Komparatistik : Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft ; 2019
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Sinnvoller als eine kategorische Scheidung beider Begriffe, zu der Kant neigt, wäre ein differenzierendes Konzept, demzufolge das Schöne als ein Sonderfall des Angenehmen zu bestimmen wäre, genauer als das Angenehme, sofern es ohne sinnliche Bestimmtheit betrachtet wird. Das Angenehme und das Schöne wären dementsprechend gar nicht als Gegensätze zu erfassen, sondern als komplementäre Bestandteile des ästhetischen Wohlgefallens. Gegen Kants in gewisser Weise kontraproduktiven Versuch, das ästhetische Urteil von allen sinnlichen Bestimmungen frei zu halten - denn was anders als sinnliche Wahrnehmung bedeutet der griechische Ausdruck 'aisthesis', der am Ursprung der Ästhetik steht? - wäre das Schöne als ein bloßer Teilbereich des Angenehmen zu fassen. Kants Purismus des Schönen, der Versuch, zwischen sinnlicher Wahrnehmung und dem von allen Sinnen freien ästhetischen Urteil zu unterscheiden, läuft so letztlich ins Leere. Wo Kant gute Gründe hat, zwischen dem Schönen und dem Guten zu unterscheiden, da gibt es ebenso gute Gründe, das Schöne und das Angenehme einander anzunähern. Was damit in Frage steht, ist eine Ästhetik des Angenehmen, die die Theorie des Schönen als einen Teilbereich in sich einschließen würde, zugleich aber andere Begriffe wie den des Lieblichen, Reizenden, Rührenden, Exquisiten u. a. einbeziehen würde, um der ausschließlichen Betrachtung des Schönen und des Erhabenen entgegenzuwirken, wie sie Kant im Anschluss an Burke für die Ästhetik etabliert hat. Eine neue, an den Sinnen ausgerichtete Ästhetik könnte so unter dem Titel des Angenehmen firmieren.
Der vorliegende Beitrag möchte die frühneuzeitliche Transformation des astronomischen Wissens im Horizont ihrer 'Vorgeschichte' sowie ihres historischen Wirkungspotentials betrachten. Die astronomischen Arbeiten von Kopernikus, Kepler und Galilei sollen dabei in einer Perspektive der 'longue durée', d. h. vor dem Hintergrund jener wissensgeschichtlichen (insbesondere antiken) Bezugspunkte beleuchtet werden, die sich von einem Blickpunkt der Rückschau als mögliche Antizipationen der kopernikanischen Reform zu erkennen geben. Die antiken Vertreter einer heliozentrischen Kosmologie sind dabei freilich weniger als 'Vordenker' oder 'Vorläufer' anzusprechen, sondern vielmehr als "Indikatoren für die jeweilige Erweiterung des Horizonts möglicher Variationen" in Betracht zu nehmen. Darüber hinaus möchten die folgenden Untersuchungen ein Moment in den Blick rücken, das vor allem für einen literaturwissenschaftlichen und komparatistischen Zugang von näherem Interesse ist: die sprachlichen und medialen Formen, in der sich jene Umstellungen des kosmologischen Denkens artikulieren. Denn der gedankliche Gehalt, den die frühneuzeitlichen Astronomen in ihren Schriften vorbringen, ist nicht unabhängig von den sprachlichen und ästhetischen Formen, in denen er sich manifestiert. Dies gilt nicht zuletzt im Blick auf die Wirkung und Überzeugungskraft jener Schriften, für die rhetorische und ästhetische Verfahrensweisen der Evidenzerzeugung nicht weniger bedeutend sind als die darin zur Geltung gebrachten mathematischen und empirischen Beweismittel.
Im Folgenden möchte ich den Vorschlag machen, 'Kontext' als strengen Differenz- und Zuordnungsbegriff aufzugeben, ohne auf das grundlegende Konzept eines materiell, funktional und institutionell und damit in seiner Realitätsqualität Anderen eines Textes, das wiederum auch andere Texte sein oder solche provozieren können, zu verzichten. Aus dieser Perspektive bilden die materiellen Grundlagen von Texten einen wesentlichen Ausgangspunkt literaturwissenschaftlichen Arbeitens. Die Materialität eines Textes ist in dieser Auffassung ihre (sprachliche) Form wie auch ihre paradigmatische und syntagmatische Gebundenheit an andere Formen, Diskurse und Praktiken. Sie ist daher stets offen, in Bewegung und auf unterschiedlichen Realitätsebenen bzw. in unterschiedlichen Realitätsqualitäten aktiv und funktional wirksam. Aus diesem Grund ist die Frage nach der permanenten Verschiebung und Aufhebung von Grenzen und Zuordnungen, veränderten Praktiken und Prozessen der Produktion und Rezeption strikt notwendig. So konnte der New Historicism mit seinen genauen Lektüren zeigen, dass sich die Grenzen zwischen den epistemologischen, politischen, religiösen und formalen Diskursen ebenso wie die Materialitäten der verschiedenartigen, literarischen und nicht-literarischen Texte stets verschieben. Im Anschließenden lässt sich anhand eines Beispiels zeigen, dass solche "Tauschgeschäfte" in Texten selbst angelegt sind und eine Differenz von Literatur und Nicht-Literatur besonders seit dem 19. Jahrhundert in Frage gestellt und vielfach auch aufgehoben wird. [...] Diese Überlegungen möchte ich in einem ersten Schritt anhand liminaler Formationen aus der langen Jahrhundertwende um 1900 beschreiben und damit auf ein spezifisches historisches Textkorpus zurückzugreifen, das erst anhand der Text-Kontext-Frage umfassend erkenn- und beobachtbar wird. Ein reformulierter und aktualisierbarer Ästhetikbegriff, der sich aus dem Textmaterial exemplarisch erarbeiten lässt, fungiert dabei als konzeptuelle Grundlage für weitere Überlegungen zum theoretischen und methodologischen Umgang mit (literarischen) Texten.