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Gegenstand des vorliegenden Aufsatzes ist es, einige Aspekte des Versuchs, den in Deutschland neu geprägten Begriff der "Ästhetik" nach Frankreich zu importieren, in der Zeit um 1850 zu beleuchten, einer Periode, in der die Ästhetik sich als philosophische Wissenschaft in Frankreich allmählich etabliert. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts stieß der Begriff "esthétique", der als direkte Übersetzung des deutschen Wortes "Ästhetik" geprägt wurde, auf zähen Widerstand. Schon ein schneller Blick auf die Wortgeschichte zeugt von dieser Resistenz. Zwar tauchte der Terminus "esthétique" bereits 1753 auf, aber dieser erste Beleg, der im Werk des französischsprachigen Mitglieds der Berliner Akademie der Wissenschaften Louis de Beausobre erschien, blieb lange Zeit isoliert und ohne Widerhall. In der "Encyclopédie" von Diderot und d'Alembert ist bezeichnenderweise unter "esthétique" kein Eintrag zu finden. Erst in zwei Nachbildungen der "Encyclopédie" - in die "Encyclopédie d'Yverdon" von Fortunato Bartolomeo de Felice und ins "Supplément à l'Encyclopédie" von Charles-Joseph Panckoucke - wurde ein solcher Artikel eingeführt. Dieser Importversuch blieb aber bis Anfang des 19. Jahrhunderts so gut wie folgenlos. 1835 wurde das Lemma zum ersten Mal in der sechsten Ausgabe des "Dictionnaire de l'Académie Française" aufgenommen. Den ersten wichtigen Beleg für einen regelrechten Einbürgerungsversuch liefert aber erst der zweite Band des "Dictionnaire des sciences philosophiques" von 1845. Dort ist ein Eintrag zur "esthétique" zu finden, der von Charles Bénard gezeichnet ist. Damit wurde dem Wort "esthétique" in der Sprache der französischen Philosophie sozusagen sein erster Taufschein erstellt. Wer genau war der Autor dieses langen Artikels und was hat ihn veranlasst, einen solchen Eintrag zu schreiben? Wie konnte die Ästhetik als besonderes Teilgebiet der Philosophie um 1850 neue Befürworter finden? Auf welche Hindernisse stießen ihre Fürsprecher? Auf diese Fragen sollen im Folgenden einige Antworten skizziert werden.
Zur Affinität des Sehens : neue Tendenzen einer visuellen Ästhetik in Adalbert Stifters "Haidedorf"
(2020)
Zum Ende des 18. Jahrhunderts setzt in der Literatur- und Kunstproduktion eine neue, visuell motivierte Tendenz ein: Die Affinität des Sehens. [...] Optische (Bild-)Effekte sind insbesondere bei Adalbert Stifter zugegen - und spiegeln seine Tätigkeit als Maler und Schriftsteller. [...] Stifter kombiniert seinen realistischen Anspruch mit wissenschaftlichen Kenntnissen und liefert zugleich ein ästhetisches Konzept der Naturschilderung. Um dieses Phänomen zu ergründen, liegt eine Untersuchung der Novelle "Das Haidedorf" nahe, die als dritte Erzählung im ersten Band der gesammelten "Studien" (1844) erschien. Da die Buchfassung von der früheren Journalfassung (1840) abweicht, ist ein vergleichender Blick angezeigt. Ferner ist das bildkünstlerische Schaffen des Schriftstellers zu beachten, das den Detailrealismus in Form von Studien, Gemälden und Zeichnungen vorgibt. In der Synopse der beiden Textvarianten soll die visuelle Ästhetik, speziell die Affinität des Sehens, neu konturiert und erarbeitet werden. Ergänzend wird eine Analyse der gemalten "Felsstudie" (1840) vorgenommen, die stilistische Parallelen zum Erzähltext hat. "Das Haidedorf" öffnet nicht nur die Sicht auf akribisch erfasste Naturphänomene und -bilder, sondern formt überdies eine Allegorie auf die Dichtung. Dichtung und (bildende) Kunst treten so in ein striktes Verhältnis: Während der Protagonist und Poet als Repräsentant für die Dichtung fungiert, nutzt der Text typische Strategien des bildenden Künstlers. In der Journalfassung tritt das "Motiv der Berufung zum Propheten und Dichter" markanter hervor. Zur "Heimat der Poesie" wird schließlich die schwäbische Heide, obschon ihr die Figur für einen längeren Aufenthalt im Orient fernbleibt. Diese Alteritätserfahrung verändert das figurale Befinden und somit auch das Verhältnis zur Landschaft. Die Novelle entwirft ein ästhetisches Paradigma, das die optische Wirkung der Handlung auf verschiedenen Ebenen darstellt. Dieser Beitrag soll die prägnanten Tendenzen der visuellen Ästhetik aufspüren, an Stifters Beispielen dokumentieren und synoptisch zusammenführen.
In diesem Beitrag möchte ich mich auf zwei Texte beschränken, an denen die Parameter einer Ästhetik des Niederen eruiert werden sollen: Georg Büchners "Woyzeck" (entstanden 1836/37) und Annette von Droste-Hülshoffs "Die Judenbuche" (1842). Bei Büchner und Droste-Hülshoff handelt es sich um Literaturschaffende, die traditionell unterschiedlichen Polen des literarischen Feldes - der sozialkritisch-engagierten und der sogenannten 'Biedermeier'-Literatur - zugeordnet werden, deren Werk sich allerdings gleichsam durch eine literaturhistorische Uneindeutigkeit auszeichnet. Wie von der Forschung zunehmend herausgestellt worden ist, weist Büchners und Droste-Hülshoffs Schaffen eine die epochalen Grenzziehungen überschreitende Modernität auf: Büchners "Abgesang auf die Illusionen des Idealismus mit seinem Glauben an die Geschichte, das historische Subjekt, die Vernunft und den Fortschritt" steht diametral zum Selbstverständnis der Vormärz-Literatur, durch Agitation und Intervention die Veränderung der Gesellschaft herbeizuführen, weshalb in dem Autor immer wieder "mentalitätsgeschichtlich, aber auch in der Prägnanz seiner sprachlichen Bilder ein Vorläufer der Moderne" gesehen wird. Gleichfalls haben neuere Forschungsansätze gegen das Klischee der konservativen Heimatdichterin für Droste-Hülshoffs Werk "Charakteristika einer Modernität [herausgearbeitet], wie sie dann vor allem mit der Klassischen Moderne in Verbindung stehen, […] Selbstreflexivität, Identitäts- und Sprachkrise, Avantgardismus in der Form, Subjektivierung, Psychologisierung, Relativierung, Differenzierung." Die Ko-Lektüre der beiden Texte vermag also zum einen ästhetische "Nähe- und Distanzverhältnisse" zwischen zwei Literaturschaffenden zutage zu fördern, die in der Forschung selten zusammengebracht werden, und so einen Raum für die Neuverhandlung der traditionellen literaturgeschichtlichen Klassifikationen ihres Werks zu schaffen; zum anderen regt der Blick auf das 'unzeitgemäße' Autorenduo zu einer Neubewertung des literaturhistorischen Orts und des Modernitätscharakters der Literatur zwischen Goethezeit und Realismus an. Dahingehend werden im Weiteren "Woyzeck" und "Die Judenbuche" im Hinblick auf unterschiedliche Merkmale, die eine Ästhetik des Niederen begründen, untersucht. Dieser Merkmalskatalog soll auf der Grundlage von Erich Auerbachs Studie "Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur" (1946) erstellt werden. Auerbachs Darlegungen zur Geschichte des Realismus in der abendländischen Literatur liefern dem Erkenntnisinteresse dieses Beitrags konzeptuelle Impulse und sollen der literaturhistorischen Verortung der Ästhetik des Niederen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch mehr Schärfe verleihen.
Die anthropologische Differenzierung zwischen dem Inneren und dem Äußeren als Korrelation von Geistigem sowie Seelischem mit dem Körperlichen sowie Sinnlichen ist eine evidente Thematik der deutschsprachigen Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Diese Unterscheidung bricht mit dem Jahrhundertwechsel nicht ab, sondern wechselt ihr Vorzeichen. Die Dichotomie von Innerem und Äußerem wird bei Heinrich Heine in Gestalt der Gegenüberstellung von Idee und Realität aufgegriffen und politisch akzentuiert weitergeführt. In seinen Reisebildern kreist diese Kontrastierung um die Frage nach der Verwirklichung von Ideen mit politischer Brisanz und humanem Wert. Die literarische Form der Reisebeschreibung nimmt für die Thematisierung dieser Gegenüberstellung eine besondere Funktion ein, dies wird bei den Erzählwerken der "Reise von München nach Genua" und der "Ideen. Das Buch Le Grand" näher beleuchtet. Zugrunde gelegt wird die Annahme, dass eine politische Idee als ein humanes Ideal etwas Inneres darstellt, da eine solche Idee dem Geist des Menschen entspringt. Auch hier steht das Wechselverhältnis von Idee und Realität im Fokus, indem die Frage ins Zentrum gestellt wird, inwieweit eine Idee als Produkt des Geistes eine gestaltende Funktion für die sinnlich wahrnehmbare Wirklichkeit einnehmen kann. Der Schwerpunkt liegt auf dem Geistigen, und die denkmöglichen Ideen des Menschen sind das Entscheidende. Die Menge der Ideen wird auf die zeitgenössischen Humanitätsideale der Französischen Revolution beschränkt: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Diese politischen Ideen sind in ihrer reinen Form im menschlichen Leben im engeren Sinne nicht realisierbar. Dennoch können sie eine wirklichkeitsgestaltende Funktion einnehmen, indem der Mensch versucht, sich der Verwirklichung dieser Ideen soweit wie möglich anzunähern. Dieses Bestreben ist eine Sinnkonstitution des Menschen und diese Ideen sind für diejenigen, die sie teilen und in ihr eine Chance für ein besseres Leben sehen, eine intrinsische Motivation, das Innere in das Äußere zu projizieren. In Heines "Reisebildern" wird diese Übertragung mit dem Begriff der Emanzipation benannt. Bereits die narrativen Sprechsituationen dieser Erzählwerke zeigen an, dass die Gestaltung von menschlicher Lebenswirklichkeit im thematischen Zentrum steht. Emanzipation ist unumstritten ein politischer Begriff, bei Heines "Reisebildern" tritt er aber zusätzlich als ästhetisches Konzept auf. Emanzipation wird in den Erzählwerken der "Reise von München nach Genua" und "Ideen. Das Buch Le Grand" als ästhetisches Programm untersucht, das seine theoretische Ausformulierung in der "Romantischen Schule" findet.
Noch bevor Begriffe wie Immanenz, Realität oder Unmittelbarkeit zu gängigen Gegenständen der Ästhetik werden konnten, entwickelt Weiße ein System, in dem er der Realität und dem Hässlichen einen Platz einräumt. So stellt sein Werk ein Zeugnis der Anfänge dieser Entwicklung dar, die bereits wenige Jahre später fester Bestandteil der Ästhetiken wurde. Dies blieb jedoch nicht ohne Folgen für die Rezeption seines eigenen Werkes, in der nur selten Weißes eigene Argumentation eine Rolle spielte, der Fokus vielmehr auf die Ergebnisse gerichtet war, die bei den Nachfolgern in der Regel konsequenter und stringenter ausgeführt worden waren. Nichtsdestotrotz stellt gerade dieses frühe umfassende Werk Weißes ein interessantes Dokument des Beginns eines Paradigmenwechsels im Nachdenken über das Schöne im Vormärz dar, dessen Tragweite sich bei Erscheinen von Weißes Abhandlung noch nicht abzeichnete. Der folgende Beitrag möchte diese initialen Weichenstellungen in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Ästhetik beleuchten, wobei besonderes Augenmerk auf dem Moment der Gleichzeitigkeit liegen soll, die das Potential des Neuen, bisher so noch nicht Gedachten, mit den Denkweisen der Goethezeit versöhnen soll. Und nicht zuletzt könnte die Betrachtung dieses frühen Entwicklungsstadiums auf dem Weg zu einer modernen Ästhetik auch Aufschluss geben über das Verhältnis der beiden konträren literarischen Tendenzen des politischen und des restaurativen Schreibens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Vischers Freiheitsbedürfnis war unersättlich, und er war ständig auf der Suche nach Trost und Orientierung in einer orientierungslosen Zeit. Vischer hoffte, dies nicht nur in der Kunstschönheit in fernen Ländern zu finden, sondern vor allem in der Literatur, der Dichtung und der Philosophie. Der erste Teil des Goethe'schen Faust und Hegels Philosophie sollten daher in der zerrissenen, stürmischen Vormärzzeit zum Rettungsanker für ihn werden. Vischer wird sich von diesen Reisebegleitern nie gänzlich befreien, sie werden mehr oder weniger ausdrücklich sein ganzes Leben an seiner Seite sein, wenn er sich auf die Suche nach einem (unmöglichen) Gleichgewicht zwischen den beiden Seelen in seiner gespaltenen Brust macht: der systematischen (mit offensichtlichen Anklängen an Hegel) und der zerrissenen (die klar auf den Faust anspielt). Wir wollen, von der ersten ausgehend, beide analysieren.
Im 15. Abschnitt seiner Aesthetik kommt Theodor Mundt auf den Humor als 'burleske Philosophie' zu sprechen. Als erster deutscher Ästhetiker hatte der von dem berühmt-berüchtigten Verbotsbeschluss des Bundestags vom 10. Dezember 1835 gegenüber dem sogenannten Jungen Deutschland hart getroffene Autor 1837 in seiner Abhandlung Die Kunst der deutschen Prosa systematisch die "zeitgemäße Stellung" der deutschen Prosa und damit deren Vorrangstellung gegenüber der Poesie begründet. [...] Richtete Mundt in dieser Abhandlung den Fokus noch auf die "Emancipation der Prosa", ist es in der Aesthetik nun "das Prinzip der Unmittelbarkeit" als "Philosophie der That". Mundt selbst spricht im Vorwort selbstbewusst von dem "von mir neu aufgestellte[n] Prinzip der Aesthetik". [...]
Im Folgenden möchte ich Mundts Schrift in ihren Hauptmomenten vorstellen und dabei schlaglichtartig derartige Schnittstellen erhellen: die Idee einer großen, die modernen Differenzerfahrungen aufhebenden Vermittlung und deren politische Implikationen (1.); die Möglichkeiten einer politischen Artikulation im Rahmen der philosophischen Ästhetik des Vormärz (2.); die dynamische Begriffsordnung der "Aesthetik", deren Bewegungsemphase und das zugleich bemerkbare Erproben formativer Kräfte (3.); Phantasie und Idealisierung (4.) und schließlich den für Mundts Schrift wichtigen Begriff des Bildes (5.). Die Verbindungslinien, die sich zwischen Mundts "Aesthetik" und der Ästhetik des Jahrhunderts zeigen werden, sind dann zugleich Ausweis von Kontinuitäten, die sich zwischen den beiden Jahrhunderthälften, zwischen Vormärz und Nachmärz erstrecken.
Wie immer man Vischers Argumentation einordnet, deutlich machen sollte man sich zunächst, dass sie nicht allein kunstphilosophisch orientiert ist, sondern den Austausch mit sich seit den 1830er Jahren zusehends pluralisierenden und von der Zeitordnung, die Hegels Geschichtsphilosophie vorgibt, emanzipierenden literatur- und kunsthistoriografischen Diskursen sucht, womöglich sogar das Ergebnis literatur- und kunstgeschichtlicher Revisionen dieses Zeitraums ist. Dies würde bedeuten, dass es nicht allein (und vielleicht nicht einmal primär) das Gebiet der philosophischen Ästhetik (Kunstphilosophie) ist, innerhalb dessen Vischers Moderne ihre Konturen gewinnt. Im Mittelpunkt stehen würde demgegenüber die empirisch orientierte, d. h. an Einzelwerk und -künstler interessierte Kunst- und Literaturforschung. Wenn wir im Weiteren diese These verfolgen, so nicht so sehr aus dem Interesse heraus, den Anteil kunstphilosophischer Konzeption im Denken Vischers tatsächlich marginalisieren zu wollen. Interessant ist vielmehr die Möglichkeit, in heuristischer Absicht die Elemente der kunst- und literaturgeschichtlichen Rede als eigenständige Diskursformationen in der Betrachtung scharfstellen zu können. Mit diesem Ziel soll es zunächst darum gehen, das Verhältnis von Romantik und Moderne im Haushalt der hegelianischen Literatur- und Kunstgeschichtsschreibung um 1840 zu bestimmen. Gefragt werden soll zudem: Wie lässt sich Vischers im Plan zu einer neuen Gliederung der Ästhetik entworfenes Moderne-Ideal in diesen Rahmen integrieren (Kap. I)? In einem zweiten Schritt wird schließlich ganz konkret jenen Spuren nachgegangen, die Vischers Argumentation im Einflussgebiet kunst- und literaturgeschichtlicher Diskursmuster seiner Zeit zu verorten erlauben (Kap. II). Abschließend wollen wir die Ergebnisse in eine Konturierung des Moderne-Begriffes einbringen (Kap. III).
Nach wie vor ist die Geschichte der ästhetischen und auch der poetologischen Debatten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, was ihre Breite und Heterogenität angeht, ein blinder Fleck der Forschung. Das überrascht angesichts der Dynamik der Verschiebungen innerhalb der Paradigmata des Schönen nach 1800, die der erstarkenden Bedeutung des Sehens im Horizont medialer Formerweiterungen ebenso Rechnung trägt wie der philosophischen Ausrichtung der Phänomenologie, der wachsenden Bedeutung der Psychologie und auch dem steigenden Einfluss von wissenschaftlichen Ordnungen auf die Künste. Allenthalben verschaffen sich neue Konzepte des Schönen, der Kontinuität, der Brüchigkeit und der Kritik, des Verhältnisses von Idee und Realität, von Phänomen und System, von Erscheinung und Abstraktion Ausdruck und werden wiederum in Ästhetik 'betrachtet' und eingeordnet.