800 Literatur und Rhetorik
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Liza B. Bauer looks at science fiction or speculative fiction writing - the literary genre par excellence for exploring alternative models of human-nonhuman coexistence. In her article "Reading to Stretch the Imagination: Exploring Representations of 'Livestock' in Literary Thought Experiments," she dissects processes of reciprocal negotiation between human and nonhuman beings in texts such as Sue Burke's "Semiosis" and Margaret Atwood's "Oryx and Crake" and "The Year of the Flood." Following Brian McHale's and Donna Haraway's credo that highly unlikely worlds encourage readers to critically reflect on current realities, Bauer addresses the following questions: What if chickens, cows, or pigs had the chance to exist for their own ends? What would happen if they could communicate in human language? Or if they were of superior intelligence? Would they subdue humankind, domesticate their co-inhabitants, or coexist harmoniously? By enacting these scenarios in literary storyworlds, SF proves to be particularly fertile ground, yielding insights into the current and future challenges of coexistence. As Bauer convincingly outlines, immersing ourselves in (science) fictional worlds to practice multispecies living does not seem too far removed from reality. The redistribution of animal agency shows that the passivity to which most livestock animals are condemned is not irrevocable. The well-being of both human and nonhuman animals will depend on whether it is possible to theoretically and practically broaden students' understanding of these entanglements. Since alternatives to animal commodification are thinkable in experimental SF storyworlds, they could constitute, Bauer argues, a significant step toward abolishing animal exploitation.
Im Jahr 1837 schreibt Gustave Flaubert – er ist sechzehn Jahre alt – die Erzählung Quidquid volueris, eine nahezu perfekte Schauergeschichte im Stil der gothic novel, ein goyaesker Alp "schlafloser Nächte", worin der Erzähler eingangs die Teufel seiner Einbildungskraft, die "Kinder meines Hirns" anruft wie Musen der Inspiration. Virtuos setzt der adoleszente Autor alle Stilmittel des langsam sich aufbauenden Grauens ein, das sich am Ende in einer entsetzlichen Tat entlädt. ...
Wer nach Paris kommt, sollte nicht versäumen, die Stiegen auf das Dach der Kathedrale Notre-Dame zu klettern und dort die steinernen Monstren, Fabeltiere und Dämonen zu besichtigen, durchaus Meisterwerke gotischer Steinmetz-Kunst. Noch immer kann man die Blicke imitieren, die Mitte des 19. Jahrhunderts den Künstler Charles Meryon (1821-1868) zu seinen Radierungen inspirierte: mit ihnen versetzte er die "Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts" (Walter Benjamin) unter die Zeichen eines fremdartigen und unheimlichen Tierkreises, der nicht die Ordnung des Himmels, sondern das nächtliche Gewimmel einer dämonischen Gegenwelt wiedergab. Seltsam genug ragten seit Jahrhunderten die Lamien und Empusen, die Keren und Chimären, die Teufelsfratzen und Basilisken, Drachenköpfe und Kynokephalen über das Häusermeer der Metropole, die sich gerade anschickte, zum Labor der urbanindustriellen Moderne zu werden. Die steinernen Monstren, die oft auch die Westportale besetzt hielten, weil von dort der Angriff der Dämonen zu erwarten war, dienten im Mittelalter als Wächterfiguren, welche den heiligen Raum des Kirchenbaus vor dem Eindringen der satanischen Rotten zu behüten hatten. ...
Weil Grenzen – ob reale, disziplinäre oder symbolische – Orte der Begegnung und Konfrontation sind, entstehen gerade in ihren Zwischenräumen vielseitige Dynamiken. Der Grenzraum zwischen Tier und Mensch ist der zentrale Ermöglichungsgrund und Austragungsort des Wandels der politischen Semantik in der Frühen Neuzeit. Für diesen Wandel spielen politische Schriften ebenso eine wichtige Rolle wie wissenschaftliche und literarische Texte. Benjamin Bühler geht den Grenzfiguren wie dem Hirten, Fuchs, Picaro oder der Bevölkerung im Feld des Politischen nach. Ausgangspunkt der Studie ist die These, dass die Verortung der politischen Akteure zwischen Tier und Mensch in Perioden des Umbruchs die Ausbildung und Erprobung neuer politischer Semantiken erlaubt.
Die Beiträge des vorliegenden Bandes prüfen die auf Streben, Wollen und Werden bezogenen Begriffe des Conatus und der Lebensnot als Schlüsselbegriffe der Medienanthropologie. Dabei verfolgt Medienanthropologie im hier entwickelten Sinne nicht das Ziel, die Menschenähnlichkeit der Technik herauszuarbeiten, wie dies prominent in der Kulturphilosophie Ernst Kapps oder auch bei Marshall McLuhan der Fall war. Im Fokus der vorgestellten medienanthropologischen Fragestellungen stehen vielmehr umgekehrt die vielgestaltigen Bemühungen des Gleichsetzens, Vergleichens oder Absetzens von Mensch und Technik in der Anthropologie, den Humanwissenschaften und der Medienforschung selbst. Die daraus wiederholt gewonnene Formulierungen der anthropologischen Differenz - Was ist der Mensch im Unterschied zu Technik und Tier? - sind Ausdruck dessen, was untersucht und seinerseits befragt wird.
Transspezieskonzeptionen als Identitätskonzeptionen in Selbstinszenierungen, in populären Narrationen, in der Neurowissenschaft oder der Psychologie sind im Verhältnis zu anderen Transkonzepten (Transgender, Transkulturalität, Transnationalität, Transsozialität etc.) unterrepräsentiert und bieten gerade deshalb die Möglichkeit einer interdisziplinären und vergleichenden Analyse. Beobachtbar ist dabei, dass Transspezieskonzeptionen eine Mensch-Tier- Differenz zu unterminieren scheinen, indem sie menschliche Alleinstellungsmerkmale vorzugsweise von Identität, Person, Selbst und Psyche auf nichtmenschliche Tiere ausdehnen. Im Zentrum der Untersuchung steht deshalb die Frage, wie diese Konzeptionen mit den Begriffen 'Identität' und 'Spezies' genau verfahren und wie sie sich zu jener Grenze verhalten, die sie zu überschreiten vorgeben.
Bilder werden zumeist begriffen als erstens zweidimensional, flächig und in der Fläche durch ihren Rahmen begrenzt, und zweitens als ruhend, unveränderlich und unbewegt. [...] Bislang kaum entfaltet dagegen ist die - weder Bergson noch Deleuze besonders interessierende - Raumqualität der Bilder. Bilder werden weithin mit Zweidimensionalität verbunden. Auch räumliche Arrangements - Gegebenheiten oder Artefakte - jedoch können unter Bergsons Bildbegriff fallen, können die Wahrnehmung oder das Wahrgenommensein, unter das sie sich stellen, herbeiführen, ausstellen und operationalisieren. Ein flagrantes Beispiel dafür ist das Diorama, in Sonderheit das in Naturkunde-Museen zu findende Habitat-Diorama. Im folgenden werde ich ein Diorama exemplarisch analysieren, und zwar in Hinsicht auf ein von Deleuze anhand des Bewegungsbildes entwickeltes (doppeltes) Kriterium, nämlich dasjenige der Leere und der Fülle. Dies wird es möglich machen, Film und Diorama zu vergleichen, Eigenschaften des Bewegungs- und des Zeitbildes in verschobener Weise auch im Diorama wiederzufinden und zugleich markante Unterschiede zu beobachten. Zudem werden auch verschiedene Typen des Dioramas in ihrem Verhältnis zueinander und in ihren Übergängen konturierbar. Dabei werden auch in Sonderheit die Phänomene der Atmosphäre, der Indexikalität und der Evidenz relevant.
Tierfilme und -reportagen haben Konjunktur, neue Bildtechnologien ermöglichen immer differenziertere Einblicke in Verhaltens- und Lebensweisen bekannter und unbekannter Tierarten. Wir fühlen uns als teilnehmende Beobachter in scheinbar gewagtester Nähe. Das "Privatleben" der Tiere wird bis in den letzten Winkel verfolgt, die Entdeckung der Tierindividualitäten schreitet voran, Tiere bekommen ein Schicksal und wecken Empathie, der vor über 2000 Jahren entstandene Tier-Mensch-Verwandtschafts-Topos, dem noch jeder Gedanke an die Abstammung der Arten fern lag, wird neu belebt. Doch das kulturelle Interesse am Tier erschöpft sich nicht im Fasziniertsein durch perfekt visualisierte Verhaltensstudien oder durch neueste Lesarten der Tiermetaphorik, in der es stets weniger um Tiere als um Menschen geht. Der historische Wandel der menschlichen Tierbeziehung wird in der Tierethik reflektiert.
Seit der Antike umstrittene kognitive Fähigkeiten verschiedener Tierarten bilden heute einen einzelwissenschaftlich fundierten philosophischen Diskussions- und Forschungsgegenstand ("Der Geist der Tiere"). Die Biosemiotik macht große Fortschritte, der Tier-Mensch-Vergleich - bereits ein Kernstück antiker Anthropologie und Ethik - erfährt eine tiefgreifende Umwertung. Dabei steht nicht mehr von vornherein der Mensch im Mittelpunkt; vielmehr wird versucht, das Animalische in seiner Artenvielfalt als eine vielgestaltige eigene Lebensform zu beschreiben; diese ist nicht länger an Maßstäben einer Anthropozentrik zu messen, die im innersten teleologisch geblieben ist. Der Tier-Mensch-Vergleich wird heute nicht mehr so einseitig und ausschließlich auf kognitive Fähigkeiten bezogen. Vielmehr werden weitere Aspekte wie Emotionalität, Wertungs- bzw. Präferenzverhalten, moralanaloge Verhaltensweisen, Antriebsstrukturen, Soziabilität, Zeichenverhalten mit einbezogen. Diese Komplexität der Vergleichspunkte oder Vergleichseinheiten war erst mit dem neuzeitlichen Rationalismus immer mehr eingeschränkt worden. Die gegenwärtig wiedergewonnene Komplexität lässt nach historischen Vorbildern Ausschau halten; da verwundert es nicht, wenn eine Anthropologie ins Blickfeld rückt, die im Tier-Mensch-Vergleich einen ihrer wichtigsten Ausgangspunkte hatte: die antike Anthropologie.
In "'Preventing Malicious and Wanton Cruelty to Animals': Historical Animal Welfare and Animal Rights Education," Andreas Hübner outlines future historical animal welfare and animal rights education, sketching concepts and themes such as animal agency and historicity as well as the relational, spatial, and material practices employed between humans and animals. Hübner then historicizes present-day attitudes toward anthropocentricism and discusses educational and learning processes that (can) help to overcome human-animal dichotomies in the history classroom. Hübner presents subject-specific recommendations for critically integrating topics into future curricula and shows that it is possible to teach in a way that acknowledges the role of nonhuman actors. He thereby challenges conventional human-centered narratives of historical learning.
This essay follows the productive discussion of Giorgio Agamben's "The Open: Man and Animal" that took place as part of the 'Openness in Medieval Culture' conference at the ICI Berlin. The essay attempts to develop a speculative notion of openness within Agamben's work, in particular by connecting the question of openness to the question of the promise: the promise of the resolution of the question of man and animal ("The Open"); the promise of the Franciscans' vow, or 'sacramentum' ("The Highest Poverty"); and the promise of language ("The Sacrament of Language").