BDSL-Klassifikation: 15.00.00 19. Jahrhundert > 15.15.00 Zu einzelnen Autoren
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In diesem Beitrag sollen Aspekte des Zusammenhangs von Gender und Nation in Reisetexten von Frauen über England im Mittelpunkt stehen. Als Beispiele werden Fanny Lewalds "England und Schottland" (1851/52) und Emma Niendorfs "Aus London" (1855) daher daraufhin untersucht, inwieweit in diesen Texten Konzepte von nationaler Identität aus weiblicher Perspektive erkennbar sind. Dabei geht es vor allem um die Gesellschaftsentwürfe und die darin erkennbaren Bestimmungen der gesellschaftlichen Rolle des Weiblichen. Ein besonderes Augenmerk gilt daher der Frage, wie die Autorinnen den Ort der Frauen in der englischen Gesellschaft bestimmen und welche Rückschlüsse sich aus diesem Vergleich für die Konstruktion einer deutschen, weiblichen Identität ziehen lassen.
Maria Magnin zeigt anhand ausgewählter Textbeispiele vor allem von Fanny Lewald, Louise Otto-Peters und Hedwig Dohm, inwiefern diese Autorinnen geschlechtsstereotype Rollenmuster und -erwartungen, die auf die Verbindung von Weiblichkeit und Luxus bezogen waren, verarbeiten. Magnin veranschaulicht, inwiefern die Autorinnen die Konnotation des Luxuriösen als genuin weiblich zurückweisen, indem sie diese als Resultat von Erziehung und Sozialisation beschreiben. Darin wird deutlich, dass die Autorinnen "mit der Beschreibung ihrer eigenen Erziehung […] Widersprüche im bürgerlichen Frauenbild offenkundig" machen.
Anlässlich des 200. Geburtstags der deutsch-jüdischen Autorin Fanny Lewald und der Veröffentlichung des Sammelbandes: "Fanny Lewald (1811-1889). Studien zu einer großen europäischen Schriftstellerin und Intellektuellen" (hrsg. von Christina Ujma, Aisthesis Verlag, Bielefeld 2011) fand am 2. Juli 2011 an der Humboldt-Universität Berlin eine Lewald-Tagung statt, bei der Lewald-Forscherinnen neue Perspektiven auf Werk und Leben der wichtigsten Romanautorin des 19. Jahrhunderts diskutierten. Damit fand nach Jahrzehnten engagierter Forschung die erste wissenschaftliche Tagung über eine Autorin statt, die die revolutionären Hoffnungen wie auch die grundlegenden Umwälzungen ihrer Epoche mit ihren Texten engagiert und kritisch begleitete.
"Am Ende wird alles gut, für die beiden Briefschreibenden - und auch für die beiden Herausgeberinnen, die annähernd so lange gemeinsam an der Edition der Briefe gearbeitet haben wie die Autoren an der Abfassung derselben" (S. 848), so resümieren Gabriele Schneider und Renate Sternagel am Schluss ihres "Nachwortes" des vorliegenden 3. und letzten, in jedem Sinne schwergewichtigen Bandes mit seinen 902 Seiten ebenso treffend wie persönlich ihr beachtliches Unternehmen. Nach 668 und 845 Seiten bringen die Bände zusammen 2.415 Seiten auf die Waagschale des "epistolarischen Verkehrs", wie Stahr selber das ersatzweise schriftliche Beziehungsduett - mitsamt den in der Regel liebevollen Bekundungen in noch so dramatischen Phasen oder mit gelegentlich sogar, dem schwer zu ertragenden Schwebezustand denn doch geschuldeten, hilflosen Phrasen - am 27. Mai 1852 charakterisierte. Bei dieser Gelegenheit lässt er in zweifellos richtiger Selbsterkenntnis nicht unerwähnt, dass "Briefe schreiben, und ich habe es Dir oft gesagt", sogar die für die Freundin bestimmten, für ihn "schwere Arbeit" bedeute, wohingegen Lewalds "Leichtigkeit" ihm "von jeher beneidenswert" erschienen sei (S. 808).
Die Leistung, den Faden partout nicht abreißen zu lassen, sondern an ein opulentes Ende zu führen, ist natürlich vor allem für Lewald und Stahr, doch auch für die Herausgeberinnen bemerkenswert.
[Rezension zu:] Vanessa van Ornam: Fanny Lewald And Nineteenth-Century Constructions of Feminity
(2004)
Rezension zu: Vanessa van Ornam: Fanny Lewald And Nineteenth-Century Constructions of Feminity. New York, Washington, D.C./Baltimore, Bern, Frankfurt am Main, Berlin, Brüssel, Wien, Oxford: Peter Lang, 2002 (North American Studies in Nineteenth-Century German Literature, hrsg. v. Jeffrey L. Sammons, Bd. 29).
Das Findenkönnen ist dem Seindürfen verwandt; wo die kulturelle Überformung das Einzelphänomen nur als Bejahung seiner strukturgebenden Funktionen zuläßt, schließt sich das persönliche Detail von den Ausdrucksmitteln ab, in denen es zu sich kommen könnte. Daß Detailerkenntnis nicht mehr Naherkenntnis ist, sondern das Detail den Betrachter gleichsam blind anschaut, läßt sich auf die Möglichkeit übertragen, den Lebensentwurf der Dichterin des Vormärz zu beschreiben: Fanny Lewalds Roman "Jenny" (1843/1872) kann von seiner Protagonistin nicht bruchlos reden, weil die sprachliche Ausdrucksform ihre Brüche dem Verständigungszweck unter ordnet. Sprachliche Kommunikation, die erscheint, hängt dem Störungsfreien an; die unvermeidlichen Mißverständnisse und Fehldeutungen der Sprachbenutzer scheinen zu den gelingenden Kommunikationssituationen nur als Ausnahmen zugelassen zu sein. In diese Situation hinein versucht die Vormärz-Autorin zu sprechen. Ihre Worte suchen einen Ort, den es nicht gibt, den sie schreibend konstituieren muß und doch in dem Wissen, daß keine Reaktionen des etablierten Gefüges ihr freundlich antworten werden. In doppelter Außenseiterposition, als Frau und Jüdin, hängen an ihrer Sprache Wünsche: nach Festigkeit des Ausdrucks, dem Gehörtwerden, dem Blick, der versteht.
Der vorliegende Beitrag fokussiert die produktive Rezeption und die kreativ-ästhethische Remodulation literarischen und kulturellen Materials in Lewalds "Italienischem Bilderbuch". Dem Vorhaben liegt die Annahme zugrunde, dass die Reiseschilderung zwar wesentlich durch ein tradierten Vorbildern verhaftetes epigonales Erzählen geprägt ist, dieses jedoch wiederholt an einzelnen Stellen im Bewusstsein literarischer Autonomie zu konterkarieren sucht. Im Rückgriff auf Manfred Pfisters "Systematik zur Intertextualität im Reisebericht" (1993) lässt sich Lewalds Reiseprosa zum einen als Ausdruck einer huldigenden Intertextualität beschreiben, der folgendes erzählerische Programm zugrunde liegt: Lewald bereist die Stationen der etablierten Bildungsreise und ordnet ihren Text gemäß dieser chronologischen Strukturprinzipien. Durch die Aktualisierung tradierter Topoi der Italiendichtung sowie durch das Anzitieren von gattungsprägenden Texten und Diskurselementen exponiert der Text seinen Status als epigonales Werk. Zum anderen lassen ausgewählte Einzelstellen Ansätze einer dialogischen Intertextualität erkennen. Die rezipierten Textzeugen werden hier am selbst Wahrgenommenen gemessen, hinterfragt und gegebenenfalls auch korrigiert. [...] Anhand von fünf paradigmatischen Textstellen sollen formale Gestaltung und Funktion dieses intertextuellen Rekursspiels ästhetisch bestimmt und kontextuell plausibilisiert werden. Referenzen auf einzelne Autoren (Goethe, von Platen, Byron) sollen dabei ebenso untersucht werden wie Stoff- und Gattungsbezüge (Mythos, Märchen und Legende).