800 Literatur und Rhetorik
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"...indem die Tage rollen..." : Zeit, Recht und 'Klassik' in Goethes "Die Natürliche Tochter"
(2020)
Der Beitrag geht von der These aus, dass Goethes Arbeit an der 'klassischen' Dramenform sich einer tieferen Einsicht in die zeitliche wie rechtliche Problematik der 'tragédie classique' verdankt als allgemein angenommen. Dabei dürfte es maßgeblich die Französische Revolution gewesen sein, die eine neue Attraktivität der 'alten' Form bewirkte. Das zeigt sich vor allem an "Die Natürliche Tochter", einem Stück, in dessen Entstehungszeit nicht zufällig Goethes Übersetzungen zweier Dramen Voltaires fallen. Figurationen politischer Gründung und Legitimation bildeten das Zentrum des 'klassischen' Dramas bereits bei Corneille und stellten es zuverlässig auf eine um 1800 für konservative Autoren aktuelle Zerreißprobe. Die forciert gelassene Präsentation legitimer Herrschaft unter der Berufung auf Zeitkontinuität und lang währende 'Gewohnheiten' stand in der 'tragédie classique' nämlich in massiver Spannung zur normativen Forderung der 'Einheit' der Zeit, die das Drama auf eine disziplinierte Zeitökonomie und idealerweise sogar auf die Synchronisierung von dargestellter Zeit und Zeit der Darstellung verpflichtete. Dort, wo Corneille solche Spannungen entweder zu kaschieren oder politisch zu nutzen versuchte, reißt Goethe in "Die Natürliche Tochter" zwischen Figurenrede und Dramaturgie eine unüberwindbare Kluft und lässt ursprüngliche Funktionen der 'klassischen' Zeitökonomie konsequent leerlaufen. Sein Drama betreibt demnach keine restaurative Formpolitik, sondern führt die historische Uneinholbarkeit der 'klassischen' Form angesichts zeitgenössischer politischer Entwicklungen vor.
Genel Edebiyat Biliminin bir dalı olan "Karşılaştırmalı Edebiyat", farklı dillerde yazılmış edebi eserlerin, benzerlik ve farklılıklar yönünden karşılaştırılmasıdır. Karşılaştırmaya dayalı analizlerdeki amaç, iki ya da daha fazla eserin, biçim, üslup, motif ve ya tema gibi edebi unsurlar açısından ortak ve ya farklı öğelerini belirlemektir. Edebi metinlerde kullanılan dilsel öğeleri inceleme alanı olan "Biçembilim", okuyucunun metinleri anlamasını sağlayan en önemli araçlardan biridir. Karşılaştırmalı Edebiyat bilimi kapsamında çevirinin önemi yadsınamaz ve bir metin ile çevirisi, mukayeseli çalışma alanlarından biridir. Bu araştırmanın özünü, kaynak metin ve erek metin arasındaki benzerlik ve farklılıkları örneklendirmek adına karşılaştırmalı edebi çeviri örneği oluşturmaktadır. Bu bağlamda, bu çalışmada, William Shakespeare'in "Sonnet 66" şiirinin Türk edebiyatçı Can Yücel tarafından "66. Sone" olarak çevirisinin, Katharina Reiss'in "içerik odaklı" çeviri modeline dayanarak nasıl yorumlandığı incelenmiştir.
In den letzten Jahren geriet das Themenfeld 'Literatur und Religion' wieder vermehrt in den Fokus der Forschung. Obgleich im Zuge dessen die Relevanz konfessioneller Identitäten für die im 18. Jahrhundert vorgenommene Umgestaltung des Verhältnisses von Sinn und Sinnlichem zum Thema wurde, lässt sich doch ein Forschungsdesiderat konstatieren: Die katholische Konfession ist erstaunlich selten Gegenstand der dem 18. Jahrhundert gewidmeten ästhetikgeschichtlichen Untersuchungen, obwohl die Forschung ihre Bedeutung für die Formulierung der frühromantischen Kunstreligion allgemein anerkannt hat. [...] Erst in jüngster Zeit hat Jonathan Blake Fine in einem Aufsatz auf dieses Forschungsdesiderat hingewiesen. [...] Fine verbindet Lavaters Werk explizit mit der frühromantischen Ästhetik, allerdings wird in seinem Aufsatz die konkrete ästhetische Erscheinungsweise des Katholischen, die ja Ausgangspunkt für die romantische Kunstreligion sein soll, nicht analysiert. Mein Beitrag nimmt Fines überzeugenden Hinweis auf und will einen Beitrag dazu leisten, die Umrisse der protestantisch-spätaufklärerischen Wahrnehmung katholischer Praktiken - und damit die Konstruktion einer 'katholischen Ästhetik' aus protestantischer Perspektive - exakter zu fassen. Dazu setze ich einerseits bei Lavaters "Wenn nur Christus verkündigt wird! oder Empfindungen eines Protestanten in einer katholischen Kirche" an, andererseits bei den polemischen Reaktionen, die dieses provozierte. Das 1781 erstmals gedruckte Gedicht schildert, wie der Titel ankündigt, eine katholische Messe und die diese begleitenden Empfindungen des lyrischen Subjekts. Im Zusammenhang mit der Nicolai-Lavater-Polemik wurde das Gedicht den (Berliner) Spätaufklärern zum Beleg für die 'kryptokatholischen' Tendenzen Lavaters. In meinem Aufsatz geht es mir nicht um die ausführlich aufgearbeitete 'Jesuitenriecherei' Nicolais, sondern um das katholisch-ästhetische Programm, welches Lavater in seiner lyrischen Messeschilderung darstellt und das den protestantischen Spätaufklärern zum Ärgernis wurde. [...] Lavaters Gedicht und die drei derb-polemisch kommentierten Nachdrucke gewähren einen Einblick in die protestantisch-spätaufklärerische Konstruktion eines katholischen Verständnisses von Sinn und Sinnlichkeit. Mit anderen Worten: Die zweifache reformatorische Perspektivierung - einerseits die poetisierte Darstellung der katholischen Messe durch den Zürcher Theologen Lavater, andererseits die Rezeption seiner Gedicht gewordenen Schilderung durch die Spätaufklärer - macht es möglich, die Besonderheit einer als katholisch markierten (und damit eben dezidiert nicht-aufklärerischen, nichtprotestantischen) Ästhetik wahrzunehmen und zu analysieren. Davon ausgehend kann die von Fine konstatierte Faszination, die frühromantisch-kunstreligiöse Entwürfe für den Katholizismus empfanden, genauer an als katholisch markierten Praktiken und Sinnlichkeitsvorstellungen festgemacht werden. Dazu will ich im Folgenden in drei Schritten vorgehen. Den ersten Schritt stellt die Analyse von Lavaters Gedicht "Wenn nur Christus verkündigt wird" dar, insbesondere in Hinblick auf die dort thematisierten Besonderheiten katholischer Sinnlichkeit und ihrer Wirkung auf das lyrische Subjekt. Der zeitgenössischen Kritik dieser Besonderheiten widme ich mich im zweiten Schritt: Anhand von Nicolais 1787 publiziertem Gedichtkommentar und der anonym erschienenen Ausgabe aus demselben Jahr will ich analysieren, was an Lavaters Schilderung dem protestantischen Blick zum Ärgernis gereichte und wie sich eine spätaufklärerische Ästhetik implizit gegen ein als katholisch konstruiertes Sinnlichkeitsverständnis konturierte. Abschließend und zusammenfassend werde ich skizzieren, wie sich das durch die protestantische Polemik sichtbar gewordene katholische Sinnlichkeitsverständnis zu den Ästhetik-Entwürfen des 18. Jahrhunderts verhält.
In Franz Hohlers Tschipo (1978), dem ersten Teil einer Trilogie, erlebt ein Schweizer Junge Abenteuer auf seltsamen Inseln. Und in Maggie Stiefvaters Serien The Raven Cycle (2012 – 2016) und The Dreamer Trilogy (2019 – ) bekämpft ein amerikanischer junger Erwachsener mit Namen Ronan Lynch magische Gefahren. Was haben Tschipo und Ronan gemeinsam? Eine seltsame Gabe: Von ihren Träumen bleibt am Morgen etwas zurück...
"Berührungsfurcht" : soziale Imaginationen der Unterklassigen in der Kanon-Literatur der Moderne
(2020)
Die gutbürgerliche Literatur verwahrt sich mit allem, was ihr eigen ist - Sprache, Aisthesis, Kreativität, Imagination, Wissen und Bildung - gegen den Übergriff des Anderen und Fremden in Gestalt des sozial Niederen und Subalternen im eigenen Erfahrungsbereich, durchsetzt mit Empathie und Aggression. Aus der Sicht der noblen Literatur fällt der Blick auf die schäbigen Volkssänger, von denen sich Gustav Aschenbach, Thomas Manns Identifikationsfigur im "Tod in Venedig", auf der Hotelempore des Lido bedrängt fühlt, auf die elenden "Schalen von Menschen" in den Straßen und Krankenanstalten von Paris in Rilkes "Malte Laurids Brigge", auf die im Gerede sprachlosen Scheusale von Haushälterin und Hausbesorger in Canettis "Blendung", auf die im 'Jargon' agierende chassidische Schauspieler-Bagage, die Kafka so vehement gegen den Prager Kulturzionismus verteidigt. Die kulturelle Hybris gegenüber den Subalternen und Deklassierten folgt der Spur eines elitären Gestus, auch im politischen Handeln: Verachtung, Abscheu, Angst und Erschrecken angesichts der 'Deplorables', des bedauernswerten Elends der sozial Deklassierten und minder Kultivierten. [...] Das entsprechende Bildrepertoire an einsinnigen Klischees begegnet, ästhetisch nuanciert, in der literarischen Zeitgenossenschaft um 1900 bei Autoren unterschiedlichster Weltanschauung und Schreibweise. Und seitdem, was im Folgenden aufzuzeigen ist, in fast jedem uns vertrauten Text moderner, als bürgerlich verbürgter deutscher Literatur, der sich dem sozial Anderen außerhalb des eigenen Lebens- und Erfahrungsbereichs zuwendet, mehr oder weniger emphatisch oder verdrossen. Bei diesem kleinen Streifzug durch einige Kanon-Texte der Moderne kann es nicht um ihre sozialpsychologische und sozialhistorische Erklärbarkeit gehen. Vielmehr interessieren, als kleiner Nachtrag zur Lektüre der uns wohl bekannten Werke, gewisse Wege und Abwege der sozialen Imagination: der moralisch und ästhetisch oft verquere Umgang mit einem Fremden, das nicht nur in anderen Ländern und Kulturen zu suchen, sondern daheim, hier und jetzt, zu entdecken ist. In der Ferne so nah, voller "Berührungsfurcht", wenn nicht panischem Erschrecken vor dem Anderen.
Marie-Aude Murail a pu se vivre au début de sa carrière "comme écrivaine pour non-lecteurs, vouée à faire des livres qui ne devaient jamais dépasser 200 pages" (cité dans Prince, 2015 : 152). "Le Hollandais sans peine", petit ouvrage illustré paru en 1989, relève de la littérature de jeunesse, que d'aucuns continuent à opposer à la 'vraie' littérature. Dans la présente contribution, je propose d'analyser le tour de force que Murail réussit ici encore avec humour, en coulant dans un récit pour enfants certains éléments essentiels de la critique du langage. Ainsi, en inventant de toute pièce une langue, le jeune protagoniste Jean-Charles tourne une situation de contrainte, l'injonction parentale de jouer avec le voisin de camping afin d'apprendre l'allemand, en un espace de créativité linguistique et communicationnelle qui, de plus, rapproche jeunes et adultes. L'ouvrage illustre en ce sens la définition de Murail de la littérature de jeunesse comme dialogue entre les générations.
Im 15. Abschnitt seiner Aesthetik kommt Theodor Mundt auf den Humor als 'burleske Philosophie' zu sprechen. Als erster deutscher Ästhetiker hatte der von dem berühmt-berüchtigten Verbotsbeschluss des Bundestags vom 10. Dezember 1835 gegenüber dem sogenannten Jungen Deutschland hart getroffene Autor 1837 in seiner Abhandlung Die Kunst der deutschen Prosa systematisch die "zeitgemäße Stellung" der deutschen Prosa und damit deren Vorrangstellung gegenüber der Poesie begründet. [...] Richtete Mundt in dieser Abhandlung den Fokus noch auf die "Emancipation der Prosa", ist es in der Aesthetik nun "das Prinzip der Unmittelbarkeit" als "Philosophie der That". Mundt selbst spricht im Vorwort selbstbewusst von dem "von mir neu aufgestellte[n] Prinzip der Aesthetik". [...]
In diesem Beitrag wird das von Patrick Chamoiseau entwickelte Konzept vom "Relationspotential der Sprachen, Literaturen und Kulturen" auf Grimms Märchen angewandt. In erster Linie geht es darum, zu zeigen, wie im Laufe der Ausgaben der Sammlung "Kinder- und Hausmärchen, gesammelt durch die Brüder Grimm" rein deutsche Erzählungen sowie mythologische Reminiszenzen entstanden sind. In zweiter Linie wird die Künstlichkeit dieses Diskurses hervorgehoben. Dazu werden die Märchen von Jacob und Wilhelm Grimm - vor allem das KHM 60 "Die zwei Brüder" - mit den mythologischen Quellen verglichen, aus denen sie vermeintlich stammen sollten.
Am Fall Husserl soll aufgezeigt werden, wie das wiederholte Von-vorn-Beginnen unweigerlich in eine bestimmte Form des Philosophierens mündet. Dies zu verfolgen erfordert aber weniger eine philosophische als eine poietologische Perspektive. Die konstante Beschäftigung mit dem Anfang führt zu besonderen Schreibformen und entwirft ganze Lebensentwürfe. Dem entspricht ein Lektüremodus, der besonderen Wert auf diejenigen "höchst artistische[n] Volten und Manöver" legt, die im Umgang mit Anfangs- und Ursprungsszenarien zu beobachten sind, und der die daraus erwachsenden praxeologischen Bestimmungen und poetologischen Entwürfe als notwendiger Bestandteil dieser Bemühungen versteht. Es geht also weder darum, die philosophischen Aporien rund um den richtigen Anfang zu lösen, noch darum, ein Theoriemodell des Anfangens zu entwerfen, das in der Literaturwissenschaft aufzunehmen und anzuwenden wäre. Im Fokus stehen soll vielmehr das Zusammenspiel von Epistemologie und Po(i)etologie, das sich über das Anfangsproblem präsentiert und für das sich die "unendliche Aufgabe" von Husserls Phänomenologie, aufgrund der Ernsthaftigkeit ihres Rückfragens und der daraus resultierenden Denk- und Schreibpraxis, besonders eignet. Um die textuellen Konsequenzen der Anfangsaufgabe herausarbeiten zu können, soll in einem zweiten, sich von Husserl lösenden Schritt auf einen Autor zurückgegangen werden, der in der literaturwissenschaftlichen Forschung bereits vielfach als ein ständig neu beginnender und nie zum Schluss kommender beschrieben wurde: Franz Kafka. [...] Im Folgenden sollen also diese beiden Sachverhalte untersucht werden: Zum einen: Welche poetologischen Perspektiven auf das Anfangsproblem schlagen sich in Husserls vielfältigen Fragestellungen und Reflexionsfiguren nieder (III)? Zum anderen: Inwiefern kann Kafkas Form des ständigen Neubeginnens als konsequente Fortführung der Husserl'schen Problemstellung verstanden werden (IV)?
Der vorliegende Aufsatz geht davon aus, dass es die vermeintlich unspektakuläre, zugewandte 'Volksnähe' des Heiligen sowie seine Fähigkeiten als Prediger sind, die Michael Köhlmeier an Antonius von Padua faszinieren. Jedenfalls zeugen sowohl Köhlmeiers literarische Texte als auch seine Auftritte als Mythen- und Sagenerzähler von einem besonderen Interesse an Formen des kollektiven Erzählens sowie an der Beziehung zwischen Publikum und Redner. Vor diesem Hintergrund verfolgt der Beitrag zum einen die These, dass Köhlmeiers Erzählung sich als literarische Untersuchung zur Tradition der Antonius-Legenden lesen lässt, deren inhärenten Spannungen sie nachgeht und deren Produktionsmechanismen sie offenzulegen versucht. Es gehört zu den gattungskonstitutiven produktiven Problemen der Legende, dass sie ihren Gegenstand sowohl voraussetzen als auch performativ durch das eigene Erzählen herstellen muss: Die Heiligkeit der Person, von der die Rede ist, bildet zugleich Anlass und Ziel des Erzählens. In diesem zirkulären Projekt muss die Legende zum einen das Verhältnis zwischen individueller Handlungsmacht und göttlicher Vorsehung austarieren - der oder die Heilige muss als Person exzeptionell sein oder es erst werden, wobei ihm oder ihr diese Exzeptionalität als transzendente Auszeichnung zugeschrieben wird. Zum anderen verhandelt die Legende das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv - der oder die Heilige muss sich zwar vom Kollektiv absetzen und abgrenzen, ist aber dennoch angewiesen auf die Anerkennung und Beglaubigung durch eine Gemeinschaft. Während die mittelalterliche Antonius-Biographik dieses triadische Gefüge ausbalancieren, heterogene Überlieferungen harmonisieren und widerständige Elemente tilgen muss, um die Lebensgeschichte des Heiligen zur wirkungsvollen Legende zu modellieren, unternimmt es Köhlmeiers Novelle, die plurale Vielstimmigkeit und immanente Widersprüchlichkeit der Überlieferung wieder zu entfalten. Dieses quasi-archäologische, quellenkritische Verfahren erfolgt allerdings nicht um seiner selbst willen, sondern dient, so unsere zweite These, der Etablierung einer eigenen, alternativen Version der Antonius-Legende. Über die produktive Umschreibung der Prätexte und die imaginative Füllung ihrer Lücken findet Köhlmeiers Novelle auf die alte Frage, wie sich Heiligkeit konstituiert, eine neue, durchaus überraschende Antwort: Die Macht zur Heiligung kommt hier nicht der göttlich inspirierten Rede zu, sondern dem Kollektiv.