Blätter der Rilke-Gesellschaft - 33.2016
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Die Mädchenfigur in Rilkes Werk ist keineswegs eine singuläre Erscheinung, sondern vielmehr ein Motivkomplex, der bei genauerer Betrachtung eine stringente Entwicklung erfährt. Zum Motivkomplex gehörig sind unter anderem die lyrischen Zyklen "Mädchen-Gestalten, die Lieder der Mädchen", die in diesem Aufsatz in den Mittelpunkt gestellten "Gebete der Mädchen zur Maria" sowie der Essay "Intérieur", worin Rilke einige theoretische Überlegungen zu – wie er betont – "seinen Mädchen" anstellt. Darüber hinaus lassen sich auch Verbindungen zu weiteren einzelnen Gedichten finden. Die Entwicklungslinie der Rilkeschen Mädchenfiguren verläuft bis hin zu den beiden wesentlich später entstandenen gleichnamigen Gedichten "Die Liebende", womit sich schließlich sogar eine Schnittmenge zur Theorie der Intransitiven Liebe aufweisen lässt. In den zumeist lyrischen Texten, die dem Motivkomplex der Mädchenfiguren angehören, ist der ständige Versuch Rilkes spürbar, "seinen Mädchen" einen Sonderstatus zukommen zu lassen. Allerdings ist damit auch die weitgehend unspezifische Suche verbunden, den Rilkeschen Mädchen eine außergewöhnliche Aufgabe und Funktion zuschreiben zu können, die eben diesem Sonderstatus gerecht wird.
Rezension zu Rainer Maria Rilke: "Im ersten Augenblick". Bildbetrachtungen. Herausgegeben von Rainer Stamm. Berlin: Insel Verlag 2015. Insel-Bücherei Nr. 1407. 96 Seiten, 75 farbige Abbildungen. ISBN 978-3-458-19407-1 und Rainer Maria Rilke: "Gesammelte Werke". Herausgegeben von Annemarie Post-Martens und Gunter Martens Stuttgart: Reclam 2015. 1006 Seiten. ISBN 978-3-15-011009-6
Rilke erzählen
(2016)
Für die Erforschung von Rilkes "Leben und Persönlichkeit", ihre Möglichkeiten und Probleme, hat Joachim W. Storck bereits 2004 eine Zwischenbilanz vorgelegt. Er zeigt dabei eine biographische Linie auf, die 1936 mit Joseph-François Angelloz
beginnt und u.a. über Hans Egon Holthusen (1958) und Eudo C. Mason (1964) bis zu Donald Prater (dt. 1989) und Ralph Freedman (dt. 2001/2002) führt. Der Erfolg von Klaus Modicks Roman "Konzert ohne Dichter" (2015)2 verweist jedoch noch auf eine zweite Linie – auf die künstlerische Auseinandersetzung mit Rilkes Biographie, die sich der Fiktionalität als Darstellungsmodus bedient. Hier wären etwa Walter Hasenclevers Roman "Irrtum und Leidenschaft" (entstanden 1934- 1939, veröffentlicht 1969) zu nennen, außerdem Béatrice Commengés Erzählung "En face du jardin: Six jours de la vie de Rainer Maria Rilke" (2007) und die Romane von Moritz Rinke: "Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel" (2010), Heiner Egge: "Tilas Farben" (2013) und die bereits erwähnte Publikation von Modick. Diese "erzählten Welten" sollten im Folgenden im Blick auf Rilke untersucht werden.
In den lyrikgeschichtlichen Erörterungen wird überwiegend angenommen, dass die Entstehung der modernen Lyrik eine Wende in der Geschichte der Gattung bedeutet. Um die Schlüssel-kategorien dieser Annahme in Erinnerung zu bringen: Die prämoderne Lyrik habe immer einen Ansatz zur abbildenden, figurativen, naturnahen und persönlichen Darstellung bewahrt, und sie habe dementsprechend ihren Aussagen auch eine außerkünstlerische, ja oft universale Gültigkeit zugetraut; während die moderne Lyrik, in thetischer Gegenüberstellung zur früheren Periode, sich durch einen stets zunehmenden Ansatz zur abstrakten, nicht-figurativen, imaginären und objektiven Schöpfung entwickelt habe. Sie habe dementsprechend die Gültigkeit ihrer Aussagen streng darauf beschränkt, was sie in ihr künstlerisch erschaffenes Universum hineingenommen hat – wobei dieses rein eigengesetzliche, rein selbstbestimmende Universum sich auf die Breite und die Tiefe einer wahrhaftigen Religion erstrecken kann. Im folgenden Beitrag will ich darzulegen versuchen, wie sich Rilke, mit dem Titel eines berühmten Gedichts gesagt, diese prinzipielle "Wendung" angeeignet hat. Um es im voraus kurz zu resümieren: Er hat sie aus einer noch stärker selbstthematisierenden Perspektive heraus, als Schicksalswende des schöpferischen Worts, begriffen – aus dieser Perspektive aber bis zu ihrer zwei-einen äußersten Konsequenz, sei es zu kosmischer Bestätigung, sei es zu kosmischer Verneinung des schöpferischen Worts geführt.
Die Gegenüberstellung David Gascoynes mit Rainer Maria Rilke ist alles Andere als selbstverständlich und hat nichts mit Übersetzung im gewöhnlichen Sinn zu tun, sondern mit übertragener Präsenz, also mit der Übertragung von Impulsen, die ein Werk der Moderne mitgestalten. Bezug, Beziehung und Bezogensein spielen alle eine implizite oder explizite Rolle. Das Gelände abzustecken, auf dem sich die folgenden Überlegungen bewegen, begründet sich mit einem Geflecht von Namen, das stellvertretend für dichterische Welten, für Epochenbewusstsein und -schwellen steht. Ein mögliches Gelände mögen folgende Namen beschreiben: Den Mittelpunkt bildet Rilke: Dessen letzte Lebensgefährtin war Baladine (oder Merline) Klossowska (1886-1969), deren Sohn Pierre Klossowski (1905-2001) dem Dichter Pierre Jean Jouve (1887-1976) half, Hölderlin zu übersetzen, den auch David Gascoyne mit Hilfe von Jouve ins Englische übertrug. Jouve wiederum war Rilke während seines letzten Aufenthalts in Paris begegnet; später kannte Gascoyne Jouve persönlich, von dessen Gedichten jener eine große Auswahl übersetzte; außerdem kannte Gascoyne Jouves Frau Blanche, eine Schülerin Freuds, die auch Gascoynes Therapeutin in Paris war. Mithin ein Geflecht von Namen, von denen man noch viele weitere nennen könnte, etwa die englischer Dichter der 20er, 30er und 40er Jahre sowie diejenigen französischer Surrealisten.
Rilkes Poesie des Grundes in den "Duineser Elegien" : Prolegomena zu einer metaphysischen Lektüre
(2016)
Die Perspektive auf eine Logik des Grundes mitsamt ihrer metaphysischen Diskursgeschichte in den "Duineser Elegien" ist deshalb sinnvoll, weil wesentliche ihrer Denkfiguren von Rilke poetisch aufgenommen und eigensinnig im Medium lyrischer Gestaltung neu vermessen werden: wie dem menschlichen Dasein das, worin es gründet, als Ganzes gerade deshalb entzogen bleibt, weil es darin gründet und sich dieses Gründens mittels Transzendenz und Freiheit zu vergewissern sucht. Die Paradoxie des absoluten Seinsgrundes, zwischen sich und das von ihm Begründete einen Abgrund zu legen, gerade weil er als letzter, tragender Grund aus der Logik des Ableitbaren und damit rational Rekonstruierbaren herausfällt, welche er zugleich erst ermöglicht, erfährt bei Rilke nicht nur eine poetische Zuspitzung: Die Elegien zeigen auf, wie diese Grenzfigur des Denkens einzig in lyrischer Bildlichkeit ihre adäquate Formulierbarkeit erhält.
Konkordanz zu den Motivkomplexen in Rainer Maria Rilkes Gedichtzyklus "Vergers" : eine Einführung
(2016)
Im Bewusstsein der Transferleistung, die Rezipienten und Interpreten erbringen müssen, wenn sie sich der französischen Lyrik Rainer Maria Rilkes zuwenden, entstand im Rahmen meiner 2012 abgeschlossenen Masterarbeit die Überlegung, eine umfassende Konkordanz zu dem Zyklus "Vergers" zu erstellen. "Vergers" ist der längste und inhaltlich disparateste französische Zyklus Rilkes, der sich einer größeren Motivpalette bedient als die auf Landschafts- und einige wenige Einzelmotive abgestimmten Zyklen "Les Quatrains Valaisans", "Les Roses" und "Les Fenêtres".
Im Herbst 1938 und im Frühjahr 1939 weilte Ernst Zinn (geboren 1910 in Berlin, gestorben 1990 in Tübingen), damals Hilfsassistent am Institut für Altertumskunde der Universität Berlin und gleichzeitig von Anton Kippenberg mit der Herausgabe der Werke Rainer Maria Rilkes im Insel-Verlag betraut, auf Duino. Er kollationierte dort eine Handschrift, die den Anfang der "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" in einem früheren Zustand enthält und teilweise wohl auch für das Diktat der Satzvorlage im Januar 1910 in Leipzig verwendet wurde. Rilkes Manuskript (ein Taschenbuch) vom Rest des Ersten Teils der "Aufzeichnungen" gilt als verschollen; vom Zweiten Teil ist seine Handschrift nahezu vollständig erhalten (Taschenbuch des Schweizerischen Literaturarchivs in Bern; eine Faksimile-Ausgabe erschien 2012 im Wallstein Verlag, Göttingen).
Wir lesen die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge wieder und finden Rilke hinter jeder Zeile, so wie ihn Rudolf Kassner beschreibt: den zartesten, reinsten Bogen der Brauen, zwei Augen blauesten Blaus, Augen zugleich des Knaben und des Sehers, die slawische und spürende Nase, den blonden Schnurrbart … Kassner fügt hinzu: Rilke war Dichter, auch wenn er sich nur die Hände wusch. [...] Patrick Modiano: "Préface". In: Rainer Maria Rilke: Les Cahiers de Malte Laurids Brigge. Récit. Traduit de l'allemand par Maurice Betz. Paris: Éditions du Seuil 1980
Klaus Modicks im Februar 2015 erschienener Worpswede-Roman "Konzert ohne Dichter" wurde vom Feuilleton begeistert aufgenommen, in der Rilke-Philologie sorgte er hingegen für hitzige Diskussionen. Doch neben einer recht oberflächlich ausagierten Häme gegen den im Titel ausgeschlossenen Dichter entwickelt der Roman eine komplexe Verflechtung von Bildern der bildenden Kunst und Bildern im Sinne von Images. Der folgende Beitrag führt Modicks biografischen Zugang in diesem höchst unterschiedlich rezipierten Text mit einem ekphrastischen Sonett Rilkes eng, das ebenso ein bestimmtes Image transportieren will.
Im Hinblick auf den Zugriff auf Rilkes Poesie kommt den filmischen Zeugnissen von Wenders und Schmerberg keine sekundäre Rolle zu. Ohne die Gedichte zu entstellen oder zu verfremden, entwickeln sie auf unterschiedliche Weise eigenständige Positionen: Während Wenders einen eher freien Dialog mit der Vorlage eingeht, auf der Ebene von Anspielungen, Modernisierung und Fortschreibung operiert, setzt der Regisseur von "Poem" auf eine künstlerisch anspruchsvolle Übersetzung des Textes in das audiovisuelle Medium. Obgleich sich Rilkes poetische Konstruktionen
aufgrund ihrer Vieldeutigkeit und Offenheit spezifischen Bedeutungsfixierungen entziehen, scheint doch gerade ihr Reichtum an Bildern sowie deren bewegliche Verknüpfung für filmische Zugriffe prädestiniert. Das Zusammenspiel aus visuellen und auditiven Eindrücken verhilft der performativen Anlage der Lyrik noch zu weiterer Entfaltung.
Das Rilke Projekt polarisiert: Einem beachtlichen Publikumserfolg steht eine Philologie gegenüber, die das Projekt weitgehend ignoriert. [...] Das Rilke-Projekt ist ein popmusikalisches Phänomen, dessen ästhetische Grundidee darin besteht, seinen Autor als Cover aus dem literarischen Kanon auf das ihm fremde Gebiet der Unterhaltungskultur zu überführen.
Rilkes "Der Geist Ariel" übt auf den Leser eine besondere Faszination aus. Ohne ganz zu verstehen, wo diese Faszination herrührt, hatte ich schon als Studentin das Gedicht ins Englische übersetzt und in einer Studentenzeitschrift der Universität Sydney veröffentlicht. Dass eine Übersetzung dieses Gedichts höchst problematisch ist, war mir damals nicht bewusst: die Übersetzungsarbeit ging ja schnell vonstatten. Damals wusste ich nichts vom komplizierten Werdegang des Gedichts, das ohne den Einfluss von Katharina Kippenberg nicht zustande gekommen wäre.
Rilkes "Bezug zu Gott"
(2016)
Ob Rilke nun gläubig war oder nicht, seit er in seiner Kindheit der extremen katholischen Frömmigkeit seiner Mutter ausgesetzt war, hat er nie aufgehört, Gott und der Religion einen prominenten Platz in seinem Leben und seinem Geist zu sichern.
Die Bedeutung, die Rilke der Bibel beimaß, ist gut belegt.
Im Welt-Raum des Gedichts : zu Rilkes Poetik des Bezugs mit (hauptsächlich) englischen Kontexten
(2016)
Welt ist das was man erkundet; oder das, aus dem heraus sich die Sinne sehnen, wie Rilke sein mönchisches Ich im Stunden-Buch sagen lässt. Dieses Ich konnte er sich als "Stimme einer stillen Zelle" vorstellen, "an der die Welt vorüberweht". Welt konnte für Rilke etwas Transitorisches sein oder ein Raum, angefüllt mit Städten, die ihre Bewohner der Natur entfremden; im Park sieht sie sich allenfalls zitiert, im Jardin du Luxembourg etwa. Zählt man Städtenamen auf, dann setzt man ihre magische Anziehungskraft frei; jedem Namen seine Aura, was auch für die Art zutraf, mit der Rilke Städtenamen nannte: Prag und Wien, Florenz und Rom, Moskau und Paris, Brügge und St. Petersburg. Aber London?
Florenz spielte eine merkwürdige Rolle in Jens Peter Jacobsens Leben; die Stadt ist zugleich eine frühe, bedeutende Etappe in Rilkes Verhältnis zum dänischen Dichter. Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde und war Jacobsen berühmt, gerade als der junge Rilke sein Werk entdeckte, dem er wahrscheinlich auch nicht hätte entgehen können: In einigen der wichtigsten deutschsprachigen Zeitschriften ("Wiener Rundschau", "Ver Sacrum" und "Simplicissimus") erschienen Gedichte und Beiträge Rilkes neben Schriften von und über Jacobsen.
Rilkes "Geburt der Venus"
(2016)
Von den drei Aufenthalten Rilkes in der toskanischen Hauptstadt ist der erste von 1898 umfangreich dokumentiert durch das Florenzer Tagebuch, das in der Vision vom einsamen Schöpfer, vom alleinstehenden Künstler-Übermenschen kulminiert. Diese Vision stellt gleichsam ein Lebensprogramm für den jungen, angehenden Dichter dar, der sich auch vor der Geliebten, Lou Andreas Salome, als Poet ausweisen will. Der viel kürzere zweite Aufenthalt von 1903 erfolgt zusammen mit Clara Westhoff auf der Reise nach Rom, wo Rilke dann bis Juni 1904 bleiben wird. Nur am Rande erwähnt werden soll der dritte Aufenthalt im Jahre 1909 – mit nur wenigen Stunden Fahrtunterbrechung in der Stadt handelt es sich eher um eine Durchfahrt.
Rosen in Florenz
(2016)
Die zahlreichen Bezüge auf die Rosen bezeugen, dass die Rose eine entscheidende Figur für Rilkes Dichtung und Poetik ist und dass sich diese Thematik mit Kernpunkten bereits im Florenzer Tagebuch wiederfinden lässt. Auch in den in Florenz verfassten Gedichten lässt sie sich finden, zunächst noch im Anfangsstadium und erhält dann Eingang in seine späte Dichtung. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Schaffensphase der Florentiner Dichtung noch im Schatten der monistischen Vision einer klaren romantisch-idealistischen Aszendenz steht und mit einer Betrachtung der Kunst verbunden ist, die noch von der "Ideologie eines künstlerischen Übermenschentums" geprägt ist. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema der Rose in der Florentiner Zeit kann so nur unter Berücksichtigung der Aporien, Schwankungen und Zweifel in Rilkes Dichtung aus diesen Jahren gelingen.
Als Rilke beginnt, seine ersten Eindrücke über die toskanische Bildungsreise vom Frühling 1898 zu schreiben, scheint er sich bereits bewusst zu sein, was ihn dazu bewegt, die florentinische Renaissance kennenzulernen. Der Dichter – wie man beim Lesen im Florenzer Tagebuch erfährt – ist nicht auf der Suche nach einer typischen Landschaft für gelehrte Reisende. Was er entdecken will, und tatsächlich findet, ist ein "Stück" seiner "selbst".
Der Bettler und das stolze Fräulein ist eine der 13 Erzählungen, die in dem – der schwedische Freundin Ellen Key gewidmeten – Prosaband "Geschichten vom lieben Gott" enthalten sind. Alle entstehen in dem Zeitraum zwischen dem 10. und 21. November 1899 und werden erstmals zu Weihnachten 1900 unter dem Titel "Vom lieben Gott und Anderes. An Große für Kinder erzählt" und 1904 in überarbeiteter Form mit dem schon genannten endgültigen Titel veröffentlicht. [...] Das ganze Werk hat dialogischen Charakter mit teilweise belehrendem Ton. Die zwölfte Erzählung, "Der Bettler und das stolze Fräulein", besteht aus einer Rahmen- und einer Binnenerzählung. Hier ist es jedoch nicht der Meister, sondern der Ich-Erzähler, der in der Rahmenerzählung die Rolle des Lehrers spielt: Er erzählt dem Meister eine Binnengeschichte, die als Lehre gelten sollte, um eine Parallele zur Rahmenhandlung zu schaffen.
"Weiblichkeit im Werden" möchte die "Mädchengedichte" Rilkes, die hautpsächlich 1898 während seines Aufenthalts in Italien entstanden sind, mit der "Geburt der Venus" in Verbindung bringen und diskutieren. Letztere gehört zum Zyklus der "Neuen Gedichte" (1907) und reiht sich, 1903 in Rom geschrieben, in die Erzählgedichte "Hetärengräber", "Alkestis" und "Orpheus. Eurydike. Hermes" ein. Welchen Status, welchen Stellenwert haben die Mädchengedichte im poetischen Werdegang Rilkes, welche Thematik und "Topoi" lassen sich darin ausmachen? Und welcher qualitative Sprung trennt die "Mädchengedichte" der Frühzeit von der "Geburt der Venus"?
Das Thema "Rilke und Dante" hat im Programm der Florenzer Rilke-Tagung keine Rolle gespielt; ganz im Sinne von Eva Siebels, die schon 1941 aus den Quellen geschlussfolgert hatte, dass Rilke die Stadt "nicht im Zeichen Dantes erlebt" habe. War aber Rilke nicht, als er am 5. April 1898 "Glücklich in florenz" angekommen
war, erstmals in der Stadt des Dichters, den er einen Monat zuvor als den Ahnherrn moderner Dichtung schlechthin gefeiert hatte?
Rilkes sogenanntes Florenzer Tagebuch ist kein in Florenz geschriebenes Tagebuch. Zum einen entstand der Text nur zum kleineren Teil in Florenz, zum größeren in Viareggio, weshalb schon Ernst Zinn vorgeschlagen hat, ihn in "Toskanisches
Tagebuch" umzubenennen. Zum anderen erinnert er nur rudimentär an ein Tagebuch. Anders als Rilkes Schmargendorfer oder Worpsweder Tagebücher enthalten die im Frühjahr 1898 verfassten Aufzeichnungen kaum Datumsangaben, sind nicht nach Schreibtagen strukturiert und verraten nur anfangs etwas über den Tagesablauf ihres Autors. Rilke nutzt das "in weißes Kunstleder mit eingeprägten Florentiner Lilien gebundene" Buch hauptsächlich – so lautet die Grundthese dieses Beitrags – als Schreiblabor.
Als Rilke am 5. April 1898 in Florenz ankam, war er bestens vorbereitet, um die Renaissance vor Ort zu studieren und ein Buch darüber zu schreiben. Belegt ist, dass er sich laut "Testierbuch" für das WS 96/97 in München eingeschrieben und bereits bei dem Kunsthistoriker Berthold Riehl eine Vorlesung zum Thema "Geschichte der bildenden Künste im Zeitalter der Renaissance" teilweise oder ganz gehört hat.
Es fing mit Erstaunen an. Fast noch bevor unser Lastwagen der amerikanischen Armee die Stadt erreichte, war alles vorbei. Alles war dagewesen, das uns an Rilke erinnerte: die Ponte Santa Trinità war da – oder sie war nicht mehr da. Alle Brücken waren im Krieg gesprengt worden – außer der Ponte Vecchio, der es, wenn auch auf beiden Seiten zerschlagen, erlaubt war zu leben. Der Arno – Rilkes Arno – floss nicht mehr voll und tief. Es war Hochsommer, und er floss enttäuschend flach.