780 Musik
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Philosophie der Musik
(2014)
Musik wird als eine der wichtigsten kulturellen Betätigungen zwangsläufig auch in der Philosophie an mehr oder weniger prominenter Stelle Thema. Immer bleibt sie dabei jedoch dem jeweiligen philosophischen System untergeordnet: So ist sie mathematische Disziplin in Antike und Mittelalter, die die Harmonie des Kosmos wiedergibt (und das teils bis heute: "Die Welt ist Klang"), bei Kant ein bloßes Spiel mit Empfindungen, das allen anderen Künsten untergeordnet bleibt, bei den Romantikern die Ahnung des Absoluten, bei Schopenhauer die höchste Kunst, die das An-sich der Welt unmittelbar abbildet. Philosophische Abwertung (sie ist keine Erkenntnis) und Aufwertung (sie ist höhere Erkenntnis) wechseln sich ab. Mit der neuzeitlichen Einordnung als Kunst wurden auf die Musik zudem ästhetische Unterscheidungen angewandt, insbesondere die Unterscheidung von Inhalt und Form: Als Inhalt gilt der Ausdruck von Gefühlen, von Seelischem, oder ihr Gegenstand wird in der Verneinung eines konkreten Inhalts bestimmt als "geisterfüllte" "tönend bewegte Formen" (Hanslick). Adorno wollte Musik schließlich gar philosophisch-politisch begründen, indem er Wahrheit mit politischer Korrektheit (Antikapitalismus) gleichsetzte und angesichts des "universellen Verblendungszusammenhangs" Wahrheit nur in der Zwölftonmusik sah.
Diese vielfältigen und umstrittenen Bestimmungen treffen immer nur Teilaspekte der Musik. Eine Philosophie der Musik muss hingegen die Musik "als sie selbst" auslegen. Dazu ist von der allgemeinsten menschlichen Eigenheit, dem Verstehen von Sinn, auszugehen. Musik bildet einen besonderen Sinnzusammenhang im Bereich des Hörens und muss als hörendes Verstehen Thema werden.
Der musikalische Serialismus wird bis heute als ein mechanistisches Kompositionsverfahren abgetan, wie es typisch für die verunsicherte Nachkriegszeit der 1950er Jahre zu sein scheint. Dieser Ansatz übersieht die grundsätzlichen Impulse, die von diesen Ansätzen bis heute ausgehen. Festmachen kann man dies z. B. daran, wie stark seit den 90er Jahren ein formales strukturorientiertes Denken in der elektronischen Musik zum Durchbruch gelangte, wie es noch mit Sound- und Midiorientierten Verfahren in den 80er Jahren nicht absehbar war. Für einen qualitativ neuen Typus form- und strukturgenerierender Tools im Virtuellen digitaler Symbolverarbeitung stehen heute kollaborative Echtzeitprogramme bereit, die 'Komposition' als ein neues strukturelles Dispositiv erfahren lassen und in direkter Linie zum Serialismus gesehen werden können.
Zwei Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs veröffentlichte der franko-amerikanische Historiker Jacques Barzun eine ideengeschichtliche Anatomie des 19. Jahrhunderts mit dem aufsehenerregenden Titel 'Darwin, Marx and Wagner'. Eine mit Absolutheitsanspruch verfochtene deterministische Weltsicht betrachtet sein Buch, dessen narrativen Ausgangspunkt die just ins Jahr der Vollendung der 'Tristan'-Partitur (1859) fallende Veröffentlichung von 'The Origin of Species' und der 'Kritik der politischen Ökonomie' bildet, als ein anhaltend problematisches Erbe der mit jenen drei "representatives of the dominant tradition" verbundenen Umwälzungen in den Künsten, Natur- und Sozialwissenschaften: "Their thought embraces the three great relations that cause us the deepest concern - science and religion, science and society, society and art - and it is from them that on these subjects we have learned what we most familiarly know." Gegen solchen von der weltgeschichtlichen Lage geprägten (liberalen) Skeptizismus kann zwar zum einen auf jene die "ewige Wiederkehr des Gleichen" progressiv durchbrechende Zielgerichtetheit verwiesen werden, die Wagners auf ein multilaterales "Ende" zulaufende Musikdramen mit dem Telos von Marx’ Gesellschafts- und Darwins Naturbeobachtung teilen. Aber auch diejenigen Kopplungen und ideengeschichtlichen Synergieeffekte, die sich in - sich neu formierenden - Problemzusammenhängen wie der (Musik-)Psychologie niederschlagen, lassen sich Barzuns düsterer Zeitgeistdiagnose entgegenstellen. Der vorliegende Aufsatz steht also nicht nur vor der bislang unbewältigten Aufgabe, das Werk eines bedeutenden Komponisten in den Kontext der Wissenschaftsgeschichte zu stellen. Zugleich geht es darum, gewöhnlich nicht ins Blickfeld der Musikwissenschaft fallende Textgattungen und Diskurse für die musikalische Analyse und Historiographie des ausgehenden 19. Jahrhunderts fruchtbar zu machen.
"... die Notwendigkeit, die Werke rascher zu interpretieren" : Musik, Technik und Beschleunigung
(2014)
Die Beschleunigung, die "Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne", dringt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auch in die Musikästhetik. Die Produktion und Rezeption von Musik verändert sich aufgrund der neuen Medientechniken: Musik wird technisiert, mechanisiert, sie wird reproduzierbar, sie wird global verfügbar. Im Folgenden möchte ich anhand einiger Beispiele veranschaulichen, dass das musikalische Tempo in den musiktheoretischen und musikästhetischen Reflexionen dieser verschiedenen Tendenzen eine zentrale Rolle spielt und dabei die empfundene Beschleunigung der Moderne spiegelt.