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Rezension zu Michael Niehaus: Das Buch der wandernden Dinge. Vom Ring des Polykrates bis zum entwendeten Brief. München (Hanser) 2009. 406 S.
"Die Geschichte eines wandernden Dinges kann dazu bestimmt werden, das Ding mit Bedeutung zu beladen, zu befrachten. Doch was geschieht mit dieser akkumulierten Bedeutung, wenn die Geschichte am Ende ist?"(159), fragt Michael Niehaus mitten in seiner groß angelegten Studie zu wandernden Dingen in Literatur und Film.
Rezension zu Gerigk, Horst-Jürgen: Ein Meister aus Russland. Beziehungsfelder der Wirkung Dostojewskijs. Vierzehn Essays. Heidelberg (Winter) 2010. 215 S.
Gerigk vereinigt vierzehn Essays zu Dostoevskij, darunter drei Erstpublikationen und elf Bearbeitungen von Veröffentlichungen der Jahre 1981 bis 2006. Texte Dostoevskijs kommunizieren mit solchen von Turgenev, Heidegger, Schiller, E.T.A. Hoffmann, Faulkner, Flaubert, Hauptmann, Salinger, Joyce, Sylvia Plath und anderen.
Boris Previšić (Hg.): Die Literatur der Literaturtheorie. Bern u. a. (Lang) 2010. S. 199.
Dieser Band markiert eine veritable Lücke in der Literaturwissenschaft und schließt sie wenigstens ansatzweise, indem er eine alltägliche Beobachtung fruchtbar macht: Bestimmte (naturgemäß genau deshalb mittlerweile kanonisierte) Autoren oder Texte haben so innovativ in die Weiterentwicklung literarischer Möglichkeiten eingegriffen oder den Lesern so elementar die Augen für Neues oder Selbstverständliches geöffnet, dass sie nicht nur in dem Umfang, wie dies für jeden beliebigen Beitrag zur Literatur gilt, sondern mit erheblicher Wirkung die Literaturwissenschaft selbst verändert haben.
Rezension zu Konrad Meisig (Hg.): Ruhm und Unsterblichkeit. Heldenepik im Kulturvergleich. Wiesbaden (Harrassowitz) 2010. VII u. 194 S.
Es ist erstaunlich, wie schmal die neuere Forschungsliteratur zu jenem literarischen Genre ist, das bis ins 18. Jh. die Dignitätsrangliste der Gattungen anführte: das Epos. Wenngleich dieser Terminus mit den Spielarten Lehrgedicht, geistliches oder allegorisches Epos, mock-heroic u. a. deutlich mehr Optionen umfasst, assoziiert die Literaturgeschichte doch zumeist das sogenannte Heldenepos. So war es eine sinnvolle und zugleich lückenfüllende Initiative, im Sommersemester 2007 eine Ringvorlesung an der Universität Mainz der Heldenepik im Kulturvergleich zu widmen. Die zwölf Beiträge des Sammelbandes sind denn auch grundsätzlich nach dem Maß einer Vorlesung dimensioniert. Sie sind chronologisch angeordnet und behandeln einerseits "gesetzte", kanonische Texte der Heldenepik wie die Werke Homers und Vergils, andererseits aber wenig bekannte Paradigmen aus außereuropäischen Literaturen bzw. exzentrischere Beispiele, an denen sich die Spannbreite des Heroisch-Epischen beweist.
Rezension zu Uta Degener u. Norbert Christi an Wolf (Hg.): Der neue Wettstreit der Künste. Legitimation und Dominanz im Zeichen der Intermedialität. Bielefeld (Transcript) 2010. 269 S.
Im Konnex der Intermedialitätsdebatte werfen die Herausgeber einleitend die Frage nach der künstlerischen Dominanz wie auch der gesellschaftlichen Legitimität distinkter Kommunikationsmedien auf, worauf auch der Fokus dieses Sammelbandes gerichtet ist.
Rezension zu Klimek, Sonja: Paradoxes Erzählen. Die Metalepse in der phantastischen Literatur. Paderborn (mentis) 2010 (= Explicatio. Analytische Studien zur Literatur und Literaturwissenschaft). S 442.
Sonja Klimek versucht in ihrer Arbeit, die im Jahr 2009 als Dissertation an der 'Université de Neuchâtel' angenommen wurde, eine - wie sie ihre Einleitung betitelt - "Annäherung an ein (nicht nur) literarisches Phänomen": die Metalepse.
Rezension zu Theisohn, Philipp: Plagiat. Eine unoriginelle Literaturgeschichte. Stuttgart (Kröner) 2009. 591 S.
Eine "Mentalitätsgeschichte" verspricht Philipp Theisohn in seiner Einleitung - "sie enthüllt nicht, sondern beobachtet vielmehr, wie sich Enthüllungen und Verhüllungen von Textvergehen im Laufe der Jahrhunderte entwickeln." (XII). Es gilt zu wissen, "in welcher Weise, unter welchen Umständen, zu welcher Zeit und mit welchen Folgen der Mensch auf die Vorstellung des Plagiats verfällt." (XIII) Auf dem Weg durch die Literaturgeschichte hin zu diesem Wissen sollen drei Thesen überprüft werden (3):
1. Zu einem Plagiat gehören immer drei Beteiligte: ein Plagiierter, ein Plagiator und die Öffentlichkeit.
2. Plagiate entstehen dadurch, dass man sich von ihnen erzählt.
3. Plagiate verhandeln grundsätzlich ein "inneres" Verhältnis von Text und Autor.
Rezension zu Peter Schnyder: Alea. Zählen und Erzählen im Zeichen des Glücksspiels 1650-1850. Göttingen (Wallstein Verlag) 2009. 436 S.
Wenn man sich mit der bedeutenden Rolle beschäftigt, die der Zufall in der Literatur und Kunst des 20. Jahrhunderts von Dada über John Cage bis hin zu von Zufallsgeneratoren hergestellten Werken spielt, übersieht man leicht die gut zweihundertjährige Vorgeschichte, in der der Zufall und das untrennbar mit ihm verbundene Glücksspiel bereits durch die Literatur geisterte. Die ab der Mitte des 17. Jahrhunderts zu beobachtende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Zufall und Wahrscheinlichkeit blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Literatur - und vice versa: neue Narrative führten zur Veränderung der Sicht auf die Möglichkeiten der Vorhersehbarkeit der Zukunft. Das Glücksspiel wurde zum gängigen Motiv in literarischen Texten, und auch die formale Ebene (Handlungsführung, Erzählweise u. ä.) blieb von den Überlegungen zu den Geheimnissen des Weltlaufs nicht unberührt. In seiner Züricher Habilitationsschrift widmet sich Peter Schnyder eben der Frage, wie die Glücksspielmetapher "zu einer der zentralen (Des-)Orientierungsmetaphern der Moderne" und zum Inbegriff des Irrationalen und Abenteuerlichen wurde, sowie der durch die verstärkte Kontingenzerfahrung ausgelösten Krise des Erzählens.
From Arthouse to Grindhouse - and back? : Wechselbeziehungen zwischen Hoch- und Populärkultur
(2011)
Bericht zur Tagung 'From Arthouse to Grindhouse - and back? Wechselbeziehungen zwischen Hoch- und Populärkultur', Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Wien, Societa - Forum für Ethik, Kunst und Recht, Filmarchiv Austria, 5. bis 7. Mai 2011
Die von Keyvan Sarkhosh (Wien) und Paul Ferstl (Wien) organisierte Tagung, die im Studiokino des Filmarchivs Austria stattfand, widmete sich in dreizehn Vorträgen diesen komplexen, sprach- und medienübergreifenden Wechselbeziehungen von 'Arthouse' und 'Grindhouse' und verband die inhaltliche Thematik mit dem methodischen Ziel einer verstärkten Theoretisierung bei der Betrachtung populärkultureller Phänomene.
Tagungsbericht zum Internationalen Symposium, Wien, 15. bis 17. Januar 2011: Der literarische Transfer zwischen Großbritannien, Frankreich und dem deutschsprachigen Raum im Zeitalter der Weltliteratur (1770-1850)
Unter dem Titel 'Der literarische Transfer zwischen Großbritannien, Frankreich und dem deutschsprachigen Raum im Zeitalter der Weltliteratur (1770-1850)' veranstalteten die Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Wien und die Gesellschaft für Buchforschung in Österreich von 15. bis 17. Januar 2011 ein internationales Symposium in Wien. In zahlreichen Vorträgen und Diskussionen wurde die Intensivierung der internationalen literarischen Kontakte und Transfers im titelgebenden Zeitraum erörtert, wobei unter anderem die Modalitäten der Produktion und Distribution von Literatur, urheberrechtliche Fragen, Vermittlerpersönlichkeiten und die Zensur im Zentrum standen.
Tagungsbericht zum XIX. Weltkongress der Association International de Littérature Comparée/International Comparative Literature Association
Seoul, 15. bis 21. August 2010
Der nach Tokio und Hong Kong dritte in Asien ausgerichtete Weltkongress war, sowohl was die Veranstaltung selbst als auch den Austragungsort angeht, von Superlativen geprägt. Mit über eintausend angemeldeten Teilnehmern aus 65 Ländern und 750 angemeldeten Vorträgen war der Kongress ebenso eindrucksvoll und vielfältig wie die Gastgeberstadt.
Studierende und Lehrende des Faches Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, die in den Beständen ihrer Bibliothek nicht fündig geworden sind, werden sich vielleicht fragen, warum viele ihrer Fernleihen von der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main stammen. Dass sich ausgerechnet dort das Sondersammelgebiet für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft befindet, mag überraschen, denn schließlich wurde an der Goethe-Universität ein eigenes Institut für Komparatistik erst im Sommersemester 2001 gegründet. Aufmerksame Entleiher und Entleiherinnen älterer Titel aus den Frankfurter Beständen könnten darin ein Exlibris finden: "Frhl. Carl von Rothschildsche Bibliothek Stadt Frankfurt a. Main": Die bedeutenden Bestände der Rothschildschen Bibliothek, die durch rechtzeitige Auslagerung ohne größere Verluste den Zweiten Weltkrieg überstanden haben, waren u. a. ausschlaggebend dafür, dass 1949 der damaligen Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Sondersammelgebiete "Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft" (SSG 7.11), "Germanistik" (SSG 7.20) sowie "Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft" (SSG 7.12) zugewiesen wurden. Mit 130.000 Bänden stellte die Rothschildsche Bibliothek immerhin fast 15 % des 1945 an der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt noch vorhandenen Gesamtbestandes von 900.000 Bänden.
Alphabetisch organisierte Texte haben seit Jahren Konjunktur, und ein Blick ins Verzeichnis der Neuerscheinungen bestätigt deren Kontinuität. Belehrende und unterhaltende ABC-Bücher sowie vielfältige Mischformen von Belehrendem und Unterhaltendem scheinen sich bei Autoren wie bei Lesern großer Beliebtheit zu erfreuen. Daß die Matrix des Alphabets neben lexikographischen oder pseudo-Iexikographischen Büchern über alles Mögliche auch als Kompositionsprinzip für große und (nicht nur quantitativ) gewichtige Romane dienen kann, verdeutlicht der neueste Roman von Günter Grass, der dem Wörterbuch der Brüder Grimm sowie dessen alphabetischer Struktur in mehr als einer Hinsicht verbunden ist: 'Grimms Wörter' (Grass 2010).
Eine besondere Erfahrung ist es für mich gewesen, die elsässischen Dichter Claude Vigée und Adrien Finck kennenzulernen sowie einen Einblick in ihre enge Zusammenarbeit zu gewinnen. Im Folgenden möchte ich den Voraussetzungen und der Einzigartigartigkeit dieser Dichterfreundschaft auf die Spur kommen. Als Achse ihrer Gemeinsamkeit verstehe ich - vorgreifend gesagt - eine Poetik, der es wesentlich um die Initiierung von Aufbrüchen geht.
Obwohl die Aufmerksamkeit, die das Verhältnis zwischen Nikolaj Gogol und E.T.A. Hoffmann von der Wissenschaft erfahren hat, letztlich auf einen Gemeinplatz der Literaturgeschichtsschreibung zurückgeht - nämlich auf die Abhängigkeit wenigstens des frühen Gogol von der deutschen Romantik -, ist die eigentliche Forschungslage bestenfalls verworren. Das Prinzip vom direkten Einfluß des Deutschen auf den Russen, wie er traditionell postuliert wurde, ist zwar größtenteils überwunden, aber nur unsystematisch durch eine motivgeschichtliche Tendenz ersetzt, die sich nach wie vor an der Rhetorik einer zielgerichteten Beeinflussung orientiert. In der Folge soll der Versuch angestellt werden, einige Prinzipien für eine systematische komparatistische Methodik zu skizzieren, und mittels ausgewählter Beispiele für eine Neubewertung des Verhältnisses der beiden Autoren zu plädieren.
Durch die Unterscheidung eines engen und eines weiten Begriffs absurder Literatur werden alle Texte berücksichtigt, in denen absurde Spielformen realisiert werden, ohne dass die Brisanz der absurden Kerntexte nivelliert würde. Um dies herausarbeiten und verdeutlichen zu können, habe ich die Texte von drei Autoren für eine detaillierte Analyse ausgewählt: Daniil Charms, Samuel Beckett und Christian Morgenstern.
Die folgenden Ausführungen verstehen sich deshalb als erste Erkundungen im Bereich einer Frage, die weitaus weniger 'unzeitgemäß' ist, als sie auf den ersten Blick anmutet. Sie schlagen den Bogen zurück zum 'grundlegendsten' und 'universalsten' Theorieprogramm, welches das abendländische Denken lange zu bieten hatte: zur Ontologie. Im Lichte der perennierenden Problemhorizonte des ontologischen Denkens soll im Folgenden die Frage nach einer ontologischen Bestimmung der schönen Literatur erneut aufgeworfen werden - und trotz der Probleme dieser Frage anhand einer möglichen Antwort nachgewiesen werden, warum dieses Theorieprogramm auch literaturtheoretisch nicht einfach aufgegeben werden sollte.
'Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen' nannte Schiller 1792 einen seiner berühmten ästhetischen Grundlagenaufsätze. Als Tragödienautor war er Partei und versuchte daher 'nicht' zu explorieren, 'ob 'das Tragische vergnügen könne (was natürlich nicht trivial, sondern im Sinn ästhetischen Reizes und dessen theatraler Befriedigung zu verstehen ist), sondern er setzte den vorgefundenen oder hypostasierten Affekt als eine anthropologische Konstante. Dass nun das Vergleichen 'literarischer Einheiten' (Inhalte, Strukturen, Epochen) Vergnügen bereitet, ist in der Tat Prämisse dieses Beitrags. Warum aber, das lohnt vielleicht einen Blick, der auf das Selbstverständnis und die Episteme unseres Fachs zielt.