800 Literatur und Rhetorik
Refine
Year of publication
Document Type
- Part of Periodical (383) (remove)
Language
- German (305)
- Multiple languages (27)
- English (25)
- French (25)
- Portuguese (1)
Has Fulltext
- yes (383) (remove)
Keywords
- Literaturwissenschaft (60)
- Vergleichende Literaturwissenschaft (53)
- Geschichte (50)
- Literatur (46)
- Kulturwissenschaften (34)
- Ästhetik (25)
- Literaturtheorie (24)
- Theorie (24)
- Begriff (22)
- Kultur (19)
Institute
Houllebecqs Science-Fiction : "Unterwerfung" und "Die zweite Invasion der Marsianer" der Strugatzkis
(2018)
Am 6. Juni 2018 wurde die deutsche Fernsehverfilmung von Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" in der ARD gesendet. Auf die Erstausstrahlung folgte eine Gesprächsrunde zum Thema "Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?" An der Programmzusammenstellung wird das Missverständnis deutlich, das sich in der öffentlichen Diskussion von "Unterwerfung" etabliert hat. Dieses Missverständnis besteht darin, die "Islamdebatte" als Thema des Romans zu begreifen und deshalb dessen Szenario zum Gegenstand einer politischen Debatte zu machen. [...] "Unterwerfung" (2015) ist kein Roman über die Auseinandersetzung mit dem Fremden, sondern über das Verhältnis zur eigenen Geschichte. Der exemplarische Fall materialisierter Geschichte ist in "Unterwerfung" die Literatur. Dass der Protagonist und Erzähler François ein Literaturwissenschaftler ist, der sich vorwiegend mit Texten von Joris-Karl Huysmans befasst, ist dem Roman dabei Mittel zum Zweck, die Literatur thematisch ins Zentrum zu rücken. [...] Der neuere literaturgeschichtliche Hintergrund für Houellebecqs Arbeit ist die Science-Fiction. Und tatsächlich lässt sich "Unterwerfung" als Hypertext eines Science-Fiction-Romans lesen. Dieser trägt im Deutschen den Titel "Die zweite Invasion der Marsianer", wurde von Arkadi und Boris Strugatzki erstmals im Jahr 1967 auf Russisch veröffentlicht und liegt in einer trashigen französischen Taschenbuchausgabe von 1983 als "La seconde invasion des Martiens" in der Reihe "Science-fiction soviétique" vor.
Wer vom Populismus sprechen will, darf über den Liberalismus nicht schweigen. Es macht die Analyse komplexer, weil diejenigen, die sie betreiben, sich nicht mehr als unbeteiligte Beobachter ausgeben können. Allein schon der Begriff Populismus markiert ja eine Perspektive von außen, denn heutige Populisten nennen sich gewöhnlich nicht so. Wer den Begriff verwendet, ist unter den Vorzeichen eines sich immer weiter polarisierenden politischen Feldes also in der Regel dem Gegenlager der 'Liberalen' zuzurechnen. Dessen Vertreter sind an einer beide Seiten umgreifenden Dynamik beteiligt. Insofern ist auch die Art, wie sie über den Populismus sprechen, Teil des politischen Spieles. Deshalb reicht es nicht, das 'Narrativ des Populismus' mit seinen charakteristischen Merkmalen zu isolieren und, was ein leichtes Spiel ist, als trügerisch zu entlarven. Das Bild muss ergänzt werden um eine Analyse auch des 'liberalen Narrativs': der perspektivischen Verzerrungen, die es enthält, seiner Leerstellen und Ambivalenzen, vor allem aber der Gründe für seine geschwundene Integrationskraft sowohl im nationalen als auch im Weltmaßstab.
Was bei Schrott aus seiner künstlerischen Bearbeitung der Wissens-'Tradition' geworden ist, ist nicht einfach zu sagen. Jedenfalls keine Naturreligion und keine Experimentaltheologie, sondern eine Dichtung, sehr groß dimensioniert, gewiss, aber doch stets nur "Stücke eines Epos: nicht in hehrem Anspruch, sondern als Poesie, die Welt enthält". Von Freuds Epostheorie her gesehen ist der befremdliche Titel "Erste Erde. Epos" gewissenhafte Leseanleitung: Achtung, Kunst! - Nicht beantwortet ist damit die Frage, warum Schrott die 'Tradition' von Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte literarisch bearbeitet hat.
An ein philosophisches Fachpublikum richtete sich Blumenberg zuerst mit "Die sprachliche Wirklichkeit der Philosophie", geschrieben 1946 und veröffentlicht im Jahr darauf in der Hamburger Akademischen Rundschau. [...] Der Essay von nur vier Seiten zeugt von Blumenbergs Hadern mit allen Versuchen, die Philosophie von Grund auf neu zu errichten. Erstaunlich daran ist nun, dass Blumenberg dabei nicht als Vertreter der Phänomenologie und Anthropologie auftritt, als der er heute vor allem gelesen wird. Stattdessen erscheint er in diesem Anfangstext als Sprachtheoretiker.
Das kürzlich erschienene Büchlein "Schalamow. Lektüren" versammelt die Vorträge eines Kolloquiums zum Werk des russischen Schriftstellers Warlam Schalamow (1907–1982), das im Mai 2016 am ZfL stattfand. Unmittelbarer Anlass war damals der 65. Geburtstag von Franziska Thun-Hohenstein. Sie hat selbst zahlreiche Lektüren seiner Texte vorgelegt - nicht zuletzt in Gestalt der Nachworte in den mittlerweile sieben Bänden der Schalamow-Werkausgabe, deren Herausgeberin sie ist. Auch wenn der zweite Band kein Nachwort enthält und das Nachwort zum dritten von Michail Ryklin stammt, sind es doch Thun-Hohensteins Nachworte, die die Werke in Einzelbänden in besonderer Weise prägen.
"There is grandeur in this view of life", so beginnt der letzte Satz von Charles Darwins "On the Origin of Species". In der ersten Auflage verzichtete Darwin noch auf einen Bezug zu Gott. Ab der zweiten Auflage von 1860 fügte er ihn dann allerdings doch ein. Großartig und erhaben ist die Ansicht aber doch vielleicht gerade ohne Gott. Darauf jedenfalls scheint Raoul Schrotts "Erste Erde Epos" hinauszulaufen. Es ist eine von den Naturwissenschaften beeindruckte Erzählung, die diese nicht als nüchtern und seelenlos inszeniert, sondern die Bedeutsamkeit naturwissenschaftlichen Wissens für uns feiert, indem sie neue Formen und sprachliche Bilder für dieses Wissens sucht. Das Ergebnis ist eine eigene dichterische Verzauberung der Welt durch naturwissenschaftliches Wissen und zugleich eine Verzauberung der Naturwissenschaften. "Reenchanting Science, Wiederverzauberung der Naturwissenschaft" - auf diese Formel ließe sich das Programm Schrotts bringen.
Die Tagung "Reinhart Koselleck und die Begriffsgeschichte des 20. Jahrhunderts" am Deutschen Literaturarchiv Marbach (14./15.6.2018) reiht sich ein in eine Kette von Veranstaltungen, die dem Werk Reinhart Kosellecks und den Perspektiven der begriffsgeschichtlichen Forschung speziell im Hinblick auf das 20. Jahrhundert gewidmet sind. Wie der Gastgeber Ulrich Raulff (Marbach) bei der Eröffnung betonte, ist das Literaturarchiv Marbach ein besonderer Ort für die Begriffsgeschichte, da es die Nachlässe bedeutender Vertreter oder Stichwortgeber wie Hans Blumenberg, Hans-Georg Gadamer, Hans Robert Jauß, Joachim Ritter oder Dolf Sternberger aufbewahrt. Im Jahre 2008 wurden der schriftliche Nachlass sowie die Bibliothek von Reinhart Koselleck angekauft, kürzlich kam dann auch der Nachlass von Karlheinz Barck, dem Mitherausgeber des Wörterbuchs der "Ästhetischen Grundbegriffe" hinzu. Das Literaturarchiv Marbach beherbergt damit eine Fülle von Materialien, die bislang noch kaum erschlossen sind und die für die leitende Fragestellung einer Begriffsgeschichte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Forschungsquelle bilden.
2018 ist Georgien Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Zum ersten Mal nach der Wende wird die georgische Literatur damit prominent in einer fremden Sprache präsentiert. Gerade die Literaturen kleiner Nationen sind auf internationale Anerkennung dieser Art besonders angewiesen. Doch gibt es einen qualitativen Unterschied zwischen Literaturen 'kleiner' und 'großer Nationen'? Diese Frage ist im Spannungsfeld zweier Konzepte zu diskutieren, die mit dem der Nationalliteratur als lange dominierendem Ordnungsprinzip literarischer Texte konkurrieren: kleine Literatur und Weltliteratur.
Mit einiger Berechtigung könnte man das 19. Jahrhundert nicht nur als Jahrhundert nationaler Einheitstendenzen, sondern auch als Jahrhundert der Diversität beschreiben: einerseits der biologischen Diversität, insofern die Anzahl der bekannten Arten exponentiell zunimmt und die Evolutionslehre den Naturprozess selbst als Entstehung organischer Diversität bestimmt, andererseits aber auch als Jahrhundert der kulturellen und sozialen Diversifizierung: Unübersehbarkeit des empirischen Wissens, Differenzierung der Disziplinen, Vervielfältigung der kulturellen Tendenzen, Pluralisierung der Lebensformen und Weltanschauungen, die - mit Nietzsches Formulierung - "unkräftige Vielseitigkeit des modernen Lebens", all das gehört jedenfalls zu den gängigen Selbstbeschreibungen der Zeit. Dabei taucht Diversität in den Gegenwartsdiagnosen um 1900 weniger als Wert oder gar Forderung auf, sondern vor allem als krisenhaft oder ambivalent wahrgenommenes Phänomen
Kehlmann beschwört die Toten und leckt die Wunden des Dreißigjährigen Kriegs - nicht um sie zu heilen, sondern um sie offen zu halten. Durchgehend beharrt er auf dem Unabgegoltenen und Unabgeltbaren der Geschichte. Womöglich dichtet er aus dem Grund seinen gesamten Roman gegen jede potenzielle Identifikation des Dreißigjährigen Kriegs mit der gegenwärtigen Weltlage auch förmlich ab. Anspielungen auf den Nahen Osten oder auf Nordafrika sucht man in "Tyll" vergebens. Das wirft die simple Frage auf, was der Kehlmann'sche Text unabhängig von seiner offiziellen Poetik und Intention heute eigentlich anzeigt.
Im World-Heritage-Programm der Unesco sollen die als schützenswert hervorgehobenen Monumente, Naturschönheiten oder auch kulturellen Praktiken exemplarisch für das Welterbe der Menschheit insgesamt stehen. Wie aber wird deren Beispielhaftigkeit begründet? Und wie funktioniert die kulturelle Kanonbildung im Einzelfall? "Frontiers of the Roman Empire" heißt eine der 1073 Stätten (Stand: Mai 2018) auf der World Heritage List der Unesco. Zu diesen "Frontiers" gehören der Limes in Südwestdeutschland, der Hadrianswall in Nordengland und der Antoninuswall in Schottland. Es handelt sich also um eine dezentrale, transnationale, grenzübergreifende Stätte, die ihrerseits aus Grenzen besteht, noch dazu aus den hinterlassenen Grenzen eines Imperiums.
Einer gängigen Periodisierung zufolge stellt das Leben, dem Bereich der Repräsentation entzogen und als Unbestimmtheit, Pluralität oder Vermögen verstanden, die Wissenschaften und die Ästhetik um 1800 vor ähnliche Probleme. Zugleich rückt der arbeitende, sprechende und lebende Mensch, das Subjekt und bevorzugte Objekt der sich etablierenden modernen Wissensordnung, in eine aushandlungsbedürftige Doppelexistenz als Einzel- und Gattungswesen. [...] Die sukzessive Ablösung eines naturhistorischen Zugriffs auf den Menschen durch einen experimentalwissenschaftlichen sowie die Aufkündigung von dessen Fundierung in einem göttlichen Heilsplan im Verlauf des 18. Jahrhunderts lassen sich als Vorgeschichte dieses modernen Lebenswissens erzählen. Ein eklektisches Textaufkommen, das sich seit dem späten 17. Jahrhundert aus diätetischer, medizinischer, philosophischer oder literarischer Perspektive mit dem Leben des Menschen beschäftigt, erlaubt jedoch auch den Schluss, dass sich hier in der Überkreuzung unterschiedlicher formaler Traditionen und Entwicklungen Spuren eines anderen Wissens vom Leben beobachten lassen: eines Wissens, dessen Fluchtlinie nicht zwingend jenes unförmige, anonyme Leben ist, dessen Karriere 'um 1800' beginnt, sondern dessen Gegenstand und Horizont ein irreduzibel konkretes Leben ist.
Friedrich August Wolfs "Prolegomena zu Homer" (1795) waren in der intellektuellen Welt des späten 18. Jahrhunderts eine kleine Sensation. Wolf zeigte in seiner Schrift, dass die großen Epen der Antike nicht Produkt eines einzigen genialen Schöpfers waren, sondern "dieser kunstvolle Aufbau erst das Werk späterer Jahrhunderte" war. [...] Die Frage der ursprünglichen Formeinheit des Epos wurde von den Zeitgenossen heiß diskutiert. Dass das Problem der epischen Formeinheit die Gemüter er hitzte, ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass es beim "Epos als einheitsvoller Totalität" (Hegel) um nichts Geringeres geht als einen Gründungsmythos der modernen Literatur. Denn der Roman, der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zur dominanten literarischen Gattung entwickelte, bezog sich auf das Epos als seinen Fluchtpunkt. Dabei definierte sich der Roman als heterogenes Gebilde durch den Gegensatz zu der vermeintlich homogenen Formeinheit des Epos. Diese Gegenüberstellung wurde durch Wolfs Zweifel an der ursprünglichen Einheit des Epos radikal infrage gestellt.
Das neue Jahresthema des ZfL, FORMEN DES GANZEN, knüpft an das vorangegangene Jahresthema der DIVERSITÄT in den Bereichen der Natur, des Sozialen und der Kultur mit einer gewissen Zwangsläufigkeit an. Denn wer sich mit der Vielfalt beschäftigt, kann der Frage nach der Einheit der Vielfalt und damit nach dem Ganzen nicht ausweichen. So ist etwa das Schlagwort von der Biodiversität ein absolut inkludierender Begriff und damit Chiffre eines Ganzen. Allerdings wurden Ganzheitsvorstellungen im 20. Jahrhundert von Regimen in Anspruch genommen, die nicht zufällig 'totalitär' heißen. Auch deshalb stehen die heutigen Geisteswissenschaften dem Ganzen kritisch gegenüber. Jener Geist, der sie einmal als Wissenschaften binden und von den Naturwissenschaften unterscheiden sollte, gehört ja selbst zur Sippschaft unifizierender Begriffe, die ein Ganzes meinen oder behaupten.
Wenn heute vom Kulturerbe die Rede ist, ob im europäischen oder im globalen Maßstab, wird die Vorstellung eines aus der Vergangenheit stammenden Vorrats betont, den man zu inventarisieren, zu bewahren und an kommende Generationen weiterzugeben habe. Das gilt für das 'materielle' wie für das 'immaterielle' Erbe, das im EU-Beschluss eigens erwähnt wird und dessen Erhalt sich auch die Unesco bereits seit 2003 widmet. Die Berufung auf künftige Generationen ist eine stehende Formel, nicht nur in den Konventionen von EU und Unesco, sondern überhaupt in Rhetoriken der Bewahrung auf den unterschiedlichsten gesellschaftspolitischen Feldern - mit fließenden Übergängen zu dem, was man heute 'Nachhaltigkeit' nennt. Damit wird das Erbe als eine denkbar weit reichende Logik der transgenerationalen Übertragung erkennbar.
Fröhliche Wissenschaft - traurige Theorie? : lose Bemerkungen zu einem spannungsreichen Verhältnis
(2018)
Im Rückblick auf seine langjährige Teilnahme an den Kolloquien von "Poetik und Hermeneutik", der institutionell wie theoretisch in Deutschland sicher erfolgreichsten geisteswissenschaftlichsten Gruppierung nach 1945, kam der bekannte Romanist Karlheinz Stierle jüngst auf die gemeinsamen Wurzeln der ehemaligen Mitglieder zu sprechen. Gegenteiligen Bekundungen zum Trotz dürften solche nicht etwa in einer eigenständigen "Theorie", sie müssten vielmehr in einem bestimmten Gebrauch des Deutschen als Wissenschaftssprache gesucht werden. [...] Stierles Beobachtungen stehen in ihrer prononcierten Ausrichtung auf Darstellungsfragen und Sprachgebrauch in einer langen wissenschafts- wie theoriegeschichtlichen Tradition. Wenn Stierle der Poetik und Hermeneutik-Gruppe eine "gemeinsame Theorie" abspricht und er ihren "Pep" und ihren Zusammenhalt allein in ihrer Sprache verortet, dürfte dies zunächst von dem schlechten Leumund zeugen, den die 'Theorie' derzeit in weiten Teilen der geisteswissenschaftlichen Debatte besitzt. Seine Bemerkungen sind für das heutige Verständnis der Beziehung von Theorie und Wissenschaft vor allem in den Philologien symptomatisch. Die Zeit eines "Pep" gerade der Theorie selbst scheint längst verflogen, ihr "langer Sommer" endgültig vorbei.
Der Proust'sche Fragebogen dient traditionell dazu sich kennenzulernen, sei es in einem französischen Salon, wo er einst entstand, sei es auf der letzten Seite eines deutschen Magazins. Wir haben unseren eigenen Fragebogen für den ZfL BLOG entworfen. Hier antwortet jetzt Barbara Picht, die seit Ende 2017 im Forschungsprojekt "Theorie und Konzept einer interdisziplinären Begriffsgeschichte" arbeitet.