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Am "Funktionsübergang von Dichtung und Publizistik", so Wolfgang Preisendanz, bilde sich bei Heine eine Kunstprosa aus, die Einspruch gegen Hegel erhebt und das Fortleben nicht mehr schöner Kunst in Gestalt moderner oder realistischer Kunst verbürgt. Ob Heine seiner Hegel-Bewunderung zum Trotz als Kronzeuge neuer, moderner Kunst gelten darf, sei dahingestellt. Eine Entscheidung darüber hinge nicht zuletzt von dem an ihn angelegten Modernebegriff ab. Der geläufige - mit Heine als Übergang - zeugt jedenfalls 'contre coeur' vom Rechtfertigungszwang, den Hegels Diktum zumindest auf Literarhistoriker immer noch ausübt. Doch nur bedingt kann Heine ihren Absichten dienlich sein. Dass er selbst, trotz gelegentlich ausgedrückter Hoffnungen, denen zufolge "die neue Zeit […] auch eine neue Kunst gebären […], sogar eine neue Technik" hervorbringen würde, doch eher pessimistisch in die Zukunft des "greisen Europa" sah und die Frage zu bejahen geneigt war, die er am Ende des Berichts über die Gemäldeausstellung von sich wies: "Oder hat es überhaupt mit der Kunst und mit der Welt selbst ein trübseliges Ende?", soll im Folgenden als ein Aspekt seiner Formel vom Ende der Kunstperiode erhellt werden.
Wer dieser verschollenen Randfigur der Literatur des 19. Jahrhunderts nachspüren will, wird Mühe haben. Einschlägige deutsche Lexika widmen ihr keine Zeile, und ihr Name wird nur in älteren französischen Nachschlagewerken überliefert, die allerdings die wohl unvermeidlichen Lücken und Fehler aufweisen. Die trockenen Fakten deuten ihre Verdienste kaum an, und die Tatsache, dass sie in Frankreich posthum zu
einer Steadyseller-Autorin wurde, zwar nicht mit eigenen Werken, sondern mit Übersetzungen, ist nicht zu erkennen.
Der Versuch, dieser Randfigur Relief zu verleihen, muss infolge mangelnder Vorarbeiten und der wenigen entdeckten Quellen ein Unterfangen bleiben, das vorerst kein erschöpfendes Ergebnis zeitigen kann, eher ein Provisorium, das vielleicht zu weiterer Forschung anreizt.
Da Frankreich und dessen jüngste Geschichte für Börne mehr bedeuteten als ein Motiv seines schriftstellerischen Interesses und seiner Lebenswelt unter anderen, weil ihm sowohl Frankreich wie Deutschland, ob ausgesprochen oder latent, Welt und Gegenwelt waren, in denen sich Existenz wie Denken abspielten und abspiegelten, kann in diesem Rahmen nur auf wenige Facetten seines Schreibens eingegangen werden. Es wird sich daher im Wesentlichen um die Rolle handeln, die Frankreich und besonders Paris für seine Arbeit als Journalist und als Zeithistoriker
wie für den Ansatz seines geschichtsphilosophischen Denkens überhaupt gespielt haben.
Deutsch-französische Erfahrungen und/oder Erfindungen :
Heines Besucher in Paris von 1831 bis 1848
(2003)
Überlegungen, die sich einem der bedeutendsten Kapitel der Beziehung zwischen der deutschen und französischen Literatur widmen, können an der Gestalt und dem Werk Heinrich Heines nicht vorbei gehen. Oft genug gibt er gar das Modell ab für politische und soziale Funktionen der Literatur in ihrer die Grenzen überschreitenden Möglichkeit. Heine selbst liefert dafür immer wieder Beispiele der Vermittlung in unterschiedlichster Weise. Den Franzosen die deutsche Eigenart wie Geisteswelt und den Deutschen die künstlerischen, intellektuellen wie revolutionären Errungenschaften der Franzosen nahe zu bringen, betrachtete er als Lebensaufgabe seiner letzten 25 Jahre von 1831 bis 1856, die er in Frankreich bzw. Paris verbracht hat.
Rezension zu Anne Maximiliane Jäger: "Besaß auch in Spanien manch' luftiges Schloß". Spanien im Werk Heinrich Heines (Heine-Studien). Stuttgart und Weimar: Metzler, 1999.
Kai Neubauer: Heinrich Heines heroische Leidenschaften. Anthropologie der Sinnlichkeit von Bruno bis Feuerbach (Heine-Studien). Stuttgart und Weimar: Metzler, 2000.
Rezension zu Theodor Fontane und Wilhelm Wolfsohn - eine interkulturelle Beziehung. Briefe, Dokumente, Reflexionen. Hg. von Hanna Delf von Wolzogen u. Itta Shedletzky. Bearb. von Hanna Delf von Wolzogen, Christine Hehle u. Ingolf Schwan. Tübingen: Mohr Siebeck, 2006. XXVI, 548 S. (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts. 71).
Georg Büchners Übertragungen hatten keine dokumentierten Wirkungen, was vor allem daran lag, dass Hugos Theaterstücke nach 1835 in Deutschland zunehmend auf Ablehnung stießen. Vorher waren sie in etlichen Einzelübersetzungen erschienen, nachher interessierte sich kaum noch jemand dafür. Büchners Übersetzungen kamen also zu spät. Immerhin sind sie seit der Ausgabe von Fritz Bergemann (1922) wiederholt in Büchner-Gesamtausgaben abgedruckt worden, nämlich in der von Werner R. Lehmann (Bd. 1, 1967), als Faksimile in der von Thomas Michael Mayer (Bd. 5, 1987), sodann in der von Henri Poschmann (Bd. 1, 1992) und zuletzt in Band 4 der historisch-kritischen "Marburger Ausgabe", der im Frühjahr 2007 erschien. [...] Der Kommentar der "Marburger Ausgabe" kontextualisiert Büchners Übersetzung konsequent, und zwar sowohl mit den konkurrierenden Übersetzungen seiner Zeit, als auch mit den seinerzeitigen Möglichkeiten des literarischen Ausdrucks. Beides kann Rückwirkungen auf die Textkonstitution haben.
Adolf Ellissen (1815-1872) hat Montesquieus "Esprit des Lois", der 1748 in Genf erschienen war, in den Jahren 1843-1844 ins Deutsche übertragen, als sich in seiner Heimat Hannover die 'schwärzeste Reaktion' erhoben hatte. Konnte er damit das Denken der Aufklärung in die demokratischen Bemühungen des 19. Jahrhunderts übertragen? Gibt es Ideen aus dem achtzehnten Jahrhundert, die immer wieder und auch lange noch nach dem ehrenvollen Scheitern des Frankfurter Projekts Kontroversen in der politischen Welt auslösten, weil sie von seinerzeit Gedachtem und Geschriebenem auf Unerwartetes und Ungedachtes führten?
Der deutsche Theateragent und eifrige Übersetzer Heinrich Börnstein verteidigt in seinen Memoiren seine eigene intensive Übersetzungstätigkeit, in dem er darauf hinweist, dass das Übersetzen fremder Literatur immer schon ein wichtiges Merkmal der deutschen Literatur gewesen war. [...] Einer seiner fleißigsten Übersetzerkollegen war der Österreicher Ignaz Franz Castelli. Nur durch die Tätigkeit dieser Übersetzer und Bearbeiter konnte die französische Literatur, insbesondere die französischen Theaterstücke, derart intensiv im deutschsprachigen Raum rezipiert werden. [...] Die Texte wurden in der Regel den österreichischen Gegebenheiten angepasst um einen möglichst großen Erfolg verbuchen zu können, da das Publikum die oberste Instanz im Theaterleben des 19. Jahrhunderts war. [...] Die französischen Stücke mussten verändert, an die österreichischen Verhältnisse adaptiert und aktualisiert werden. Ruprecht spricht in diesem Zusammenhang sehr treffend von einer "'Verpflanzung' dieser Stücke auf ein deutsches Wirkungsfeld". Durch diese mitunter massiven Eingriffe in den originalen Text der Vorlage werden die Übergänge zwischen Eigenem und Fremden fließend und das Original wird verwendet, um über eigene schriftstellerische Fehlleistungen hinwegzutäuschen. Castelli war sich der Problematik seiner Rolle als Übersetzer nur begrenzt bewusst und hatte vor allem auf dramatischem Gebiet nicht viel wirklich Eigenständiges geschaffen. Überraschenderweise versucht er diesen Missstand nicht zu verdecken, da er selbst in seinen Memoiren ein Verzeichnis über seine Bearbeitungen und Übersetzungen anbietet. Man mag in all seinen Werken eine gewisse Mittelmäßigkeit feststellen, man mag ihm seine politische Orientierungslosigkeit und das Fehlen jeglicher sozialer Ideen vorwerfen. Die minimale Produktion an eigenen Werken wird aufgewogen durch seine rege Tätigkeit als Übersetzer und Bearbeiter. Obwohl Castelli in der heutigen Zeit eher in Vergessenheit geraten ist, darf man doch seine Leistung als Übersetzer und dadurch als Vermittler französischer Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht vergessen. Auch wenn das Übersetzergeschäft zu Castellis Zeit keine elitäre, gesellschaftlich hochangesehene Tätigkeit war und prinzipiell auf massenhafte Verbreitung und Befriedigung kommerzieller Bedürfnisse ausgerichtet war, so wurden durch die Tätigkeit des Übersetzens und Bearbeitens auch wichtige Ideen der nachbarschaftlichen Länder nach Österreich transportiert, wenngleich auch in veränderter, oft zensurgeschichtlich bedingt abgeschwächter Form.
Der literarische Horizont des Vormärz ist gezeichnet von den Spannungen zwischen Nationalismus und Universalismus (oder Patriotismus und Kosmopolitismus), die sich vielfach auf das Verhältnis zur Sprache, der eigenen wie die der anderen, ausgewirkt haben. Auch Börnes schriftstellerische Biographie spiegelt den Reflex dieser Spannungen und bestimmt nicht zuletzt sein Verhältnis zum Geschäft des Übersetzens. Es geht also um einen besonderen Aspekt des Kulturtransfers, genauer gesagt um eine funktionelle Methode kultureller Interaktion. Gerade in diesem Bereich ist Börne in verschiedener Weise hervorgetreten: als Sprach-, Literatur- und Übersetzungskritiker ebenso wie als eigentlicher Übersetzer. Man wird ausgehen müssen vom Problem der Sprache überhaupt, Sprache im kulturellen wie im nationalen Kontext. Börnes kritischer Massstab erweist sich als flexibel je nach Textsorte und Zielpublikum. Da die Schwerpunkte seiner schriftstellerischen Vita wesentlich von den Wechselfällen der politischen Geschichte im engen regionalen wie im weltgeschichtlichen Umfeld abhängig waren, wird auch im Folgenden der Schwerpunktwechsel zu berücksichtigen sein.
Die starke Expansion des deutschen Buchhandels ab etwa 1820 stellte an das Übersetzungswesen neue Anforderungen: Übersetzungen fiel nun die Aufgabe zu, den Buchmarkt mit Belletristik, vor allem mit Romanen sowie Beiträgen für Taschenbücher und Zeitschriften zu versorgen. Einige wichtige Faktoren dieser Entwicklung können hier nur stichwortartig aufgezählt werden: neue Leserschichten vergrößerten das Publikum, das nun eine anonyme lesende Öffentlichkeit bildete; die evasorische und kompensatorische Funktion der Lektüre trat in zunehmendem Maße neben das ältere Lesemotiv der Bildung; die Leihbibliotheken boten sich als größtenteils billige Bezugsquelle für Romanliteratur an und erlebten in der Restauration ihre Blütezeit; der Buchhandel trug seinen Teil zu dieser Entwicklung bei, indem er - unter Ausnützung der technischen Innovationen, die es ermöglichten, in kurzer Zeit große Auflagen herzustellen - billige Romanreihen produzierte, von denen einige ausschließlich der Übersetzungsliteratur vorbehalten waren. Ein zweiter literarischer Sektor, der für starke Nachfrage nach Übersetzungen sorgte, war das Theater.
Rezension zu Sebastian Böhmer: Fingierte Authentizität. Literarische Welt- und Selbstdarstellung im Werk des Fürsten Pückler-Muskau am Beispiel seines "Südöstlichen Bildersaals". Hildesheim: Olms, 2007 ; Ulf Jacob: "Ich möchte manchmal ganz sehnlich, ich wäre todt." Andeutungen über das Melancholische in Hermann Fürst von Pückler-Muskaus Persönlichkeit und künstlerischem Werk. In: Edition Branitz, 1999. Bd. 4, S. 110-128 ; Ulf Jacob: Pückler-Diskurs im Werden. Neue Veröffentlichungen über Hermann Fürst von Pückler-Muskau. In: kunsttexte.de 4/2007-1.
Albert Dulk (1819-1884) war ein rebellischer Student der Chemie aus Königsberg, der während seines Studiums in seiner Heimatstadt und in Breslau, Berlin und Leipzig in den 1840er Jahren an den politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit engagiert teilnahm und sich 1849 vor einem "Scherbenhaufen enttäuschter Hoffnungen" sah. Dulk verließ am 30. Mai 1849 Königsberg, um sich nach längeren Fußreisen durch Österreich und Italien am Ende des Jahres nach Ägypten einzuschiffen. [...] Sein eigener Selbstfindungs-Prozess, um den es Dulk auf seiner Ägyptenreise gegangen war, hat zum einen in der Verankerung seiner Religionskritik im Denken der Aufklärung seinen Niederschlag gefunden, ihn aber zum anderen direkt auf das weite Feld des Darwinismus und der Anwendung der darwinistischen Theorien auf die menschliche Gesellschaft geführt. [...] Hier verbindet sich Dulks vor- und nachmärzliches Denken, aber er verfehlt zugleich eine gedankliche Eindeutigkeit, die die Klärung und den Durchbruch seiner Ideen hätte fördern können. In seinem Konzept von der "Kindheit der Menschheit" nimmt er dabei - vor dem Hintergrund seiner politischen Ideen für unsere heutige Wahrnehmung erstaunlich unbefangen, aber sonst zeittypisch - eine Überlegenheit der Europäer über die zeitgenössischen Ägypter als gegeben an und kommt zugleich in Bezug auf die altägyptische Kunst zu ganz eigenständigen und originellen Ansätzen, die so erst wieder am Ende des 20. Jahrhunderts diskutiert wurden. Dulk kann als ein Beispiel dafür stehen, wie sich die darwinistischen Ideen im europäischen Denken durchsetzten und aus den hier untersuchten Schriften lässt sich ersehen, wie sich dieser Prozess bei jemanden vollzog, der nach eigener Wahrnehmung seinen vormärzlichen politischen Idealen treu geblieben war.
Dieser Beitrag soll aufzeigen, dass auch gerade reisende Frauen wie Ida Hahn-Hahn mit ihren Städtedarstellungen zu einem nicht zu übersehenden Teil den Orientdiskurs mitprägten. Europäische Reisende haben schließlich den größten Teil der Palette, aus der sich deren Orientbild zusammensetzte, in Städten erlebt: Residenzen, den Harem, Moscheen, Bazare, Cafés, Bäder, Sklavenmärkte, Gitterfenster und verschleierte Frauen. Besonders auffallend an Hahn-Hahns "Orientalische[n] Briefe[n]" ist dabei ihre häufige Gegenüberstellung zwischen Illusion und Desillusion oder kreierter Vorstellung und erlebter Wirklichkeit. Diese Strategie soll hier als Leitfaden beziehungsweise Untersuchungsmethode für die Vermittlung ihres spezifisch urbanen Orientdiskurses dienen.
Karl Nauwerck in Sizilien : eine Edition zweier früher sozialkritischer Bildungsreiseberichte
(2009)
Die vorliegenden Dokumente "Palermos Bettler" und "Wahnsinn aus Katania" sind sozialkritische literarische Genrebilder. Sie hatte Nauwerck nach der Rückkehr von seiner Italienreise ins väterliche Haus in Neustrelitz (31. März 1835) angefertigt. Diese Reise, die er am 17. Juli 1834 angetreten hatte, war offenbar der 'Lohn' für seine Promotion in Halle am 5. Juli 1834. Vermutlich beabsichtigte er eine Veröffentlichung der Skizzen. Erhalten blieben sie in seiner "Großen Aphorismensammlung" in seinem Nachlaß, die er unter dem Titel "Allerlei. Eigenes und Fremdes" ganz offensichtlich zu einer - dann allerdings nicht realisierten - Publikation vorbereitet und seiner Frau Julie gewidmet hatte. Darin hatte er alle jene Sentenzen aus seinem publizierten und nichtveröffentlichtem Lebenswerk, seinen Briefen, verlorenen Tagebüchern und anderen von ihm für wichtig gehaltenen Äußerungen zusammengetragen, unter anderem eben auch diverse frühe Schreibversuche. Beide Texte beweisen im Unterschied zur modischen antiklassischen Kritik an der angeblichen Italienschwärmerei ein 'echtes' soziales Engagement. Nauwerck geißelt die elenden gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die Armen, Mühseligen, die untersten Schichten im zerfallenden spätfeudalen System des italienischen Südens und Siziliens leben müssen.
Vieles an Paolis sechsmonatigem Aufenthalt in Venedig und Florenz im Jahr 1846 war typisch für die vormärzliche Bildungsreise, die kleine Italientour. Auch für die Schriftstellerin war es die Reise an einen Sehnsuchtsort, an einen Ort der klassischen Bildung durch Anschauung. Auch für Paoli war es, wie für so viele in der Nachfolge der Goetheschen Italienreise, eine Möglichkeit, sich ihres Selbstverständnisses als Künstlerin zu vergewissern. Und wie für ihre literarischen Vorbilder Byron und Platen führte auch für Paoli "die Begegnung mit Venedig zu einer Konfrontation mit dem eigenen Ich", einer Konfrontation, die sich in ihrem literarischen Werk widerspiegelt.
In diesem Beitrag sollen Aspekte des Zusammenhangs von Gender und Nation in Reisetexten von Frauen über England im Mittelpunkt stehen. Als Beispiele werden Fanny Lewalds "England und Schottland" (1851/52) und Emma Niendorfs "Aus London" (1855) daher daraufhin untersucht, inwieweit in diesen Texten Konzepte von nationaler Identität aus weiblicher Perspektive erkennbar sind. Dabei geht es vor allem um die Gesellschaftsentwürfe und die darin erkennbaren Bestimmungen der gesellschaftlichen Rolle des Weiblichen. Ein besonderes Augenmerk gilt daher der Frage, wie die Autorinnen den Ort der Frauen in der englischen Gesellschaft bestimmen und welche Rückschlüsse sich aus diesem Vergleich für die Konstruktion einer deutschen, weiblichen Identität ziehen lassen.
This essay focuses on Malwida von Meysenbug's (1816-1903) rebellious 'travel diary' entitled "Eine Reise nach Ostende" (1849) and her 'extravagant' travels to the Belgian seaside resort, which she undertook together with her girlfriends Anna Koppe and Elisabeth Althaus during June and July 1849. This text, which was written during the late summer and early autumn of 1949 and published posthumously in 1905 by Gabriel Monod, is both a very personal, almost intimate representation of the failing revolution and a performance of transgression by an unmarried 33-year old female member of the lower ranks of aristocracy.
Das eigentliche Spezifikum von Therese von Bacherachts Texten ist darin zu suchen, dass sie den Reisebericht vornehmlich zur Thematisierung von Innerlichkeit nützt, ihn also als Gattung einsetzt, die eine öffentliche Auseinandersetzung mit und Reflexion der eigenen Befindlichkeit ermöglicht. Ihre Texte zielen weniger auf Beschreibung der Reise selbst, sondern vielmehr auf Darstellung und Auseinandersetzung mit weiblicher Subjektivität. [...] Aufgrund der Dominanz des subjektiven Anteils zerfallen Bacherachts Texte bisweilen nachgerade in zwei inhaltliche Ebenen oder Teile. Dabei tritt gegenüber den ausführlichen Erkundungen der eigenen Emotionen, die mit Reflexionen über das Leben, die Vergänglichkeit allen Glücks und die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens verbunden sind, die Beschreibung der eigentlichen Reise in den Hintergrund. Diese Ausrichtung der Texte auf eine gefühlsbetonte Thematisierung von Subjektivität ist der Forschung oft genug Anlass und Argument für deren Abwertung als pathetisch. In dem vorliegenden Aufsatz soll dagegen der sentimentale Anteil der Texte in seinen vielschichtigen Funktionen ernst genommen und analysiert werden. Im Folgenden wird, nachdem kurz die Bedeutung sozialer Fragen in Bacherachts Reiseberichten untersucht wurde, vor allem auf diesen Aspekt weiblicher Selbstdarstellung und die damit einhergehende besondere Tonlage eingegangen werden.
Die skandalumwitterte und erfolgreiche Schriftstellerin Ida Gräfin Hahn-Hahn (1805-1880) war ihr Leben lang auf Reisen; sie war im ständigen Grenzenüberqueren zu Hause. In ihren Romanen und Reiseberichten hat sie Spiegelbilder ihrer eignen Seele und ihrer Zeit entworfen. "Ich reise, um zu leben" hat sie behauptet und sich damit ein wesentliches Motiv ihres Daseins bewußt gemacht. - Angesichts ihres ungewöhnlichen Lebenslaufs und ihrer unzähligen vorübergehenden Aufenthalte an unterschiedlichsten Orten ist man gleichwohl verblüfft und fühlt sich angehalten, wirkliche Erklärungen zu finden. Persönliche Sinnsuche scheint in diesem Fall ein lebenslänglicher Leitfaden gewesen zu sein. Die biographischen Hintergründe der Hahn-Hahnschen Reiselust liefern den Beleg.
Dieser Aufsatz leistet einen Beitrag zur Erforschung des Reisehandbuchs von weiblichen Autorinnen. Spezifisch bezieht sich Karin Baumgartner auf das Werk von Helmina von Chézy, die zwischen 1816 und 1833 zwei Reisehandbücher herausgab. Zur Diskussion steht hier die These von Irmgard Scheitler, die sagt, dass Reiseliteratur von Frauen das weibliche Schreiben thematisiert und als ein autobiographisches Dokument mit hohem Authentizitätsanspruch gelesen werden muss. Die Reisehandbücher Chézys widerlegen eine solche These jedoch, da es sich bei diesen um Auftragsarbeiten handelt, die vor allem aus finanziellen Gründen geschrieben wurden und die Autorin als professionelle Schriftstellerin zeigen. Die subjektiven Erfahrungen, die in Chézys Reisehandbüchern prominent verarbeitet werden, haben nicht die Aufgabe das eigene weibliche Schreiben zu thematisieren, sondern erlauben dem Leser eine authentisch-individuelle Reiseerfahrung durch die Identifikation mit der Erzählerstimme. Die Reisehandbücher Chézys lehren den Leser, eine präformierte als eine subjektive Erfahrung zu erleben und tragen damit zu einer radikalen Abwendung der Gattung von der Apodemik - und zu deren Modernisierung - bei.
In Louise Astons Roman "Revolution und Contrerevolution" steht die Eisenbahn als Metapher für die revolutionären Hoffnungen von 1848. Das langgezogene Pfeifen kündigt nicht nur den Zug, sondern auch die anrollende, unaufhaltsame Revolution an. Die ganze Erzählung hat das neue Tempo der Eisenbahn, das der 'aus dem Rahmen gefallenen', revolutionären Zeit entspricht: Die Information über die ausgebrochene Revolution wird von den Protagonisten wie selbstverständlich durch ihre rasche Eisenbahnreise weitergereicht. Die Geschwindigkeit der Eisenbahn bietet einen Vorsprung, der mit der politischen Beschleunigung, d.h. mit den revolutionären Ereignissen korrespondiert. Louise Aston inszeniert die Eisenbahn an den revolutionsentscheidenden Orten: die räumliche Geschlossenheit der Orte wird aufgehoben - die Revolution breitet sich überall hin aus. Die Zwischenräume zwischen den revolutionären Zentren Wien, Berlin und Frankfurt schnurren durch die Zugreise zusammen. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Eisenbahn als Motiv im Roman inszeniert wird, spiegelt die Hoffnung der Autorin, dass die neue Mobilität auch gesellschaftliche Neuerungen und Freiheiten mit sich bringt.
Rezension zu Monica Klaus: Johanna Kinkel, Romantik und Revolution. (Europäische Komponistinnen, Bd. 7.) Köln / Weimar / Wien: Böhlau, 2008. Liebe treue Johanna! Liebster Gottit! Der Briefwechsel zwischen Gottfried und Johanna Kinkel 1840‑1858. Bearbeitet von Monica Klaus. 3 Bände. (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn, Bde. 67, 68 und 69.) Bonn: Stadt Bonn, 2008.
Rezension zu Christoph Suin de Boutemard (Hg.): Band 1: Heinrich Albert Oppermann. Zivilgesellschaftliches Handeln in historischer und aktueller Perspektive. St. Ingbert: Röhrig, 2007. Band 2: "Von Deutschen überhaupt". Mentalitätswandel zwischen aufklärerischem Kosmopolitismus und Nationalismus. St. Ingbert: Röhrig, 2009.
Dass der den industriellen Fortschritt und ganz besonders das noch in den Kinderschuhen stehende Eisenbahnwesen emphatisch begrüßende Börne im Rahmen des Jahrbuchs 2008 kaum Erwähnung gefunden hat, dürfte nicht zuletzt auf das totale Ignorieren seines Namens in Wolfgang Schivelbuschs "Geschichte der Eisenbahnreise" zurückzuführen sein, des Referenzwerks verschiedener Beiträger dieses Jahrbuchs. Diese Lücke wenigstens ansatzweise auszufüllen, gilt der folgende Versuch.
Rezensionen zu 1) Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. Roman in neun Büchern. 3 Bde. Hg. Thomas Neumann. Materialien. Hg. Adrian Hummel, Thomas Neumann. Frankfurt/M.: Zweitausendeins, 1998. (Haidnische Alterthümer. Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Hg. Hans-Michael Bock)und 2)Karl Ferdinand Gutzkow: Schriften. Band 1: Politisch-Zeitkritisches, Philosophisch-Weltanschauliches. Hg. Adrian Hummel. Band 2: Literaturkritisch-Publizistisches, Autobiographisch-Itinerarisches. Hg. Adrian Hummel. - Materialien. Hg. Adrian Hummel, Thomas Neumann. Frankfurt/M.: 2001, 1998. (Haidnische Alterthümer. Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Hg. Hans-Michael Bock)
Von grundsätzlicher Bedeutung für die Unterschiede zwischen Journal- und Buchfassung ist die Tatsache, dass Weerth urprünglich nicht geplant hatte, den Schnapphahnski zu einem umfangreichen Feuilletonroman auszuarbeiten. Vorgesehen war zunächst etwa ein Umfang, vergleichbar dem seiner übrigen Feuilletonserien. Im folgenden sollen die Veränderungen zwischen Journal- und Buchfassung herausgearbeitet werden, Streichungen bzw. Überarbeitungen sollen anhand ausgewählter Beispiele vorgestellt werden.
Christoph Schmitt-Maaß beschreibt, dass vor dem Hintergrund der Ideen der historischen Rechtsschule und der Studien der Brüder Grimm eine spezifische Poetologie im Gefüge von Rechtsgeschichte, Sprachwissenschaft und Nationalliteratur entsteht, die für die Herausbildung der 'Kulturnation' eine wichtige Bedeutung zukomme. Die Durchdringung von Rechts-, Wissenschafts- und Dichtersprache erweise sich an einem Kulminationspunkt der deutschen Geschichte als bewusstseinsstiftend, insofern sich noch viele Vormärzschriftsteller im Kontext von Recht, Sprache und Poesie auf von Savigny bezögen und dessen Poetologie fortschrieben, auch wenn sie längst zur Chiffre geworden sei. Schmitt-Maaß illustriert diese Wirkungsgeschichte von Savignys und der Brüder Grimm am Beispiel von Heinrich Heine und Hoffmann von Fallersleben. Während Heine eine kritische Distanz zu den rechtshistorischen Positionen der historischen Rechtsschule einnehme, begreife Hoffmann von Fallersleben, dessen liberale Auffassungen eng mit der mittelalterlichen Literatur, etwa Walthers von der Vogelweide, in Verbindung gesetzt würden, die Aufgabe von Dichtung als Politik, die sich aus der Gemeinsamkeit von Recht und Poesie im 'germanischen' Altertum ergebe. Schmitt-Maaß weist nach, wie Literatur, Literaturgeschichtsschreibung und Jurisprudenz im Vormärz zusammentreten.
Peter Rippmann zeigt, wie Jeremias Gotthelf die irdische Jurisprudenz diskreditiert, um eine göttliche Gerechtigkeit zu inthronisieren. Gotthelf, der die zunehmende politische Radikalisierung des öffentlichen Lebens als verhängnisvoll für eine christlich definierte Gesellschaft verstand, nutzte die Kritik an den Rechtsinstanzen, die er in seinen literarischen Texten nicht selten in auktorialen Kommentaren deutlich formulierte, um eine alternative Gerechtigkeitsvorstellung zu empfehlen. Gotthelfs christliche Ansichten verbinden sich mit konservativen kriminalpolitischen Ansichten, die etwa in die Befürwortung der Todesstrafe münden. Über die Kritik strafrechtlicher Entscheidungen hinaus moniert er das Versagen juristischer Institutionen, etwa des Richterstandes, und die Mängel in der Rechtspraxis und stellt gar die Zuständigkeit weltlicher rechtlicher Instanzen in Frage, die nicht ihre Grundssätze im höchsten göttlichen Richter fänden. Nichtsdestotrotz verhandelt Gotthelf in seiner Rechtskritik auch konkrete Probleme, etwa im Bereich des Erbrechts und der Verdingkinder.
Barbara Tumfart beschäftigt sich mit den literarischen Verhandlungen des Raubmordes des polnischen Adligen Severin von Jaroszynski am Geistlichen Johann Conrad Blank in Wien. Die der Untersuchung zugrunde gelegten Texte von Adolph Bäuerle und Carl Haffner bieten allen voran eine sensationslüsterne Darstellung des Verbrechens und fokussieren auch das Privatleben der Wiener Schauspielerin Therese Krones, die mit Jaroszynski befreundet war. Die Schilderung eines Verbrechens entwickelt sich in diesen Texten zu einer skandalösen Geschichte aus dem Milieu des Theaters. Die in den Texten offensichtlichen Mythisierungsstrategien folgen den ästhetischen Prämissen der Unterhaltungsliteratur. Dass die Geschehnisse aufgegriffen werden, belegt andererseits auch, dass die Verkündigung des Urteils und die Hinrichtung Jaroszynskis durch Erhängen an der Spinnerin am Kreuz ein vielbeachtetes gesellschaftliches Ereignis war, das eben auch Eingang in die Unterhaltungsliteratur fand.
Holger Steinberg und Sebastian Schmideler stellen zum Fall Woyzeck die Gutachten und die Urfassungen der beiden Todesurteile des Schöppenstuhls, die wichtigste juristische und medizinische Diskussionsgrundlage des gesamten Prozesses, vor. Die Todesurteile sowie die Gutachten, darunter jenes des Stadtphysikus' Johann Christian August Clarus, werden medizin- und insbesondere psychiatriehistorisch eingeordnet. Bemerkenswert ist das Sondervotum des Kronprätendenten Friedrich August von Sachsen, der Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit Woyzecks hegt und die Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Zuchthausstrafe fordert. Schließlich wird das im Prozess entscheidende Dokument, das bis vor kurzem verschollen geglaubte, aber in einer Abschrift in der Universität Leipzig Gutachten der Medizinischen Fakultät diskutiert. Die beschriebenen Dokumente geben Einsicht in die Diskussion um das Verhältnis von Recht, Publizistik/Literatur und Gesellschaft in den 1820er Jahren - löste der Fall Woyzeck doch eine von der medizinischen, juristischen und politischen Fachöffentlichkeit heftig geführte gesellschaftliche Debatte aus, zu deren Rekonstruktion die im Beitrag stattfindende Darstellung der Archivmaterialien beiträgt.
Rezension zu Georg Herwegh: Werke und Briefe. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe. Hg. von Ingrid Pepperle in Verbindung mit Volker Giel, Heinz Pepperle, Norbert Rothe und Hendrik Stein. Band 5: Briefe 1832-1848. Bearbeitet von Ingrid Pepperle. Bielefeld: Aisthesis, 2005. Band 6: Briefe 1849-1875. Bearbeitet von Ingrid und Heinz Pepperle. Bielefeld: Aisthesis, 2010.
Das Findenkönnen ist dem Seindürfen verwandt; wo die kulturelle Überformung das Einzelphänomen nur als Bejahung seiner strukturgebenden Funktionen zuläßt, schließt sich das persönliche Detail von den Ausdrucksmitteln ab, in denen es zu sich kommen könnte. Daß Detailerkenntnis nicht mehr Naherkenntnis ist, sondern das Detail den Betrachter gleichsam blind anschaut, läßt sich auf die Möglichkeit übertragen, den Lebensentwurf der Dichterin des Vormärz zu beschreiben: Fanny Lewalds Roman "Jenny" (1843/1872) kann von seiner Protagonistin nicht bruchlos reden, weil die sprachliche Ausdrucksform ihre Brüche dem Verständigungszweck unter ordnet. Sprachliche Kommunikation, die erscheint, hängt dem Störungsfreien an; die unvermeidlichen Mißverständnisse und Fehldeutungen der Sprachbenutzer scheinen zu den gelingenden Kommunikationssituationen nur als Ausnahmen zugelassen zu sein. In diese Situation hinein versucht die Vormärz-Autorin zu sprechen. Ihre Worte suchen einen Ort, den es nicht gibt, den sie schreibend konstituieren muß und doch in dem Wissen, daß keine Reaktionen des etablierten Gefüges ihr freundlich antworten werden. In doppelter Außenseiterposition, als Frau und Jüdin, hängen an ihrer Sprache Wünsche: nach Festigkeit des Ausdrucks, dem Gehörtwerden, dem Blick, der versteht.
Sealsfields Mobilität, die ihn zwischen 1823 und 1858 viermal zwischen den Kontinenten pendeln lässt, rhythmisiert sein Leben und Arbeiten. Sie ist die Voraussetzung seiner transatlantischen Doppelperspektive, übernationalen Geschichtssicht wie international wirksamen publizistischen Vorgehensweise und liefert die Zäsuren für ein Agieren, das in zwei Phasen erfolgt, abhängig vom Wohnsitz in den USA und in Europa. Daran orientieren sich die nachfolgenden Ausführungen. Deren Ziel ist es an Hand der Buchveröffentlichungen zu erläutern, wie Sealsfield für seine innovative Schreib- und internationalisierte Vermarktungsstrategie potente Verlage als nützliche Dienstleister funktionalisiert und so das engagierte Erzählkonzept für die Selbstorganisation im literarsozialen Gefüge des Vormärz umsetzt.
"… einen bleibenden Verleger" : Notizen zur Ausgabe der "Schriften" von Karl Leberecht Immermann
(2011)
Karl Leberecht Immermanns parallel zu der juristischen Laufbahn verfolgte schriftstellerische Karriere war bereits in ihren Anfängen von der Schwierigkeit geprägt, eine verlässliche Verleger-Beziehung aufzubauen. Mit dem sicheren Blick für die nicht nur ökonomische Bedeutung einer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit einem Verlagshaus benannte Julius Campe, in dessen Verlag ebenfalls einzelne Schriften Immermanns erschienen sind, diese Problematik bereits im Jahr 1826.
Die "historische Bedingtheit" ist nicht nur ein Charakteristikum der Texte Anastasius Grüns, sondern ließe sich auf die Beschäftigung mit der Literatur des österreichischen Vormärz insgesamt übertragen. Die politisch engagierte Literatur zwischen 1830 und 1848 ist dieser "historischen Bedingtheit" vielfach zum Opfer gefallen, und selbst innerhalb der Literaturwissenschaft sind zahlreiche dieser politischen Schriftsteller vollständig vergessen. Setzt man sich diesem Verdikt entgegen, stößt man auf eine ganze Reihe von Schriftstellern österreichischer Provenienz, die zwischen 1830 und 1848 aktiv - und zumeist aus dem Exil - gegen die Metternich'sche Restauration anschrieben. Exemplarisch richtet Andreas Macho in diesem Beitrag auf einen von ihnen den Fokus. Nicht weil seine Schriften mustergültig wären, sondern weil die verwendeten Formen und Themen tiefe Einblicke in den Buchmarkt und die Publikationsbedingungen im österreichischen Vormärz geben. Und auch die Vita des dargestellten Schriftstellers verdeutlicht die Produktionsbedingungen von Literatur unter einem System restriktiver Zensur und Überwachung, wie Österreich sie für den gesamten Deutschen Bund vorbildlich praktizierte.
Andreas Feuchte: Hermann Franck (1802-1855). Persönlichkeit zwischen Philosophie, Politik und Kunst im Vormärz.(Forschungen zum Junghegelianismus. Quellenkunde, Umkreisforschung, Theorie, Wirkungsgeschichte. Herausgegeben von Konrad Feilchenfeldt und Lars Lambrecht). Frankfurt am Main, Berlin, Bern: Peter Lang, 1998.
Büchner, Georg: Sämtliche Werke und Schriften: Historisch-kritische Ausgabe mit Quellendokumentation und Kommentar (Marburger Ausgabe)/im Auftr. d. Akad. d. Wiss. u. Lit., Mainz, hrsg. von Burghard Dedner und Thomas Michael Mayer. Bd. 3: Dantons Tod. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft, 2000. 3.1 Text/bearb. von Thomas Michael Mayer. V, 511 S.: 167 Faks. 3.2 Text [Forts.], Editionsbericht/bearb. von Burghard Dedner und Thomas Michael Mayer. V, 378 S. 3.3 Historische Quellen/bearb. von Burghard Dedner, Thomas Michael Mayer und Eva-Maria Vering. VI, 467 S. 3.4 Erläuterungen/bearb. von Burghard Dedner unter Mitarb. von Eva-Maria Vering und Werner Weiland. V, 251 S.
Eine neuere biographische Arbeit über den vielseitigen Gelehrten und Staatsmann Christian Carl Josias Bunsen ist seit langem ein Desiderat. Obgleich er zusammen mit seinen Weggefährten Barthold Georg Niebuhr und Alexander von Humboldt zu den universellen Geistern des deutschen Kultur- und Geisteslebens gezählt werden kann, die einen europäischen Horizont besaßen, hat es bisher nur wenig Ansätze für eine nähere biographische Beschäftigung gegeben. Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Kurzbericht über eine Untersuchung, die als Dissertation 1999 in Marburg angenommen wurde.
Mit Nachdruck hat der österreichische Dichter Nikolaus Lenau 1833 die Vorstellung zurückgewiesen, nach Goethe ließe sich keine Faust-Dichtung mehr schreiben, der Stoff habe in Goethes Werk seine letzt-, weil mustergültige Gestaltung gefunden. Der kategorische Ton, mit dem Lenau nur ein Jahr, nachdem der nachgelassene zweite Teil des Goetheschen 'Faust' erschienen war, damit das Projekt einer eigenen Faust-Bearbeitung verteidigt, dient der Klärung von Differenz; er ist dem Bemühen geschuldet, die ästhetische Autonomie des noch im Entstehen begriffenen eigenen Textes gegen den zu erwartenden Vorwurf des Nachzeitigen und Epigonalen zu verteidigen, kurz: das Besondere im scheinbar Vertrauten oder Ähnlichen des Sujets, die eigene, von Goethe abweichende Auffassungsweise des Stoffs ins rechte Licht zu rücken.
Seit dem Herbst 1997 ist eine kommentierte Ausgabe von Karl Gutzkows Werken und Briefen im Entstehen begriffen, die die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet elektronischer Textverarbeitung nutzen wird. Der vorliegende Beitrag ist ein Aufruf an alle Interessierten im Forum Vormärz Forschung, dem Projekt mit ihren Sachkenntnissen förderlich zu sein.
Unter dem Imperativ 'Gutzkow lesen!' stand die erste internationale Konferenz zum Thema Karl Gutzkow in Deutschland, die vom 18.-20. September 2000 in Berlin stattfand. Anlass der Konferenz war es, das jüngste Interesse der Verleger, Publizisten und der großen Feuilletons an dem lange Zeit fast verschollenen Gutzkow auch wissenschaftlich zu fundieren.
Heine artikuliert seine kunsttheoretischen Reflexionen in publizistischen Texten in Form von Korrespondenzartikeln und Briefen, Tagesberichten und Notizen. Diese Kleingattungen besitzen die typischen Kennzeichen des literarischen Genres der Moderne: Sie sind offen und temporär und damit Bewegungsliteratur per se. Die Negierung der traditionellen Gattungsgrenzen und die Favorisierung von literarisch-journalistischen Kleinformen, durch welche die Umbruchssituation der Epoche ihren formalen Niederschlag in der Literatur finden soll, verbindet Heine mit den anderen jungdeutschen Autoren. Der Aufschwung der prosaischen Textsorten beruht auf der von ihren Verfassern postulierten Eigenschaft, authentische Dokumente einer verschriftlichten Gegenwart zu sein. Mittelpunkt der revolutionären Gegenwart ist für viele engagierte Autoren die Revolutionsstadt Paris, deren Urbanität und charakteristische Atmosphäre der Beschleunigung eine große Faszination ausüben und den Diskurs über das Phänomen Großstadt definieren. Heine nimmt dabei die Wahrnehmungsperspektive des flanierenden Betrachters ein, der kaleidoskopartig die vielschichtigen Aspekte des großstädtischen Lebens erfasst und reflektiert, um darin die Signatur der Zeit zu entziffern. Diese vor allem visuelle Perzeption in einzelnen Partikeln und Fragmenten sowie die Diskontinuitt der wahrgenommenen Eindrücke determinieren die Kompositionsweise der publizistischen Schriften: Die Flanerie wird zum narrativen Prinzip. Eine solche kompositorische Struktur, in der Einzelelemente selbständige Bedeutung erlangen, lässt sich nicht mehr mit den Parametern der idealistischen Ästhetik und dem Prinzip der geschlossenen Ganzheit erfassen.
Heines Naturästhetik
(2001)
1828 verkündet Heinrich Heine das Ende der Kunstperiode, die er durch Goethes Klassizismus formal und inhaltlich geprägt sieht. Die autonome Kunstauffassung des Weimarers schürt den von Heine erkannten Konflikt zwischen Kunst und Lebenswirklichkeit, der nur gelöst werden kann, wenn sich ein Dichter mit den politischen und sozialen Problemen seiner Gegenwart auseinandersetzt und sich einem harmonischen, ganzheitlichen Weltbild verweigert. Mit seiner Naturästhetik zielt er auf eine Überwindung der traditionellen ästhetischen Normen der Klassik und Romantik, die er als formalistischen Zwang empfindet, verlangt Anschaulichkeit und Natürlichkeit der Sprache, einer Sprache, die sich am Menschen orientiert und nicht an Poetiken, einer Sprache, die Subjektivität und Erfahrungen zuläßt und die auch im sozialen Interesse die Kunst dem Leben, der Wirklichkeit öffnet. Diese Natürlichkeitsideale tiefergehend zu untersuchen - so Heines Auseinandersetzung mit der Naturphilosophie, seine kulturkritischen Reflexionen im Rahmen einer Kulturgeschichte der Natur und im Rahmen der Natürlichkeitsvorstellungen anderer Schriftsteller, z.B. die der Aufklärer wie Albrecht von Haller -, vielleicht kann dazu die vorliegende Skizze einladen.
Der Prozess einer allmählichen, stellenweise auch plötzlichen Umorientierung literarischer Wertmaßtäbe um 1830 soll an einem Fallbeispiel konkretisiert werden, nämlich der zeitgenössischen publizistischen Rezeption von Grabbes Dramen. Gefragt wird nach den Details eines literaturkritischen Diskurses, in dessen Verlauf die sakrosankte Gattungsnorm der Tragödie 'hohen Stils' suspendiert wird zugunsten eines offeneren Dramenkonzepts, das vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen und fruchtbar gemacht wird. Die Reaktionen auf Grabbes Dramen bieten sich für eine solche Fallstudie zum einen deshalb an, weil seine Dramen bei ihrem Erscheinen äußerst kontrovers diskutiert werden, und zum anderen, weil die dazu nötigen mühseligen positivistischen Vorarbeiten, nämlich das Auffinden und Sammeln zeitgenössischer Rezensionen, in diesem Fall schon seit Jahrzehnten abgeschlossen und publiziert sind: Zwischen 1958 und 1966 veröffentlichte der Grabbe-Forscher Alfred Bergmann in einer sechsbändigen, bislang von der Forschung weitgehend unbeachtet gebliebenen Dokumentation Grabbes Werke in der zeitgenössischen Kritik sämtliche erreichbaren publizistischen Äußerungen zu den Dramen Grabbes.
Anlässlich des 200. Geburtstags der deutsch-jüdischen Autorin Fanny Lewald und der Veröffentlichung des Sammelbandes: "Fanny Lewald (1811-1889). Studien zu einer großen europäischen Schriftstellerin und Intellektuellen" (hrsg. von Christina Ujma, Aisthesis Verlag, Bielefeld 2011) fand am 2. Juli 2011 an der Humboldt-Universität Berlin eine Lewald-Tagung statt, bei der Lewald-Forscherinnen neue Perspektiven auf Werk und Leben der wichtigsten Romanautorin des 19. Jahrhunderts diskutierten. Damit fand nach Jahrzehnten engagierter Forschung die erste wissenschaftliche Tagung über eine Autorin statt, die die revolutionären Hoffnungen wie auch die grundlegenden Umwälzungen ihrer Epoche mit ihren Texten engagiert und kritisch begleitete.
Im Folgenden soll zunächst die epistemische Situation der frühen Krebsforschung skizziert werden. Der wissenshistorischen Situierung derselben dienen auch, immer in Hinblick auf eine Geschichte der Krebserkrankungen, kurze Rückblicke auf den gegen sich selbst revoltierenden Organismus, wie man ihn in den Entzündungslehren französischer Kliniker findet, sowie den Parasitismus in der romantischen Medizin. Im Anschluss gilt es, anhand von Klenckes wissenschaftlichen Untersuchungen und seinem Roman eine Konstellation von Literatur und Zelltheorie vor 1848 zu beschreiben.
In der Forschungsliteratur zu Büchners "Lenz" existiert eine klaffende Lücke. Diese wird vom Text selbst evoziert, insofern er sich auf zwei Terrains gleichzeitig bewegt - einem ästhetischen und einem medizinisch-psychiatrischen. Diese wird vom Text aber auch überbrückt, insofern er die Formulierung des Kunstprogramms in einen Krankheitsverlaufs einbettet, und zwar genau in die Phase, in der sich die "übermäßige Empfänglichkeit" des Melancholikers, wie dies auch die zeitgenössische Wissenschaft konstatiert, allmählich "nur für einen Gegenstand und auf einen Punkt concentrirt." Im Falle Lenzens bildet dieser 'eine Punkt' das Religiöse. [...] Mit dieser narrativen Rahmung wirft der Text eine Frage auf, die die Forschung in der Trennung von literatur- und kulturwissenschaftlicher Perspektive nicht beantwortet hat: Wie hängen Lenz' Melancholie und das von ihm aufgestellte Kunstprogramm zusammen? Die folgende Analyse zielt dementsprechend auf keine Gesamtinterpretation des Textes. Es geht ihr auch nicht um die in der Forschung bereits mehrfach diskutierte Unterscheidung zwischen der Oberlinschen und der Büchnerschen bzw. der wissenschaftlichen und der literarischen Darstellung eines pathologischen Falles. Die Analyse ist auf das 'Kunstgespräch' fokussiert und erörtert, ohne neuerlich die viel fältigen wie differenten historischen Bezugnahmen der Ästhetik des Büchnerschen Lenz aufzuzeigen, die Frage, welche Implikationen es hat, dass ein Melancholiker über Kunst spricht - und zwar sowohl für die Melancholie als auch für die Kunst.
Feuchterslebens Buch steht in der Tradition populärwissenschaftlicher Werke der Zeit, einer Zeit, in der die Beschäftigung mit dem Leib-Seele-Zusammenhang zu massenhafter Textproduktion führte. "Zur Diätetik der Seele" ist nicht als Lehrbuch angelegt, sondern wendet sich an den selbstbeobachtenden Menschen, den medizinischen Laien, der an sich die Leiden der Zeit, Weltschmerz und Hypochondrie, bemerkt und nach einer Anleitung sucht, wie er ihnen entgegenwirken kann. "Andeutend" sei sein Text und die Textkomposition "rhapsodisch" (assoziativ, improvisierend), so hält Feuchtersleben fest und bedient sich einer aufklärerischen Reflexionsprosa, die eine wichtige Rolle bei der Konstruktion des modernen Subjekts spielte. Wie in der Folge zu zeigen sein wird, kann "Zur Diätetik der Seele" als Spur einer vormärzlichen Subjektivierung (Foucault) und Subjektivation (Butler) gelesen werden, als Zeugnis für die Verhüllung von Mechanismen der Herrschaft und als Anleitung für das bürgerliche Subjekt, sich gegenüber der (aber nicht in Gegnerschaft zur) Gesellschaft zu sehen. Die in der zeitgenössischen Rezeption bemerkte befreiende und freisetzende Kraft der Seelendiätetik Feuchterslebens beruht darauf, dass die Schrift Anweisungen enthält, wie der Einzelne die sozialen Regeln und Normen, denen er unterworfen ist, inkorporieren kann, ohne seinem Körper und seiner Seele damit Schaden zuzufügen bzw. wie er bereits vorhandene Schäden ausgleichen und beheben kann.
Literatur kann volkskundliche Aufgaben übernehmen, und umgekehrt wird die 'Culturhistorie' mit literarischen Aufgaben betraut. Die (noch) instabilen disziplinären Grenzverläufe werden durchkreuzt von Wissensfeldern: Beide beanspruchen die Bereitstellung eines Wissens, das heutzutage als 'ethnographisches Wissen' deklariert wird. Im Folgenden analysiert Christoph Schmitt-Maaß diese Dialektik in drei Schritten: Einen einleitenden Überblick über die institutionellen Entwicklungen vorausschickend, interpretiert er zunächst Auerbachs Dorfgeschichte "Die Frau Professorin" (1846) und anschließend Riehls "culturgeschichtliche" Novelle "Die Dichterprobe" (1865). Eine konzentrierte Lektüre der ausgewählten Texte soll aufzeigen, dass beide Autoren die Entstehungsbedingungen ihrer Texte im Text und als Text bewusst reflexiv im Sinne einer Poetologie entfalten und zwar im Gefüge einer vordisziplinären Wissenspoetik.
Mit Napoleons Auftritt wird das traditionell historisch und religiös verankerte Machtmodell der Erbmonarchie, das unter dem Schutz von Gottes Gnade eine beruhigende Ausstrahlung besaß, radikal vom Tisch gewischt. Was bleibt, ist ein politisches und rechtliches Machtvakuum, das Napoleon ausnutzt, um sich als "Prototyp des selbstschöpferischen Genies" aufwerfen und seine eigenen Traditionen stiften zu können. In seinem Drama "Napoleon oder die hundert Tage" greift auch C.D. Grabbe bei der Charakterisierung seines Protagonisten auf den Genie-Diskurs zurück, indem er eine Napoleon-Figur auftreten lässt, die sich selbst ausdrücklich als genial betrachtet und präsentiert. Es handelt sich dabei aber nicht um einen anachronistischen Rekurs auf die Rhetorik des Sturm-und-Drang, sondern um das Anwenden und Verarbeiten eines historisch heterogenen Diskurses, auf eine solche Weise, dass diese die Ambivalenz und Spezifizität des Vormärz-Kontextes illustriert. Im Gegensatz zu seinen (romantischen) Vorgängern verwendet Grabbe den Genie-Begriff nicht länger im Sinne des absolut autonomen und erhobenen Subjekts, sondern als Protestmittel gegen die Unbedeutendheit der eigenen Zeit; in der genialischen Stilisierung eines mythischen Helden versucht er "dem jugendlichen Traum von Größe und schöpferischer Kraft in einer als klein und steril empfundene Epoche" Gestalt zu geben. [...] Das Bild des vormärzlichen Genies geht mit anderen Worten aus einer Frustration der eigenen Zeit gegenüber hervor und hat daher, im Vergleich zum autonomen romantischen Genie, eine kompensatorische Funktion bekommen. So wird der Genie-Diskurs bei Vormärz-Autoren wie Grabbe in den Dienst ihrer antibürgerlichen Gesinnung gestellt und soll durch Kontrastwirkung die Passivität und Borniertheit des vormärzlichen Bürgertums unterstreichen.
Antonio Roselli nähert sich dem Verhältnis von Handlung und Kontingenz. Im Mittelpunkt seiner Analysen stehen Grabbes "Herzog Theodor von Gothland" und "Napoleon oder die hundert Tage" sowie Büchners "Danton's Tod". Er betrachtet sie mit Blick auf ihre kritische Verarbeitung der Implikationen der Großformation 'Geschichtsphilosophie', weil diese in ihrer idealistischen Ausprägung als Stabilisierungsverfahren auf die Erfahrung der Beschleunigung und der damit einhergehenden wachsenden Kontingenzerfahrung reagiert, dabei aber die Gründe für ihr eigenes Scheitern mitproduziert. Wenn man das "Modell des Zerrissenen" als symptomatisch nicht nur für die Problematisierung des 'Helden' im Bildungsroman, sondern auch für eine grundlegende Problemlage der Übergangszeit zwischen Restauration und Revolution annimmt, dann zeigen sich "Antriebsschwäche und Tatenlosigkeit, aber auch eruptive Ausbrüche und Aggression" als Modi der Thematisierung von Handlung im Drama. Das Schwanken zwischen diesen beiden Polen kann man bei Büchner und Grabbe als Inszenierung von Handlungsverweigerung (Fatalismus) und Handlungsermächtigung (Dezisionismus) wiederfinden. Christoph Menke unterscheidet bezüglich des Theaters zwischen 'eine Handlung ausführen' und 'eine Handlung vorführen': Das Ausführen einer Handlung ist zweckorientiert; in der im Theater stattfindenden Vorführung der Handlung soll dagegen "nicht durch ihre Ausführung der Zweck der Handlung erreicht, sondern die Form der Handlung sichtbar werden". Durch die Sichtbarmachung der Handlungsformen kann das Zusammenwirken verschiedener Elemente wie Zweck und Mittel, Akteur und Adressat, Akt und Situation erkennbar gemacht werden. An diese Unterscheidung anknüpfend geht Roselli davon aus, dass im Drama Wandlungen in den Handlungsmodellen sichtbar werden. So kann die Auswirkung einer gesteigerten Kontingenzerfahrung, wie sie besonders die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts kennzeichnet, nachgewiesen werden. Am Ende geht Roselli in einem Ausblick auf die Frage nach der Identifizierung von "Kontingenz-Gattungen" ein und skizziert kurz eine Entwicklungslinie im Übergang zum Realismus.
In den Jahrzehnten zwischen dem Wiener Kongress 1815 und der Mitte des 19. Jahrhunderts etablierte sich eine neue Staatenordnung auf dem europäischen Kontinent, wie es die Kongress-Akte vorgesehen hatte. Gleichzeitig bildete sich in der Jurisprudenz ein neues Paradigma des Völkerrechts heraus. Es hieß das 'Völkerrecht der zivilisierten Staaten'. Die Entstehung der historischen Rechtsschule und des Rechtspositivismus im frühen 19. Jahrhundert entzog dem umkämpften Völkerrecht seine naturrechtliche Begründung. Auf der Suche nach einem neuen Begründungszusammenhang nahm das Völkerrecht einen Begriff auf, der im späten 18. Jahrhundert entstanden war, und dessen Bedeutung sich zur Zeit des Wiener Kongresses stabilisiert hatte. Es handelte sich um den Begriff der Zivilisation. Mithilfe dieses Begriffs wurde eine überstaatliche Gemeinschaft postuliert, nämlich die sogenannte Gemeinschaft zivilisierter Staaten, die die Legalität zwischenstaatlichen Verkehrs gewährleistet, ohne ein internationaler Staat oder gar Weltstaat zu sein. Das Völkerrecht des 19. Jahrhunderts war somit im Wesentlichen ein Völkerrecht der zivilisierten Staaten. 'Zivilisation' aber ist ein diskriminierender Begriff, zu dessen Bedeutungsgehalt die Definition und der Ausschluss seines Gegenteils, nämlich des Unzivilisierten, des Barbarischen, gehören. [...] Die Entstehung des Völkerrechts zivilisierter Staaten nach dem Wiener Kongress leitete eine neue Figuration der Weltordnung ein. Dieser Vorgang brachte ein Wechselspiel mehrerer Wissens- und Repräsentationsformen, nämlich Jurisprudenz, Theater und Ethnologie, in Gang. Im Folgenden werden diese miteinander verschränkten Wissens- und Repräsentationsformen näher untersucht.