Hofmannsthal 18.2010
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Im Sommer 1913 folgt Elsa Bruckmann, geb. Prinzessin Cantacuzène einem Rat Rudolf Kassners und reist mit ihrem Gatten Hugo das Paar hatte am 24. November 1898 in Starnberg geheiratet - Anfang Juli nach Noordwijk aan Zee, um hier, im "am schönsten gelegenen Badeort der holländischen Küste", nach längerer Krankheit Stärkung zu suchen. Die regen- und sturmreichen Wochen "am nordischen Meer" mit seinem melancholischen "feuchten Grau" inspirieren sie zu fruchtbarem lyrischen Schaffen und lassen den Wunsch aufkommen, den am Ort wohnenden Dichter Albert Verwey kennenzulernen. So bittet sie dessen alte Münchner Freundin Hanna Wolfskehl um Vermittlung, die "diese Anfrage gleich" weiterleitet und dem Ehepaar Verwey die unbekannten Gäste in liebevoller Ausführlichkeit vorstellt:
Also Herr Direktor Bruckmann ist einer der ersten Verleger Deutschlands […] aus einer ächten alten Münchner Patrizier-Familie! seine Frau ist aber die Seele des Unternehmens! sie ist eine geborene Prinzessin Cantaguzeno […] hat den größten officiellen Salon für Kunst! sie war die Egeria von Hofmannsthal, sie ist eine Freundin von Klages! Karl und ich lieben sie sehr weil sie so eine richtige Frau und Dame ist und lieb dabei – sogar Stefan George hat sie gern. Gundolf verehrt sie sehr u.s.w. und ihr Neffe der junge Hellingrath ist der, der den Hölderlin neu herausgiebt. Den Winter sah ich sie wenig weil sie viel krank war. Nun ist sie zur Erholung an der See! Also wenn Sie wollen dann lassen Sie sie bitten! Ja so – den Mann auch! der versteht seine Sache wohl sehr aber alle Menschen reden nur von ihr.
"[…] sie war die Egeria von Hofmannsthal" - eine heute wohl überraschende Antonomasie, bei der offen bleibt, ob sie Elsa Bruckmann oder Hanna Wolfskehl nach deren Erzählung gefunden hat.
Christian Lehnerts Libretto zu Hans Werner Henzes Oper "Phaedra" endet im Bild eines Vogels, der sich am Widerstand des Todes wie an einem Aufwind emporschraubt, kreisend und singend "wilder als alles Vergängliche". Er ist Symbol der Kunst, die ungebrochen und unbrechbar die Kraft hat, Versöhnungsbilder des Menschen mit sich und seiner Welt hervorzubringen. Etwa 20 Jahre zuvor läuft Christoph Ransmayrs 1988 erschienener Roman "Die letzte Welt" in die Vision einer aufblühenden Welt aus, und zwei entsetzlich erniedrigte junge Frauen sowie ihr blutdurstiger Verfolger schwingen sich - im Augenblick der zum Mord geschwungenen Axt verwandelt in Nachtigall, Schwalbe und Wiedehopf - als Vögel in einen "nachtblauen Himmel" (S. 284). Ransmayr zitiert in diesem Aufschwung eine Episode aus den "Metamorphosen" des römischen Klassikers der Augusteischen Zeit, Ovid. Damit stellt er sich in eine große Tradition, denn diese Dichtung diente dem Mittelalter als Kompendium des mythologischen und historischen Wissens der Antike, und auch später bediente sich die europäische Weltliteratur immer wieder aus diesem Fundus, der die Masse und Vielfalt der griechischen und römischen Mythen und anderes Erzählgut verschiedener Herkunft und literarischer Ausprägung spätzeitlich zusammenfasste und organisierte.
"Warum muß der Wachtmeister Anton Lerch sterben? Warum muß er so sterben? Nicht den Tod, auf den er vorbereitet ist, einen glorreichen Tod vor dem Feind, sondern - niedergeschossen wie ein Hund von der Pistole seines eigenen Kommandeurs, einen schimpflichen, einen unnützen, einen grausamen Tod?" - Mit diesen Fragen beginnt Richard Alewyn seine Deutung von Hofmannsthals 1899 erschienener "Reitergeschichte" und tatsächlich stellen sie sich unweigerlich. Um sie zu beantworten, muss die Erzählung von Beginn an nach denjenigen Momenten des Ungehorsams und der Insubordination durchsucht werden, die die tödliche Bestrafung des Wachtmeisters durch seinen Kommandeur aus militärischer Sicht möglicherweise rechtfertigen. Begreifen lässt sich das Geschehen jedoch erst, wenn auch die Motive, die verborgenen Wünsche und Begierden hinter den Handlungen der zwei Widersacher aufgedeckt werden.
Fensterszenen in der Literatur haben bislang wenig Interesse geweckt, sie gehören gewissermaßen fraglos zum Inventar des Interieurs und seiner Darstellung. Literarische Fensterszenen sind ja auch bei weitem unscheinbarer als diejenigen, die sich, von der Kunstwissenschaft durchaus beachtet, als 'gerahmte Rahmung' in der Malerei einstellen. Um den Umriß meines Themas anzudeuten, wende ich mich zu Beginn einem der berühmtesten Texte des 20. Jahrhunderts zu; nämlich Franz Kafkas Erzählung "Das Urteil", die mit einer solchen Fensterszene ihren Anfang nimmt. Es heißt da:
Es war an einem Sonntagvormittag im schönsten Frühjahr. Georg Bendemann, ein junger Kaufmann, saß in seinem Privatzimmer im ersten Stock eines der niedrigen, leichtgebauten Häuser, die entlang des Flusses in einer langen Reihe, fast nur in der Höhe und Färbung unterschieden, sich hinzogen. Er hatte gerade einen Brief an einen sich im Ausland befindenden Jugendfreund beendet, verschloß ihn in spielerischer Langsamkeit und sah dann, den Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, aus dem Fenster auf den Fluß, die Brücke und die Anhöhen am anderen Ufer mit ihrem schwachen Grün. (KKA D,43)
Der Traum von der Kreativität, den Goethe seinen Werther träumen lässt, beginnt mit der Fixierung auf einen Einzelnen und Ausgezeichneten: "ich brauche Wiegengesang, und den habe ich in seiner Fülle gefunden in meinem Homer" schreibt Goethes Protagonist am 13. Mai 1771. Werthers anfängliche Orientierung an Homer spiegelt in Goethes Text nicht nur die Vorstellungen einer neuen Dichtergeneration, die Kreativität als Leistung eines einzelnen schöpferischen Individuums bestimmt. Die phantasmatische Form seiner Selbstgründung ist zugleich Ausdruck für eine Grundfigur der deutschen Geistesgeschichte. Sie wird zum Zeichen für eine Neugeburt des ästhetischen wie des politischen Subjekts, dessen Bedeutung neben der Philosophie vor allem die Literatur zu verbürgen scheint.
In einer Sonntagsnachmittagsvorstellung veranstaltete der "Verband der Freien Volksbühnen" im Februar 1915 eine "Jedermann"-Aufführung im Haus des »Deutschen Theaters« in Berlin. Die "Freie Volksbühne Berlin" war 1890 von der deutschen Arbeiterbewegung gegründet worden. Sie verstand sich als Besucherorganisation, die ihren Mitgliedern zu stark ermäßigten Preisen Theateraufführungen anbot. Der einflussreiche Theaterdirektor Otto Brahm (1856-1912) stand zunächst an der Spitze der Organisation, tatkräftig von dem streitbaren Bruno Wille (1860-1928) unterstützt, der hier eine Möglichkeit sah, seine Ideale einer in jeder Hinsicht freien Kunst zu verwirklichen und einem dezidiert als 'proletarisch' angesprochenen Publikum zu vermitteln. Brahm, früher Leiter des "Deutschen Theaters" in Berlin, wollte sein Programm vor allem mit Stücken profilieren, die von der Zensur verboten oder der Politik missliebig waren.
Unter eine im November 1938 von Mies Blomsmarasch dahingeworfen Karikatur von Joseph Roth, die ihn als derangierten Trinker hinter einer Siphonflasche und zwei halbgefüllten Gläsern zeigt (siehe S. 289), schreibt dieser in seiner krakeligen Schrift: "Das bin ich wirklich; böse, besoffen, aber gescheit." Man könnte noch hinzufügen: allerdings auch ein Lügner. Vielfältige und variantenreiche Geschichten hat er über sein Leben erzählt und sich mit dem "romantischen" Menschen gleichgestellt, der "wie ein offener Garten [ist], in dem die Wahrheit nach Belieben ein und aus geht". Allein von "dreizehn verschiedenen Versionen über die Identität seines Vaters" weiß sein Biograph David Bronsen zu berichten. Auch bekräftigte Roth, Leutnant gewesen zu sein, gab sich jedoch nachher wieder als Einjährig-Freiwilliger aus; in den zwanziger Jahren gerierte er sich als Sozialist, unterzeichnete seine Beiträge für die Zeitschrift "Vorwärts" mit "Der rote Joseph". Ein Jahrzehnt später hingegen agierte er als Monarchist, der mit entschiedenem Nachdruck auf der Restitution des untergegangenen Habsburger Reichs beharrte. So schrieb er 1933 an Stefan Zweig: "Ich will die Monarchie wieder haben und ich will es sagen." In der Schwebe blieb sogar seine Konfession; mal gab er sich als Jude, mal als Katholik aus. Kaum verwunderlich ist es also, dass er mit seiner 'gespaltenen Zunge' seine Mitmenschen wieder und wieder verwirrte.
Tiere stellen im Werk und Denken Elias Canettis eine ebenso zentrale wie komplexe Bezugsgröße dar, die nicht nur im Kontext der zeit- und menschheitsgeschichtlichen Diagnostik von "Masse und Macht" und im Zusammenhang mit dem für ihn zentralen Begriff der Verwandlung, sondern auch in seinen Aufzeichnungen eine entscheidende Rolle spielt. Canetti nimmt damit teil an einer für die Moderne kennzeichnenden Entwicklung, die dazu führt, dass die bis dahin vorherrschende anthropozentrische Perspektive auf das Verhältnis von Mensch und Tier aufgegeben wird. Schon im 19. Jahrhundert rückt das Tier - trotz Kants weitgehender Affirmation der cartesischen Bestimmung des Tiers als einer Sache - dem Menschen zunehmend näher, zum einen bedingt durch die fortschreitende naturwissenschaftliche Abwendung von den bis dahin gültigen Klassifikationen, zum andern veranlasst durch die Umwälzungen der Darwinschen Evolutionstheorie. Nicht zufällig lassen sich in der Literatur des 19. Jahrhunderts dann vielfältige Versuche und Formen ausfindig machen, die die Transgression von Mensch und Tier zu gestalten suchen und die bis dahin geltenden, gleichermaßen klaren wie starren Grenzziehungen unterlaufen und in Frage stellen, eine Entwicklung, die sich im 20. Jahrhundert noch einmal verstärkt
Paul Scheerbarts astrale Hermeneutik : Vorschlag zu einer Bestimmung des Begriffs "Neoromantik"
(2010)
Im Februar 1904 erscheint in der Zeitschrift "Kunst" eine Reihe von Zeichnungen Paul Scheerbarts unter dem Titel "Der magnetische Spiegel". Eingebettet in einen pseudodokumentarischen Rahmentext illustrieren Kopffüßler und andere groteske Kreaturen den Erfahrungsbericht eines optisch-physikalischen Versuchs. Mit Hilfe einer in Schottland entdeckten Bauanleitung konstruiert der namenlose Berichterstatter einen magnetischen Spiegel, der ihm den Blick auf eine neue Kunst ermöglicht:
Rein äußerlich betrachtet, sind die geheimnisvollen Spiegel ganz einfache, spiegelnde Metallplatten. Wird nun die nach der Vorschrift hergestellte Metallplatte zur Erdbebenzeit in die richtige Lage gebracht, so zeigt sich bei Beobachtung der Platte mit eigens präparierter Lupe ein Bild von besonderer Anziehungskraft. Und wer diese Bilder in den Hauptzügen richtig zu kopieren vermag, der hat die "neue Kunst" entdeckt.
Magnetismus und 'neue Kunst' verweisen auf eine romantische Poetik und deren Projekt einer wissenschaftlichen Erforschung des Paranormalen; ein solches Amalgam von Technologie und esoterischem Wissen zielt auf eine naturwissenschaftliche Metaphysik und die Sichtbarmachung des Unsichtbaren.
"Und, was das komische Fach angeht, lassen wir uns durch irgend etwas zum Wiehern bringen, was nicht plump und dick aufgetragen und dann noch dreimal unterstrichen ist?", fragte einst Richard Alewyn rhetorisch und hielt Hugo von Hof mannsthal postum für "berufen […], eine deutsche Lustspielbühne" gewissermaßen jenseits plumpen Wieherns zu schaffen. Seither ist zu Hofmannsthals Komödien nicht wenig geforscht worden; erstaunlich selten aber finden sich Arbeiten, die genauer nach der Komik in seinen Lustspielen fragen. Die meisten Untersuchungen greifen dramaturgische, historische, auch gesellschaftskritisch-politische oder motivliche Spezialaspekte heraus und stellen wichtige Interpretationsangebote auch zum "Unbestechlichen" zusammen. Auf Seiten der Komik- und Humor-Forschung ist das Bild nicht anders; bei der Suche nach Beispielen für systematisch interessante Lachanlässe in Theaterstücken fällt der Blick kaum je auf Hofmannsthal.
Dieser Beitrag sucht einen bescheidenen Anfang zu machen, indem er in diplomatischer Transkription jene Briefe dokumentiert, die Vollmoeller und Hofmannsthal austauschten, und welche heute vornehmlich in der Bibliothek des Freien Deutschen Hochstifts in Frankfurt (FDH) aufbewahrt werden. Die sieben Briefe Vollmoellers stammen aus den Jahren 1903 bis 1925, drei Briefe Hofmannsthals an Vollmoeller aus dem Jahr 1927 liegen in Abschriften vor. Hinzu kommt noch ein Kondolenzschreiben Vollmoellers an Christiane von Hofmannsthal-Zimmer, datiert auf den 19. Juli 1929.