Rombach Verlag
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Who has any doubt nowadays that our past is the key to our present, and by articulating this past, verbalizing it to a therapist, we can divest ourselves of its debilitating weight? Memory liberates, narration heals, history redeems […]. […] to remember is to heal. Heal from what? From the amnesia that 'dissociates' the psyche, from the forgetting that breaks the continuity of my history and therefore keeps me from being my self. Ever since (and because of) Anna O.'s miraculous cure, forgetting has ceased to be a simple lapse of memory […].
Soll die in Erzählung gegossene Erinnerung aber nicht nur befreiende, sondern gar heilende und erlösende Kräfte besitzen, muß Vergessen von der Gedächtnislücke (lapse of memory) zum Sündenfall überhöht werden. Die Wiener Jüdin Bertha Pappenheim (1859-1936), von Freud und Breuer in den 1895 publizierten "Studien über Hysterie" sorgsam unter dem Decknamen Anna O. verborgen, gilt Mikkel Borch-Jacobsen daher sowohl als Kronzeugin für die das 20. Jahrhundert beherrschende Macht der Erinnerung wie auch für die Verwissenschaftlichung der Beichte durch die Psychoanalyse.
Wenn man den 1961 publizierten Text von Albert Renger-Patzsch "Über die Grenzen unseres Metiers. Kann die Fotografie einen Typus wiedergeben?" liest, so trägt er kaum noch Spuren der fraglos scharfen Kritik, die ihn veranlasst hatte. August Sander, gegen den er sich richtet, wird von Renger noch nicht einmal namentlich -und sei es beiläufig - erwähnt (einzig in der Einleitung der Redaktion wird er explizit benannt) und auch der historische Kontext von Sanders großangelegtem Projekt "Menschen des 20. Jahrhunderts" wird bestenfalls am Rande gestreift. In einer ganzen Reihe von Briefen äußerte Renger-Patzsch hingegen seine Kritik an Sander, die er bereits bei Erscheinen von Sanders Buch "Antlitz der Zeit" gegenüber Carl Georg Heise in ähnlicher Deutlichkeit formuliert hatte, unverblümt. Renger hatte 1960 den Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie erhalten und erfuhr, dass Sander ein Jahr später ebenfalls für diese Auszeichnung vorgesehen war. Dieser Preis "zeichnet bedeutende Leistungen aus, die mit Hilfe der Photographie erzielt wurden, insbesondere auf künstlerischem, humanitärem, karitativem, sozialem, technischem, erzieherischem oder wissenschaftlichem Gebiet". Genau diese Leistung konnte Renger-Patzsch in Sanders Werk nicht erkennen. Daher wandte er sich gleich an mehrere einflussreiche Mitglieder und nicht zuletzt an Gerhard Schröder, den damaligen Präsidenten der Gesellschaft, um gegen Sander als möglichen Preisträger seinen Einspruch einzulegen.
"Ich glaub immer noch, daß ich im Stand sein werde, mir meine Welt in die Welt hineinzubauen." Diese Äußerung aus einem Brief Hugo von Hofmannsthals vom 15. Mai 1895 an Richard Beer-Hofmann kann zugleich als Aussage über die Funktion gedeutet werden, die Briefe für den Autor besitzen: Es geht um die Etablierung, das Herstellen einer eigenen Welt, eines dem eigenen Ich völlig angemessenen Raums, der dennoch Teil der realen Welt ist. Dass es sich dabei um eine spezifisch epistolare Funktion handelt, geht allein schon aus den medialen Voraussetzungen der Gattung 'Brief' hervor. Briefe ermöglichen zwar die persönliche Kommunikation zwischen Absender und Adressat; anders als in der mündlichen Kommunikation ist jedoch die Situation der Äußerung, des Schreibens, zeitlich und räumlich von der Situation des Empfangs, des Lesens, verschieden - das Distanz-Medium Schrift setzt die Abwesenheit des Adressaten voraus. Die Briefkommunikation erlaubt dem Autor daher, ganz 'bei sich' zu bleiben und doch zugleich den Kontakt mit der Aussenwelt zu wahren.
Hofmannsthals Fragmente sollen hier nicht nach Grenzen und Gründen ihres Status abgesteckt werden. Die Beleuchtung einer "Ästhetik des Fragmentarischen" wirft ihr Licht wohl weniger auf die sogenannten Fragmente Hofmannsthals als auf den Teil seines oeuvres, den man als das vermeintliche Werk von den Fragmenten abzusetzen pflegt. Damit hängt zusammen, daß von einer Ästhetik des Fragmentarischen wohl nur in Verbindung mit einer Ethik des Fragmentarischen im Werk Hofmannsthals die Rede sein kann. Es geht daher auch um die Ortung einer fragmentarischen Identität bei Hofmannsthal. Die Gründe für eine solche, vielleicht paradox anmutende Umschreibung vom Ästhetischen zur Ethik, vom Fragment zum Werk scheinen gerade aufgrund auch editorischer Erfahrungen im Umgang mit Hofmannsthal gerechtfertigt: Es ist zunächst die zwar angesichts der großen Torsi wie "Andreas", "Silvia im 'Stern'", "Timon" oder "Kaiser Phokas" verständliche Frage nach den Gründen für den Abbruch der Arbeit, aber dann gerade ihre immer nur unbefriedigend - kann man sagen: unvollständig? - ausfallende Antwort, die zu einer resignativen Einstellung führt. Im Fall des "Andreas"-Romans, um hier das wertvollste aller Fragmente stellvertretend anzuführen, sind schon von den ersten Lesern die unterschiedlichsten Versuche unternommen worden, den Abbruch, die Brüchigkeit durch eine eindeutige Antwort zu glätten und damit den Fragmentcharakter zu nivellieren.
Mit der Verfasserangabe P. Josef erschien am 29. Januar 1870 in der Wiener "Presse" ein Artikel "Christliche Zeitrechnung", in dem es heißt:
In unserem merkwürdigen und edlen Zeitalter werden die Schranken immer mehr entfernt, die Classe von Classe, Race von Race trennen; die Mildthätigkeit und Barmherzigkeit kennt keine Parteiung und kein Lager mehr, dem Kriege selbst wird seine Grausamkeit immer mehr benommen; der Glaube wird idealisiert, der Irrthum nicht mehr für sträflich gehalten, der höchsten Wahrheitsliebe gesellt sich ein bescheidenes Bewußtsein der Mangelhaftigkeit unserer Erkenntniß und große Empfindungen arten nicht in Fanatismus oder Schwärmerei aus, denn in Eile folgt ihnen nüchternes Bewußtsein und concret gestaltende Kraft.
Diese unerschütterbare Fortschrittsgewissheit stammt von keinem Priester, wie das strategische, als Pater Josef zu lesende Anagramm nahelegt, sondern von dem Techniker Josef Popper, der sich allerdings noch vielfach unter dem Schutz der Anonymität oder von Pseudonymen wie Lynkeus oder Nestor öffentlich einmischen sollte.
Seit der Publikation seiner Tagebücher besteht die Möglichkeit, die zeitgenössische Rezeption der Werke Arthur Schnitzler genauer zu erforschen. Manche wichtige Rezension zu seinen Buchveröffentlichungen wird - besonders wenn sie aus dem engeren Bekannten- und Freundeskreis stammt - im Tagebuch erwähnt und lässt sich aus den gelegentlich nur sporadischen Angaben Schnitzlers ermitteln. "Fräulein Else" – zunächst in Heft 35 der "Neuen Rundschau" vom Oktober 1924 erschienen - kommt schon am 25. November als Buch bei Zsolnay heraus. Am 23. November notiert Schnitzler ins Tagebuch: "Auf dem Heimweg zu Salten; ihm sagen, wie ich mich über das Else Feuilleton freute", und am Tag darauf heißt es über Salten, dass er am "Sonntag in der N. F. P. eine große Fanfare für Frl. Else blies". Die Fanfare, pünktlich zur Begrüßung der Buchfassung, findet sich als mehrspaltige begeisterte Rezension in der "Neuen Freien Presse" vom 23. November 1924 und ist eine der zahlreichen "Elogen über Frl. Else", die Schnitzler mit Stolz am 6. Dezember 1924 vermerken kann. "Therese. Chronik eines Frauenlebens" erscheint 1928 bei S. Fischer, vor dem 7. Mai 1928, denn unter diesem Datum lesen wir bereits: "Mit Vicki […] genachtm[ahlt]. Seine Kritik über 'Therese' in der Vossischen (herzlich und gescheidt)". Die Recherche führt hier zur "Literarischen Umschau", der Beilage der "Vossischen Zeitung" vom Sonntag, den 29. April 1928. Es sind selbstverständlich die Erstrezensionen, die Schnitzlers Interesse erregen, eine weitere Besprechung Victor Zuckerkandls Ende des Jahres in der "Neuen Rundschau" findet im Tagebuch keine Erwähnung mehr. In dieser zweiten Rezension gibt es im Übrigen keine redundanten Wiederholungen aus der ersten, beide entwickeln eine eigene Perspektive auf den Roman "Therese".
Am 19. August 1898 schob Hofmannsthal über fünf Stunden lang sein Fahrrad vom schweizerischen Brieg auf die Paßhöhe des Simplon, wo sich ihm ein Szenario "von einer unbeschreiblichen Großartigkeit" eröffnete: "Abgründe, in die man ganze Bergketten hineinwerfen könnte, Gletscher bis an die Straße herab, Schutzdächer, über die das Wasser herunterschäumt und nach rückwärts riesige Bergketten und sich kreuzende mit Schatten erfüllte Thäler". Angesichts dieser unwiderstehlichen Kraft und Größe kamen ihm vier Zeilen in den Sinn, die er genau ein Jahr zuvor in Verona niedergeschrieben hatte: "Wasser steht, uns zu verschlingen / rollt der Fels uns zu erschlagen, / kommen schon auf starken Schwingen / Vögel her uns fortzutragen". Die Zeilen waren als Teil eines Versgesprächs entstanden. Eingebettet in eine allgemeine Reflexion über die Existenz des Menschen hatten sie damals einen eher abstrakten Sinn.
Musils Drama "Die Schwärmer" ist in der Forschung bisher vergleichsweise stiefmütterlich behandelt worden. Diese Tatsache ist erstaunlich, da Musil es selbst als sein "Hauptwerk" bezeichnet hat. Für das Drama wurde ihm außerdem auf Vorschlag von Alfred Döblin der Kleist-Preis zuerkannt und anspruchsvolle Literaturkritiker besprachen es lobend nach seiner Erstaufführung im Berliner "Theater der Stadt". Freilich düpiert das Drama zunächst die Erwartung an die gattungstypische Handlungsorientierung.
Statt dessen finden sich ausgedehnte philosophische Diskussionen über die Bedingungen von Erkenntnis, über Partnerschaften und über Fragen der Lebensführung. Bianca Cetti Marinoni hat gezeigt, wie wichtig die gedanklich-konzeptionelle Arbeit auch für die Entstehung des Stückes war und es deshalb als "essayistisch" bezeichnet. Erschwerend kommt hinzu, daß die Verhandlungen zwischen den Figuren in einer äußerst dichten Sprache gestaltet sind, in die zahlreiche Metaphern und Vergleiche eingeflochten sind.
Hofmannsthals "Gespräch über Gedichte", nur ein Jahr nach dem Chandos-Brief konzipiert und 1904 erstmals, mit dem Titel "Über Gedichte", veröffentlicht, leidet unter einer fatalen Anschuldigung. "Hofmannsthal sucht im Georgedialog das ästhetische Symbol als Opferritual zu fassen", erklärt Theodor W. Adorno in einem Essay von 1939. Er zitiert dann die berühmte Erzählung Gabriels vom ersten Opferer, mit ein paar Auslassungszeichen allerdings, und kommt zu dem Schluß: "Diese blutrünstige Theorie des Symbols, welche die finsteren politischen Möglichkeiten der Neuromantik einbegreift, spricht etwas von ihren eigentlichen Motiven aus. Angst zwingt den Dichter, die feindlichen Lebensmächte anzubeten: mit ihr rechtfertigt Hofmannsthal den symbolischen Vollzug. Im Namen der Schönheit weiht er sich der übermächtigen Dingwelt als Opfer." Blutrünstig und politisch finster, Angst und Selbstopfer - da öffnet sich ein ästhetischer und gleich auch politischer Abgrund. Denn umstandslos setzt dieser Begriffswirbel Symbol (also auch Poesie) und Blutopfer, den Dichter und den Opferer gleich.
In einem Brief von 1894 schreibt Hofmannsthal an Leopold von Andrian von einem besonderen Zustand, in dem er die Einheit des Seins 'erlebt' und 'spürt'. Es heißt darin:
Ich erleb jetzt eine sonderbare Zeit: mein inneres Leben macht aus Menschen, Empfindungen, Gedanken und Büchern eine wirre Einheit, die Wurzeln aller dieser Dinge wachsen durcheinander wie bei Moos und Pilzen und man spürt auf einmal, daß die Scheidung von Geist und Sinnen, Geist und Herz, Denken und Tuen eine äußerliche und willkürliche ist. Πάντα ῥεĩ das citiert zwar schon der Herr Dehmel, aber richtig ist es doch.
Die einzelnen Dinge, Empfindungen und Gedanken erhalten in diesem Zitat gemeinsame Wurzeln, die in ihnen enthalten und untrennbar mit ihnen verwoben sind. Die Metapher Heraklits, nach der 'Alles fließt', scheint von Hofmannsthal innerlich erlebt, ohne sprachlich klar erfasst werden zu können. Diese Einheit kann offenbar nur 'erspürt' werden, was zur Folge hat, dass die gängigen begrifflichen Unterscheidungen, die dem Dualismus eigen sind ("Scheidung von Geist und Sinnen"), als "äußerlich" und "willkürlich" bezeichnet werden.