BDSL-Klassifikation: 15.00.00 19. Jahrhundert > 15.15.00 Zu einzelnen Autoren
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Der Beitrag macht Polyglossie als wesentliche Komponente der kunstvoll literarisch gestalteten Redevielfalt deutlich, die allgemein als Kennzeichen von Fontanes Gesellschaftsromanen gilt. Polyglotte Rede umfasst in Fontanes Texten fremdsprachige Elemente, Dialekt und Soziolekt und betont so die soziale Funktion von Sprache. An konkreten Textbeispielen, insbesondere aus den Romanen Irrungen, Wirrungen, Frau Jenny Treibel und Quitt, wird gezeigt, wie variabel Fontane Sprachenvielfalt einsetzt: als Polyphonie der sozialen Stimmen und als Spiegel einer komplexen modernen Realität, die in vielfältige soziale, kulturelle und geographische Teilräume zerfallen ist.
In "'Geld, Geld. Wer kein Geld hat'. Ökonomien des Mangels und Dramatik der Knappheit im Vormärz" untersucht Patrick Fortmann anhand ausgewählter österreichischer und deutscher Bühnendramatik die Popularisierung der Geldherrschaft in der modernen Gesellschaft und die Vermittlung des geldförmigen Verkehrs in den Alltag. Dabei verpflichtet die Dramatik der Wiener Volksbühne unter Einsatz des tradierten Motivs des okkulten Geldzaubers letzlich auf eine moderne Affekt- und Bedürfniskontrolle sowie auf Arbeitsfleiß und -disziplin, die als Konstituens des ökonomischen Menschen eine beschauliche, biedermeierliche Mittellage zwischen unermesslichem Reichtum und unermesslicher Armut garantieren. Anders dagegen Georg Büchner und Sigismund Wiese, die die "sinnlichen Dispositionen des Einzelnen" und die soziale Arbeitsorganisation in einer dramatischen Strategie konstellieren, welche elementarste Daseinsvollzüge der nahezu sprachlosen Subjekte in den "Ökonomien der Peripherie" auf die Bühne bringen: "Physisch und psychisch deformiert werden sie zu den Tauschvorgängen und Arbeitsprozessen auf Distanz gehalten. So sind sie dazu gezwungen, das Abjekte zu bewirtschaften."
Unter dem Aspekt der universellen Kommodifizierung der modernisierten Herrschafts- und Geschlechterverhältnisse im Fabriksystem beschäftigt sich Mirjana Vukovic in ihrem Beitrag "Ich lasse mich nicht verhandeln gegen schnödes Geld" mit dem emanzipatorischen Lebensentwurf der Protagonistin in Louise Astons Roman "Aus dem Leben einer Frau" (1847). Johanna, Tochter eines verbitterten Pfarrers aus ärmlichen Verhältnissen, wird an den reichen Fabrikanten Oburn verheiratet, erkennt aber schließlich, dass sie lediglich als Handelsobjekt zwischen Vater und Ehemann fungieren solle. Sie verwertet die Schmuckgeschenke ihres Ehemannes, um die entmenschlicht gezeichneten Hungergestalten in Oburns Fabrik zu einem menschenwürdigen Lohn zu verhelfen. Gegen die klassische Autonomie-Ästhetik schreibe Louise Aston sich in ein Literatur- und Kunstkonzept ein, in dem die fragmentarisierte Wirklichkeit in "Form und Inhalt der Fiktion einfließen" solle; ihre Legitimation bezieht diese Auffassung aus den obsessiven Revolten, die nahezu das gesamte 19. Jahrhundert prägen. In dieser Perspektive lässt "Aus dem Leben einer Frau" sich gegen die letztlich erfolgreichen Kanonisierungsbestrebungen Fontanes als politische Geschichte weiblicher Emanzipation aus der Allmacht des Geldes lesen, die größere wissenschaftliche Beachtung verdient hätte.
"Kapabel, miserabel, aimabel" : Funktionen der französischen Sprachelemente in Heinrich Heines Lyrik
(2014)
Durch das gesamte Werk Heinrich Heines ziehen sich fremdsprachige Einstreuungen, wobei diejenigen in französischer Sprache das größte Gewicht einnehmen. Nach einem Rekurs auf Heines biographische Situation und sein Verhältnis zur deutschen und französischen Sprache werden Form und Funktion der französischen Einsprengsel – vor allem Adjektive, substantivierte Verben und Interjektionen – in Heines lyrischen Texten untersucht. Anhand zahlreicher Beispiele zeigt der Beitrag, dass die französischen Elemente offensichtlich bewusst eingesetzt wurden, um bestimmte semantische Strategien zu verfolgen. Dabei können vor allem sprach-spielerische und gesellschaftskritische Funktionen nachgewiesen werden.
Christine Künzel zeigt in ihrem Beitrag zu Georg Weerths "Humoristischen Skizzen aus dem deutschen Handelsleben", inwiefern es sich entgegen der Ankündigung im Titel nicht um Humor, sondern um eine satirische Kritik am bürgerlichen Mythos vom ehrbaren Kaufmann handelt, der sich skrupellos verschiedenster betrügerischer Machenschaften inklusive Kriegswaffenhandel und ruinöser Spekulationsgeschäfte widmet. Weerths Demontage des Mythos kreist um die Fetischisierung des Geldes wie auch um den Handel als "Form des Krieges mit anderen Mitteln." Seine Kapitalismus-Kritik kulminiere in einem Spiel mit der kaufmännisch höchst bedeutungsvollen Null, die "an sich den Wert von Nichts" bezeichnet und "ihre Bedeutung erst durch die vorhergehende Zahl oder Zahlenfolge erhält" - eine gedankliche Spekulation, die auch als verborgene Revolutionsdrohung gelesen werden könne.
Patrick Eiden-Offe beginnt in "'Weisse Sclaven': Oder wie frei ist die Lohnarbeit? Freie und unfreie Arbeit in den ökonomisch-literarischen Debatten des Vormärz" mit einer Übersicht über die verschiedenen Reflexionsweisen freier und unfreier Arbeit in der Sozialtheorie des Vormärz: bei Weitling, bei Heß und im "Gesellschaftsspiegel". Es wird gezeigt, wie genau die verschiedenen Formen von Arbeit registriert werden, wie wenig aber auch noch eine präzise Begriffssprache für diese Phänomene existiert - die erst mit Karl Marx ausgearbeitet wird, der "Lohnarbeit" und "Kapital" als relationale Begriffe sowie als gesellschaftliche Formbegriffe entwickelt. Anknüpfend an die Kritik der New Labour History gelte es festzuhalten, dass bei der begrifflichen Klärung der Blick auf die historisch-empirisch im Vormärz oft noch ungeklärte Situation verloren geht, weshalb Marx etwa die Sklaverei seiner Zeit nicht als funktionales Komplement, sondern lediglich als Residuum überkommener Arbeitsverhältnisse deuten könne. Empirische oder theoretische Annäherungen an das Problem seien also notwendig mit Ausschlüssen und partiellen Blindheiten verbunden. In einer Betrachtung von Ernst Willkomms Roman "Weisse Sclaven" konstatiert der Autor, dass Willkomm in seinem Entwurf eines soziales Kontinuums von freier und unfreier Arbeit die funktionale Bezogenheit der verschiedenen Formen aufzeigt und dabei eine erstaunliche Hellsicht für globale Zusammenhänge beweist. Dies sei, so die These, allerdings allein im Medium Literatur möglich, indem die begriffliche Unschärfe produktiv gemacht und Zusammenhänge aufgezeigt würden, die theoretisch zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht eingeholt werden konnten.
Rezension zu Bodo Morawe: Faszinosum Saint-Just. Zur programmatischen Bedeutung der Konventsrede in „Danton’s Tod“ (II,7) von Georg Büchner. Bielefeld: Aisthesis 2012. / Ariane Martin/Bodo Morawe: Dichter der Immanenz. Vier Studien zu Georg Büchner. Bielefeld: Aisthesis 2013. / Daniela Bravin: Zeit und ihre Nutzung im Werk Georg Büchners. Eine Untersuchung zeitgenössischer Quellen. Bielefeld: Aisthesis 2012 / Georg Büchner und das 19. Jahrhundert. Hg. von Ariane Martin und Isabelle Stauffer (= Vormärz-Studien 22), Bielefeld: Aisthesis 2012.