296 Judentum
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Allgemeinplatz der Zeitgeschichtswissenschaft ist es, dass der staatsoffizielle DDR-„Antifaschismus“ der Verortung der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden nachrangige Bedeutung zumaß. Dies gilt – Konjunkturen in Rechnung gestellt – im speziellen auch für den Platz der reichsweiten Novemberpogrome von 1938 in der öffentlichen Memorialkultur des ostdeutschen Staates. So wie diese Befunde umfassend eruiert wurden, heben sie doch zumeist auf eine DDR-Gesamtentwicklung ab, ohne dass sich Lokalstudien der Spezifika annehmen und den Blick auf die gesellschaftliche Umsetzung und Auseinandersetzung mit staatlichen Vorgaben vor Ort lenken. Unter Verzicht auf eine Darstellung des historischen Ereignisses in seiner lokalen Ausformung soll hier daher das Interesse der Position der Novemberpogrome in der Dresdner Gedenkkultur in der Zeit der DDR, genauer bis vor dem Ende der politischen Alleinherrschaft der SED im Herbst 1989, gelten. Zentral wird dabei eine Analyse der sich wandelnden Relevanz der Jahrestage sein. Zu bestimmen ist deren Ausgestaltung durch ein sich ausdifferenzierendes Spektrum an Akteuren, welche in Zahl, ihrem Verhältnis zueinander, der jeweiligen Praxis, aber auch hinsichtlich ihrer inhaltlichen Bezüge auf das historische Datum aufzuzeigen sind.
Eine Ausstellung des Jüdischen Museum Frankfurt zeigte vor einigen Jahren eine umfangreiche Sammlung von Postkarten mit antisemitischen Darstellungen, Abbildungen und Zeichnungen. Die Ausstellung führte vor Augen, wie gängig antisemitische Motive bereits bei der Einführung der Postkarte 1870 im alltäglichen Leben waren. Auf Grußkarten zu Geburtstagen und aus dem Urlaub wurden – mal unzweideutig, mal in Form subtiler Karikaturen – antisemitische Bildpolemiken verbreitet. Die kleinen Zeichnungen, die tausendfach ihren Weg in Privathaushalte gefunden haben mussten (anders lassen sich die zahlreichen Exemplare, die man noch immer auf Flohmärkten erwerben kann, nicht erklären), zeigen genauso wie wissenschaftsgeschichtliche Forschungen zur Rassenlehre und Anthropologie, dass der spezifisch „jüdische Körper“ keine Erfindung der Nationalsozialisten war. Diese griffen für ihre antisemitische Ideologie auf Ideen, wissenschaftliche Forschungen und rassistische Paradigmen zurück, die bereits seit dem 19. Jahrhundert entwickelten. Judenfeindliche Bilddarstellungen freilich gab es bereits im frühen Mittelalter. Und doch kann man die „Herstellung des jüdischen Körpers“ als nationalsozialistisches Projekt bezeichnen, waren doch Zentrum und Fundament der nationalsozialistischen Weltanschauung der propagierte Unterschied zwischen Rassen, allen voran zwischen „Ariern“ und Juden. Welche Bedeutung und Dimension die Vorstellung von der jüdischen Physiognomie während des Nationalsozialismus, vor allem für die Verfolgten hatte, und welche Auswirkungen dies auf die Praxis der Verfolgung und die Praktiken des Sich-Entziehens hatte, wird im Folgenden zu schildern sein. Juden wurden aus einem einzigen Grund gejagt: weil sie Juden waren. Die nähere Betrachtung der Verfolgungspraxis soll zeigen, dass die rassistische und antisemitische Ideologie auch unmittelbare Auswirkungen auf die Wahrnehmung des „jüdischen Körpers“ hatte.