Studien der Paderborner Komparatistik
Refine
Document Type
- Part of a Book (41) (remove)
Language
- German (41)
Has Fulltext
- yes (41)
Is part of the Bibliography
- no (41)
Keywords
- Tabu (14)
- Biopolitik <Motiv> (11)
- Geschlechterforschung (8)
- Biopolitik (5)
- Männlichkeit <Motiv> (5)
- Weiblichkeit <Motiv> (4)
- Sexualverhalten (3)
- Atwood, Margaret (2)
- Depression <Motiv> (2)
- Erzähltechnik (2)
Salina Reinhardt setzt sich mit dem Thema der krisenhaften Männlichkeit am Beispiel des seit den 1990er Jahren zum Kultroman avancierten "Fight Club" von Chuck Palahniuk auseinander. Der Konflikt des weißen, heterosexuellen Mannes konkretisiert sich in dem Protagonisten und lässt durch dessen Persönlichkeitsspaltung gegenläufige Rollenerwartungen sowie fehlende Neuentwürfe aufeinanderprallen und in einer Überkompensation eines hypermaskulinen, sich von jeder Form weiblicher Zuschreibung loslösenden Männlichkeitsentwurfs gipfeln, der in seiner Mythenhaftigkeit nicht nur thematisiert, sondern vor allem als ein in den Wahnsinn führendes Problem inszeniert wird. Den Konflikt zwischen dem Protagonisten und seiner abgespaltenen Persönlichkeit schließt Reinhardt mit dem Erzählmodus des Romans kurz, der in seiner Aufspaltung den Geschlechter-Kampf der schizophrenen Figur mit sich selbst reproduziert und diesen beinahe in einer Eigendynamik zu überhöhen scheint.
In dem Roman "Never Let Me Go" von Kazuo Ishiguro erzählt Kathy H. kurz vor Ablauf ihrer Lebenszeit in einer Rückblende ihre Lebensgeschichte. Ihr Rückblick beginnt in Hailsham, einem Internat, wo sie zusammen mit Tommy und Ruth ihre Kindheit erlebt. Sie erfährt recht früh, dass sie und alle Kinder, die das Internat besuchen, Klone sind und eines Tages der Gesellschaft, von der sie geschaffen wurden, ihr Leben bzw. ihre Körper in Form einer Organspende bereitstellen müssen. [...] Die Klone sind in den Augen der Nicht-Klone weniger wert, als diejenigen, denen sie nachgebildet sind und werden von den Nicht-Klonen durch verschiedene Mechanismen biopolitisch manipuliert und gesteuert. Kathys und Tommys Bestreben ihre Liebe zu leben und die Suche der Protagonist*innen nach der eigenen Identität stehen im Fokus der Handlung. Deshalb stelle ich mit dem Titel "Klon, Person, Identifikation" die Frage nach der Menschlichkeit der Protagonist*innen an den Anfang meiner Überlegungen zu dem Roman von Kazuo Ishiguro. Im weiteren Verlauf meines Aufsatzes beschäftige ich mich mit der Frage nach den biopolitischen Zusammenhängen zwischen der Identitätsfindung auf der einen Seite und der Identitätsentwicklung der Klone auf der anderen Seite.
Mit "Corpus Delicti" zeigt Zeh eine biopolitische Kontrollmacht auf, die in der Fluchtlinie von Michel Foucaults und Giorgio Agambens biopolitischen Theorien auf dem menschlichen Körper fußt: Während jedoch Foucault die Einwirkung der Biomacht auf der sozio-politischen Ebene lokalisiert, nähert sich Giorgio Agamben dem biopolitischen Grundgedanken aus einer juristischen Perspektive an. "Corpus Delicti" absorbiert beide biopolitischen Annäherungen und veranschaulicht sie vor dem Hintergrund einer Gesundheitsdiktatur, in der die individuelle Freiheit der Gesundheit weichen muss; lieber gesund, schmerzfrei und lang lebend als frei. Mit diesem Ziel, allen Bürgern*innen die Gesundheit zu garantieren, verwaltet Zehs fiktiver Staat, die METHODE, totalitär die Körper seiner Bürger*innen und stößt dabei auf erstaunlich geringen Widerstand, denn die Angst vor Krankheit und Tod führt zur innerlichen Akzeptanz normierten Verhaltens im Namen der zur Staatsräson erhobenen Gesundheit. Mit diesem Beitrag möchte ich versuchen, Michel Foucaults und Giorgio Agambens Theoretisierung von Biopolitik so weit zu erklären, dass die biopolitischen Anknüpfungen in "Corpus Delicti" beleuchtet und veranschaulicht werden können. Vor dem Hintergrund des Verständnisses von Foucaults und Agambens biopolitischen Theorien und einer kurzen inhaltlichen Darstellung von "Corpus Delicti" wird es möglich sein, die literarische Verarbeitung biopolitischen Regierens in "Corpus Delicti" genauer aufzuzeigen, und dies sowohl aus einem sozio-politischen als auch juristischem Blickwinkel.
Ronja Hannebohm nimmt den im Jahr 1985 erschienen Roman "The Handmaids Tale" zur Grundlage ihres Beitrags, um die in einer Dystopie verorteten Geschlechterrelationen in den Fokus zu stellen, die auf den ersten Blick binär und in dieser Form starr erscheinen, jedoch anhand einer eingehenden Analyse relativiert werden können. In den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellt der Beitrag die Gegenüberstellung von starken, machtvollen Männern und schwachen, unterworfenen und auf ihre Gebärfähigkeit reduzierten Frauen, den sogenannten Handmaids. Diese scheinbar stabilen Verhältnisse werden - dies hebt Hannebohm bereits mit dem Titel ihres Beitrags "Geschlechter-Macht-Binarismen relativiert: Margaret Atwoods Männerdarstellungen in "The Handmaid’s Tale"" hervor - in der Erzählung durch Ambivalenzen ersetzt, die erstens, den aktuellen Forschungstendenzen folgend, anhand der Beschreibungen der Handmaids ausgemacht werden, zweitens aber auch durch die männlichen Figuren, die im Roman als in ihrer Macht enthoben dargestellt werden, nachgewiesen werden können.
Adelina Debisow stellt in ihrer Einleitunt die übergreifende These des Sammelbandes "Geschlechter-Dramen: Literarische und filmische Inszenierungen von 1800 bis heute" vor, dass die Analyse von Geschlechter-Dramen ein bemerkenswertes Potenzial aufweist, insofern die Perspektive der Reziprozität von Gattung und Geschlecht in besonderer Weise erlaubt, gesellschaftliche und künstlerische Ordnungen in ihrer Dynamik und Historizität interdisziplinär in den Blick zu nehmen. Vor diesem Hintergrund wird der Begriff des dramatising gender vorgeschlagen und entfaltet, mit dem in Absetzung und Ergänzung zu den Begriffen des doing, staging und narrating gender die Inszenierung von Geschlechter-Dramen in den unterschiedlichen Gattungen künstlerischer Ausdrucksformen bezeichnet wird. Die Beziehung der unterschiedlichen Modellierungen von Geschlechter-Dramen zu sozialhistorischen Wandlungsprozessen bildet dabei eines der zentralen Probleme, die im Folgenden diskutiert werden sollen, indem die Funktionalität der Fiktion als Spielraum von "Probehandlungen" mit der Reziprozität von Gattung und Geschlecht zusammengedacht wird. Zuvor werden die möglichen terminologischen Bedeutungshorizonte des Geschlechter-Dramas im Detail vorgestellt und somit eine erste Stoßrichtung vorgegeben.
Christin Harpering setzt sich in ihrem Beitrag mit der Entwicklung der Bond-Girls in den populären Kinofilmen um den von Ian Fleming erfundenen Geheimagenten James Bond auseinander. Dabei setzt sie mit Dr. No (1962) bereits bei dem ersten Film der Bond-Reihe an und geht anhand ausgewählter Beispiele zu den jüngsten Bond-Verfilmungen, um die Geschlechterkonzeption(en) der Bond-Girls in den Fokus ihrer Analyse zu stellen. Die Verfasserin geht davon aus, dass die Inszenierung der Bond-Girls in den populären Strandszenen an das rinascimentale Bild der Venus von Botticelli angelehnt sind, diese sich aber in Folge der Serialität und der damit verbundenen Weiterentwicklungen in ihren Weiblichkeitsdarstellungen transformieren. Im Zusammenhang mit der Veränderung des männlichen Helden James Bond führt Harpering den Nachweis, dass die erstarkenden Bond-Girls nicht etwa zu einer Marginalisierung der Männlichkeit Bonds führen, sondern mit den jüngeren Filmen ein hypermaskuliner Bond auf die Kino-Leinwand gebracht wird, so dass die Transformation der weiblichen Geschlechterkonzeptionen in einer Wechselwirkung mit männlichen Geschlechterkonzeptionen verstanden werden kann.
Adelina Debisow widmet sich der Inszenierung eines Tabus auf der Theaterbühne des 17. Jahrhunderts. In ihrem Aufsatz "Die 'obescénité' als inszenierter Tabubruch in der Komödie des 17. Jahrhunderts - Molières 'L'École des femmes' und 'La Critique de L'École des femmes'" beschreibt die Autorin ein Tabu, das zur Zeit Molières noch nicht als solches benannt werden kann, da der Begriff erst im 18. Jahrhundert überliefert wird. Dennoch weist seine Komödie etwas Unaussprechliches auf; das Moment sexueller Überschreitung wird im Bild der gestohlenen Schleife der Figur Agnés coram publico angezeigt und in der später erscheinenden 'Critique' mit dem Begriff der 'Obescénité' als Unsagbares gekennzeichnet.
Alin Bashja Lea Zinner fokussiert in ihrem Aufsatz ein Tabu innerhalb der literarischen Aufarbeitungsgeschichte der NS-Verbrechen. In "Das Tabu der sexuellen Gewalt in der Holocaust-Literatur" stehen die literarischen Werke des Holocaust-Überlebenden Yehiel DiNur im Zentrum der Aufmerksamkeit, die mit einem Vexierspiel aus Faktualität und Fiktionalität die sexuelle Ausbeutung von Häftlingen entlarven und sich aufgrund dessen in ihrer Rezeptionsgeschichte Anfeindungen und Vorwürfen der pornographischen Ausschlachtung und Proftigier ausgesetzt sahen.
Unter den Bedingungen neoliberaler Meritokratie sind die Menschen ununterbrochen gefordert, sich selbst zu vermarkten, sich leistungsstark zu zeigen und ihre Position im Wettbewerb zu verbessern. Ins Zentrum des modernen Lebens rückt die Notwendigkeit, sich permanent zu thematisieren, zu optimieren und darzustellen. Die virtuellen sozialen Netzwerke sind in diesem Kontext als bedeutsame Formen der modernen Selbsttechnologie zu verstehen, in denen das kulturelle Begehren nach Authentizität und der Zwang zur Selbstdarstellung und Selbstverwirklichung einen Ausdruck finden. Die Frage nach dem Selbst oder genauer: die Frage, wie man zu diesem Selbst gelangt, stellt sich vor dem skizzierten Hintergrund auf mehrfache Weise. Das neoliberale Subjekt ist um eine ständige Sichtbarmachung des eigenen Selbst bemüht, das depressive Subjekt scheitert an diesem Imperativ und hat den Bezug zum eigenen Selbst verloren und das Subjekt der Psychiatrie versucht mithilfe von Expert*innen das entfremdete Selbst (wieder) zu erlangen. Innerhalb dieses Problemfeldes bewegt sich der vorliegende Beitrag. Am Beispiel des Schriftstellers Benjamin Maack soll der Frage nachgegangen werden, wie die Depression und die Erfahrung von Selbstverlust in einem Werk der Gegenwartsliteratur zur Sprache kommen. Im Gegenzug soll in einem zweiten Schritt untersucht werden, wie die Institution der psychiatrischen Klinik mit ihren Subjektivierungs- und Objektivierungsmechanismen im Text von Benjamin Maack dargestellt wird. Im Anschluss an Michel Foucault werden sowohl das literarische Schreiben als auch die psychiatrische Untersuchung als Geständnistechniken gedeutet. Die Entstehung der Literatur im modernen Sinne des Wortes wird in Beziehung gesetzt zu der Vervielfältigung und Ausbreitung der Geständnistechnologie im modernen abendländischen Staat. In diesem Beziehungsgeflecht, das es an späterer Stelle nachzuzeichnen gilt, nimmt das literarische Geständnis jedoch eine Sonderstellung ein und weicht von anderen Geständnistechniken ab.
Mit einem gegenwärtig besonders populären medialen Format setzt sich Tanja Lange in ihrem Aufsatz "Dahin zeigen, wo es weh tut: Perspektiven auf Verletzbarkeit und Selfiekultur" auseinander. Gemeinhin gilt das Phänomen des Selfies als Ausdruck des Egozentrismus einer Generation. Die Autorin nimmt dagegen jedoch Selbstdarstellungen in den Blick, die Verletzbarkeit demonstrativ ausstellen und stellt diese in den Kontext philosophischer Anerkennungstheorien. Mit der Zurschaustellung von Verletzung und Versehrtheit scheint in einer erfolgsorientierten Gesellschaft ein Tabu berührt zu sein.