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A proximidade entre música, filosofia e literatura na tradição alemã e seus métodos de aproveitamento dessas relações marcou profundamente João Guimarães Rosa, possibilitandolhe desenvolver trilhas próprias a partir dos substratos oferecidos pelas cantigas tradicionais brasileiras. Os efeitos gerais das técnicas musicais em "Sagarana", a influência de conceitos da filosofia de Heidegger, a utilização do 'Grundmotiv' wagneriano em "O burrinho pedrês" e "Sarapalha" e as semelhanças entre a narrativa "A hora e vez de Augusto Matraga" e a opera "Parsifal", de Wagner, constituem o objeto desta reflexão.
This article deals with two short stories by Leopold Kompert (1822-1886), a Jewish author from the Austro-Hungarian Empire and one of the major names in a genre which became known as Ghettoliteratur. As all other authors in his genre, Kompert dealt mainly with the conflicts involved in the passage from the world of traditional Jewry towards 19th into modernity. But he did this in a typical Habsburg way. Rather then emphasizing the incompatibility between these two worlds, Kompert tries, on the one hand, to preserve the memory of the vanishing world of the Jewish Shtetl, and on the other hand to create a synthesis between this world and the multi-lingual and multi-cultural Austro-Hungarian Empire.
Heinrich Heine war, wie kaum ein anderer literarischer Autor, der Ethnologe der Kultur, in der er selbst lebte. Immer wieder hat er, in narrativer Form, versucht, eine Diagnose seiner Zeit zu geben: eine Phänomenologie der Epoche, aus der er kam und in deren Ausläufer er noch lebte – der Romantik und ihrer Folgen. Man denke an die Heinesche Studie Deutschland, ein Wintermärchen oder an die kulturdiagnostische Novelle Der Rabbi von Bacherach. Ein paradigmatischer Text für ein solches kulturdiagnostisches Interesse Heines ist auch die Erzählung Florentinische Nächte, publiziert im Jahre 1835, drei Jahre nach Goethes Tod. Es ist ein rätselhafter Text. Denn er enthält eine Reihe von nur schwer miteinander vermittelbaren Themen-Komplexen. Da ist, schon aus dem Rahmen des Erzählten heraus angelegt, eine sich verdoppelnde Liebesgeschichte: ein Mann, Maximilian, und zwei Frauen, Maria und Laurence; Maria, die, schwer erkrankt, im Vordergrund gegenwärtig ist; und Laurence, die Abwesende, vielleicht überhaupt nur fingierte, deren Geschichte Maximilian der bettlägerigen Maria erzählt.
Louise Dittmar gehört zu den wenigen Autorinnen ihrer Zeit, die sich auf das für Frauen eher ungewöhnliche Gebiet der Philosophie wagten. Ungewöhnlich nicht deshalb, weil sie philosophische Schriften rezipierte, denn das war durchaus kein Einzelphänomen. Gerade in den 1840er Jahren setzten sich viele Vormärzautorinnen mit den modernen Strömungen und deren Studien auseinander, insbesondere mit frühsozialistischem und junghegelianischem Gedankengut. Das Ungewöhnliche war vielmehr, dass Louise Dittmar Werke publizierte, in denen sie Ludwig Feuerbachs Philosophie "systematically and seriously" zu entfalten versuchte, aber ebenso ihre eigenen Erkenntnisse selbstständig (fort-)entwickelte.
Ludwig Anzengruber wurde zu Lebzeiten zum 'Klassiker der Bauernkomödie' stilisiert, was seinen in der Stadt angesiedelten Dramen aufgrund der "eingerastete[n] Erwartungshaltung des Publikums" mitunter zum Verhängnis wurde. Dass sich die am Land dargestellten gesellschaftlichen Probleme nahtlos auf die Stadt übertragen lassen, hat Anzengruber im Nachwort zu seinem Roman "Der Sternsteinhof" angedeutet, das auch als poetologischer Schlüsseltext für seine Dramenproduktion gelesen werden kann. Demnach diene ihm "der eingeschränkte Wirkungskreis des ländlichen Lebens" zu einer einfacheren und verständlicheren Darstellung, "wie Charaktere unter dem Einflusse der Geschicke werden oder verderben." An den Vorstadtbühnen muss in theatraler Hinsicht wohl zudem die Schaulust der Großstädter an den ländlichen Bauernfiguren mitbedacht werden. Und - so das Fazit des vorliegenden Beitrags - auch im Hinblick auf die Überwachung des Wiener Unterhaltungstheaters dürfte besonders der Gattung der Bauernkomödie ein erweiterter dramaturgischer Handlungsspielraum zugestanden worden sein. Während sich die Zensur im Falle der "Kreuzelschreiber" vor allem dem 'vorgeschobenen', tagesaktuellen Kirchenkonflikt widmete, der in Anzengrubers Komödie nach der Exposition allerdings keine größere Rolle mehr spielt, tolerierte sie die satirische Kirchenkritik wohl auch, weil sie den politisch und moralisch nicht gerade integren Bauernfiguren in den Mund gelegt wurde.
Bechstein ist der Märchenerzähler des 19. Jahrhunderts, dessen Märchen nach Grimm die größte Verbreitung gefunden haben. Sein literarisches und wissenschaftliches Werk ist sehr umfangreich. Er schrieb Balladen, Romane, Novellen, Erzählungen, Dramen, Versepen, Operntexte, zahllose Gedichte aller Art und Wanderbeschreibungen. Er beschäftigte sich auch mit germanischen, volks- und völkerkundlichen und kulturhistorischen Themen und schrieb verschiedene "altertumsforschende" wissenschaftliche Abhandlungen, die er in Zeitschriften publizierte und die mit seinem Amt als Archivar des Hennebergischen Gesamtarchivs in Zusammenhang standen. Das Meiste davon ist mit Recht vergessen, geblieben aber und im echten Sinne populär geworden sind seine Märchen- und Sagenbücher.
Der literarische Horizont des Vormärz ist gezeichnet von den Spannungen zwischen Nationalismus und Universalismus (oder Patriotismus und Kosmopolitismus), die sich vielfach auf das Verhältnis zur Sprache, der eigenen wie die der anderen, ausgewirkt haben. Auch Börnes schriftstellerische Biographie spiegelt den Reflex dieser Spannungen und bestimmt nicht zuletzt sein Verhältnis zum Geschäft des Übersetzens. Es geht also um einen besonderen Aspekt des Kulturtransfers, genauer gesagt um eine funktionelle Methode kultureller Interaktion. Gerade in diesem Bereich ist Börne in verschiedener Weise hervorgetreten: als Sprach-, Literatur- und Übersetzungskritiker ebenso wie als eigentlicher Übersetzer. Man wird ausgehen müssen vom Problem der Sprache überhaupt, Sprache im kulturellen wie im nationalen Kontext. Börnes kritischer Massstab erweist sich als flexibel je nach Textsorte und Zielpublikum. Da die Schwerpunkte seiner schriftstellerischen Vita wesentlich von den Wechselfällen der politischen Geschichte im engen regionalen wie im weltgeschichtlichen Umfeld abhängig waren, wird auch im Folgenden der Schwerpunktwechsel zu berücksichtigen sein.
Das Forschungsinteresse an Ludwig Börne galt und gilt in erster Linie den Bereichen Politik, Kultur und im Besonderen der Thematik Judenemanzipation. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Man sollte bei Börne vor allem kein System suchen. Weder Philosoph noch Theologe, stand für ihn die durchgängige Priorität der Politik einer kohärenten Behandlung religiöser Themen im Wege. Dass in allen seinen, auch den der Aktualität gewidmeten Texten eine dezidiert ethische Grundhaltung wahrnehmbar ist, wurde zwar in der Forschung selten geleugnet: Glaube und Menschenliebe, Toleranz und Wahrheitssuche prägen weitgehend Börnes Bild. Dennoch hält sich daneben das Klischee des exaltierten Jakobiners und naiven, kurzsichtigen Deisten, wie es seit Heine nahezu bis heute tradiert wird. Auch auf diesem Hintergrund wird man die im Folgenden skizzierten Stationen von Börnes religiöser Entwicklung reflektieren müssen.
This essay focuses on Malwida von Meysenbug's (1816-1903) rebellious 'travel diary' entitled "Eine Reise nach Ostende" (1849) and her 'extravagant' travels to the Belgian seaside resort, which she undertook together with her girlfriends Anna Koppe and Elisabeth Althaus during June and July 1849. This text, which was written during the late summer and early autumn of 1949 and published posthumously in 1905 by Gabriel Monod, is both a very personal, almost intimate representation of the failing revolution and a performance of transgression by an unmarried 33-year old female member of the lower ranks of aristocracy.
Der kürzeste Heiratsantrag, den man aus der Literatur kennt, stammt von Wilhelm Busch: „'Mädchen' – spricht er – 'sag mir ob.' / Und sie lächelt: 'Ja, Herr Knopp!'“ Nun hören sich manche solcher Reime bei Busch ziemlich schräg an, aber dennoch provozieren sie Gelächter, das einen irgendwie entfesselt, animalisch, tränentreibend wirkt, ein kreatürliches Lachen, das sich von Generation zu Generation fortzusetzen scheint. Dabei ist Buschs Komik immer näher an der Katastrophe als an der Idylle.
"Der Meridian", Celans Rede anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises am 22. Oktober 1960 in Darmstadt, ist ein Fest der Poesie. Dem Vortrag eignet eine Dichte und Dunkelheit, die oft auch Celans Gedichten zugesprochen wird; so attestieren die zahlreichen Besprechungen ihm denn auch meist, wie Helmut Müller-Sievers kritisiert, drei Elemente: "First, that the speech must be understood as an auto-poetological statement; second, that Celan is the best, or at least the most authentic, interpreter of his own poetry; third, that there exists a theoretical discourse that can seamlessly connect Celan's poetology to his poetic practice". Dieser Kritik wird insofern wider- oder entsprochen, als ich hier den ersten wie auch den dritten Aspekt bestätige, allerdings anders als von Müller-Sievers gesehen: Die Rede bildet meines Erachtens nicht so sehr eine Theorie Celans zu seinen eigenen Gedichten, sondern stellt vielmehr bereits die Ausführung einer Poetologie dar - operiert mithin also performativ. Das gleiche Argument, das Müller-Sievers nutzt, um dagegen zu argumentieren, dass es sich bei der Rede um eine Poetologie handelt, ist für diesen Ansatz eher ein Argument dafür. [...] Die von Müller-Sievers genannten Eigenschaften erachte ich dabei nicht nur für Celans Poesie als relevant, sondern im gleichen Maße für den "Meridian". So lässt sich auch das Verhältnis zwischen 'universaler Theorie' und 'konkreter Dichtung' zwar nicht als nahtlose Verbindung, aber doch als ein direktes Verhältnis erkennen; damit stellt sich die Frage jedoch umso mehr, inwieweit Theorie sich auf Dichtung beziehen lässt. Oft geschieht dabei, wie auch Müller-Sievers anmerkt, die Zuordnung der von ihm genannten Elemente wie in einer Black Box. Das Argument ist meist: Es handelt sich um Dichtung / Literatur, also kann dem Werk 'mehr' oder zumindest etwas anderes zuerkannt werden als 'anderen' Texten. Diese blinde Übertragung, irgendwo zwischen Ästhetik und Epistemologie verortet, gilt oft als absolut selbstverständlich - insofern muss in der Tat die Legitimität dieser Zuordnungen stets erneut hinterfragt werden. Ich versuche daher in diesem Aufsatz der Frage nachzugehen, was im Text geschieht, das diese Zugriffe legitim macht - oder zu machen scheint. Es geht dabei nicht (so sehr) darum, eine spezifische Theorie zu bevorzugen, als um eine Untersuchung der Funktionsweise dieses theoretisch-poetischen Textes - und um die Frage, ob die darin entwickelten Aussagen auf Dichtung und Kunst im Allgemeinen übertragen werden können, und wenn ja, wie. Dieses spezifische Verfahren mitsamt seinen mannigfaltigen Ebenen wird hier im Hinblick auf seine spezifische Materialität gelesen und als eine 'wegweisende' Art verstanden; in der Rede kehrt der Meridian als Trope wieder - als Ort wie als Bild - und der Weg zu und auf dem Meridian kann als die Aufgabe betrachtet werden, die Celan sich darin stellt.
Adolf Ellissen (1815-1872) hat Montesquieus "Esprit des Lois", der 1748 in Genf erschienen war, in den Jahren 1843-1844 ins Deutsche übertragen, als sich in seiner Heimat Hannover die 'schwärzeste Reaktion' erhoben hatte. Konnte er damit das Denken der Aufklärung in die demokratischen Bemühungen des 19. Jahrhunderts übertragen? Gibt es Ideen aus dem achtzehnten Jahrhundert, die immer wieder und auch lange noch nach dem ehrenvollen Scheitern des Frankfurter Projekts Kontroversen in der politischen Welt auslösten, weil sie von seinerzeit Gedachtem und Geschriebenem auf Unerwartetes und Ungedachtes führten?
Hartmann and his Prague friends, whether German-Gentile or German-Jewish, rallied enthusiastically to the cause of what at first was a reawakening of suppressed Bohemic cultural nationalism and a move towards across-fertilisation of the two main lingual cultures (Czech/German) andthe three main ethnicities (Czech/German/Jewish) of the country. They soon saw themselves as a "Jungböhmische Bewegung" to correspond to Young Germany. The Prague writer Rudolf Glaser founded a literary journal called 'Ost und West' for the express purpose of bringing together German and Slavic literary impulses under the Goethean motto: "Orient und Occident sind nicht mehr zu trennen". With Bohemia as the bridge, 'Ost und West' published German translations from all the Slavic languages including Pushkin and Gogol, contributions by German writers sympathetic to the cause of emerging nations like Heinrich Laube, Ferdinand Freiligrath, Ernst Willkomm, but above all the Prague circle of Young Bohemians like Alfred Meissner, Isidor Heller, Uffo Horn, Gustav Karpeles and Ignatz Kuranda. Also Hartmann made his literary debut in the journal with a love poem entitled "Der Drahtbinder", and featuring a subtitle which was in keeping with the spirit of the times: "nach einem slavischen Lied".
Mystische Blendung : zu Gustav Theodor Fechners Selbstversuchen und seinem panpsychistischen System
(2005)
Vielleicht könnte man behaupten, daß im Fall Fechner die humanwissenschaftliche Erkenntnisbeziehung modellhaft zum Vorschein kommt, modellhaft nämlich in ihrer, wie Michel Foucault sagt, doppelten Qualität, "gleichzeitig gefährlich und gefährdet" zu sein, und in ihrer Eigenart, den Menschen als ihre Möglichkeitsbedingung und ihren positiven Gegenstand auszuzeichnen, als "Subject und Object der inneren Erfahrung zugleich", wie es in den Elementen der Psychophysik (1860) heißt. Fechner entwickelte als erblindeter Selbstbeobachter nicht nur eine Theorie über die Blindheit als solche, sondern über die an und für sich: die Blindheit des Sehens für seine eigenen Möglichkeitsbedingungen, die eine Blindheit des denkenden Ichs beim Denken seiner selbst vorstellt. Dem Auge, das ohne Vermittlung oder prothetische Unterstützung sich selbst nicht erblicken kann, kommt hierfür in doppelter Hinsicht eine Schlüsselfunktion zu. Denn was sowohl dem anschaulichen als auch dem begrifflichen Denken undenkbar bleiben muß, obschon es erkannt werden soll, wird zu einem Gegenstand von Dichtung oder Experimentalwissenschaft.
Sucht man nach Gründen für die Präsenz der Romane Dostojewskis in der gegenwärtigen globalen Kultur und insbesondere auf den Theaterbühnen Europas und der Welt, so stößt man zunächst auf eine Rezeptionsgeschichte, die bereits mehr als ein Jahrhundert andauert. Die Romane haben sowohl in ihrer Form als auch in ihrem Inhalt die literarische und kulturelle Moderne entscheidend vorangetrieben, sie bieten aber zugleich auch ein Beispiel radikaler Modernekritik und offenbaren mit besonderer Deutlichkeit die Ambivalenz der Moderne, die ihr Gegenteil oder ihren Widerspruch, die Antimoderne, in sich birgt. In besonders scharfer Form tritt dies in der Antinomie zu Tage, die sich in allen Romanen belegen lässt: sie stellt die schöpferische, originelle, ursprüngliche, mystisch-tiefe russische Kultur gegen die technisch-materialistische, sterile, abgeleitete, westliche Zivilisation. Am deutlichsten manifestiert sich diese Antinomie in Sankt Petersburg, in der Stadt, die unter dem Zwang der Neuerung und des Wandels stand, und in der die Instabilität von Menschenbild und Menschenordnung besonders krass zu Tage trat.
Antonio Roselli nähert sich dem Verhältnis von Handlung und Kontingenz. Im Mittelpunkt seiner Analysen stehen Grabbes "Herzog Theodor von Gothland" und "Napoleon oder die hundert Tage" sowie Büchners "Danton's Tod". Er betrachtet sie mit Blick auf ihre kritische Verarbeitung der Implikationen der Großformation 'Geschichtsphilosophie', weil diese in ihrer idealistischen Ausprägung als Stabilisierungsverfahren auf die Erfahrung der Beschleunigung und der damit einhergehenden wachsenden Kontingenzerfahrung reagiert, dabei aber die Gründe für ihr eigenes Scheitern mitproduziert. Wenn man das "Modell des Zerrissenen" als symptomatisch nicht nur für die Problematisierung des 'Helden' im Bildungsroman, sondern auch für eine grundlegende Problemlage der Übergangszeit zwischen Restauration und Revolution annimmt, dann zeigen sich "Antriebsschwäche und Tatenlosigkeit, aber auch eruptive Ausbrüche und Aggression" als Modi der Thematisierung von Handlung im Drama. Das Schwanken zwischen diesen beiden Polen kann man bei Büchner und Grabbe als Inszenierung von Handlungsverweigerung (Fatalismus) und Handlungsermächtigung (Dezisionismus) wiederfinden. Christoph Menke unterscheidet bezüglich des Theaters zwischen 'eine Handlung ausführen' und 'eine Handlung vorführen': Das Ausführen einer Handlung ist zweckorientiert; in der im Theater stattfindenden Vorführung der Handlung soll dagegen "nicht durch ihre Ausführung der Zweck der Handlung erreicht, sondern die Form der Handlung sichtbar werden". Durch die Sichtbarmachung der Handlungsformen kann das Zusammenwirken verschiedener Elemente wie Zweck und Mittel, Akteur und Adressat, Akt und Situation erkennbar gemacht werden. An diese Unterscheidung anknüpfend geht Roselli davon aus, dass im Drama Wandlungen in den Handlungsmodellen sichtbar werden. So kann die Auswirkung einer gesteigerten Kontingenzerfahrung, wie sie besonders die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts kennzeichnet, nachgewiesen werden. Am Ende geht Roselli in einem Ausblick auf die Frage nach der Identifizierung von "Kontingenz-Gattungen" ein und skizziert kurz eine Entwicklungslinie im Übergang zum Realismus.
Am "Funktionsübergang von Dichtung und Publizistik", so Wolfgang Preisendanz, bilde sich bei Heine eine Kunstprosa aus, die Einspruch gegen Hegel erhebt und das Fortleben nicht mehr schöner Kunst in Gestalt moderner oder realistischer Kunst verbürgt. Ob Heine seiner Hegel-Bewunderung zum Trotz als Kronzeuge neuer, moderner Kunst gelten darf, sei dahingestellt. Eine Entscheidung darüber hinge nicht zuletzt von dem an ihn angelegten Modernebegriff ab. Der geläufige - mit Heine als Übergang - zeugt jedenfalls 'contre coeur' vom Rechtfertigungszwang, den Hegels Diktum zumindest auf Literarhistoriker immer noch ausübt. Doch nur bedingt kann Heine ihren Absichten dienlich sein. Dass er selbst, trotz gelegentlich ausgedrückter Hoffnungen, denen zufolge "die neue Zeit […] auch eine neue Kunst gebären […], sogar eine neue Technik" hervorbringen würde, doch eher pessimistisch in die Zukunft des "greisen Europa" sah und die Frage zu bejahen geneigt war, die er am Ende des Berichts über die Gemäldeausstellung von sich wies: "Oder hat es überhaupt mit der Kunst und mit der Welt selbst ein trübseliges Ende?", soll im Folgenden als ein Aspekt seiner Formel vom Ende der Kunstperiode erhellt werden.
Die erste von drei Leitlinien meiner Untersuchung besteht [...] darin, die Frage nach den historischen, philosophischen und intertextuellen Einflüssen auf die Gestaltung der fünf Figuren für jede Erzählung neu zu stellen. Hier wird sich auch zeigen, warum vom Paradigma und nicht vom Motiv des 'wilden Mädchens' zu sprechen ist: Stifter hat bei der Gestaltung der 'wilden Mädchen' nicht einfach nur ein literarisches Motiv, sondern unterschiedlichste literarische Stoffe und philosophische Konzepte rezipiert. Die Beschreibung dieser Einflußfaktoren soll im folgenden aber nicht als Selbstzweck betrieben werden, sondern dazu beitragen, für jede der vier Erzählungen einen individuellen Interpretationsansatz bereitzustellen.
Die zweite Leitlinie hinterfragt die in Einzelinterpretationen der vier Erzählungen immer wieder auftauchende Behauptung, Stifter thematisiere mit der Konfrontation von 'wildem Mädchen' und zivilisierter Gesellschaft den Gegensatz zwischen Natur und Kultur. Obwohl dieser Komplex, an dem "seit dem 18. Jahrhundert keine kulturelle Selbstverständigung mehr vorbeikommt", bei der Interpretation der Erzählungen berücksichtigt werden muß (dies gilt besonders für Die Narrenburg und Turmalin), darf er nicht verallgemeinert werden. In den erwähnten Einzeluntersuchungen zeigt sich nämlich oft, daß ein Verweis auf den Gegensatz zwischen Natur und Kultur, der aufgrund der Unschärfe der beiden Begriffe nur zu einfach in beliebige Argumentationszusammenhänge zu integrieren ist, den Blick auf schlüssigere Interpretationsansätze verstellen kann.
[...]
Eine dritte Leitlinie ergibt sich aus der folgenden Überlegung: Wenn ein pädagogischer Erzähler von Erziehungsprozessen berichtet, so liegt die Vermutung nahe, daß die dabei entstehenden Texte Erziehung nicht nur thematisieren, sondern selbst zur Erziehung beitragen sollen. Tatsächlich wies Stifter der Literatur eine erste Funktion in der Erziehung des Volkes zu: "Ein einziger Dichter, der sein Volk durchgängig zu entzünden vermochte, hat es oft in einem Ruk mehr gehoben, als jahrelange Belehrungen und vortreffliche Geseze". Im folgenden ist deshalb auch zu untersuchen, auf welche Weise die Erzählungen im Paradigma des 'wilden Mädchens' eine erzieherische Wirkung auf den Leser ausüben wollen.
Ausgangspunkt der hier vorgenommenen Zusammenstellung einer ästhetischen Theorie, einer kunstgeschichtlichen Analyse und einer poetischen Darstellung des niederländischen Genres war eine Faszination. Annette von Droste-Hülshoff hatte in einem Prosafragment ein ästhetisches Experiment mit einer Gattung durchgeführt, deren ästhetische Besonderheiten theoretisch erst in jüngster Zeit und durch eine neuartige kulturgenetische Vorgehensweise von Hegel und Schnaase exponiert worden waren. Staunenswert dabei ist nicht nur, dass und wie Droste-Hülshoff die verschiedenen Bestimmungsstücke des Genres, die Ästhetik des Flüchtigen, die Ästhetik des Zweideutigen und die ästhetische Theorie des Interieurs, im sprachlichen Medium erprobt; verblüffend ist mehr noch, dass sie die implizit zwischen Hegel und Schnaase sich abzeichnende Differenz in der Einschätzung der ästhetisch lizenzierten Darstellung des Bösen narratologisch zu nutzen weiß und folgerichtig das niederländische Gesellschaftsbild in eine "Kriminalgeschichte" überführt.