Jahrbuch / FVF, Forum Vormärz Forschung - 23.2017
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Die Kultur der Reichsverfassungskampagne spiegelt als politische Kultur die Überschreibungen von Deutungsbewegungen, die das historische Ereignis konturieren. Sie lassen es nicht in eindeutiger raumzeitlicher Individuierung deutlich werden, sondern weisen Deutung selber als prozessuale zeitweilige Verdichtungen von Semantiken aus, die jeweils Gehör finden, als seien sie, zu einem bestimmten Zeitpunkt, unhintergehbar. Der Plausibilitätsnachweis von historischem Sinn ist damit nicht nur zeitabhängig, sondern auch in der Genese der anerkannten Bedeutungsnuance auf eine Modernität verweisend, die darin, dass die mannigfaltigen inhaltlich möglichen Deutungen der Vielstimmigkeit der Deutungsformen entsprechen, ihre höchste Deutung findet.
Modern ist der Eindruck der Unentscheidbarkeit des Diskussionszusammenhangs der im März 1849 von der Frankfurter Nationalverfassung verabschiedeten Reichsverfassung; nicht zufällig beginnt der Autor der Studie seine Überlegungen mit Aufzeichnungen Rudolf Stadelmanns, der anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten 1948 fragte, ob das, "was sich von März 1848 bis zum Juni 1849 in Deutschland abgespielt hat und aus den Bahnen der Loyalität nie herausgefunden" hat, "überhaupt eine Revolution gewesen" war. So wird die Studie, mit der Klaus Seidl 2013 an der Ludwig-Maximilians-Universität promoviert wurde, zunächst über die Zuschreibung einer Unwahrscheinlichkeit perspektiviert, auch dies ein Zeichen der Modernität.
Eine "demokratisierte Ideengeschichte" findet sich im deutschen Sprachraum eher selten. Selbst in den letzten beiden Jahrzehnten, als man viel über Diskurse debattierte, wurde eher über deren theoretische Bedingungen und Möglichkeiten reflektiert, als dass materialreiche Diskursanalysen im strengen Sinne durchgeführt wurden. In der hiesigen politischen Ideengeschichte stehen fast ausnahmslos große Denker oder große Theorien im Vordergrund. In Abgrenzung dazu betritt Philipp Erbentraut mit seiner Dissertation "Theorie und Soziologie im deutschen Vormärz 1815-1848" ein wenig besiedeltes Terrain. Sein Ansatz macht es sich explizit zum Prinzip, die Theorien über Parteien im breit gefächerten politischen Diskurs umfassend - also demokratisiert - zu erschließen. Mit diesem methodischen Ansatz folgt Erbentraut dem Historiker Hans Rosenberg (1904-1988), der sich in Bezug auf den Vormärz schon früh um eine kollektive Ideengeschichte bemühte (Rosenberg 1972). Erbentrauts Studie stützt sich in diesem Sinne auf verschiedenste Medien wie Zeitschriften, Nachschlagewerke oder Monografien, auch zweitrangiger oder gänzlich anonymer Autoren. Selbst Dichtung und Lyrik werden herangezogen. Angesichts dieses heterogenen Materials wäre die abgeschwächte Rede von Theoremen über Parteien oder Parteibildern eventuell treffender gewählt. Dieser Einwand wird allerdings von Erbentraut in der Verteidigung seines sehr offenen Theoriebegriffs reflektiert.
'Der Mensch lebt nicht vom Brot allein': Für menschliches Leben und Zusammenleben ist mehr notwendig, als die Befriedigung grundlegender materieller Bedürfnisse. Dies gilt auch für historische Konstellationen, in denen gerade die materielle Grundlage, das 'täglich Brot', nicht für alle zuverlässig verfügbar ist. Dennoch oder gerade dann braucht es Bilder und Narrative eines gesellschaftlichen Imaginären, um das Leben sinnhaft werden zu lassen und in Identitätsentwürfen zu stabilisieren. Dies zeigt Patrick Eiden-Offe anhand von Texten des Vormärz und in Bezug auf 'das Proletariat'. In seiner Studie Die Poesie der Klasse. Romantischer Antikapitalismus und die Erfindung des Proletariats widmet Eiden-Offe sich der Arbeiterklasse und zeigt darin, wie diese sich - als Klasse - durch literarische und gerade auch im engeren Sinn poetische Entwürfe konstituiert. Die Studie beschreibt die Prozesse der Identifizierung, die das politische Subjekt der Arbeiterklasse bzw. des Proletariats allererst hervorbringen. Ansatzpunkt ist die Beobachtung eines Konnexes, in dem die Herausbildung des Begriffs der sozialen Klasse mit einer Neubestimmung des Poetischen historisch zusammenfallen. Diese beiden Entwicklungen sind, so wird hier aufgezeigt, nicht zu trennen, sondern gemeinsam zu betrachten. Das Proletariat als politisches Subjekt mit Klassenbewusstsein wird poetisch gebildet. Um diese poetischen Gründungsfiguren der Arbeiterbewegung geht es in der Studie.
Wie "werden Normalisierung und Popularisierung von Wissen anhand von Fallgeschichten umgesetzt?" Mit dieser Ausgangsfrage befasst sich Corinna Meinold in ihrer im Jahr 2015 an der Ruhr-Universität Bochum angenommenen Dissertationsschrift. Als Forschungsgrundlage ihres Projektes dient die von Karl Gutzkow ab September 1852 wöchentlich herausgegebene Familienzeitschrift 'Unterhaltungen am häuslichen Herd'. Auf der Basis der Artikel perspektiviert die Autorin die in Zeitschriftentexten inszenierten Fallgeschichten als Ausgangspunkt für die Generierung und "Popularisierung von anthropologisch-medizinischem Wissen". Fälle werden in diesem Kontext als literarisch entworfene "Momentaufnahme" und "Schreibeweise" definiert, anhand derer medizinisches Wissen an die Leserschaft vermittelt wird.
Im Zentrum des Projektes steht das innovative Vorhaben, auf der Folie der Fallgeschichten die literarische Darstellung vom Normalität und Anormalität - im Konnex von Krankheit und Körperlichkeit - zu erforschen: "Indem etwas Anormales geschildert wird, sei es fiktional oder faktual, wird es einer breiten Öffentlichkeit zugänglich und beschreibbar gemacht - und somit normalisiert". Diese Dynamik bestehe aber auch in der entgegengesetzten Konfiguration: "Die Integration des Anormalen in ein normales Umfeld", also der Familie am häuslichen Herd, evoziere eine Pathologisierung, wodurch das Anormale gerade nicht normalisiert werde.
"Am Ende wird alles gut, für die beiden Briefschreibenden - und auch für die beiden Herausgeberinnen, die annähernd so lange gemeinsam an der Edition der Briefe gearbeitet haben wie die Autoren an der Abfassung derselben" (S. 848), so resümieren Gabriele Schneider und Renate Sternagel am Schluss ihres "Nachwortes" des vorliegenden 3. und letzten, in jedem Sinne schwergewichtigen Bandes mit seinen 902 Seiten ebenso treffend wie persönlich ihr beachtliches Unternehmen. Nach 668 und 845 Seiten bringen die Bände zusammen 2.415 Seiten auf die Waagschale des "epistolarischen Verkehrs", wie Stahr selber das ersatzweise schriftliche Beziehungsduett - mitsamt den in der Regel liebevollen Bekundungen in noch so dramatischen Phasen oder mit gelegentlich sogar, dem schwer zu ertragenden Schwebezustand denn doch geschuldeten, hilflosen Phrasen - am 27. Mai 1852 charakterisierte. Bei dieser Gelegenheit lässt er in zweifellos richtiger Selbsterkenntnis nicht unerwähnt, dass "Briefe schreiben, und ich habe es Dir oft gesagt", sogar die für die Freundin bestimmten, für ihn "schwere Arbeit" bedeute, wohingegen Lewalds "Leichtigkeit" ihm "von jeher beneidenswert" erschienen sei (S. 808).
Die Leistung, den Faden partout nicht abreißen zu lassen, sondern an ein opulentes Ende zu führen, ist natürlich vor allem für Lewald und Stahr, doch auch für die Herausgeberinnen bemerkenswert.
In dieser Monographie fokussiert Veronica Butler einen vernachlässigten Schriftsteller des Vormärz, dem Zeitgenossen Anerkennung zollten als Innovator sowohl in Form als auch Gehalt. In den Publikationen des 'Forum Vormärz Forschung' erscheint August Lewald ausschließlich im Zusammenhang mit der Zeitschrift Europa: Nur Martina Lauster hat sich bislang mit Lewalds Skizzen befasst. Dennoch war Lewald "a key Vormärz player", dessen literarische Tätigkeit durch Lust am Experiment, Offenheit für neue Einflüsse und die Hinwendung zur Gegenwart gekennzeichnet war - alles Merkmale einer kulturellen "Labor-Zeit" (Peter Stein). Lewald war lange Zeit Opfer eines literaturhistorischen Wertungssystems, das im Vormärz "an era of comparative depression" sah und eine strikte Trennung zwischen Hoch- und Trivialliteratur voraussetzte, die der Tatsache einer journalistisch geprägten und operativen Literatur wenig gerecht wurde. Lewalds schriftstellerische Produktion wurde lange verkannt, weil sie nie den Anspruch auf die Anerkennung der Nachwelt erhoben hat, sondern immer "aus der Gegenwart herausgeschöpft und für die Gegenwart geschrieben" war, wie es der Lewald-Biograph Joseph Cruse schon 1933 formuliert hat.
Was nach fast einem halben Jahrhundert, das seit der Monographie Benno von Wieses unter dem seine Schwerpunkte andeutenden Titel 'Karl Immermann. Sein Werk und sein Leben (1969)' vergangen ist, und gar nach dem umgekehrt gewichtenden Band von Harry Maync 'Immermann. Der Mann und sein Werk im Rahmen der Zeit- und Literaturgeschichte (1921)', der etwa das Doppelte an Zeit in der literarhistorischen Scheuer verbracht hat, vom Verfasser der neuen Immermann-Biographie einer vormärzlich interessierten Leserschaft angeboten wird, ist von Nüchternheit geprägt, mit Vorsicht und Vernunft formuliert und durch sehr viel mehr Quellen gespeist, als das den Vorläufern möglich war. Angesichts der speziellen philologischen Kenntnisse von Peter Hasubek lautet seine vorurteilsfrei entwaffnende Devise: akribische Unterrichtung durch sachliche Darstellung. Der Verfasser verabscheut nach Jahrzehnten der eigenen editorischen wie forschenden Beschäftigung mit unserem ein wenig ins Abseits geratenen Lyriker, Dramatiker, Begründer wie Leiter der Düsseldorfer Musterbühne und Romanschriftsteller Carl Leberecht Immermann (24.4.1796-25.8.1840), wie der aus Magdeburg stammende, in Düsseldorf verstorbene und dort auf dem Golzheimer Friedhof bestattete Schriftsteller nunmehr auf nobel historische Weise firmiert, jegliche Art und Weise einer andernorts gelegentlich allzu gern herbeigerufenen Spekulation, die im Hinblick auf ein nach bürgerlichen und wohl auch eigenen Maßstäben nicht unbedingt angepasstes Leben aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allzu nahe gelegen hätte und bequem zu bedienen gewesen wäre.
Eine Biographie über einen weltberühmten Autor vorzulegen, zu dem es eine unüberschaubare Fülle an Literatur gibt, rechtfertigt sich nur, wenn man entweder substantiell neue Erkenntnisse zu bieten hat, eine neue Perspektive anzulegen vermag oder so mitreißend schreibt, dass die Biographie als Einstieg für Neugierige taugt und ihnen Lust macht auf mehr, nämlich auf die Lektüre des Autors im Original. Nun ist zwar Hosfeld seit seiner Dissertation (Die Welt als Füllhorn: Heine. Das neunzehnte Jahrhundert zwischen Romantik und Moderne, 1984) als Heine-Spezialist ausgewiesen, jedoch hat er substantiell Neues nicht zu bieten: Sein Buch ist nicht monumental wie Werner Kaegis Jacob-Burckhardt-Biographie, nicht detailversessen wie Martin Gregor-Dellins Werk über Richard Wagner. Dafür ist es exzellent geschrieben, schön zu lesen, die Proportionen stimmen, und man bekommt wie in einem Kaleidoskop eine Epoche in ihrer ganzen Vielfalt zu sehen, mit immer neuen Aspekten, aus denen sich ein faszinierendes Gesamtbild zusammensetzen lässt.
Als 1848/49 die Deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche tagte, konnte sie auf Wissensbestände zurückgreifen, die parlamentarische Versammlungen im Vormärz in verschiedenen Teilstaaten des Deutschen Bundes hatten sammeln können. Wenn auch viele Abgeordnete keine oder nur wenig parlamentarische Erfahrung besaßen, so fanden sich unter ihnen doch erfahrene und bekannte Köpfe wie Friedrich Bassermann, Heinrich von Gagern, Friedrich Dahlmann, Gustav von Mevissen und Karl Mathy. In Abgrenzung zu ihren Vorgängerinstitutionen verstand sich die Nationalversammlung dezidiert als eine öffentliche Versammlung. Aus diesem Grund lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die Ständeversammlungen des Vormärz zu werfen.
Das Ausmaß der parlamentarischen Öffentlichkeit im Vormärz variierte in den deutschen Staaten stark. Die rechtlichen Grundlagen der Parlamente, der obrigkeitliche Umgang mit ihnen, die unterschiedlich strenge Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse sowie die Stärke respektive Schwäche der liberalen Bewegung definierten den Rahmen. Die süddeutschen Staaten, allen voran das Großherzogtum Baden, galten dabei als am liberalsten, Preußen als reaktionärster Staat. Baden und Preußen sind somit das klassische Gegensatzpaar, mit dem der Umgang mit parlamentarischer Öffentlichkeit verglichen und Schlaglichter auf die Entwicklung des deutschen Parlamentarismus geworfen werden kann.
Der Indianer ist eine Figur, die mit James Fenimore Cooper (1789-1851) Eingang in deutsche Wohnzimmer erhalten hat und nicht erst mit Karl May (1842-1912) ein fester Bestandteil des deutschen kulturellen Gedächtnisses geworden ist. Den Phänomenen Cooper und May ist bereits weitreichende Aufmerksamkeit in unterschiedlichen Disziplinen zuteil geworden, allerdings werden dabei zum einen verschiedene Schriften anderer Autoren zur Thematik ausgeblendet und zum anderen wird die Frage nach der Funktion der Konstruktion des deutschen Indianers nur an der Oberfläche behandelt. Zumeist beschränken sich die Betrachtungen auf den Verweis auf Exotismus, Abenteuer und Sehnsucht nach dem Fremden, vereinzelt wird auf eine mögliche Zivilisationskritik eingegangen. Dabei geht die Funktionalisierung des deutschen Indianers darüber hinaus. Tatsächlich ist der Indianer auch ein Mittel zur Schaffung und Etablierung einer deutschen Identität in den lang währenden Umbruchzeiten des 19. Jahrhunderts. Bisher ist es versäumt worden, einen umfassenden Nachweis der These anhand zeitgenössischer Quellen zu leisten. Mit Hilfe der Historischen Stereotypenforschung lässt sich über die Analyse der Auto- und Heterostereotype dem genannten Desiderat entsprechen.
In dem im folgenden Beitrag verhandelten Roman steht ein lugubres, d.h. düsteres Verbrechen, das im Herkunftsland der preußischen Provinz Schlesiens begangen wurde und über den Ozean fortwirkt, jedoch erst im fernen Amerika der Auswanderer zum Anlass einer möglichen Sühnung bzw. einer Verunsicherung und andauernden Reflexion genommen wird. Der Spagat zwischen Herkunft und Zukunft führt zur intensiven Auseinandersetzung mit der schaurigen Erinnerung, den spukhaften Projektionen, etwa beider Berglandschaften, und zu einem Nachdenken über Isolation und Einsamkeit in der Fremde zwischen Melancholie und Entschlossenheit. Der Beitrag will neben einer Auseinandersetzung mit einem legendären Krimiplot auch die ineinander verflochtenen Bezüge des latenten Umgangs mit dem Erbe der Achtundvierziger und dem Weiterleben noch im späten Poetischen Realismus berühren, die sich als Spuren und in ähnlicher Weise bis hin zu Beispielen in Fontanes biographischem Umfeld der Revolutionszeit zurückverweisen lassen. Über den in Amerika angesiedelten Teil dieses Romans Quitt bekannte Theodor Fontane: "Eine Finesse lag für mich beispielsweise darin, daß ich das Menonitenhaus in Nogat-Ehre wirklich im Stil von 'A happy family' behandelte, d.h. Feindliches, diametral Entgegengesetztes friedlich daselbst zusammenführte."
Eine zuverlässige Identitätskontrolle ist zu dieser Zeit noch nicht möglich. Man muss dem 33-jährigen plantation-owner glauben, der sich unter selbst gewählter Identität als "CMSealsfield" beim Gouverneur von Louisiana vorstellt, einen Wohnsitz in Louisiana angibt, Leumundszeugnisse präsentiert, sein Vorleben samt Taufnamen Carolus Magnus Postl verschweigt und diese nur in der Unterschrift des "safe conduct pass" (US-Schutzzusage) andeutet. Die administrierenden Herren, Gouverneur Henry Johnson (Louisiana, USA), Albin Eusèbe Michel de Grilleau, Kanzler des französischen Konsulats, und C. N. Morant, Kapitän des amerikanischen Vollschiffs "American", können nicht ahnen, dass sie dem Reisenden im Juni 1826 zu einer amerikanischen Identität mit dem anglophonen Namen Charles Sealsfield (1793-1864) verhelfen und ihn in die nationale 'machinery of identification and integration' einbeziehen. Indem Johnson den Status als 'US-resident' legitimiert, vermittelt er dem politischen Österreichflüchtling und Priester durch Identitätswechsel von Postl zu Sealsfield eine provisorisch gesicherte Existenz.
Dieser Akt ist mit weitreichenden Konsequenzen für Sealsfield verbunden. Er absolviert als 'Amerikaner' Sealsfield die Karriere eines deutschsprachigen 'amerikanischen' Autors von Amerika-Romanen (1833-47) und reüssiert 1844/45 als englischsprachiger 'amerikanischer' Autor unter der Fehlschreibung Seatsfield kurzfristig zum Protagonisten der amerikanischen Nationalliteratur, nachdem 'The Boston Daily Advertiser' am 20. März 1844 in Folge von Theodor Mundts (1808-1861) Urteil aus dem Jahr 18422 ihn als "The Greatest American Author" einer nationalen democratical American literature apostrophiert hat.
Während ich in meiner Georg-Weerth-Biografie Georg Weerth 1822-1856. Ein Leben zwischen Literatur, Politik und Handel die drei Aspekte seines Lebens gleichgewichtig behandelt habe, möchte ich im folgenden Beitrag mein Augenmerk auf Weerths Reisen in Amerika, und insbesondere auf seinen Aufenthalt in Kalifornien während des Goldrauschs richten, weil dieser Aspekt von Weerths Leben noch nicht gebührend genug berücksichtigt worden ist.
Schon vor seiner ersten großen Übersee-Reise (1852-1855) werden Weerth in Europa Nachrichten vom kalifornischen Goldrausch zu Ohren gekommen sein und sein Interesse geweckt haben. Als Weerth sich Anfang 1854 geschäftlich in Mexiko aufhielt, nahm er die Gelegenheit wahr, einen Abstecher nach Kalifornien zu machen, um den Goldrausch mit eigenen Augen zu erleben: Was er in Kalifornien sah und erlebte, machte ihn sowohl zum Zeugen und Beobachter als auch Chronisten des Goldrauschs.
Ich stand am Niagarafall,
Bespritzt von weißem Schaum,
Da weckt’ in mir der Wogen Schall
Gar manchen ernsten Traum.
So beginnt das erste von vier Gedichten, die der junge Schriftsteller August Peters im Rahmen seines Lyrik-Bandes von 1844 unter dem Titel 'Transatlantische Lieder' zu einer speziellen Sequenz zusammenfasste. Darin phantasiert sich Peters in das von ihm nie besuchte Nordamerika, um kritische Blicke auf die deutsche Heimat zu richten und das Ideal der Freiheit und des Lebens aus eigener Kraft zu feiern. Peters gliedert seinen Gedichtband in zwei Hauptteile, wovon er den ersten mit 'Liebe' und den zweiten mit 'Freiheit, Vaterland, Heimath' überschreibt.
Damit deckt er das breite Spektrum der in den frühen 1840er Jahren erkennbaren romantischen und politischen Gedichtkonjunktur des Vormärz ab. Der zweite, oft eine aufbegehrende Tendenz zeigende Teil weist einen größeren Umfang auf und entspricht inhaltlich etwa dem, was Friedrich von Sallet innerhalb seiner viel gelesenen Sammlung 'Ernsthafte Gedichte' nannte. Als Vorbilder und Inspiratoren der jüngeren Vergangenheit für seine lyrischen Arbeiten führt Peters Ludwig Uhland, Ernst Moritz Arndt, Friedrich Gottlieb Klopstock, Theodor Körner, Heinrich von Kleist und Friedrich Schiller an, womit er auf den Enthusiasmus der in den Befreiungskriegen eskalierenden Nationalbewegung, den Sturm und Drang, aber auch auf leisere klassische Töne zurückgreift.
Prairie promises, lone star limits : depictions of Texas in German travelogues from 1830-1860
(2018)
Written as a valediction for a friend bound to emigrate to Texas, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben's poems 'Der Stern von Texas' and 'Ein Guadelupelied', both published in the 1846 collection 'Texanische Lieder', poignantly express the popular sentiment of enthusiasm for migration to Texas that had spread widely across German-speaking lands in the mid-1840s. The two songs further capture the two major factors that inspired at least 20,000 Germans to exchange the familiarity of their homes for an unknown future in what was then a remote region in the North American West during the Vor- and Nachmärz eras: the dream of economic opportunities enabling emigrants to escape from poverty and the highly stratified German society, on the one hand, and the desire for civil liberties and political agency that could not be attained in the repressive political climate in their native lands, on the other. Moreover, the two songs exemplify the large body of written texts from the period that articulated the German vision of Texas as a specific version of the North American experience While Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) never set foot on Texan soil, many texts from this corpus of writing were travelogues based on their writers' actual journeys to and through Texas. In the following, I will analyze three such accounts by German visitors and settlers from the Vor- and Nachmärz periods.
Progressive Emanzipation - Bildungspolitische Innovation - Journalistisch-literarische Renovation
(2018)
Mathilde Franziska Anneke (1817-1884), in Deutschland vor allem als Akteurin der 1848er Revolution bekannt, rückte bislang mit ihrem Werdegang im amerikanischen Exil weniger in den Fokus des Interesses und dies, obwohl sie gerade dort unter Beweis stellte, dass sie unbeirrt den einmal beschrittenen Weg ihrer Überzeugungen ebenso zielstrebig wie mit notwendiger Radikalität verfolgte. Zeitlebens blieb sie ihren demokratischen Idealen nicht nur treu, sondern verfolgte energisch deren Umsetzung: Als Journalistin, Schriftstellerin und als Pionierin der amerikanischen Frauenrechtsbewegung, als innovative Reformpädagogin sowie als politische Vordenkerin in ihrer Wahlheimat Milwaukee/Wisconsin setzte sich Mathilde Franziska Anneke ungebrochen für die Gleichstellung der Geschlechter, sprich: für die Verwirklichung der Menschenrechte für alle ein. Vielen zeitgenössischen Urteilen zufolge war sie eine charismatische Persönlichkeit, die in Amerika gerade wegen ihrer Geradlinigkeit und ihrer Charakterstärke als eine hoch geschätzte Persönlichkeit galt, die sich, wie es in einem Nachruf heißt, "durch das ganze Land Ansehen und Achtung" erworben hatte. In der deutsch-amerikanischen Forschung zur 1848er Generation wird Mathilde Franziska Anneke nicht nur als symbolisches Bindeglied zwischen der Frauenrechtsbewegung in Europa und den USA, sondern auch als eine Ausnahmeerscheinung betrachtet, zumal "her political activism and liberal ideas", anders als bei manchen anderen 48ern, "did not moderate with time, and she always believed in the rightness of the women's movement".
"People here are all in a state of delirium about the Mexican War. A military ardor pervades all ranks – […] Nothing is talked of but the 'Halls of the Montezumas'", notiert Herman Melville am 29. Mai 1846 in Lansingburgh, New York. Der US-Senat und -Kongress hatten zwei Wochen zuvor die von Präsident James K. Polk (1795-1849) eingebrachte Kriegserklärung gegen Mexiko angenommen. Mit "Halls of the Montezumas" spielt Melville auf die Eroberung Mexikos durch die Spanier unter Führung von Hernán Cortés an. Im Januar 1848 stehen nach zweijährigem blutigem Krieg US-Truppen in der mexikanischen Hauptstadt. Im gleichen Jahr malt Emanuel Leutze in Düsseldorf 'The Storming of the Great Mexican Teocalli, by Cortez' (im Folgenden: The Storming of the Teocalli), das im März 1849 im Galeriesaal der Düsseldorfer Akademie ausgestellt wird und "in den nächsten Tagen gleich den übrigen Bildern des jungen Meisters nach seiner amerikanischen Heimath gesandt" werden soll, wie dem 'Düsseldorfer Journal und Kreisblatt' in seiner Ausgabe vom 2. März 1849 zu entnehmen ist. Ab Juli war das Werk dann in der Galerie der American Art Union am Broadway zu sehen. Als es 1991 in der Ausstellung 'The West as America: Reinterpreting Images of the Frontier, 1820-1920' im Washingtoner National Museum of American Art präsentiert wurde, provozierten Ausstellung und Gemälde eine heftige Kontroverse.
Seit der (Wieder-)Entdeckung Amerikas 1492 fungierte die Neue Welt immer wieder als Projektionsfläche und Gegenfolie zu den als dekadent empfundenen ethischen und soziopolitischen Verhältnissen in Europa. Dies ist insbesondere auch für die Autoren der Vor- und Nachmärzliteratur gültig, die, gespeist aus den enttäuschten Erfahrungen in der Zeit um die Revolution von 1848/49, in der transatlantischen Welt respektive den Vereinigten Staaten von Amerika eine Plattform zur Verwirklichung ihrer Ideale erkannten.
Sinnbild für den Antagonismus von Alter und Neuer Welt waren für zahlreiche Beobachter die beeindruckenden, ganz oder weitgehend unberührten Landstriche im Westen der Vereinigten Staaten, die eine für sie in Europa untergangene Ursprünglichkeit und Authentizität verkörperten. In Karl Wilhelm Theodor Frenzels (1827-1914) dreibändigem historischem Roman Freier Boden (1868) wird beispielsweise über Amerika berichtet: "Die Arbeit des Menschen hat hier noch nicht das ursprüngliche Anlitz [sic] der Natur geändert; aus der Erde dampft noch die alte Urkraft zu ihm empor."
2017 jährte sich der 200. Jahrestag des Wartburgfestes, Tagungen fanden statt, neue Erkenntnisse und Veröffentlichungen sind zu erwarten. Das Wartburgfest gilt als das erste überregionale und gesamtnationale Fest im deutschsprachigen Raum, ausgerichtet von der ab 1815 gegründeten Burschenschaft, einer neuen politischen Jugend- und Studentenbewegung - der ersten in Europa -, die zugleich die erste nationale Organisation des deutschen Bürgertums überhaupt war. Folge des Wartburgfestes waren die Grundsätze und Beschlüsse des 18. Oktober, die erste Formulierung der Grundrechte in Deutschland, deren Intentionen teilweise in die Reichsverfassungen von 1848/49 und 1919 sowie in das Grundgesetz 1949 und zahlreiche Landesverfassungen einflossen. Zugleich handelt es sich um das erste Parteiprogramm im deutschsprachigen Raum. Nicht zuletzt wurden auf dem Wartburgfest erstmals im größeren Rahmen die künftigen schwarz-rotgoldenen deutschen Nationalfarben gezeigt. Für die deutsche Geschichte und Verfassungsentwicklung stellen Burschenschaft und Wartburgfest ohne Zweifel Meilensteine dar.