühe Schreibversuche. Beide Texte beweisen im Unterschied zur modischen antiklassischen Kritik an der angeblichen Italienschwärmerei ein 'echtes' soziales Engagement. Nauwerck geißelt die elenden gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die Armen, Mühseligen, die untersten Schichten im zerfallenden spätfeudalen System des italienischen Südens und Siziliens leben müssen.
In der "Ästhetik" von 1853 hat Rosenkranz die Karikatur von der Frühzeit der Kunst bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (Christian August Weißes Ästhetik über das Komische als Aufhebung des Hässlichen als Negation des Schönen erweiternd) als Aufhebung des Hässlichen als das "Negativschöne" (bzw. die "Schattenseite des Schönen") untersucht. Für Rosenkranz sollte die ideale, phantasiereiche Karikatur eine Befreiung vom Hässlichen ins Komische ermöglichen, wobei der Betrachter sich auch das Schöne vorstellen könne.
Seine Ansätze zu einer Ästhetik der Oberfläche entwickelte Semper – gleichzeitig wie Marx seine Theorie des Fetischcharakters der Ware – angesichts der unabsehbaren Auslagen der Kunstindustrie, in denen sich das fortschrittsgläubige Bürgertum des technischen Zeitalters auf den nationalen und internationalen Gewerbeausstellungen feierte und aus denen es seine vitalsten Energien schöpfte. Semper verfasste seine epochemachende Schrift „Wissenschaft, Industrie und Kunst“ als Reaktion auf die Londoner Weltausstellung von 1851, wo Joseph Paxtons berühmter Crystal Palace der neuen Warenherrlichkeit nicht nur reichlich Raum zur Ausbreitung bot, sondern die neuen Materialien Eisen und Glas auch gleich selbst eindrücklich zur Schau stellte. Die Schrift nimmt frühere Überlegungen zur Bemalung antiker Tempel und Statuen auf und mündet später in Sempers Hauptwerk „Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten“ (1860–1863). Das Prinzip, unter das Semper seine »praktische Ästhetik« (so lautet der Untertitel des Werks) stellt, ist jenes der Bekleidung. Damit wären wir bei der im Titel angekündigten Mode angelangt. Am Leitfaden der Mode möchte ich im Folgenden die Anfänge einer modernen Ästhetik der Oberfläche bei Semper exemplarisch für die deutschsprachige Kunsttheorie verfolgen. […] Ihre Produktivität ist nicht nur in der von industriell-technischen Entwicklungen inspirierten ›praktischen‹ Ästhetik zu beobachten, für die Semper ein Beispiel ist. Sie schlägt sich ebenso in der von den schönen Künsten und der Kunstphilosophie herkommenden ›idealistischen‹ Ästhetik nieder, wie sie etwa Friedrich Theodor Vischer (1807–1887) vertritt. Hier scheint die Mode ihre für die Reflexion über Kunst innovative Funktion gerade ihrer Randständigkeit, ihrem provokativen Außenseitertum im Verhältnis zum ästhetischen Kanon zu verdanken. Dieser Umstand verbindet sie mit der Karikatur und dem Hässlichen.
Die "Elektra" von Hofmannsthal und Strauss veranlaßte Carl Dahlhaus zu einem Plädoyer für die klassische Tragödie sophokleischer Prägung, die weder durch die Sprachkunst Hofmannsthals noch durch die Musik von Strauss in der Oper zur Gänze wieder zugänglich wurde, ja der Musik recht eigentlich überhaupt nicht erreichbar ist. Lapidar fiel ein Satz, als stammte er selbst aus einem antiken Drama oder aus der aristotelischen Poetik: "denn an die tragische Dialektik reicht Musik nicht heran." So viel Musik - entweder für sich genommen oder in der Oper - vermag, so wenig kann sie alles ausrichten. Entgegen einer verbreiteten Überzeugung war und ist Theater mehr, als Oper sein kann. Reicht Musik indessen an die komische Dialektik heran? Diese Frage läßt sich an den 1911 in Dresden uraufgeführten "Rosenkavalier" stellen, der nicht nur das nach "Elektra" zweite Ergebnis der Gemeinschaftsproduktion von Hofmannsthal und Strauss war, sondern auch, wie man weiß, zu einem beispiellosen, weltweiten Publikumserfolg geworden ist. Opern, die danach noch Welterfolge wurden, waren, so scheint es, für lange Zeit in den allermeisten Fällen keine Komödien mehr.
Luise Mühlbach (Pseudonym für Clara Mundt) (1814-1873) gehörte zur ersten Generation der sogenannten Berufsschriftstellerinnen, d.h. der ersten Schriftstellerinnen, die durch ihr Schreiben finanziell unabhängig sein konnten. Die Tatsache an sich galt schon vielen Zeitgenossen als Provokation und Emanzipationsstreben, da die Geschlechtergrenzen durch das Ausüben eines Männerberufes überschritten wurden. Über einen längeren Zeitraum war Mühlbach sogar Alleinverdienerin der Familie, da ihr Ehemann, Theodor Mundt, frühzeitig erkrankt und 1861 gestorben war. Zudem gehörte sie ab den 1850er Jahren zu den populärsten BestsellerautorInnen ihrer Zeit und sie wurde somit schnell erfolgreicher als Theodor Mundt. Luise Mühlbach hat sich sehr früh gegen die Konvenienzehe und für eine Eheschließung aus Liebe und Zuneigung geäußert und hat dies in ihrer Ehe vorgelebt.
Eine zuverlässige Identitätskontrolle ist zu dieser Zeit noch nicht möglich. Man muss dem 33-jährigen plantation-owner glauben, der sich unter selbst gewählter Identität als "CMSealsfield" beim Gouverneur von Louisiana vorstellt, einen Wohnsitz in Louisiana angibt, Leumundszeugnisse präsentiert, sein Vorleben samt Taufnamen Carolus Magnus Postl verschweigt und diese nur in der Unterschrift des "safe conduct pass" (US-Schutzzusage) andeutet. Die administrierenden Herren, Gouverneur Henry Johnson (Louisiana, USA), Albin Eusèbe Michel de Grilleau, Kanzler des französischen Konsulats, und C. N. Morant, Kapitän des amerikanischen Vollschiffs "American", können nicht ahnen, dass sie dem Reisenden im Juni 1826 zu einer amerikanischen Identität mit dem anglophonen Namen Charles Sealsfield (1793-1864) verhelfen und ihn in die nationale 'machinery of identification and integration' einbeziehen. Indem Johnson den Status als 'US-resident' legitimiert, vermittelt er dem politischen Österreichflüchtling und Priester durch Identitätswechsel von Postl zu Sealsfield eine provisorisch gesicherte Existenz.
Dieser Akt ist mit weitreichenden Konsequenzen für Sealsfield verbunden. Er absolviert als 'Amerikaner' Sealsfield die Karriere eines deutschsprachigen 'amerikanischen' Autors von Amerika-Romanen (1833-47) und reüssiert 1844/45 als englischsprachiger 'amerikanischer' Autor unter der Fehlschreibung Seatsfield kurzfristig zum Protagonisten der amerikanischen Nationalliteratur, nachdem 'The Boston Daily Advertiser' am 20. März 1844 in Folge von Theodor Mundts (1808-1861) Urteil aus dem Jahr 18422 ihn als "The Greatest American Author" einer nationalen democratical American literature apostrophiert hat.
This article analyzes the concept of race and ethnographic description used by the bavarian botanist Carl Friedrich Philipp von Martius in his publications on Brazil. Principally Blumenbach’s and Meiners’ racial theories and the concept of physiognomy are applied to explain Martius’ strategies to describe and classify the indigenous people he came across during his voyage to Brazil.
Hatte Heine für seine Person eine Mittelstellung zwischen dem sinnlichen, indifferent pantheistischen Goethe und dem sentenziösen Freiheitsdichter Schiller angestrebt, so bevorzugt hingegen Büchner eindeutig zu Ungunsten Schillers und der rhethorischen Tendenz "Goethe und Shakspeare". Der seit Hans Landsberg (1900) und Paul Landau (1909) etwas abgestandenen Lehrtradition, dernach Büchner an Shakespeare und den "Sturmund Drang" anknüpft, gibt der folgende Beitrag im Anschluß an Friedrich Sengles Betonung des Wally-Skandals eine politisch kritischere, vormärzlichere Wendung.
Literatur kann volkskundliche Aufgaben übernehmen, und umgekehrt wird die 'Culturhistorie' mit literarischen Aufgaben betraut. Die (noch) instabilen disziplinären Grenzverläufe werden durchkreuzt von Wissensfeldern: Beide beanspruchen die Bereitstellung eines Wissens, das heutzutage als 'ethnographisches Wissen' deklariert wird. Im Folgenden analysiert Christoph Schmitt-Maaß diese Dialektik in drei Schritten: Einen einleitenden Überblick über die institutionellen Entwicklungen vorausschickend, interpretiert er zunächst Auerbachs Dorfgeschichte "Die Frau Professorin" (1846) und anschließend Riehls "culturgeschichtliche" Novelle "Die Dichterprobe" (1865). Eine konzentrierte Lektüre der ausgewählten Texte soll aufzeigen, dass beide Autoren die Entstehungsbedingungen ihrer Texte im Text und als Text bewusst reflexiv im Sinne einer Poetologie entfalten und zwar im Gefüge einer vordisziplinären Wissenspoetik.
Der vorliegende Aufsatz will im Fragment "Der Rabbi von Bacherach" von Heinrich Heine, erschienen 1840, die Problematik der kulturellen Hybridität am Beispiel der Protagonisten Rabbi Abraham und Ritter Don Isaak Abarbanel diskutieren. Meine Überlegungen gehen dahin zu zeigen, dass Heine in diesem Fragment das Christliche und das Jüdische so dargestellt hat, dass die Möglichkeit einer binären Trennung zwischen beiden Räumen unmöglich wird. Aus seiner Inszenierung des Dialogs zwischen dem anscheinend orthodoxen Juden Abraham und dem konvertierten Juden Abarbanel geht hervor, dass der Kontakt mit dem Fremden immer mit einer Veränderung des Eigenen einhergeht.
Während Anastasius Grüns übersetzerischer Beitrag zur Entwicklung der slowenischen Literatur in der slowenischen Sprach-, Literatur- und Übersetzungswissenschaft bis heute kein Interesse zu erwecken scheint, zeichnet sich in der slowenischen Germanistik seit den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein eindeutiger Paradigmenwechsel im wissenschaftlichen Umgang mit Anastasius Grün und seinem literarischen und politischen Wirken im Hinblick auf das Slowenentum ab, das immer häufiger zum Gegenstand kritischer und ausdifferenzierter Untersuchungen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen wurde. Dieser Wechsel hängt mit den in der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts im slowenischen Raum verlaufenden Demokratisierungsprozessen zusammen und resultiert aus der Einsicht, dass die dort entstandene, in den slowenischen Raum transferierte und darin rezipierte Literatur in deutscher Sprache die Bildung der slowenischen Kulturidentität nachhaltig beeinflusste: Die Rede ist von der europäischen Kontextualisierung der slowenischen Literatur- und Kulturentwicklung und - in deren Rahmen - von der Erforschung der deutschsprachigen Literatur und Kultur im slowenischen Raum. Der Beitrag versucht, den bisherigen literaturwissenschaftlichen Forschungsrahmen theoretisch zu erweitern, indem auf die Ansätze des literarischen Feldes von Pierre Bourdieu zurückgegriffen wird, mit dem Ziel einer Neuinterpretation von literarischen Wechselwirkungen zwischen Anastasius Grün und dem bedeutendsten Vertreter der slowenischen romantischen Literatur und slowenischen Nationaldichter France (Franz) Prešeren (1801–1849).
Kunigunda of Galicia, the second wife of the Bohemian King Otokar II and later the second wife of the powerful nobleman Záviš of Falkenstein, suffers from a very poor reputation due to her depiction in medieval chronicles, especially the Styrian Rhymed Chronicle written by Ottokar aus der Gaal. Her image as a domineering and morally dubious figure is also echoed in Franz Grillparzer's play "König Ottokars Glück und Ende", which draws partly on the Styrian chronicle as source material. This study attempts to answer the question of what role Kunigunda plays in Grillparzer's drama, and whether she genuinely deserves to be known as a "whore" – a designation which was applied to her immediately after the play's premiere. Grillparzer's version of Kunigunda is also compared with her depiction in the tragedy "Král Přemysl Otakar Druhý" by František Zavřel.
Literatur ist mehr als eine Belegstelle für literatur- oder medientheoretische Thesen, anderseits erschließt sie sich nicht selbst, sondern antwortet auf Bezugsprobleme. Das Problem, das ich mit Blick auf "Schrift" an Heinrich Heine herantragen möchte, ist die Frage, ob die Literatur sich selbst als Medium beobachtet und ob mit der Figur des 'Jehuda ben Halevy' womöglich Autorschaft unter Bedingungen konkurrierender Medien reflektiert wird. Meine medienkomparatistische Lektüre zielt auf jene Medien der Literatur, die Heine im 'Romanzero' thematisiert und als Bedingung seines eigenen Schreibens reflektiert. Ausgehend von dieser vergleichenden Analyse der Medien des 'Romanzero' werde ich in einem zweiten Teil die hinzugezogenen Medientheorien daraufhin befragen, welche Fragen sie an die Literatur herantragen und welche Antworten sie auf Probleme literarischer Texte geben können.
Law and literature: that is a sufficiently broad subject to warrant reference to the Fontane character Effy Briest’s "wide field." Indeed, the sites where law and literature encounter each other, where they border on each other, merge, converge, overlap, or where they relate as opposites, even finding themselves as rivals or enemies seem legion. In contrast to the intentions of Effy Briest in that famous novel, my reference to this line is not intended to abort further inquiries; instead I want to chart the field in question with the aim of developing a preliminary typology of the ways in which law and literature have been engaged and have engaged one another. Against the background of this overview, I want to turn to a much smaller field. This small field - a plot of long fallow farmland, to be exact, located between two adjacent, perfectly maintained wheat fields in a fictive Swiss village - will serve as an example or test site for "law and literature" as they emerge in Gottfried Keller’s narrative 'Romeo und Julia auf dem Dorfe', from his mid-nineteenth century collection of novellas 'Die Leute von Seldwyla'. Whether and how the case study of that small field at the centre of Keller’s story can make a case for the larger field of "law and literature" remains to be seen.
A proximidade entre música, filosofia e literatura na tradição alemã e seus métodos de aproveitamento dessas relações marcou profundamente João Guimarães Rosa, possibilitandolhe desenvolver trilhas próprias a partir dos substratos oferecidos pelas cantigas tradicionais brasileiras. Os efeitos gerais das técnicas musicais em "Sagarana", a influência de conceitos da filosofia de Heidegger, a utilização do 'Grundmotiv' wagneriano em "O burrinho pedrês" e "Sarapalha" e as semelhanças entre a narrativa "A hora e vez de Augusto Matraga" e a opera "Parsifal", de Wagner, constituem o objeto desta reflexão.
This article deals with two short stories by Leopold Kompert (1822-1886), a Jewish author from the Austro-Hungarian Empire and one of the major names in a genre which became known as Ghettoliteratur. As all other authors in his genre, Kompert dealt mainly with the conflicts involved in the passage from the world of traditional Jewry towards 19th into modernity. But he did this in a typical Habsburg way. Rather then emphasizing the incompatibility between these two worlds, Kompert tries, on the one hand, to preserve the memory of the vanishing world of the Jewish Shtetl, and on the other hand to create a synthesis between this world and the multi-lingual and multi-cultural Austro-Hungarian Empire.
Heinrich Heine war, wie kaum ein anderer literarischer Autor, der Ethnologe der Kultur, in der er selbst lebte. Immer wieder hat er, in narrativer Form, versucht, eine Diagnose seiner Zeit zu geben: eine Phänomenologie der Epoche, aus der er kam und in deren Ausläufer er noch lebte – der Romantik und ihrer Folgen. Man denke an die Heinesche Studie Deutschland, ein Wintermärchen oder an die kulturdiagnostische Novelle Der Rabbi von Bacherach. Ein paradigmatischer Text für ein solches kulturdiagnostisches Interesse Heines ist auch die Erzählung Florentinische Nächte, publiziert im Jahre 1835, drei Jahre nach Goethes Tod. Es ist ein rätselhafter Text. Denn er enthält eine Reihe von nur schwer miteinander vermittelbaren Themen-Komplexen. Da ist, schon aus dem Rahmen des Erzählten heraus angelegt, eine sich verdoppelnde Liebesgeschichte: ein Mann, Maximilian, und zwei Frauen, Maria und Laurence; Maria, die, schwer erkrankt, im Vordergrund gegenwärtig ist; und Laurence, die Abwesende, vielleicht überhaupt nur fingierte, deren Geschichte Maximilian der bettlägerigen Maria erzählt.
Louise Dittmar gehört zu den wenigen Autorinnen ihrer Zeit, die sich auf das für Frauen eher ungewöhnliche Gebiet der Philosophie wagten. Ungewöhnlich nicht deshalb, weil sie philosophische Schriften rezipierte, denn das war durchaus kein Einzelphänomen. Gerade in den 1840er Jahren setzten sich viele Vormärzautorinnen mit den modernen Strömungen und deren Studien auseinander, insbesondere mit frühsozialistischem und junghegelianischem Gedankengut. Das Ungewöhnliche war vielmehr, dass Louise Dittmar Werke publizierte, in denen sie Ludwig Feuerbachs Philosophie "systematically and seriously" zu entfalten versuchte, aber ebenso ihre eigenen Erkenntnisse selbstständig (fort-)entwickelte.
Ludwig Anzengruber wurde zu Lebzeiten zum 'Klassiker der Bauernkomödie' stilisiert, was seinen in der Stadt angesiedelten Dramen aufgrund der "eingerastete[n] Erwartungshaltung des Publikums" mitunter zum Verhängnis wurde. Dass sich die am Land dargestellten gesellschaftlichen Probleme nahtlos auf die Stadt übertragen lassen, hat Anzengruber im Nachwort zu seinem Roman "Der Sternsteinhof" angedeutet, das auch als poetologischer Schlüsseltext für seine Dramenproduktion gelesen werden kann. Demnach diene ihm "der eingeschränkte Wirkungskreis des ländlichen Lebens" zu einer einfacheren und verständlicheren Darstellung, "wie Charaktere unter dem Einflusse der Geschicke werden oder verderben." An den Vorstadtbühnen muss in theatraler Hinsicht wohl zudem die Schaulust der Großstädter an den ländlichen Bauernfiguren mitbedacht werden. Und - so das Fazit des vorliegenden Beitrags - auch im Hinblick auf die Überwachung des Wiener Unterhaltungstheaters dürfte besonders der Gattung der Bauernkomödie ein erweiterter dramaturgischer Handlungsspielraum zugestanden worden sein. Während sich die Zensur im Falle der "Kreuzelschreiber" vor allem dem 'vorgeschobenen', tagesaktuellen Kirchenkonflikt widmete, der in Anzengrubers Komödie nach der Exposition allerdings keine größere Rolle mehr spielt, tolerierte sie die satirische Kirchenkritik wohl auch, weil sie den politisch und moralisch nicht gerade integren Bauernfiguren in den Mund gelegt wurde.
Bechstein ist der Märchenerzähler des 19. Jahrhunderts, dessen Märchen nach Grimm die größte Verbreitung gefunden haben. Sein literarisches und wissenschaftliches Werk ist sehr umfangreich. Er schrieb Balladen, Romane, Novellen, Erzählungen, Dramen, Versepen, Operntexte, zahllose Gedichte aller Art und Wanderbeschreibungen. Er beschäftigte sich auch mit germanischen, volks- und völkerkundlichen und kulturhistorischen Themen und schrieb verschiedene "altertumsforschende" wissenschaftliche Abhandlungen, die er in Zeitschriften publizierte und die mit seinem Amt als Archivar des Hennebergischen Gesamtarchivs in Zusammenhang standen. Das Meiste davon ist mit Recht vergessen, geblieben aber und im echten Sinne populär geworden sind seine Märchen- und Sagenbücher.
Der literarische Horizont des Vormärz ist gezeichnet von den Spannungen zwischen Nationalismus und Universalismus (oder Patriotismus und Kosmopolitismus), die sich vielfach auf das Verhältnis zur Sprache, der eigenen wie die der anderen, ausgewirkt haben. Auch Börnes schriftstellerische Biographie spiegelt den Reflex dieser Spannungen und bestimmt nicht zuletzt sein Verhältnis zum Geschäft des Übersetzens. Es geht also um einen besonderen Aspekt des Kulturtransfers, genauer gesagt um eine funktionelle Methode kultureller Interaktion. Gerade in diesem Bereich ist Börne in verschiedener Weise hervorgetreten: als Sprach-, Literatur- und Übersetzungskritiker ebenso wie als eigentlicher Übersetzer. Man wird ausgehen müssen vom Problem der Sprache überhaupt, Sprache im kulturellen wie im nationalen Kontext. Börnes kritischer Massstab erweist sich als flexibel je nach Textsorte und Zielpublikum. Da die Schwerpunkte seiner schriftstellerischen Vita wesentlich von den Wechselfällen der politischen Geschichte im engen regionalen wie im weltgeschichtlichen Umfeld abhängig waren, wird auch im Folgenden der Schwerpunktwechsel zu berücksichtigen sein.
Das Forschungsinteresse an Ludwig Börne galt und gilt in erster Linie den Bereichen Politik, Kultur und im Besonderen der Thematik Judenemanzipation. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Man sollte bei Börne vor allem kein System suchen. Weder Philosoph noch Theologe, stand für ihn die durchgängige Priorität der Politik einer kohärenten Behandlung religiöser Themen im Wege. Dass in allen seinen, auch den der Aktualität gewidmeten Texten eine dezidiert ethische Grundhaltung wahrnehmbar ist, wurde zwar in der Forschung selten geleugnet: Glaube und Menschenliebe, Toleranz und Wahrheitssuche prägen weitgehend Börnes Bild. Dennoch hält sich daneben das Klischee des exaltierten Jakobiners und naiven, kurzsichtigen Deisten, wie es seit Heine nahezu bis heute tradiert wird. Auch auf diesem Hintergrund wird man die im Folgenden skizzierten Stationen von Börnes religiöser Entwicklung reflektieren müssen.
This essay focuses on Malwida von Meysenbug's (1816-1903) rebellious 'travel diary' entitled "Eine Reise nach Ostende" (1849) and her 'extravagant' travels to the Belgian seaside resort, which she undertook together with her girlfriends Anna Koppe and Elisabeth Althaus during June and July 1849. This text, which was written during the late summer and early autumn of 1949 and published posthumously in 1905 by Gabriel Monod, is both a very personal, almost intimate representation of the failing revolution and a performance of transgression by an unmarried 33-year old female member of the lower ranks of aristocracy.
Der kürzeste Heiratsantrag, den man aus der Literatur kennt, stammt von Wilhelm Busch: „'Mädchen' – spricht er – 'sag mir ob.' / Und sie lächelt: 'Ja, Herr Knopp!'“ Nun hören sich manche solcher Reime bei Busch ziemlich schräg an, aber dennoch provozieren sie Gelächter, das einen irgendwie entfesselt, animalisch, tränentreibend wirkt, ein kreatürliches Lachen, das sich von Generation zu Generation fortzusetzen scheint. Dabei ist Buschs Komik immer näher an der Katastrophe als an der Idylle.
"Der Meridian", Celans Rede anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises am 22. Oktober 1960 in Darmstadt, ist ein Fest der Poesie. Dem Vortrag eignet eine Dichte und Dunkelheit, die oft auch Celans Gedichten zugesprochen wird; so attestieren die zahlreichen Besprechungen ihm denn auch meist, wie Helmut Müller-Sievers kritisiert, drei Elemente: "First, that the speech must be understood as an auto-poetological statement; second, that Celan is the best, or at least the most authentic, interpreter of his own poetry; third, that there exists a theoretical discourse that can seamlessly connect Celan's poetology to his poetic practice". Dieser Kritik wird insofern wider- oder entsprochen, als ich hier den ersten wie auch den dritten Aspekt bestätige, allerdings anders als von Müller-Sievers gesehen: Die Rede bildet meines Erachtens nicht so sehr eine Theorie Celans zu seinen eigenen Gedichten, sondern stellt vielmehr bereits die Ausführung einer Poetologie dar - operiert mithin also performativ. Das gleiche Argument, das Müller-Sievers nutzt, um dagegen zu argumentieren, dass es sich bei der Rede um eine Poetologie handelt, ist für diesen Ansatz eher ein Argument dafür. [...] Die von Müller-Sievers genannten Eigenschaften erachte ich dabei nicht nur für Celans Poesie als relevant, sondern im gleichen Maße für den "Meridian". So lässt sich auch das Verhältnis zwischen 'universaler Theorie' und 'konkreter Dichtung' zwar nicht als nahtlose Verbindung, aber doch als ein direktes Verhältnis erkennen; damit stellt sich die Frage jedoch umso mehr, inwieweit Theorie sich auf Dichtung beziehen lässt. Oft geschieht dabei, wie auch Müller-Sievers anmerkt, die Zuordnung der von ihm genannten Elemente wie in einer Black Box. Das Argument ist meist: Es handelt sich um Dichtung / Literatur, also kann dem Werk 'mehr' oder zumindest etwas anderes zuerkannt werden als 'anderen' Texten. Diese blinde Übertragung, irgendwo zwischen Ästhetik und Epistemologie verortet, gilt oft als absolut selbstverständlich - insofern muss in der Tat die Legitimität dieser Zuordnungen stets erneut hinterfragt werden. Ich versuche daher in diesem Aufsatz der Frage nachzugehen, was im Text geschieht, das diese Zugriffe legitim macht - oder zu machen scheint. Es geht dabei nicht (so sehr) darum, eine spezifische Theorie zu bevorzugen, als um eine Untersuchung der Funktionsweise dieses theoretisch-poetischen Textes - und um die Frage, ob die darin entwickelten Aussagen auf Dichtung und Kunst im Allgemeinen übertragen werden können, und wenn ja, wie. Dieses spezifische Verfahren mitsamt seinen mannigfaltigen Ebenen wird hier im Hinblick auf seine spezifische Materialität gelesen und als eine 'wegweisende' Art verstanden; in der Rede kehrt der Meridian als Trope wieder - als Ort wie als Bild - und der Weg zu und auf dem Meridian kann als die Aufgabe betrachtet werden, die Celan sich darin stellt.
Adolf Ellissen (1815-1872) hat Montesquieus "Esprit des Lois", der 1748 in Genf erschienen war, in den Jahren 1843-1844 ins Deutsche übertragen, als sich in seiner Heimat Hannover die 'schwärzeste Reaktion' erhoben hatte. Konnte er damit das Denken der Aufklärung in die demokratischen Bemühungen des 19. Jahrhunderts übertragen? Gibt es Ideen aus dem achtzehnten Jahrhundert, die immer wieder und auch lange noch nach dem ehrenvollen Scheitern des Frankfurter Projekts Kontroversen in der politischen Welt auslösten, weil sie von seinerzeit Gedachtem und Geschriebenem auf Unerwartetes und Ungedachtes führten?
Hartmann and his Prague friends, whether German-Gentile or German-Jewish, rallied enthusiastically to the cause of what at first was a reawakening of suppressed Bohemic cultural nationalism and a move towards across-fertilisation of the two main lingual cultures (Czech/German) andthe three main ethnicities (Czech/German/Jewish) of the country. They soon saw themselves as a "Jungböhmische Bewegung" to correspond to Young Germany. The Prague writer Rudolf Glaser founded a literary journal called 'Ost und West' for the express purpose of bringing together German and Slavic literary impulses under the Goethean motto: "Orient und Occident sind nicht mehr zu trennen". With Bohemia as the bridge, 'Ost und West' published German translations from all the Slavic languages including Pushkin and Gogol, contributions by German writers sympathetic to the cause of emerging nations like Heinrich Laube, Ferdinand Freiligrath, Ernst Willkomm, but above all the Prague circle of Young Bohemians like Alfred Meissner, Isidor Heller, Uffo Horn, Gustav Karpeles and Ignatz Kuranda. Also Hartmann made his literary debut in the journal with a love poem entitled "Der Drahtbinder", and featuring a subtitle which was in keeping with the spirit of the times: "nach einem slavischen Lied".
Mystische Blendung : zu Gustav Theodor Fechners Selbstversuchen und seinem panpsychistischen System
(2005)
Vielleicht könnte man behaupten, daß im Fall Fechner die humanwissenschaftliche Erkenntnisbeziehung modellhaft zum Vorschein kommt, modellhaft nämlich in ihrer, wie Michel Foucault sagt, doppelten Qualität, "gleichzeitig gefährlich und gefährdet" zu sein, und in ihrer Eigenart, den Menschen als ihre Möglichkeitsbedingung und ihren positiven Gegenstand auszuzeichnen, als "Subject und Object der inneren Erfahrung zugleich", wie es in den Elementen der Psychophysik (1860) heißt. Fechner entwickelte als erblindeter Selbstbeobachter nicht nur eine Theorie über die Blindheit als solche, sondern über die an und für sich: die Blindheit des Sehens für seine eigenen Möglichkeitsbedingungen, die eine Blindheit des denkenden Ichs beim Denken seiner selbst vorstellt. Dem Auge, das ohne Vermittlung oder prothetische Unterstützung sich selbst nicht erblicken kann, kommt hierfür in doppelter Hinsicht eine Schlüsselfunktion zu. Denn was sowohl dem anschaulichen als auch dem begrifflichen Denken undenkbar bleiben muß, obschon es erkannt werden soll, wird zu einem Gegenstand von Dichtung oder Experimentalwissenschaft.
Sucht man nach Gründen für die Präsenz der Romane Dostojewskis in der gegenwärtigen globalen Kultur und insbesondere auf den Theaterbühnen Europas und der Welt, so stößt man zunächst auf eine Rezeptionsgeschichte, die bereits mehr als ein Jahrhundert andauert. Die Romane haben sowohl in ihrer Form als auch in ihrem Inhalt die literarische und kulturelle Moderne entscheidend vorangetrieben, sie bieten aber zugleich auch ein Beispiel radikaler Modernekritik und offenbaren mit besonderer Deutlichkeit die Ambivalenz der Moderne, die ihr Gegenteil oder ihren Widerspruch, die Antimoderne, in sich birgt. In besonders scharfer Form tritt dies in der Antinomie zu Tage, die sich in allen Romanen belegen lässt: sie stellt die schöpferische, originelle, ursprüngliche, mystisch-tiefe russische Kultur gegen die technisch-materialistische, sterile, abgeleitete, westliche Zivilisation. Am deutlichsten manifestiert sich diese Antinomie in Sankt Petersburg, in der Stadt, die unter dem Zwang der Neuerung und des Wandels stand, und in der die Instabilität von Menschenbild und Menschenordnung besonders krass zu Tage trat.
Antonio Roselli nähert sich dem Verhältnis von Handlung und Kontingenz. Im Mittelpunkt seiner Analysen stehen Grabbes "Herzog Theodor von Gothland" und "Napoleon oder die hundert Tage" sowie Büchners "Danton's Tod". Er betrachtet sie mit Blick auf ihre kritische Verarbeitung der Implikationen der Großformation 'Geschichtsphilosophie', weil diese in ihrer idealistischen Ausprägung als Stabilisierungsverfahren auf die Erfahrung der Beschleunigung und der damit einhergehenden wachsenden Kontingenzerfahrung reagiert, dabei aber die Gründe für ihr eigenes Scheitern mitproduziert. Wenn man das "Modell des Zerrissenen" als symptomatisch nicht nur für die Problematisierung des 'Helden' im Bildungsroman, sondern auch für eine grundlegende Problemlage der Übergangszeit zwischen Restauration und Revolution annimmt, dann zeigen sich "Antriebsschwäche und Tatenlosigkeit, aber auch eruptive Ausbrüche und Aggression" als Modi der Thematisierung von Handlung im Drama. Das Schwanken zwischen diesen beiden Polen kann man bei Büchner und Grabbe als Inszenierung von Handlungsverweigerung (Fatalismus) und Handlungsermächtigung (Dezisionismus) wiederfinden. Christoph Menke unterscheidet bezüglich des Theaters zwischen 'eine Handlung ausführen' und 'eine Handlung vorführen': Das Ausführen einer Handlung ist zweckorientiert; in der im Theater stattfindenden Vorführung der Handlung soll dagegen "nicht durch ihre Ausführung der Zweck der Handlung erreicht, sondern die Form der Handlung sichtbar werden". Durch die Sichtbarmachung der Handlungsformen kann das Zusammenwirken verschiedener Elemente wie Zweck und Mittel, Akteur und Adressat, Akt und Situation erkennbar gemacht werden. An diese Unterscheidung anknüpfend geht Roselli davon aus, dass im Drama Wandlungen in den Handlungsmodellen sichtbar werden. So kann die Auswirkung einer gesteigerten Kontingenzerfahrung, wie sie besonders die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts kennzeichnet, nachgewiesen werden. Am Ende geht Roselli in einem Ausblick auf die Frage nach der Identifizierung von "Kontingenz-Gattungen" ein und skizziert kurz eine Entwicklungslinie im Übergang zum Realismus.
Am "Funktionsübergang von Dichtung und Publizistik", so Wolfgang Preisendanz, bilde sich bei Heine eine Kunstprosa aus, die Einspruch gegen Hegel erhebt und das Fortleben nicht mehr schöner Kunst in Gestalt moderner oder realistischer Kunst verbürgt. Ob Heine seiner Hegel-Bewunderung zum Trotz als Kronzeuge neuer, moderner Kunst gelten darf, sei dahingestellt. Eine Entscheidung darüber hinge nicht zuletzt von dem an ihn angelegten Modernebegriff ab. Der geläufige - mit Heine als Übergang - zeugt jedenfalls 'contre coeur' vom Rechtfertigungszwang, den Hegels Diktum zumindest auf Literarhistoriker immer noch ausübt. Doch nur bedingt kann Heine ihren Absichten dienlich sein. Dass er selbst, trotz gelegentlich ausgedrückter Hoffnungen, denen zufolge "die neue Zeit […] auch eine neue Kunst gebären […], sogar eine neue Technik" hervorbringen würde, doch eher pessimistisch in die Zukunft des "greisen Europa" sah und die Frage zu bejahen geneigt war, die er am Ende des Berichts über die Gemäldeausstellung von sich wies: "Oder hat es überhaupt mit der Kunst und mit der Welt selbst ein trübseliges Ende?", soll im Folgenden als ein Aspekt seiner Formel vom Ende der Kunstperiode erhellt werden.
Die erste von drei Leitlinien meiner Untersuchung besteht [...] darin, die Frage nach den historischen, philosophischen und intertextuellen Einflüssen auf die Gestaltung der fünf Figuren für jede Erzählung neu zu stellen. Hier wird sich auch zeigen, warum vom Paradigma und nicht vom Motiv des 'wilden Mädchens' zu sprechen ist: Stifter hat bei der Gestaltung der 'wilden Mädchen' nicht einfach nur ein literarisches Motiv, sondern unterschiedlichste literarische Stoffe und philosophische Konzepte rezipiert. Die Beschreibung dieser Einflußfaktoren soll im folgenden aber nicht als Selbstzweck betrieben werden, sondern dazu beitragen, für jede der vier Erzählungen einen individuellen Interpretationsansatz bereitzustellen.
Die zweite Leitlinie hinterfragt die in Einzelinterpretationen der vier Erzählungen immer wieder auftauchende Behauptung, Stifter thematisiere mit der Konfrontation von 'wildem Mädchen' und zivilisierter Gesellschaft den Gegensatz zwischen Natur und Kultur. Obwohl dieser Komplex, an dem "seit dem 18. Jahrhundert keine kulturelle Selbstverständigung mehr vorbeikommt", bei der Interpretation der Erzählungen berücksichtigt werden muß (dies gilt besonders für Die Narrenburg und Turmalin), darf er nicht verallgemeinert werden. In den erwähnten Einzeluntersuchungen zeigt sich nämlich oft, daß ein Verweis auf den Gegensatz zwischen Natur und Kultur, der aufgrund der Unschärfe der beiden Begriffe nur zu einfach in beliebige Argumentationszusammenhänge zu integrieren ist, den Blick auf schlüssigere Interpretationsansätze verstellen kann.
[...]
Eine dritte Leitlinie ergibt sich aus der folgenden Überlegung: Wenn ein pädagogischer Erzähler von Erziehungsprozessen berichtet, so liegt die Vermutung nahe, daß die dabei entstehenden Texte Erziehung nicht nur thematisieren, sondern selbst zur Erziehung beitragen sollen. Tatsächlich wies Stifter der Literatur eine erste Funktion in der Erziehung des Volkes zu: "Ein einziger Dichter, der sein Volk durchgängig zu entzünden vermochte, hat es oft in einem Ruk mehr gehoben, als jahrelange Belehrungen und vortreffliche Geseze". Im folgenden ist deshalb auch zu untersuchen, auf welche Weise die Erzählungen im Paradigma des 'wilden Mädchens' eine erzieherische Wirkung auf den Leser ausüben wollen.
Ausgangspunkt der hier vorgenommenen Zusammenstellung einer ästhetischen Theorie, einer kunstgeschichtlichen Analyse und einer poetischen Darstellung des niederländischen Genres war eine Faszination. Annette von Droste-Hülshoff hatte in einem Prosafragment ein ästhetisches Experiment mit einer Gattung durchgeführt, deren ästhetische Besonderheiten theoretisch erst in jüngster Zeit und durch eine neuartige kulturgenetische Vorgehensweise von Hegel und Schnaase exponiert worden waren. Staunenswert dabei ist nicht nur, dass und wie Droste-Hülshoff die verschiedenen Bestimmungsstücke des Genres, die Ästhetik des Flüchtigen, die Ästhetik des Zweideutigen und die ästhetische Theorie des Interieurs, im sprachlichen Medium erprobt; verblüffend ist mehr noch, dass sie die implizit zwischen Hegel und Schnaase sich abzeichnende Differenz in der Einschätzung der ästhetisch lizenzierten Darstellung des Bösen narratologisch zu nutzen weiß und folgerichtig das niederländische Gesellschaftsbild in eine "Kriminalgeschichte" überführt.
Er "werde keine Unordnung machen" (NS 114),1 versichert in Stifters Nachsommer dessen Protagonist und Ich-Erzähler Heinrich Drendorf während seines ersten Besuchs am Asperhof. Bei aller vermeintlichen Beiläufigkeit, die dieser Bemerkung anhaften mag, kommt in ihr doch eine latente, dadurch aber nicht weniger nachdrückliche Notwendigkeit zur Beschwichtigung und Entschuldigung für das Eindringen in ein System zum Ausdruck, das von dem Bedürfnis nach gerade dem Gegenteil solcher "Unordnung" durchdrungen scheint. Mehr noch: der Vorsorglichkeit dieser Beschwichtigung Heinrichs und der vorauseilend zur Schau gestellten Bereitschaft zu unbedingter Kooperation und Zurückhaltung eignet etwas Überraschendes, da Unerfragtes, und vielleicht spricht sich gerade in dieser merkwürdigen Aufdringlichkeit die Relevanz dessen aus, was die Vermeidung von Unordnung unbedingt und nachdrücklich erhalten will: nämlich die "musterhafteste Ordnung" (NS 150).
Es ist kein Geheimnis, dass Stifters Nachsommer die Dinge der Lebenswelt im Verhältnis zu ökonomischen, moralischen, theologischen, juridischen, ästhetischen, politischen, sozialen, ökologischen und zuletzt wohl auch literarischen Ordnungen in sich aufnimmt und ihnen Gestalt verleiht. Gerade im Wissen um seine eigene Gestalt als Roman, dessen formales Prinzip es ist, dass er all diese Ordnungen als Einheit zu begreifen und bedingungslos vor den Gefahren einer Unordnung zu bewahren hofft, versucht er ihnen je einen angemessenen, 'rechten' Platz im System eines gefahrlosen Ganzen zuzuweisen. Dabei ist, wie vielfach bemerkt, die je in neuer Gestalt variierte Rede von solcher "Ordnung" zweifelsohne als unabdingbarer Baustein des Programms von Stifters Prosa überhaupt zu verstehen, derweil im Programm dieser Ordnung verschwiegen ein altes, scholastisches Erbe von der Idee eines geschlossenen und einheitlichen mundus nach göttlichem Vorbild nachschwingt.
This essay examines the differing contexts and modes of encounter with Islamic culture in the travel writing of two contrasting women, the Prussian Countess Ida Hahn-Hahn and the Austrian Maria Schuber: both travelled to and wrote from the Middle East in the 1830s and 1840s and published their letters as collections. The encounters both women had with Islam were conditioned, at least in part, by their respective stance on religion, issues of gender and social class, and by the obligations of patronage and the expectations of distinct readerships. Whilst both women can be seen to write about Islam as a religion and culture defined by its difference to Christianity, both can also be seen in differing ways and to differing extents to represent Islam and Muslims as simultaneously belonging to a universal and inclusive notion of humanity and human religion. Thus, without embracing high philosophical discourse of Kant or Hegel, both women can be seen to demonstrate cosmopolitan impulses towards Islam, although these jostle for ascendancy with a more Eurocentric, Christian and indeed völkisch vision of the relationship between cultures.
Tanto Ernst Th. A. Hoffmann como Willibald Alexis reescriben en el Berlín de la Restauración el caso La Pivardiere, ocurrido a fines del siglo XVII en Francia (aquel en 1821 bajo el título "Die Marquise de la Pivardiere"; en 1843 como "Der Herr von Pivardiere" este); si bien ambas reescrituras se basan en la misma fuente, la causa célebre de François Richer de 1773 (probablemente leída en una traducción alemana por Hoffmann y ciertamente consultada junto con otras versiones por Alexis), estas reelaboraciones difieren notablemente: en este trabajo compararemos las narraciones mencionadas centrándonos en la caracterización de los personajes y la construcción del narrador, con la intención de indagar las implicancias que esto tiene en la visión de la criminalidad y del mundo que subyace a cada una; luego examinaremos cómo se reconstruye en cada caso el contexto en el que sucede la acción: mientras que en la versión de Alexis ese pasado es visto como alteridad que refuerza por contraste las ventajas y los progresos del aquí y ahora desde el que se (re)escribe, en la de Hoffmann la proyección de la acción a esa época pretérita propicia un reconocimiento de ciertas tendencias alarmantes del propio presente.
Georg Büchners Revolutionsdrama Danton's Tod kommt innerhalb der politisch akzentuierten Dichtung der literaturgeschichtlichen Epoche des Vormärz eine Sonderrolle zu. Wie seine Gattungsbezeichnung bereits andeutet, stellt das Theaterstück mit der Französischen Revolution einen bis dato unvergleichlich radikalen gesellschaftlichen Umbruch in der europäischen Geschichte dar. Gleichsam ist das Drama dezidiert aus Büchners eigener revolutionärer Agitation in der "Gesellschaft der Menschenrechte" hervorgegangen. Danton's Tod realisiert diese enge Verzahnung von Dichtung und Engagement nicht zuletzt anhand einer gegenseitigen Spiegelung des öffentlichen Aufführungscharakters der Französischen Revolution und ihrer selbstreferentiellen Darbietung auf der Bühne des Theaters. Diese Feststellung führt zu einer zentralen Frage der philologischen Analyse solch 'revolutionärer Dichtung': Wie lässt sich ihre Doppelfunktion, sowohl aktiv in eine politische Debatte einzugreifen, als auch ein spezifisches historisches Ereignis mit innovativen künstlerischen Mitteln darzustellen, theoretisch beschreiben?
Die folgenden Ausführungen widmen sich dieser Fragestellung, indem sie auf die Schriften des französischen Philosophen Jacques Rancière Bezug nehmen, der innerhalb der zeitgenössischen internationalen Forschung als einer der renommiertesten Vertreter einer dezidiert politischen Ästhetik gelten kann.
The following essay in comparative literature focuses on three comedies that perhaps satisfy the aforementioned conditions, namely Ludvig Holberg's 'Mascarade' of 1724, Carlo Goldoni's 'I Rusteghi' of 1760, and Georg Büchner's 'Leonce und Lena' of 1836. My interest is typological, not genealogical, i.e. I do not claim that the later authors knew the earlier dramas; for the three authors belong to different cultures and write their texts in different languages - Danish, Venetian, and German. Still, even if am not interested in the question, I cannot exclude such knowledge either. There are similarities not only in the main structure, but also in the details; and Holberg is possibly known to Goldoni and certainly to Büchner.
Die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) zählt nicht nur humane Akteure - im Fall der Literatur: Figuren - zu Handlungsträgern. Auch Dinge handeln, weshalb Bruno Latour sie mit dem Semiotiker Algirdas Greimas als 'Aktanten' bezeichnet. Die ANT versucht, das Zusammenwirken humaner wie nichthumaner Aktanten zu beschreiben. Akteur-Netzwerk-Soziolog_innen erstellen hierfür einen Bericht von dem, was Latour in Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie das 'Soziale Nr. 2' oder das 'Soziale der Assoziationen' nennt, die Verbindungen und Zwischenwirkungen der Aktanten, die in der Soziologie unbeachtet geblieben seien. Die Soziolog_innen sollen dabei den Dingen 'kurzsichtig' folgen und deren Handlungsvermögen (agency) weniger "steif" und "hölzern" darstellen, sondern sich in ihren Berichten die Literatur zum Vorbild nehmen.
Progressive Emanzipation - Bildungspolitische Innovation - Journalistisch-literarische Renovation
(2018)
Mathilde Franziska Anneke (1817-1884), in Deutschland vor allem als Akteurin der 1848er Revolution bekannt, rückte bislang mit ihrem Werdegang im amerikanischen Exil weniger in den Fokus des Interesses und dies, obwohl sie gerade dort unter Beweis stellte, dass sie unbeirrt den einmal beschrittenen Weg ihrer Überzeugungen ebenso zielstrebig wie mit notwendiger Radikalität verfolgte. Zeitlebens blieb sie ihren demokratischen Idealen nicht nur treu, sondern verfolgte energisch deren Umsetzung: Als Journalistin, Schriftstellerin und als Pionierin der amerikanischen Frauenrechtsbewegung, als innovative Reformpädagogin sowie als politische Vordenkerin in ihrer Wahlheimat Milwaukee/Wisconsin setzte sich Mathilde Franziska Anneke ungebrochen für die Gleichstellung der Geschlechter, sprich: für die Verwirklichung der Menschenrechte für alle ein. Vielen zeitgenössischen Urteilen zufolge war sie eine charismatische Persönlichkeit, die in Amerika gerade wegen ihrer Geradlinigkeit und ihrer Charakterstärke als eine hoch geschätzte Persönlichkeit galt, die sich, wie es in einem Nachruf heißt, "durch das ganze Land Ansehen und Achtung" erworben hatte. In der deutsch-amerikanischen Forschung zur 1848er Generation wird Mathilde Franziska Anneke nicht nur als symbolisches Bindeglied zwischen der Frauenrechtsbewegung in Europa und den USA, sondern auch als eine Ausnahmeerscheinung betrachtet, zumal "her political activism and liberal ideas", anders als bei manchen anderen 48ern, "did not moderate with time, and she always believed in the rightness of the women's movement".
Feuchterslebens Buch steht in der Tradition populärwissenschaftlicher Werke der Zeit, einer Zeit, in der die Beschäftigung mit dem Leib-Seele-Zusammenhang zu massenhafter Textproduktion führte. "Zur Diätetik der Seele" ist nicht als Lehrbuch angelegt, sondern wendet sich an den selbstbeobachtenden Menschen, den medizinischen Laien, der an sich die Leiden der Zeit, Weltschmerz und Hypochondrie, bemerkt und nach einer Anleitung sucht, wie er ihnen entgegenwirken kann. "Andeutend" sei sein Text und die Textkomposition "rhapsodisch" (assoziativ, improvisierend), so hält Feuchtersleben fest und bedient sich einer aufklärerischen Reflexionsprosa, die eine wichtige Rolle bei der Konstruktion des modernen Subjekts spielte. Wie in der Folge zu zeigen sein wird, kann "Zur Diätetik der Seele" als Spur einer vormärzlichen Subjektivierung (Foucault) und Subjektivation (Butler) gelesen werden, als Zeugnis für die Verhüllung von Mechanismen der Herrschaft und als Anleitung für das bürgerliche Subjekt, sich gegenüber der (aber nicht in Gegnerschaft zur) Gesellschaft zu sehen. Die in der zeitgenössischen Rezeption bemerkte befreiende und freisetzende Kraft der Seelendiätetik Feuchterslebens beruht darauf, dass die Schrift Anweisungen enthält, wie der Einzelne die sozialen Regeln und Normen, denen er unterworfen ist, inkorporieren kann, ohne seinem Körper und seiner Seele damit Schaden zuzufügen bzw. wie er bereits vorhandene Schäden ausgleichen und beheben kann.
Wenn es Ziel des literarischen Realismus ist, die Wirklichkeit darzustellen, dann stellt Theodor Storms Novelle 'Der Schimmelreiter' (1888) ein paradigmatisches Beispiel für diese Bewegung dar. Der Text ist nicht nur darin exemplarisch, dass er ein überlegenes Niveau an sozialer und psychologischer Wirklichkeitsnähe erreicht, sondern auch dadurch, dass er die eigentlichen Vorgänge und Begrenzungen, die jeder Darstellungsgeste eigen sind, dramatisch inszeniert. Storms Novelle legt die Sehnsüchte bloß, die Frustrationen und Opfer, die jeden Versuch, vorsprachliche Erfahrungen in sprachliche Form zu verwandeln, zwangsläufig begleiten. Anhand der unvergesslichen Schilderung seines Protagonisten, Hauke Haiens, der nahezu eigenhändig den Dorfbewohnern mehr bewohnbares Land verschafft, macht Storm die überzeitliche, mythische Konfrontation des Menschen mit dem unbändigen Meer zur Allegorie für das realistische Projekt. Vermittels eines allegorischen Schemas wird Hauke Haiens hydrotechnische Arbeit mit Storms literarischen Bemühungen parallelisiert. Diese miteinander verbundenen Aufgaben sind beide geographisch, insofern sie Einschreibungen in die Erde durch technē sind und das im doppelten Sinne des Wortes: als Technik und Kunst. Genauso wie der Deichgraf dem Meer mehr ertragreiches Land für seine Nachbarn entreißt, integriert der Schriftsteller mehr Wirklichkeit für seine Leser; genauso wie das neue Land durch den sorgfältigen Deichbau gesichert wird, ist die Erzählung durch eine Reihe vielschichtiger Rahmen geschützt; und genauso wie die erworbene Siedlung von Überschwemmungen bedroht bleibt, schließt die Geschichte, um beständig zu sein, ein widerspenstiges Element in sich ein, welches das ganze Unternehmen motiviert wie aber auch gefährdet. Dieser letzte Punkt wirkt sich vernichtend auf das realistische Darstellungsprojekt aus, das ja einen Sinngehalt artikulieren will, also eine Artikulation anvisiert, die sich direkt auf das Bild der Küste bezieht, genauer auf die Linie, welche Land und Meer voneinander trennt.
An einem Novemberabend des Jahres 1837 umstellten zwei Bataillone preußischer Infanterie das Palais des Erzbischofs von Köln, Clemens August Droste zu Vischering. Als der nicht auf die Aufforderung der preußischen Regierung einging, seine Diözese freiwillig zu verlassen, wurde er eine Stunde später in einer Kutsche nach Minden verfrachtet, wo er von da an unter Hausarrest stand. Die deutsche Presse- und Verlagslandschaft reagierte auf die skandalöse Verhaftung des Kölner Erzbischofs mit einer wahren Publikationslawine: Zahllose polemische Essays und Pamphlete widmeten sich dem 'Kölner Ereignis' und bezogen Stellung zu den beteiligten Parteien. Unter den Verfassern solcher Kommentare verdient Karl Gutzkow besondere Aufmerksamkeit, da er sich in so unterschiedlichen Formen mit dem Kölner Kirchenstreit befasst hat wie kaum ein anderer Zeitgenosse: Er verarbeitete das Geschehen nicht nur in einer eigenständig erschienenen Streitschrift und einer Reihe von Zeitschriftenartikeln, sondern griff es fast zwei Jahrzehnte später in einem ganz anderen literarischen Zusammenhang erneut auf: in seinem neunbändigen Roman "Der Zauberer von Rom" (1858-1861), den er in der zweiten Hälfte der 1850er Jahre zu Papier brachte. Ein Vergleich dieses Romans mit Gutzkows älteren Schriften zum Kirchenstreit verspricht deshalb Aufschluss darüber, wie einer der einflussreichsten zeitgenössischen Autoren je zehn Jahre vor und nach der Märzrevolution das Verhältnis von Religion, Kirche, Staat und Geschichte konzipiert. Dass Gutzkow bestimmte Sachverhalte im komplexen Gefüge des Erzähltextes anders darstellt als in den erheblich kürzeren Streitschriften, ist dabei nicht ausschließlich dem Wechsel in eine andere Gattung geschuldet, sondern lässt auch einen Wandel der Funktion religiöser Diskurse in seinem Werk erkennen.
Zeitgenossen und Nachfolger Wagners griffen die von ihm selbst akzeptierte Inszenierungsstrategie als nationaler Kulturheros auf. Wagners "außerordentliche Verflechtung mit der deutschen Geschichte" war von ihm selbst beabsichtigt und vom Ehrgeiz bestimmt, "mit seinem Werk an der Nationwerdung der Deutschen im 19. Jahrhundert mitzuwirken. Dies ist ihm in einem Ausmaß gelungen, wie es bei keiner anderen Gestalt der deutschen Kulturgeschichte seit Luther festzustellen ist." Das Wagnersche Werk wie seine Selbstinszenierungen wurzeln sowohl in der europäischen Moderne als auch im spezifisch deutschen kulturell-politischen Kontext des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Beide Bereiche verraten allerdings eine gewisse interne Brüchigkeit, wie sie schon Adorno als Wagners Grundmerkmal diagnostiziert hatte. Er konstatierte eine den Wagnerschen künstlerisch-theatralischen und politisch-selbstrepräsentativen Gesten inhärente Tendenz zur Selbstde(kon)struktion. Nachfolgend wird diese Brüchigkeit analysiert, die sich in die Produktionsbedingungen seiner als heroische Kulturtaten konstruierten Werke eingeschrieben hat.
Es war Theodor W. Adorno, der Richard Wagner "den berühmtesten erotischen Künstler der bürgerlichen Welt" genannt hat. Möchte man sich dieses Aperçu zu eigen machen, so wird man sich in erster Linie an den Dichter Richard Wagner halten – und erst in zweiter Linie an den Musiker. Wagner selbst hat es genau so gesehen: genau in solcher Gewichtung. Anlässlich des "Fliegenden Holländers" schreibt er über den Beginn der Arbeit an diesem Werk: "Ich war von nun an in bezug auf alle meine dramatischen Arbeiten zunächst Dichter, und erst in der vollständigen Ausführung des Gedichtes ward ich wieder Musiker." Und in seinen minutiösen Anweisungen für die Aufführung des "Tannhäuser" von 1853 insistiert Wagner vorsorglich, die Dichtung müsse "in ihrem ganzen Umfange" den Darstellern bekannt gemacht werden (vgl. II, 111), und zwar: bevor diese mit der Musik in Berührung kämen. Das Augenmerk der vorliegenden Abhandlung richtet sich also zunächst und vor allem auf den Dichter, den Dramatiker Richard Wagner: als einen Darsteller von erotischen Leidenschaften; als einen Kenner der abendländischen Liebes-Theorien.
Este trabalho examina os "Escritos sobre a Música e os Músicos", do compositor alemão Robert Schumann, em especial as resenhas escritas entre 1834 e 1836, com vistas a identificar ecos das principais ideias sobre linguagem e tradução desenvolvidas na Alemanha entre o final do séc. XVIII e o início do séc. XIX. Os eixos escolhidos para construir essa ideia são os eixos do sujeito e do tempo perpassados pela noção de movimento. Do primeiro, destacase a ancoragem vertical, personalíssima, operada no interior do sujeito que transita de um sistema sígnico para outro, que traduz seus pensamentos, ou ainda que empreende a passage de uma língua para outra. Do segundo, tem-se em conta a configuração desse mergulho num produto que desmantela as barreiras do tempo e, de um só golpe, contemporiza o passado e inclui o futuro.
1848 rief Alexander von Ungern-Sternberg den Leser mit seinem als politisches Lehrstück verfaßten Roman "Die Royalisten" dazu auf, Position für die Sache der Konservativen zu beziehen. Zwei Jahre früher hatte er in seinem Roman "Tutu" als Prosaist und Karikaturist eine an die komischen Bilderromane Rodolphe Töpffers angelehnte ästhetische Innovation gewagt: die direkte Auflösung der Erzählung in eine Bildergeschichte. Karl Rihas Interpretation unter dem Titel "Roman und Bilderroman in einem" bildet sozusagen einen Exkurs in die frühe Formgeschichte der Moderne. In "phantastischen Episoden und poetischen Exkursionen" veranschaulicht Ungern-Sternberg seine Kritik an der Modernisierung der Lebensverhältnisse. Dabei verbinden sich Text, Illustrationen und Karikaturen, bis im 11. der 18 Kapitel die seltsamen lettristischen Reiseabenteuer von einer Bildergeschichte unterbrochen werden. Eine Folge von karikierenden Bildern mit knappen Bildunterschriften tritt an die Stelle der Erzählung, visuelle Darstellung und optische Wahrnehmung verdrängen den Text.
Als Rückseite des Erzählens ist das dynamisierte Unbewußte deessentialisiert und in gewissem Sinne deterritorialisiert. In dieser Hinsicht ist die Allegorisierung des Unbewußten als dem Verschütteten, das es auszugraben gilt, gerade nicht zutreffend. Das Erzählmodell, das dieser Erzählung zugrunde liegt, ist aber andererseits nur die Quintessenz des 19. Jahrhunderts, weil es zugleich auf eine restlose Essentialisierung und Reterritorialisierung hinausläuft. Das Verschüttete, das wiedergewonnen werden muß, ist ja die tote schwesterliche Geliebte als das globale Signifikat, auf das alle Signifikanten, alle Fehlleistungen verweisen (und das den Rückseiten des Erzählens allemal ein Ende setzt).
Unter dem Titel „Rheinischer Sagen-Kreis“ veröffentlichte Adelheid von Stolterfoth (1800-1875), „adeliges Urgestein der Rheinlyrik“ (Gertrude Cepl-Kaufmann), 1835 eine Sammlung von Balladen, Romanzen und Legenden, die sich um Felsen, Burgen, Klöster und Städte des Rheins ranken. Der junge Alfred Rethel (1816-1859), bekannt durch seinen Zyklus „Auch ein Totentanz“, lieferte dazu die Illustrationen. Dieses Werk der Rheinromantik publiziert das Goethezeitportal vollständig in Wort und Bild.
Das Goethezeitportal publiziert das Gedicht „Der Mönch von Heisterbach“ von Wolfgang Müller von Königswinter (1816-1873), dem einst beliebten "Sänger des Rheines", mit einer Illustration der Sage, mehreren Ansichten der Klosterruine Heisterbach, einem beliebten Motiv der Rheinromantik, und Erläuterungen zur Geschichte der ehemaligen Zisterzienserabtei bei Königswinter im Siebengebirge.
Schreibfeder und Börsenkurse : der ökonomische Mensch Charles Sealsfield und die Affinität zum Geld
(2014)
Alexander Ritter beschreibt in "Schreibfeder und Börsenkurse. Der ökonomische Mensch Charles Sealsfield und die Affinität zum Geld" den österreichischamerikanischen Autor Charles Sealsfield als sozial desintegrierten Literaten und Börsenspekulanten mit problematischer Biografie, in der zwei Momente des divergierenden Prozesses 'storytelling' und 'economics' verknüpft seien: in seiner verwertungsorientierten Publizistik sowie im Wertpapierhandel, die sich in den narrativen Strategien des Zentralmotivs Geld/Macht in seinen Romanen bündelten. Trotz einer beeindruckenden Produktivität in den Jahren als Publizist sei die ersehnte finanzielle Absicherung und damit auch die gesellschaftliche Integration unter anderem an der Unkenntnis des amerikanischen und schweizerischen Buchmarktes gescheitert. Auf dem Hintergrund der problematischen Biografie Sealsfields führe diese Erfahrung in den 1830ern zu einer Konzentration seiner Tätigkeit auf den Wertpapierhandel; investiert werde nahezu ausschließlich in amerikanische Eisenbahngesellschaften. Der kontrollierende Blick auf das Börsengeschehen bestimme den Alltag des ehemaligen Autors. Mit der Transformation in den 'homo oeconomicus' gelinge auch die soziale und finanzielle Absicherung sowie die Stabilisierung der Persönlichkeit. Sealsfields literarisches Werk sei programmatisch am 'american pastoralism' und an den ideologischen Vorstellungen des sklavenbesitzenden Agrarkapitals der Südstaaten orientiert. An drei Beispielen führt Alexander Ritter die narrativen Strategien vor, mit denen Sealsfield die vermeintliche Zerstörung der sozialen (auch wohlfahrtlichen) Übereinkünfte durch die korrumpierte Industrie-Elite des urbanen Nordostens zurückweist, gleichzeitig aber die reaktionäre Ideologie des südstaatlichen Agrarkapitals in die unaufhaltsame Modernisierungsdynamik der Gesellschaft retten will.
Im Mittelpunkt des Textes, so scheint es, steht die trauernde Verarbeitung eines lang zurückliegenden Ereignisses, damit zugleich Erinnerung und Abschied als Grundmotive des Werkes von Droste-Hülshoff, wie sie auch in anderen Texten wie "Meine Toten" oder dem Byron-Gedicht "Lebt Wohl" zum Ausdruck kommen. In der "Taxuswand" durchmisst Droste-Hülshoff eine lange Zeitspanne, achtzehn Jahre, die zwischen der Begegnung und seiner dichterischen Verarbeitung stehen. Die Frage, die in diesem Zusammenhang im Raum steht, ist die nach dem grundsätzlichen Verhältnis von dichterischer Erinnerungsleistung und biographischem Erlebnis im Werk der Annette von Droste-Hülshoff. Dass beide in ähnlicher Weise wie bei Baudelaire nicht einfach zusammenfallen, sondern auseinandertreten, ist die Vermutung, der es im Folgenden nachzugehen gilt.
In einer wissenspolitischen Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit gegenwärtiger Realismuskonjunkturen entfaltet Eva Geulen in ihrem exemplarisch kritischen Beitrag hermeneutische "Schwierigkeiten mit Raabes 'Frau Salome'". Um den Text mit seiner Abundanz willkürlicher Allusionen und Wissensreferenzen nicht einfach historistisch aufzulösen, hebt Eva Geulen das auf Goethe rekurrierende Motiv der Haut in seiner doppelten Determinierung durch Natur und Kultur heraus und analysiert es im Hinblick auf seine Konsequenzen innerhalb des literarischen Textes. Dort führt es zu einer Egalisierung der im Text versammelten Exzentriker, ein Befund, der, so die Bilanz der poetologischen Ökonomie Raabes durch Eva Geulen, in keinem vernünftigen Verhältnis zum literarischen Ergebnis steht.
Das 19. Jahrhundert, die Epoche des Historismus, ist zugleich eine Epoche des Sammelns. Raritätenkabinette, Kunst- und Wunderkammern der dynastischen Gesellschaft werden seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in bürgerliche Museen umgewandelt. Neben Kunstmuseen entstehen kulturgeschichtliche, naturwissenschaftliche und technische Sammlungen. Hunderte von Museen werden in dieser Zeit in Deutschland gegründet. Die monarchischen, klerikalen und wissenschaftlichen Bibliotheken werden um kommunale, öffentlich zugängliche ergänzt. Man spricht von der Demokratisierung des Sammelns, das jetzt auch in privaten bürgerlichen Kreisen eine Liebhaberei wird. Während nationale und regionale Literaturkompendien positivistisch die schriftliche Kultur akkumulieren und Sammlungen volksliterarischer Quellen die deutsche Vergangenheit auferstehen lassen, bringen Materialbesessenheit und wissenschaftliche Spezialisierung langfristige Projekte hervor: etwa die Monumenta Germaniae Historica, die von Freiherr von Stein initiierte Sammlung wesentlicher Quellen des deutschen Mittelalters oder das von Jacob und Wilhelm Grimm begonnene Deutsche Wörterbuch. Programmatisch äußert Jacob Grimm 1813: "das Sammeln und Vervielfältigen thut vor allem andern noth." 60 Jahre später beklagt Friedrich Nietzsche, dass "die antiquarische Historie […] in dem Augenblicke [entartet], in dem das frische Leben der Gegenwart sie nicht mehr beseelt und begeistert." Er spricht von dem "widrige[n] Schauspiel einer blinden Sammelwuth, eines rastlosen Zusammenscharrens alles einmal Dagewesenen." Sammelwut und Sammelnotwendigkeit - in der Spannung zwischen diesen beiden Polen gerät die positivistische Sammeltätigkeit in den Werken zahlreicher Autoren des 19. Jahrhunderts zum literarischen Thema. Hat Goethe ein ungebrochen positives Verhältnis zum Sammeln, so sieht es Theodor Fontane eher ambivalent. In dem vorliegenden Aufsatz möchte ich zeigen, wie der Sammler Fontane in der ihm eigenen heiter-ernsten Mischung, oft ironisch gefärbt, mit dem ihm am Herzen liegenden Thema umgeht.
A narrativa "Zum wilden Mann" (1874) de Wilhelm Raabe apresenta a história de uma farmácia na província alemã e do seu dono, observando os princípios estilísticos do realismo poético, a tendência literária dominante na segunda metade do século 19 nos países de língua alemã. A despeito da localização no mundo contemporâneo de Raabe e seus leitores, a trama e os protagonistas apresentam traços que remetem à esfera fantástica de pactos demoníacos e homens selvagens. Esses elementos interferem com a esfera realista das relações econômicas entre os protagonistas, baseadas- em empréstimos, juros e o comércio globalizado, e aludem aos aspectos inumanos dos negócios modernos. Divergente da prática cultural geral, Raabe atribui o "selvagem" e o "diabólico" às "conquistas" recentes da civilização que emergem de forma similar na Alemanha e nas antigas colônias. O Brasil traçado pela narrativa, em vez de ser um ambiente exótico, é apenas um outro cenário dos processos industriais e comerciais.
Die jugendlichen Protagonisten in Karl Immermanns "Die Papierfenster eines Eremiten", Adalbert Stifters "Kalkstein" und Franz Grillparzers "Der arme Spielmann", die Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen sind, stehen in einem ebenso auffälligen wie interessanten Widerspruch zu der programmatischen Bedeutung der Jugend in den literaturästhetischen Positionsbestimmungen zwischen 1819 und 1848. Indem ihr Leben nicht von der Revolte gegen tradierte Normen und Konventionen geprägt ist, sondern vom Rückzug in das Private, nur Individuelle, erlauben sie Einblicke in die Befindlichkeit der jungen Generation in einer Epoche, deren geistesgeschichtliche Disposition Karl Immermann als das "Gewühle disparater Vorstellungen" charakterisiert. Die Antithesen des "heranreifenden Geschlechtes", die der Zeitschriftsteller in seinen Erinnerungen beschreibt, dokumentieren eine dialektische Seinserfahrung des Menschen, die für den Diskurs der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestimmend war.
Sophies Briefe in den "Poggenpuhls" von Theodor Fontane: Selbstkommentar als Programm des Realismus
(2020)
Ziel dieses Artikels ist, die Kapitel elf und zwölf des Romans "Die Poggenpuhls" zu untersuchen, der von Theodor Fontane im Jahr 1896 veröffentlicht wurde, und zu überprüfen, ob die Briefe, die in diesen Kapiteln präsentiert werden, als ein selbstreferentieller Kommentar zum Roman selbst gesehen werden können. Dafür werden andere Texte vom Autor herangezogen und analysiert, wie "Unsere lyrische und epische Poesie", ein Aufsatz, in dem Fontane ein Programm für den Realismus in der deutschen Literatur entwirft und das Werk zeitgenössischer Dichter kommentiert; "Effi Briest", ein Roman, der ebenfalls 1896 im Buchformat erschien; und Kommentare des Autors selbst, die in Briefen an Freunden und Kritikern zu finden sind. In ihren Briefen beschreibt die Figur Sophie den ihr erteilten Auftrag, drei Gemälde in einer protestantischen Kirche zu malen. Sie beschreibt und rechtfertigt die biblischen Motive, die von ihr für die Aufgabe abgelehnt werden, um danach diejenigen zu beschreiben, die sie darstellen möchte. Dabei begründet sie ihre Wahl und gibt ihren Schaffensprozess wieder. Es wird vertreten, dass diese Kapitel den Aufbau des Romans sowie die Beziehung zwischen Form und Inhalt im Text begründen, und dass sie versuchen, dessen Rezeption zu lenken, indem mögliche Vorwürfe im Voraus abgewehrt werden.
Betty Paoli (1814-1894) war eine jener berühmten Dichterpersönlichkeiten, die regelmäßig Vers- und Prosabeiträge für das beliebte literarische Taschenbuch "Iris" lieferten. Einer ihrer Texte erregte allerdings das Missfallen der zeitgenössischen Kritik, denn in ihm hielt sich Paoli nicht an die Regeln, die für den Publikationskontext galten. Das literarische Taschenbuch war ein Ort der Einübung bürgerlicher Normen, die weibliche Leserschaft sollte in dieser Lektüre das Ideal der bürgerlichen Geschlechterrollen abgebildet finden. Paolis Novelle "Merced" kann nicht nur als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der politischen Situation im vormärzlichen Österreich gelesen werden, sondern sie enthält auch eine Kritik an der Beschränkung des weiblichen Aktionsradius, und mit ihrer Protagonistin Merced schuf Paoli eine Frauenfigur, die den Vorstellungen vom 'moralischen Geschlecht' nicht entsprach. In diesem Beitrag wird Paolis Novelle "Merced" im Zusammenhang mit der Soziogenese der Frau des Biedermeier, wie sie sich im literarischen Taschenbuch spiegelt, gelesen.
Das achte der von Schumann unter dem Namen "Dichterliebe" zusammengefaßten und vertonten Heine-Gedichte – "Und wüßten's die Blumen, die kleinen" – soll im folgenden einer Teilanalyse unterzogen werden. Wenn damit auch ein kleiner Beitrag zu dem im Rahmen einer semiotischen Theorie zu behandelnden allgemeinen Problem der Systembeziehungen zwischen Sprache und Musik geleistet werden soll, indem einer solchen Theorie in einer empirischen Untersuchung voranalysiertes Material zur Verfügung gestellt wird, so steht im Mittelpunkt des Interesses doch bloß jenes Lied für sich. Dies bedingt eine Verlagerung des Gesichtspunktes, unter dem das genannte Problem gesehen wird, vom System auf die Struktur, im Hjelmslev'schen Sinne. Die strukturellen Eigenschaften von Heines Gedicht werden verglichen mit denen von Schumanns Vertonung, es werden Beziehungen zwischen dem textuellen und dem musikalischen Ablauf aufgedeckt.
Mörikes Aversion gegen alle Arten offizieller rhetorischer Fertigkeit, seine Abneigung gegen "Gefordertes, Bestelltes", sei es eine Predigt, eine literarische Rezension, eine Gratulation oder ein politisches Statement, ist bekannt. Die Distanz gegenüber allem Repräsentativen ist keine marginale Marotte Mörikes, sondern habitusprägend, seine Poetik und Kreativität bestimmend. Sie steht in einer literarischen [...] und außerliterarischen Tradition. Diese Bescheidenheit dürfte zum Teil auch eine Antwort auf die Frage des jungen Dichters Theodor Storm geben, warum ein derart bedeutender Dichter wie Mörike nur einem kleinen Kreis von Zeitgenossen bekannt geworden ist. Marktstrategisches Auftreten war nicht Mörikes Sache. Und dennoch sind nicht nur seine Werke, sondern auch seine kritischen Hinweise und Korrekturvorschläge von nachhaltiger produktiver Bedeutung für andere Künstler geworden. Wie das?
Wie lässt sich die Dramenkonstellation bewerten und einordnen? Hat man es mit der "Melodramatik bizarrer Exaltationsakte" zu tun? Oder mit einem Fortschreiben von "Büchners Radikalisierungsprogramm der Sozialkritik"? Oder mit "Anklängen ans Schicksalsdrama"? In der Tat: Das Stück bezeugt ein Katastrophenwachstum, wirkt pantragisch. Dieser Einakter lebt von einer Dramaturgie, die schnörkellos ins Ziel geht. Von vorn herein ist das Stück fünfter Akt. Die Katastrophe, die soziale Katastrophe, scheint vorprogrammiert. Dabei fließen verschiedene Traditionsstränge ineinander. Motivgeschichtlich geht es um das Hiob-Motiv, um das des Bettlers, um Verkennung und Wiedererkennung, um einen Vater-Sohn Konflikt, um den 'unbekannten Gegner', um Geschwisterliebe. Literargeschichtlich kombiniert das Stück aufklärerische Ansätze einer Ästhetik des Hässlichen mit Ideen-, Sprach- und Pathoselementen des Sturm-und-Drang. Ebenso schließt es sich mit seinen pessimistischen Zuspitzungen an die Schauerromantik und die Neuerungen der Schicksalstragödie an. Ebenso klingt ein Byron'scher wie jungdeutscher Zerrissenheits- und Rebellionsgestus an. Sozialgeschichtlich gesehen, bildet die 'soziale Frage' den inhaltlichen Kern. Was schauerdramatisch stilisiert wirkt, ist realistisch. Das Stück erweist sich bis in konkrete vermeintlich schauerdramatische Details hinein als ungeschminkte Sozialchronik und packende Sozialanklage gleichermaßen.[...] Die Tendenz des Stücks ist sozialkritisch und kirchenkritisch - und es zeigt unverkennbar Tendenzen von religiös-christlicher Weltverneinung. Diese Weltverneinung ist aber keine traditionell-pietistische, die erstens weiß, dass in jedem Fall eine schönere und bessere Welt wartet, und zweitens mit dem Verweis auf das bessere Jenseits das weniger bessere Diesseits stets noch zu meistern vermag. Sie basiert nicht auf der Intensivierung angelernter christlicher Gewissheiten, sondern auf dem Wanken dieser Gewissheiten. Es ist eine moderne, eine existentialistisch anmutende Weltverneinung. Nicht weil das Jenseits und weil das Gottesreich so verlockend wären, erscheinen sie als einziger Ausweg. Sie erscheinen als einziger Ausweg allein deshalb, weil das Irdische grundsätzlich pervertiert ist. In dieser Diagnose der Verderbtheit des Irdischen überschneiden sich, so scheint es, mindestens drei verschiedene Diskurse: erstens ein anthropologisch-geschichtstheoretischer Sündenfalldiskurs, der die menschliche Geschichte per se als Abweg vom göttlichen Schöpfungsplan ansieht, zweitens ein anti-institutioneller und staats- und kirchenkritischer, der wahre Moral und wahre Religion den pervertierten Institutionen von Staat und Kirche entgegensetzt, und drittens ein sozialkritischer, der Armut und Elend der Moderne vehement anprangert. Ob dieses soziale Elend von Wiese in gewisser Weise effektvoll funktionalisiert wird oder ob es tatsächlich Movens seines Einakters war, ist schwer auszumitteln. In jedem Fall wird sein Sozialdrama situiert in einem Geflecht religiöser Verstörung. Denn mit dem Zweifel an dem Irdischen wächst der am Überirdischen. Die Akteure, geworfen in Grenzsituationen wie Krankheit, Schuld und Tod, stellen auf ihre Weise Sinnfragen höchsten Ranges. Antworten finden sie nicht, und es bleibt bei wachsender Skepsis, gar Angst und Verzweiflung.
In der Studie werden die Gedichte von Ludwig Eichrodt (1827-1892), über Süleyman den Prächtigen, Nikolaus (Miklós) Zrínyi (1508-1566) und Theodor Körner (1791-1813) im Kontext des Schulunterrichtes, der Mediengeschichte und der Körner-Rezeption vorgestellt. Die Gedichte des Deutschen Knabenbuch sind scheinbar für Schulknaben gedacht. Sie zeigen aber eine mehrdeutige ironische Sprache und eine zivilisationskritische Attitüde, die die Gedichte untauglich für den Schulunterricht macht, weil sie den Schulkanon und die Werte des Unterrichts in Frage stellen. In der Geschichte der Körner/Zrínyi-Rezeption weichen die Texte ebenfalls von dem Mainstream ab, weil in der Körner-Rezeption selten ironische Stimmen zu hören waren.
Der hier edierte und übersetzte Text ist Teil einer Sammelrezension ("Poésie"), in der Teodor de Wyzewa 1887 im Februar-Heft der "Revue indépendante" neue Lyrikbände bespricht.
Sie sind ihm Anlass eines grundsätzlichen Nachdenkens über Symbolismus, insofern dieser als eine neue Schreibweise der Lyrik im Gespräch ist und, so Wyzewa, es der Klärung des Symbolbegriffs bedarf, auf den der 1887 bereits geläufige Name der neuen Bewegung verweist.
The Melusines that appear in Fontane’s texts [...] must be read as part of history of citations and refigurations, a history that then revives and flourishes in diluted form around the turn of the century with the trivial myth of the femme fatale. The new context for Fontane’s Melusine is the social construction of the feminine in the context of the conflict over the equality and/or the difference of the sexes, and the currency of certain clichéd versions of this construction. [...] In this essay, I will examine the function that the Melusine figure — as the recasting and rewriting of a myth — assumes in realist texts and, specifically, in the texts of Fontane.
"Außer dem Dichternamen 'Schiller' bewirkte bei uns noch derjenige von 'Goethe' und 'Lessing' unfehlbar ein leeres Haus" - mit dieser Erinnerung an zeitgenössisches 'Kassengift' in seinen Memoiren erledigt der Schauspieler, Dramatiker, Regisseur und Theaterdirektor Friedrich Ludwig Schmidt (1772-1841) in einem Satz das kanonische Dreigestirn der deutschen Dramatik des 18. und 19. Jahrhunderts. Gerade aus einer noch heute vorherrschenden Perspektive auf diese Zeit - eine Perspektive, die schon in der Schule durch Lektüren wie "Emilia Galotti", die "Räuber" oder "Faust" vorgeprägt wird -, stellt sich ausgehend von der Feststellung Schmidts die Frage, wer die Bühnen der klassischen Epoche deutscher Nationalliteratur eigentlich beherrschte, wenn es nicht (nur) die Klassiker waren. Eine der Antworten auf diese Frage führt zu Charlotte Birch-Pfeiffer (1800-1868). "Was soll man tun, wenn sie eben nicht geschrieben haben?" - das Leben und Werk Birch-Pfeiffers reichen zur Entkräftung dieses oft gehörten Versuchs, eine mangelnde Repräsentation von Frauen im literarischen Kanon des 19. Jahrhunderts zu erklären, aus. Denn die heute so gut wie vergessene Theaterfrau hat nicht nur geschrieben: An dem, was sie schrieb, kam vielmehr kaum ein*e Theaterleiter*in des 19. Jahrhunderts vorbei, wenn das Haus gefüllt werden sollte.
Der Blick auf Dichterruhm und Dichterverehrung im 19. Jahrhundert kann leicht in Vergessenheit geraten lassen, daß das immerwährende Hauptproblem dichterischer Existenz für die meisten der damals lebenden Autoren ein ganz anderes gewesen ist: die Bezahlung, das Geld. Während die Dichter des 18. Jahrhunderts ihren Lebensunterhalt noch weitgehend aus Familienbesitz oder ihrer mäzenatischen Versorgung durch die Höfe bestreiten konnten - alles andere wäre wegen des noch nicht gegebenen Urheberrechtsschutzes auch ausgeschlossen gewesen -, sind die des 19. Jahrhunderts zunehmend auf die Einnahmen aus ihren Werken angewiesen, und hier zeigte sich, daß auf die Gunst des Publikums noch viel weniger Verlaß war als vormals auf die Gunst der Mäzene. Auch Theodor Fontane hat sich so zeitlebens weniger um sein Ansehen als um sein Einkommen sorgen müssen, und je länger je mehr interessierte ihn dieses Ansehen überhaupt nur noch unter dem Gesichtspunkt, ob es ihm auch etwas eintrug.
Theodor Fontane's representation of monuments in the "Wanderungen durch die Mark Brandenburg"
(2013)
Theodor Fontane was a passionate visitor of historical monuments, and his text "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" entail many references to sculptures, obelisks, churches, and museums. Fontane's description of monuments represents a specific view on history, which undermines a teleological perspective on the past. The article shows that Fontane's monuments embody eschatological, allegorical, and arabesque interpretations of the past, which in turn poetizes and de-historizes history.
Manche mögen noch immer für einen Scherz halten, was der knapp dreißigjährige und damals noch unverheiratete Theodor Fontane am 1. März 1849 an einen seiner Freunde schrieb, einen Scherz, weil es zu seiner sonstigen Redlichkeit und Umsicht so gar nicht zu passen scheint. "Denke Dir", schrieb er an den zwei Jahre älteren Bernhard von Lepel, 'Enthüllungen No II'; zum zweiten Male unglückseliger Vater eines illegitimen Sprößlings. Abgesehn von dem moralischen Katzenjammer, ruf ich auch aus: "Kann ich Dukaten aus der Erde stampfen usw." Meine Kinder fressen mir die Haare vom Kopf, eh die Welt weiß, daß ich überhaupt welche habe. O horrible, o horrible, o most horrible! ruft Hamlets Geist und ich mit ihm. Das betreffende interessante Aktenstück (ein Brief aus Dresden) werd' ich Dir am Sonntage vorlegen, vorausgesetzt, daß Du für die Erzeugnisse meines penes nur halb so viel Interesse hast wie für die meiner Feder.
Das eigentliche Spezifikum von Therese von Bacherachts Texten ist darin zu suchen, dass sie den Reisebericht vornehmlich zur Thematisierung von Innerlichkeit nützt, ihn also als Gattung einsetzt, die eine öffentliche Auseinandersetzung mit und Reflexion der eigenen Befindlichkeit ermöglicht. Ihre Texte zielen weniger auf Beschreibung der Reise selbst, sondern vielmehr auf Darstellung und Auseinandersetzung mit weiblicher Subjektivität. [...] Aufgrund der Dominanz des subjektiven Anteils zerfallen Bacherachts Texte bisweilen nachgerade in zwei inhaltliche Ebenen oder Teile. Dabei tritt gegenüber den ausführlichen Erkundungen der eigenen Emotionen, die mit Reflexionen über das Leben, die Vergänglichkeit allen Glücks und die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens verbunden sind, die Beschreibung der eigentlichen Reise in den Hintergrund. Diese Ausrichtung der Texte auf eine gefühlsbetonte Thematisierung von Subjektivität ist der Forschung oft genug Anlass und Argument für deren Abwertung als pathetisch. In dem vorliegenden Aufsatz soll dagegen der sentimentale Anteil der Texte in seinen vielschichtigen Funktionen ernst genommen und analysiert werden. Im Folgenden wird, nachdem kurz die Bedeutung sozialer Fragen in Bacherachts Reiseberichten untersucht wurde, vor allem auf diesen Aspekt weiblicher Selbstdarstellung und die damit einhergehende besondere Tonlage eingegangen werden.
Meine Lektüre, die Canettis "Die gerettete Zunge" und Fontanes "Meine Kinderjahre" nebeneinanderstellt und gegeneinander führt, will nachweisen, daß beide Texte durch ein gemeinsames Bezugssystem definiert sind, durch das sie bedingt und hervorgebracht werden, das in ihnen aber auch mimetisch dargestellt ist und sich selbst thematisch wird. Die Koordinaten dieses Bezugssystems sind der Tod einerseits, die Kunst, genauer die Wirkungsmöglichkeiten der eigenen Dichterexistenz, andererseits. Beide Sujets stehen bei Fontane und bei Canetti in einem Ausschließungs- und einem Bedingungsverhältnis: der Tod, der allem Dichten ein Ende macht, ist gleichzeitig das, was den Schriftsteller dazu veranlaßt, gegen ihn anschreibend Leben in die Literatur zu retten - und damit auch, das ist der dialektische Umschlag: als Leben zu zerstören. Dieses Schreiben gegen den Tod, das Beschreiben des Todes und die Inszenierung des eigenen Dichtertums als Annihilation der Todesgefahr finden sich mit signifikanten Kongruenzen und ebenso signifikanten Inkongruenzen bei Fontane und Canetti. Versucht werden soll eine Annäherung an die beiden autobiographischen Texte durch eine Rekonstruktion der Schreibsituation von "Meine Kinderjahre" und "Die gerettete Zunge".
Während ich in meiner Georg-Weerth-Biografie Georg Weerth 1822-1856. Ein Leben zwischen Literatur, Politik und Handel die drei Aspekte seines Lebens gleichgewichtig behandelt habe, möchte ich im folgenden Beitrag mein Augenmerk auf Weerths Reisen in Amerika, und insbesondere auf seinen Aufenthalt in Kalifornien während des Goldrauschs richten, weil dieser Aspekt von Weerths Leben noch nicht gebührend genug berücksichtigt worden ist.
Schon vor seiner ersten großen Übersee-Reise (1852-1855) werden Weerth in Europa Nachrichten vom kalifornischen Goldrausch zu Ohren gekommen sein und sein Interesse geweckt haben. Als Weerth sich Anfang 1854 geschäftlich in Mexiko aufhielt, nahm er die Gelegenheit wahr, einen Abstecher nach Kalifornien zu machen, um den Goldrausch mit eigenen Augen zu erleben: Was er in Kalifornien sah und erlebte, machte ihn sowohl zum Zeugen und Beobachter als auch Chronisten des Goldrauschs.
Ausgehend von der Frage nach literarischen Darstellungskonventionen, die zu verschiedenen historischen Zeitpunkten als Medien der Beobachtung und Reflexion von Intersektionalität und interdependenten Herrschaftsverhältnissen dienen konnten, untersucht der Beitrag das Erzählen 'vom Dorf' und 'der Provinz' als Mittel der Narration von sozialer Ungleichheit. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert intensiviert sich eine kulturelle Stadt-Land-Dichotomie, aufgrund derer das 'Ländliche' in Abgrenzung zur urban geprägten Moderne als das rückwärtsgewandte, hierarchisch schwächere 'Andere' wahrgenommen wird. Die Zugehörigkeit zu einem ländlichen oder städtischen Umfeld entwickelt sich daher zur 'Ungleichheitskategorie', die im intersektionalen Zusammenspiel mit anderen Differenzfaktoren auftreten kann. Zugleich ist 'das Dorf' als sozialer Raum konventionell durch eine strikte Einteilung von Menschen in die Kategorien 'Einheimische' und 'Fremde' geprägt und produziert auf Basis strenger Normvorstellungen in besonderem Maße soziale Zuschreibungen der Nichtzugehörigkeit, die wiederum mit Diskriminierungskategorien wie Geschlecht, ethnische Herkunft, ökonomischer Status etc. verwoben sein können. In der literarischen Dorfgeschichte bzw. dem 'Provinzerzählen' vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart dient der rurale Raum daher auf vielfältige Weise als Ort der Darstellung und Reflexion intersektionaler Formen der Diskriminierung und Ungleichheit. Demonstriert wird dies durch eine Untersuchung von Berthold Auerbachs Dorfgeschichte "Des Schloßbauers Vefele" von 1843 und Maja Haderlaps Roman "Engel des Vergessens" aus dem Jahr 2011.
Absurd war es ja schon: Um sich dorthin versetzen zu lassen, wo sich Grabbe in seinen letzten Lebensjahren am liebsten befand, in eine imaginäre Detmolder Kneipe, wo er mit den zufälligen Mitzechern den 'Cid' spielt, dazu musste man im Sommer 2002 nicht nach Detmold reisen, sondern in die bayerische Provinz.
Karin Füllner unterzieht in ihrem Beitrag zu "Utopie und Melancholie in Heinrich Heines italienischen Reisebildern" die Auto- und Heteroimages darin einer genauen Untersuchung. Diese werden in dem autobiographisch grundierten Schreibprojekt Heines an Musik, Kunst und Speisen ebenso deutlich wie in der Auseinandersetzung mit tradierten literarischen Italienbildern, etwa denen Goethes. Das dialektische Spannungsverhältnis zwischen Utopie und rückwärtswandter Melancholie vergleicht Füllner mit Heines Frankreichbildern und kann so die Besonderheit seiner Italienrezeption aufzeigen.
"Wir wissen nichts vom Sozialen, was nicht durch unser Wissen vom Natürlichen definiert wäre und umgekehrt." Was Bruno Latour für die Soziologie der modernen Wissenschaften formuliert, gilt, seit ihren Anfängen, für die von Übertragungen und Analogieschlüssen bestimmte Begriffsgeschichte der Naturlehre überhaupt: Die 'Ordnung der Dinge' in der Natur und gemäß ihrer jeweiligen Natur entspringt dem Ordnungsdenken sozialer Wesen, die ihre eigenen Belange in Orientierung an Konzeptionen der Natur zu regeln versuchen. Ein solches Denken der menschlichen in Analogie oder Kontrast zu den nichtmenschlichen Dingen setzt die kategoriale Geschiedenheit zweier Sphären voraus, deren Ordnungsmuster einander nun wechselseitig konturieren und stabilisieren.
Wer dieser verschollenen Randfigur der Literatur des 19. Jahrhunderts nachspüren will, wird Mühe haben. Einschlägige deutsche Lexika widmen ihr keine Zeile, und ihr Name wird nur in älteren französischen Nachschlagewerken überliefert, die allerdings die wohl unvermeidlichen Lücken und Fehler aufweisen. Die trockenen Fakten deuten ihre Verdienste kaum an, und die Tatsache, dass sie in Frankreich posthum zu
einer Steadyseller-Autorin wurde, zwar nicht mit eigenen Werken, sondern mit Übersetzungen, ist nicht zu erkennen.
Der Versuch, dieser Randfigur Relief zu verleihen, muss infolge mangelnder Vorarbeiten und der wenigen entdeckten Quellen ein Unterfangen bleiben, das vorerst kein erschöpfendes Ergebnis zeitigen kann, eher ein Provisorium, das vielleicht zu weiterer Forschung anreizt.
Die Literaturwissenschaftlerinnen Eva-Tabea Meineke und Stephanie Neu-Wendel greifen Impulse der Forschungen Ujmas auf und erkunden in komparatistischer Perspektive "Visionen nationaler Einheit aus weiblicher Perspektive. Europäische Italienbilder von Cristina Trivulzio di Belgiojoso und Fanny Lewald". Meineke und Neu-Wendel widmen sich einem wichtigen Desiderat der Forschung, denn sowohl Trivulzio di Belgiojoso als auch Lewald waren zu Lebzeiten einflussreich, sind aber kaum kanonisiert und ihr Beitrag zur risorgimentalen bzw. vormärzlichen Literatur und zu Italiendarstellungen in dieser Zeit wurde für jede einzeln bislang nur selten und in vergleichender Gegenüberstellung noch gar nicht gewürdigt. Während Trivulzio di Belgiojoso aufgrund ihrer Zeitungsartikel 1846-47 gleichsam einen Blick von innen auf Italien gewährt, liefert Fanny Lewald in ihren Reisebeschreibungen aus annähernd derselben Zeit einen Blick von außen auf das Land. Dass und wie sich beide Frauen über gender-spezifische Normen und Konventionen hinwegsetzen und die politischen und sozialen Umwälzungen rund um das für die europäischen Nationalbewegungen zentrale Jahr 1848 genau beobachten und begleiten, ist Thema dieses Aufsatzes.
Als Heinrich Heines "Romanzero" im Herbst 1851 ausgeliefert wird, reagiert die zeitgenössische Kritik zwiespältig. Wortgewaltig läßt man sich unter anderem im "Dresdner Journal" darüber aus, daß in Heines neuer Gedichtesammlung im Romanzenton ein diabolisches Gelächter ertöne, daß den heiligen Ernst der Poesie ersticke.
Das Weserlied (“Hier hab' ich so manches liebe Mal / mit meiner Laute gesessen …") von Franz Dingelstedt, vertont durch Gustav Pressel, erlangte volkstümliche Berühmtheit. Die schmerzliche Rückerinnerung an die unerfüllte Jugendliebe, Lautenklang und Talblick, oben die rauschenden Bäume und unten die glitzernde Welle und das brausende Wehr – all dies entspricht literarischen Gemeinplätzen bürgerlicher Empfindung. Die Seite bringt 34 Illustrationen, darunter mehrere Postkartenserien, orientiert über den Dichter und Dramaturgen Franz von Dingelstedt (1814-1881) und stellt weiterführende Weblinks bereit. Die Reihe von Volksliedern wird fortgesetzt.
In der Forschungsliteratur zu Büchners "Lenz" existiert eine klaffende Lücke. Diese wird vom Text selbst evoziert, insofern er sich auf zwei Terrains gleichzeitig bewegt - einem ästhetischen und einem medizinisch-psychiatrischen. Diese wird vom Text aber auch überbrückt, insofern er die Formulierung des Kunstprogramms in einen Krankheitsverlaufs einbettet, und zwar genau in die Phase, in der sich die "übermäßige Empfänglichkeit" des Melancholikers, wie dies auch die zeitgenössische Wissenschaft konstatiert, allmählich "nur für einen Gegenstand und auf einen Punkt concentrirt." Im Falle Lenzens bildet dieser 'eine Punkt' das Religiöse. [...] Mit dieser narrativen Rahmung wirft der Text eine Frage auf, die die Forschung in der Trennung von literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive nicht beantwortet hat: Wie hängen Lenz' Melancholie und das von ihm aufgestellte Kunstprogramm zusammen? Die folgende Analyse zielt dementsprechend auf keine Gesamtinterpretation des Textes. Es geht ihr auch nicht um die in der Forschung bereits mehrfach diskutierte Unterscheidung zwischen der Oberlinschen und der Büchnerschen bzw. der wissenschaftlichen und der literarischen Darstellung eines pathologischen Falles. Die Analyse ist auf das 'Kunstgespräch' fokussiert und erörtert, ohne neuerlich die viel fältigen wie differenten historischen Bezugnahmen der Ästhetik des Büchnerschen Lenz aufzuzeigen, die Frage, welche Implikationen es hat, dass ein Melancholiker über Kunst spricht - und zwar sowohl für die Melancholie als auch für die Kunst.
Albert Dulk (1819-1884) war ein rebellischer Student der Chemie aus Königsberg, der während seines Studiums in seiner Heimatstadt und in Breslau, Berlin und Leipzig in den 1840er Jahren an den politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit engagiert teilnahm und sich 1849 vor einem "Scherbenhaufen enttäuschter Hoffnungen" sah. Dulk verließ am 30. Mai 1849 Königsberg, um sich nach längeren Fußreisen durch Österreich und Italien am Ende des Jahres nach Ägypten einzuschiffen. [...] Sein eigener Selbstfindungs-Prozess, um den es Dulk auf seiner Ägyptenreise gegangen war, hat zum einen in der Verankerung seiner Religionskritik im Denken der Aufklärung seinen Niederschlag gefunden, ihn aber zum anderen direkt auf das weite Feld des Darwinismus und der Anwendung der darwinistischen Theorien auf die menschliche Gesellschaft geführt. [...] Hier verbindet sich Dulks vor- und nachmärzliches Denken, aber er verfehlt zugleich eine gedankliche Eindeutigkeit, die die Klärung und den Durchbruch seiner Ideen hätte fördern können. In seinem Konzept von der "Kindheit der Menschheit" nimmt er dabei - vor dem Hintergrund seiner politischen Ideen für unsere heutige Wahrnehmung erstaunlich unbefangen, aber sonst zeittypisch - eine Überlegenheit der Europäer über die zeitgenössischen Ägypter als gegeben an und kommt zugleich in Bezug auf die altägyptische Kunst zu ganz eigenständigen und originellen Ansätzen, die so erst wieder am Ende des 20. Jahrhunderts diskutiert wurden. Dulk kann als ein Beispiel dafür stehen, wie sich die darwinistischen Ideen im europäischen Denken durchsetzten und aus den hier untersuchten Schriften lässt sich ersehen, wie sich dieser Prozess bei jemanden vollzog, der nach eigener Wahrnehmung seinen vormärzlichen politischen Idealen treu geblieben war.