Hofmannsthal 27.2019
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Zu den Auftraggebern der großen Wiener Architekten gehörten im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts auch Wiener Schriftsteller. [...] Mit dem Auftrag an Strnad hatte sich Hofmannsthal für einen Architekten entschieden, dessen Gestaltungen für eine entspanntere, gleichsam wohnlichere Form der Wohnkultur standen - und damit für eine pragmatischere Moderne als die der Wiener Werkstätte und der Sezession. [...] Der konzeptionelle Wandel von Repräsentation zu Individualität machte das Interieur zu einem "Spielraum" für "Lebens‑ und Charakterentwürfe" des Bewohners, der darin stilistisch und materiell unterschiedliche Möbelstücke und Gegenstände wie Requisiten frei kombinieren, umstellen und austauschen konnte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde diese von Architekten und Gestaltern wie Oskar Strnad und Josef Frank geprägte Spielart der Wohnkultur mit ihrer "undogmatischen und benutzerorientierten Definition von Funktionalität" als Neues Wiener Wohnen zum Begriff. [...] Obwohl kaum schriftliche Zeugnisse der Zusammenarbeit zwischen Hofmannsthal und Strnad existieren, belegen die beiden gemeinsamen Projekte - die Einrichtung der Wohnung Stallburggasse und die Bühneneinrichtung der Komödie "Der Schwierige" - eine große Nähe zur Idee einer "Veränderung der Wohnung", bei der nicht nur die Konzeption der Räume als Wiener Räume eine wichtige Rolle spielt, sondern auch deren individuelle Gestaltung.
Um die Jahrhundertwende tauchen in Bildender Kunst, Literatur, Tanz und Musik verstärkt Figuren der Commedia dell'Arte auf. Insbesondere Pierrot ist, neben seinen Verwandten Harlekin, dem deutschen Hanswurst und dem russischen Kollegen Petruschka, eine beliebte Figur, die ein intermediales Spielfeld zwischen den Künsten eröffnet. [...] Im Bild des Pierrot, mitunter auch im Zusammenspiel mit seinem Kontrahenten Harlekin, verdichtet sich das Ambivalente, die Gleichzeitigkeit des Ungleichen, die so typisch für die Wiener Moderne ist, und unter anderem auch Hofmannsthals Schreiben und Denken kennzeichnet, deren paradoxe Strukturen in der Forschung hinreichend belegt wurden. Die Wandelbarkeit der Figur eignet sich hervorragend, um die Vieldeutigkeit der modernen Existenz darzustellen, die sich einem endgültigen Urteil entzieht. [...] Im ersten Teil der vorliegenden Untersuchung werden zwei wegweisende Pierrottexte vorgestellt, mit denen sich der Wiener Dichter befasst hat. Diese Auseinandersetzungen zeigen, dass es Hofmannsthal bei seinen Studien im Wesentlichen um das widersprüchliche Auftreten der Figur geht. Der zweite Teil widmet sich drei Pantomimenfragmenten, die als 'erzählte Pantomimen' zunächst formale Gemeinsamkeiten besitzen. Darüber hinaus porträtieren diese Dichtungen Protagonisten, die als Pierrot bzw. als sein Verwandter, der 'liebe Augustin', clownesk-melancholische Zwischentöne schaffen und dabei die Wandelbarkeit der Figur zum Ausdruck bringen. Auf figuraler Ebene tragen die komisch-traurigen Gestalten so zur ambivalenten Atmosphäre bei, zu Spannungsfeldern also, die Hofmannsthals Werk kennzeichnen.
In der folgenden Lektüre soll die Überlagerung von Schreib- und Beobachtungstechnik in Hofmannsthals "Aufzeichnungen" herausgearbeitet werden. Hinsichtlich der Reflexion des eigenen Ichs wird die Untersuchung vor allem zwei komplementäre Haupttendenzen innerhalb der Notate herausstellen: die Tendenz der Ich-Pluralisierung und die der Totalitätssehnsucht. Hofmannsthal nutzt die Schreibtechnik der notathaften Aufzeichnung dazu, so die These, das eigene Ich in seinen widersprüchlichen Facetten zu reflektieren und gleichzeitig eine Sehnsucht nach Geschlossenheit und Ganzheit zu artikulieren. Diese Tendenzen gehen mit Reflexionen zweier widersprüchlicher zeitgenössischer Diskursfelder einher, des von Bourget inspirierten Dilettantismusdiskurses einerseits und des auf 'Ganzheit' hinzielenden Lebensdiskurses der Jahrhundertwende andererseits. Hinsichtlich der Chronologie der "Aufzeichnungen" soll in etwa der Zeitraum zwischen den Jahren 1890 und 1910 in den Blick genommen werden, also jene gemeinhin als 'Jahrhundertwende' bezeichnete historische Phase, in der Hofmannsthal in besonderer Weise zwischen einer reflexiv-ästhetischen Lebenshaltung und Plänen zu einer Überwindung dieser Lebenshaltung schwankt. Die "Aufzeichnungen" stellen sich insofern als intellektuelle 'Reflexionen' von Ich und Welt dar, als sie keinen emotional-bekenntnishaften, sondern vielmehr einen intellektuell-analytischen Charakter haben. Der Anschein vorreflexiver Authentizität wird also von vornherein verhindert.
Als der gerade frühpensionierte Lehrer und Reformpädagoge Ludwig Gurlitt (1855–1931) im Spätherbst 1907 nach Wien kommt, um die Festrede beim neugegründeten Österreichischen Verein für Schulreform zu halten, legt Hofmannsthal sich ins Zeug. Unter der Überschrift "Ludwig Gurlitt. (Gelegentlich seines heute stattfindenden Vortrages im Verein für Schulreform.)" erscheint am 19. November 1907 in der Wiener "Zeit" eines seiner schönsten Personenporträts (Anhang III). Anlass genug, den Festredner, einen 'geometrischen Ort' der Schulreformbewegung um 1900, und die Situation einmal genau in den Blick zu nehmen. Es soll darum gehen, Hofmannsthals Artikel im Hinblick auf Personen und Themen zu kontextualisieren, was, abgesehen von den notwendig knappen Hinweisen in der Kritischen Hofmannsthal-Ausgabe, die Forschung bislang nicht weiter interessiert hat. Gurlitts Familiennetzwerk, seine Ausstrahlung, sein pädagogisches Programm und sein Auftritt in Wien können aber Hofmannsthals Faszination begreifbar machen und auch ein Supplement liefern zu den "Briefen des Zurückgekehrten" (1907) und zu Hofmannsthals kulturpolitischer Position am Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Anhang präsentiert ein Zeitschriftendokument und Zeitungsquellen; bei Else Gurlitts späten Erinnerungen an ihre Begegnungen mit Hofmannsthal handelt es sich um einen Erstdruck aus dem Privatarchiv der Familie Gurlitt.
In der Festschrift zu Hugo von Hofmannsthals 50. Geburtstag zählt Rudolf Borchardt im 'Eranos-Brief' noch einmal die schon verstorbenen Vertrauten des Jubilars auf. Darunter auch der Münchner Privatdozent für Medizin, Dr. med. Wilhelm Freiherr Schenk von Stauffenberg (1879–1918). [...] Ungeachtet eines solchen Fingerzeigs dominiert im Hinblick auf die Beziehung Hofmannsthal / Stauffenberg in der Forschung noch immer die Leerstelle. Zwar finden sich sowohl in der kritischen Ausgabe der Sämtlichen Werke Hofmannsthals als auch in seiner Korrespondenz diverse Verweise auf den Münchner Arzt, dennoch ist der Blick auf ihre Beziehung bis dato insgesamt eher diffus geblieben. Dies mag einerseits daran liegen, dass nur wenige Belege dieser Verbindung überhaupt überliefert sind, andererseits aber auch daran, dass die spärlich vorhandenen schriftlichen Zeugnisse Stauffenbergs entweder verschollen geglaubt oder bislang nur schwer zugänglich waren. Der vorliegende Beitrag ergänzt nun das noch vage Bild eines für Hugo von Hofmannsthal so wichtigen Gesprächspartners, Kritikers und Gegenübers und stützt sich dabei auf bislang unveröffentlichte Archiv- bzw. Nachlassfunde.