340 Recht
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Alter im Recht
(2006)
"Die Menschen jedoch vor dem fünfundfünfzigsten oder sechzigsten Lebensjahr in den Ruhestand zu schicken, scheint mir nicht allzu sinnvoll. Ich fände es im öffentlichen Interesse besser, die Dauer unsrer beruflichen Tätigkeit soweit wie nur irgend möglich zu verlängern. Den Fehler macht man meines Erachtens am anderen Ende: indem man uns nicht früh genug tätig werden lässt. … Ich beklage mich hier also nicht deswegen über die Gesetze, weil sie uns zu lange zur Arbeit anhalten, sondern weil sie uns zu lange davon abhalten."
Wer könnte das gesagt haben? Der Satz, der Assoziationen an einen Politiker oder Arbeitsmarktexperten unserer Tage weckt, stammt von Michel de Montaigne. "Über das Alter" lautet der Titel des Essais aus dem Jahr 1580. Der institutionalisierte Lebenslauf, der mit Hilfe von Altersgrenzen, altersspezifischen Normierungen und staatlichen Altersversorgungssystemen das Erwerbsleben zur zentralen Lebensphase macht, wird hier bereits angedeutet. Die im Laufe seiner Etablierung ab 1750 geschaffenen Lebensphasen der Jugend und des Ruhestands werden bei Montaigne dagegen nur ansatzweise als rechtlich schützenswert gedacht. ...
"Nach wie vor lückenhaft ist auch die Analyse der Einflussfaktoren, die für die Entwicklung der Kinderarbeit im 19. Jahrhundert maßgeblich waren." Dieser Befund Annika Boenterts in ihrem Buch über die "Kinderarbeit im Kaiserreich 1871–1914" erstaunt zunächst, trifft aber vollauf zu. Das "Preußische Regulativ zum Schutz jugendlicher Arbeiter" aus dem Jahr 1839 ist vielleicht die am besten erforschte preußische Verordnung des 19. Jahrhunderts. Das ist kein Verdienst der Rechtsgeschichte. Sie konzentriert sich in erster Linie auf die Privatrechtsgeschichte, meist in Form von Ideengeschichte, und in zweiter Linie auf die Verfassungsgeschichte. Die Geschichte des Straf- und Verwaltungsrechts, aber auch des Völkerrechts kommen dabei genauso zu kurz wie die Betrachtung der Wechsel- und Steuerungswirkungen von Recht und sozialen Prozessen. So haben sich vor allem die an der Geschichte der Arbeiterbewegung orientierten Sozialhistoriker der Geschichte der Kinderarbeit zugewandt. Die deutsche Historiographie zu dieser verwaltungsrechtlichen Vorschrift ist zudem die Geschichtsschreibung eines ehedem geteilten Landes. Im Westen waren es die Sozial-, Wirtschafts- und Technikhistoriker, die den Beginn der Fabrikschutzgesetzgebung in Deutschland erforschten. ...
Das Wissen der Welt verdoppelt sich mittlerweile innerhalb weniger Jahre, so ist bisweilen zu lesen. Diesen Befund verdanken wir der unermüdlichen Wissenschaftsbürokratie. Er impliziert eine abwertende Sicht auf die Gesellschaften der Vergangenheit und bedarf der Erläuterung, wer denn nun eigentlich so viel wissender geworden sei. Die Juristen unserer Tage in Bezug auf die kirchliche Rechtsgeschichte mit Sicherheit nicht. Bücher zu dieser Disziplin erscheinen nicht oft. Das hat mit den Erfordernissen des Bücher- und Ausbildungsmarktes zu tun. Das Staatskirchenrecht ist nur noch in Grundzügen Teil der juristischen Ausbildung und das Kirchenrecht wird an vielen juristischen Fakultäten gar nicht mehr gelehrt. Erste Anzeichen deuten an, dass eine Talsohle aber durchschritten ist. Vielerorts regen sich Aktivitäten, die Zahl der Dissertationen und Habilitationen steigt wieder. Das ist sicherlich der Erkenntnis geschuldet, dass Säkularisierung eben nicht der lineare Prozess ist, als der er für die letzten zweihundert Jahre immer wieder dargestellt wurde. Gerade das Zusammenspiel mehrerer Religionen mit moderner Staatlichkeit bedarf gewiss der näheren Betrachtung auch durch Juristen. ...
Vor der Neuzeit war das Empfinden für die Zeit ein anderes, das wissen wir seit den begriffsgeschichtlichen Untersuchungen Reinhart Kosellecks. Die Sattelzeit markiert den Übergang von einem zyklischen zu einem lineareren Zeitverständnis, so könnte man vielleicht einen verkürzten Merksatz seiner innovativen Forschungen formulieren. Erst aufgrund seiner Studien entdeckte die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte das Thema Zeit. Es sind die gelungenen Sprachbilder Kosellecks und seiner Nachfolger, die im Gedächtnis haften bleiben. In ihnen stehen mittelalterliche Mönche mit ihrer Aufzeichnung von Chroniken für ein auf die Ewigkeit gerichtetes Zeitverständnis, in dem so etwas wie Fortschritt oder individuelle Lebenszeitplanung keinen Platz hat. Für die beschleunigte Zeit unserer Tage stehen die Bilder von dampfenden Eisenbahnen, die zeitliche Distanzen radikal verkürzten, von Fließbändern der modernen, vertakteten Arbeitswelt und von Menschen, die sich in Tagebüchern und Autobiographien Rechenschaft über die eigene Lebenszeit ablegen. Versucht man diese Bilderfolge in eine zeitliche Ordnung zu bringen, so entsteht ein merkwürdiger Befund. Die mit dem alten Zeitverständnis verknüpften spielen im Mittelalter, die anderen debütieren im Vormärz. So betrachtet entsteht ein Vakuum von mehreren hundert Jahren. Dieser Eindruck entsteht nicht nur für den Verfasser dieser Zeilen. Bei den vielfältigen historischen Untersuchungen zur Zeit dominieren eindeutig solche zum Mittelalter und der Neuzeit. Wenn man den Gegensatz linear-zyklisch einmal gedanklich beiseite legt und nach den Akteuren bei der sozialen Konstruktion der Zeit fragt, dann entstehen andere Zäsuren. ...
Vorliegend wird davon ausgegangen, dass die Bedeutung von Rechtssätzen für die Vermessung des menschlichen Lebenslaufs seit 1750 erheblich zugenommen hat. Dies gilt in besonderem Maße für die Entstehung des rechtlich geschützten Raums der Jugend. Die Wandlung "vom 'jungen Herrn' zum 'hoffnungsvollen Jüngling'" hat ihre Wurzeln bereits im 18. Jahrhundert. Eine Verdichtung rechtlicher Regelungen ist aber vor allem im Vormärz zu bemerken. Hier sollen lediglich die gesetzlichen Neuerungen betrachtet werden.
Wer war der Mörder, warum hat er es getan? Das Motiv spielt die zentrale Rolle im Kriminalroman. Nur wer weiß, warum die Tat begangen wurde, kann den Kreis der möglichen Täter verkleinern. Menschliche Tragödien, kaltblütige Vergeltung, Habgier, Geltungssucht, sexuelle Neigungen und religiöser Fanatismus, aber auch enttäuschte Liebe und eigenmächtige Suche nach Gerechtigkeit bilden die Kulisse des Kriminalromans. Auch wer als Leser die Tat nicht billigt, findet mitunter Erklärungen und gleicht diese unbewusst mit der Beantwortung der Frage ab, wie er selbst sich verhalten hätte. Oder die Auflösung bestätigt alle schon immer gehegten Überzeugungen, und die Entrüstung über so viel Schlechtigkeit hinterlässt das Gefühl der eigenen Integrität. Vielleicht kann man den ein oder anderen Krimi deshalb so schnell lesen, weil er nur der Bestätigung einer Erwartungshaltung dient und diese Erwartung in aller Regel auch erfüllt. Gegen dieses Klischee schreibt der engagierte Mikrohistoriker bei der Darstellung seiner Fälle an und verfällt ihm doch mitunter wieder selbst. ...
Realismus macht sich breit in Europa. Nach mehreren Referenden mit negativem Ausgang, wiederholter Uneinigkeit in der Außen- und Erweiterungspolitik und sogar schwerwiegenden Differenzen in der wirtschaftspolitischen Kernkompetenz der EU scheint dieser Realismus noch die bessere Alternative zu einem Europaskeptizismus. Die politischen Akteure sind mittlerweile geschult darin, die wiederholten Rückschläge begrifflich zu verarbeiten und stets wieder Auswege aus den scheinbar festgefahrenen Verhandlungen zu finden. Immer neue Formelkompromisse lassen bewusst die eine oder andere Machtfrage unbeantwortet. So entstehen europarechtliche Konstruktionen, die den auf Typenklarheit bedachten Juristen Kopfzerbrechen bereiten. Stellt das neue Vertragswerk einen weiteren Schritt zu einem europäischen Bundesstaat dar? Wird nun endgültig der Boden für eine europäische Verfassung bereitet oder ist der Verfassungsbegriff nun endgültig ad acta zu legen? Das Europa der zwei Geschwindigkeiten scheint auf einen bundesstaatlich organisierten westeuropäischen Kern und einen gesamteuropäischen losen Staatenbund hinauszulaufen. ...
Die Altersgrenzen in unserem Rechtssystem segmentieren den menschlichen Lebenslauf in Lebensphasen. Damit ist es der Gesetzgeber, der entscheidet, wann es in unserem Leben zu kalendarisch genau definierten Statuspassagen kommt. Wer als Rentner vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist – und so zumindest in einem ökonomischen Sinn alt zu sein hat –, bestimmt das Recht mit dem Rentenalter genauso, wie es festlegt, dass man mit 16 noch jung ist und nicht wählen oder Auto fahren darf. Unser gesamter Lebenslauf ist umfassend juridifiziert worden.